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Verantwortungseigentum und Plattform-Genossenschaften - Neue Organisationsformen und Inklusion, Teil 2

Autorenwelt-News
Wilhelm Uschtrin
Pflänzchen und Schild

Inklusion in Verantwortungseigentum und Plattform-Genossenschaften

Dies ist der zweite meiner drei Artikel zum Thema Inklusion in neuen Organisationsformen. Im ersten Artikel habe ich eine Theorie vorgestellt, mit der wir Organisationsformen vermessen können. In diesem Artikel werden wir uns das Verantwortungseigentum und die Plattform-Genossenschaft ansehen. Auf geht’s!

 

Verantwortungseigentum

Das Konzept fußt auf zwei Prinzipien: 

  1. Das Unternehmen kann weder verkauft werden, noch können sich Gesellschafter*innen Gewinne ausschütten (sog. »Asset-Lock«). Die einzige Möglichkeit für Gesellschafter*innen, einen wirtschaftlichen Vorteil aus dem Unternehmen zu ziehen, ist über ein (angemessenes) Gehalt. Das Unternehmen ist somit kein Vermögenseigentum mehr, sondern »nur noch« Verantwortungseigentum.
  2. Gesellschafter*in kann nur sein, wer aktiv ins Unternehmen eingebunden ist.

Diese beiden Prinzipien werden in der Satzung verankert und von einer sog. »Veto-Anteil-Dienstleisterin« garantiert. Diese Dienstleisterin ist in der Regel eine Stiftung, deren einziger Zweck es ist, in den Gesellschafterversammlungen anderer Gesellschaften dafür zu sorgen, dass diese Prinzipien gewahrt werden. Dafür bekommt die Stiftung Anteile überschrieben, an die gewisse Veto-Rechte geknüpft sind. Sollten die übrigen Gesellschafter auf die Idee kommen, gegen die Prinzipien verstoßen zu wollen, kann die Stiftung das verhindern. In unserem Fall wird das die Purpose Stiftung sein. Ich habe euch unten ein paar Links angehängt (unter dem schönen Baum), falls die heimliche Gesellschaftsrechtlerin in euch neugierig geworden ist.

Kompliziert? Ja, ein bisschen. Aber weit weniger kompliziert als die Stiftungsmodelle, die zum Beispiel Bosch oder Zeiss implementiert haben, um im Sinne des Verantwortungseigentums zukunftssicher handeln zu können. Um Unternehmen in Verantwortungseigentum sein zu können, musste man bis vor Kurzem nämlich noch eigene Stiftungen zu diesem Zweck gegründet haben. Alnatura geht gerade diesen Weg.

Der Effekt einer Übertragung eines Unternehmens in Verantwortungseigentum ist, dass das Unternehmen kompromisslos seinem Zweck nachgehen kann. Der Anreiz, Gewinne zu maximieren, entfällt. Überschüsse, die erwirtschaftet werden, werden komplett reinvestiert. Damit stärkt Verantwortungseigentum das Vertrauen und die Sicherheit aller Nicht-Gesellschafter. Sie wissen: Der proklamierte Zweck des Unternehmens ist der tatsächliche Zweck und nicht nur ein Nebenzweck oder noch schlimmer, nur ein Lippenbekenntnis. Die Sache ist dann klar: Es ist der einzige Zweck.

Wir glauben, dass diese Sicherheit sehr beruhigend für alle Nicht-Gesellschafter*innen ist. Mir persönlich geht es zumindest so mit anderen Unternehmen, über deren Motive ich mir keine Gedanken machen muss. Für alle, die in der Zukunft mit der Autorenwelt zu tun haben (Kund*innen, Partner, Mitarbeitende), bedeutet das die Sicherheit: Die Autorenwelt kümmert sich um das Wohl von Worturheber*innen.

Eigentlich wollten wir die Überführung der Autorenwelt in Verantwortungseigentum bis Ende 2020 abschließen, doch nun dauert es etwas länger. Wir hoffen, dass ihr euch genauso darüber freuen werdet wie wir, wenn es dann soweit ist.

Um an das Thema »inklusive Unternehmen« anzuknüpfen: Was gewinnen wir in diesem Zusammenhang durch Verantwortungseigentum? Wir haben der Möglichkeit wirtschaftlicher Extraktion einen Riegel vorgeschoben, für immer. Es gibt wirtschaftlich ab jetzt also nur noch einen Weg: inklusiver.

Auf dem Weg zu politischer Inklusion haben wir damit leider noch nichts gewonnen. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Daher werden wir uns noch zwei weitere Organisationsformen ansehen, die erste visionär, die zweite geradezu futuristisch.

 

 

Plattform-Genossenschaften

In den letzten Jahren haben wir uns immer wieder mit der Gesellschaftsform der Genossenschaft beschäftigt. Ja, Sandra war sogar schon bei Aktiengesellschaften angelangt, um die Möglichkeiten politischer Inklusion von Autor*innen zu sondieren.

Kurz zur Erklärung: Auch wenn wir bisher eine GmbH mit 3 Gesellschafter*innen sind, muss das ja nicht auf ewig so bleiben. Die Autorenwelt könnte ganz einfach ihre Gesellschaftsform wechseln oder neu gegründete Gesellschaften könnten Anteile der Autorenwelt GmbH übernehmen. Bisher haben wir den Mehraufwand dafür immer gescheut, da wir erst aus der Verlustzone kommen wollen, aber langfristig sind das zwei sehr gute Optionen.

»Aber Will! Hast du nicht eben gesagt, dass eine GmbH in Verantwortungseigentum nicht verkauft werden kann? Und ist eine Beteiligung nicht ein Verkauf?!« Gut aufgepasