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Distributed Autonomous Organizations (DAOs) - Neue Organisationsformen und Inklusion, Teil 3

Autorenwelt-News
Wilhelm Uschtrin

Geht da noch mehr? (Maximale) Inklusion in Distributed Autonomous Organisations (DAOs).

Dies ist der dritte und letzte Artikel meiner Serie zu neuen Organisationsformen und Inklusion. Im ersten Artikel habe ich Teile meiner inneren Reise dorthin beschrieben und eine Theorie vorgestellt, mit der wir Organisationsformen vermessen können. Im zweiten Artikel haben wir uns Verantwortungseigentum und Plattform-Genossenschaften angesehen. Lasst uns jetzt einen Blick auf Distributed Autonomous Organizations werfen, die in nie zuvor geahntem Maße Inklusion ermöglichen .

Das »Distributed« in Distributed Autonomous Organizations bedeutet übersetzt so viel wie »verteilt«. Analog zu »distributed systems«, also verteilten dezentralen Systemen wie Handy-Netzen, Server-Clustern oder weltweit über das Internet verteilten Datenbanken.

Aber wir können einfach die Abkürzung benutzen: DAO. Das klingt auch ungefährlicher. Ich möchte mich übrigens gleich am Anfang entschuldigen: Ich werde in diesem Artikel viele Anglizismen verwenden. Die Zukunft wird leider auf Englisch erfunden, nicht auf Deutsch.

Und noch eine Bitte, bevor es losgeht. Sollte ich euch zwischendrin verlieren – das kann passieren –, lest auf jeden Fall den letzten Abschnitt »Halb Einladung, halb Appell«. Das ist ohnehin der Wichtigste in der ganzen Serie.

 

Blockchains

Bevor ich »DAO« erklären kann, muss ich erst »Blockchain« erklären. Eine Blockchain ist genau eine solche, weltweit über das Internet verteilte Datenbank. Das Datenbank-Beispiel oben, um »Distributed« zu erklären, war nicht zufällig gewählt. Weltweit verteilt bedeutet, dass sie nicht auf einem Server oder in einem Datenzentrum beheimatet ist, sondern auf Abertausenden von lose miteinander in Verbindung stehenden Servern. Und bei einer Blockchain bedeutet das außerdem auch »organisatorisch verteilt«, also dezentral. Es gibt keine einzelne Organisation und keinen Staat, der oder dem diese Datenbank gehört. 

Allerdings hat eine Blockchain im Vergleich zu traditionellen weltweit verteilten Datenbanken darüber hinaus noch einige weitere Merkmale: Man braucht zum Beispiel keine Leserechte, um Daten aus ihr auszulesen, jeder kann das jederzeit tun. Es gibt auch niemanden, der zentral die Schreibrechte verwaltet, stattdessen kann jeder gegen eine kleine Gebühr etwas hineinschreiben, jederzeit. Die Gebühr teilen sich die Betreiber der Blockchain-Server, und jeder kann einen solchen Server betreiben, ohne irgendwen um Erlaubnis bitten zu müssen. Des Weiteren kann nichts gelöscht werden, die Datenbank wird also immer größer und umfangreicher. Aber dafür können auch immer alle sicher sein, dass man sämtliche  Änderungen der Daten bis zum Ursprung nachverfolgen kann. Um mitzumachen muss man sich nur eine Adresse einrichten, die gleichzeitig als Konto fungiert.

Ein bisschen also wie ein Kontobuch (eng. »Ledger«), wie man es aus der Finanzbuchhaltung kennt, nur weltweit verteilt. Daher kommt auch der alternative Name für Blockchains, »Distributed Ledgers«. Das ist also eine normale »dumme« Blockchain wie zum Beispiel Bitcoin.

Darüber hinaus gibt es aber auch raffiniertere Blockchains, auf denen man programmieren kann. Für Blockchains bedeutet das, dass alle Server, die zusammen diese Blockchain betreiben, auch die Programme ausführen, deren Code auf dieser Blockchain abgelegt ist. Und für diese Programme gelten die gleichen Merkmale, wie für die Blockchain selbst: Jeder kann gegen eine kleine Gebühr beliebigen Code auf dieser Blockchain ablegen und ausführen lassen. Effektiv erhält man also eine Art dezentralen weltweit verteilten Super-Computer, den keine einzelne Partei kontrolliert. Ein Beispiel dafür ist Ethereum.

Abgefahren! Und weil niemand für irgendwas um Erlaubnis bitten muss, schon mal ziemlich inklusiv. Was kann man damit machen?

 

 

Smart Contracts

Theoretisch könnte man zwar alles auf einer Blockchain programmieren, allerdings wäre das ziemlich teuer, da bei jeder Ausführung des Codes eine Gebühr fällig wird. Darüber hinaus ist die Gebühr auch höher, je komplexer das Programm ist. Die komplette Programm-Logik eines Browsers oder E-Mail-Programms abzulegen und auszuführen wäre daher SEHR teuer. In der Praxis beschränken sich die Programme daher bisher meist auf relativ einfache transaktionale Logik. »Transaktional« weil oft Wertmarken (engl. »Tokens«) von Adresse zu Adresse verschoben werden, beispielsweise 2 ½  Tokens für das Ausleihen eines E-Rollers von meiner Adresse an die Adresse der Verleihfirma. Diese Tokens können ihrerseits auf der Blockchain erschaffen und dann getauscht werden. Und weil das transaktionale Verschieben von Tokens an das Ausführen von Verträgen erinnert und das auf der Blockchain programmiert werden kann, spricht man dabei von »Smart Contracts«.

Und hier kommen wir endlich zurück zu den DAOs (Distributed Autonomous Organizations). DAOs nämlich werden ins Leben gerufen, indem ihre Satzung als Smart Contract auf der Blockchain abgelegt wird. Denn was ist eine Satzung mehr, als ein besonders »smarter« Vertrag? Zu jedem DAO gibt es sogenannte »Governance Tokens«, die wie Gesellschaftsanteile fungieren und an die Stimm- und Gewinnrechte geknüpft sind. Auf dezentralisierten Börsen, auch wiederum nur Smart Contracts auf der Blockchain, können alle diese Governance Tokens kaufen und verkaufen.

So weit so gut. Aber wie sieht es mit der Inklusion aus, um die es in diesen Artikeln geht? Es zeigt sich, dass DAOs sowohl wirtschaftlich als auch politisch in hohem Maße inklusiv sind. 

Zum Mitmachen genügt ein normaler Browser. Die Schnittstellen zur Blockchain, den Börsen und DAOs sind normale Webseiten, die eigene Blockchain-Adresse (quasi Konto, Identität und Adresse in einem) wird über ein Browser-Plugin verwaltet. Jede kann mit ein paar Klicks Governance Tokens erwerben, wird damit Eigentümerin und kann mitbestimmen, unabhängig vom Standort oder von Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer und sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen. 

Was die wirtschaftliche Inklusion angeht: In den allermeisten Fällen sind die Dienstleistungen und Produkte solcher DAOs auch wieder Smart Contracts, die ihrerseits von jedermann auf der Blockchain ohne Erlaubnis genutzt werden können.

Wir fassen zusammen: Alles spielt sich auf der Blockchain ab, man braucht nur einen Browser, jeder kann mitmachen. Fazit: äußerst inklusiv. Tatsächlich so inklusiv, dass DAOs manchmal auch Protokolle genannt werden. Was sind andere bekannte Protokolle? TCP/IP oder HTTP zum Beispiel, besser bekannt als »das Internet«.

 

Die ersten DAOs

»Herr Uschtrin … Plattform-Genossenschaften, okay. Aber das hier ist doch Science Fiction!«

»Meine Damen und Herren, bitte folgen Sie mir. Ich zeige Ihnen die Zukunft – schon heute! Sehen Sie hier zu Ihrer Linken die ehrwürdigen Hallen des MakerDAO, eines Finanzinstituts mit einer Marktkapitalisierung von 2,5 Mrd. US-Dollar, das eine eigene Währung ausgibt. Zu Ihrer Rechten sehen Sie die hohen Türme der dezentralisierten Börse Uniswap, über die jeden Tag Krypto-Assets in Höhe mehrerer Milliarden Euro den Besitzer wechseln. Und dort drüben sehen sie die Farben von Compound im Wind wehen, seines Zeichens Kreditinstitut mit guten Zinssätzen für absolut jedermann.«

 

Werbe-Video von MakerDAO

 

Die Entwicklung von DAOs hat seit dem Sommer 2020 richtig Fahrt aufgenommen und ja, bisher haben quasi alle mit Blockchain- und finanznahen Dienstleistungen und Produkten zu tun. Aber das muss nicht so bleiben. Zum Beispiel gibt es auch Theta: Youtube auf einer Blockchain. Es gibt sogar Zwischen-Protokolle wie Colony, Aragon oder DAOstack, die einem erlauben, wie in einem Baukasten-System die Satzung eines DAOs zusammenzustöpseln.

Absolut lesenswert ist auch dieser Artikel einer Mitarbeiterin von Yearn, in dem sie erzählt, wie die Community des DAOs Anfang des Jahres eine knifflige, aber wegweisende Entscheidung getroffen hat. Wer es schafft, einfach über den Finanz-, Tech- und Meme-Sprech hinwegzulesen, bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie unglaublich es ist, was hier gerade passiert. Als könnten wir dabei zusehen, wie diese neuen Wesen der Ursuppe entsteigen.

In der Zukunft wird es womöglich Hunderte, Tausende und Abertausende von DAOs geben, die auf Blockchains lebend, ähnlich dem Internet, die Welt umspannen, uns mit Smart Contracts das Leben einfacher machen und in nie zuvor gekanntem Ausmaß inklusiv sind.

Für die Einen mögen sich DAOs wie eine Utopie anhören, für die Anderen wie eine Dystopie – es wird sich zeigen, was wir Menschen aus ihnen machen.

Mir fällt es zum Beispiel leicht, mir ein Urheber-DAO vorzustellen, das Verwertungsverträge für kreative Werke als Smart Contracts auf einer Blockchain verwaltet. Jeder kann über die Smart Contracts Nutzungsrechte an den kreativen Werken erwerben, die Ausschüttung aus der Verwertung erfolgt automatisch an die Adressen der Urheber. Die Urheber selbst halten das Gros der Governance Tokens und bestimmen über alle Aktivitäten und die Gewinnverwendung des DAO, wie in einem Verein - nur abgestimmt wird auf der Blockchain per Smart Contract, ist ja klar.

Ich sehe großes Potenzial in diesen DAOs und die Vorstellung, was alles mit ihnen möglich ist, fasziniert mich. Sowohl bezogen auf unsere Gesellschaft als Ganzes, aber natürlich auch als Teil des Teams der Autorenwelt, für den Literaturbetrieb und das Los der Worturheber*innen insbesondere. Das dezentrale kreative Schaffen und seine Wertschöpfungsketten scheinen mir fast wie gemacht für diese Art von Organisation und das eben skizzierte Urheber-DAO ist schließlich nur eine einzelne Idee. Ich bin gespannt auf welche weiteren Ideen die Branche über die Jahre kommen wird. Für mich steht fest: Es wird großartig!

 

 

Halb Einladung, halb Appell

In dieser Artikelreihe haben wir den weiten Bogen von traditionellen Startups über Verantwortungseigentum und Plattform-Genossenschaften bis hin zu DAOs geschlagen. Wir haben uns angesehen, wie es sich in diesen Organisationsformen mit der politischen und wirtschaftlichen Inklusion verhält, was die Auswirkungen der unterschiedlichen Ausprägungen sind und was heute schon alles möglich ist.

Wir haben wahrlich viel gesehen.

Ohne genau zu wissen, welchen Weg die Autorenwelt gehen wird, laden wir schon jetzt zum Mitmachen und zur Kooperation ein und versprechen, immer danach zu trachten noch inklusiver zu werden. Wir selbst sind nur ein kleiner Fisch in diesem Ökosystem des Literaturbetriebs, aber wollen zusammen mit euch, den Worturheber*innen und euren Verbänden, etwas richtig Großes starten!

Verantwortungseigentum ist für uns nur der Anfang – lasst uns gemeinsame Sache machen!

 

Herzliche Grüße
Will

 

Bilder von Scott Webb und Solen Feyissa auf Unsplash.

 

 

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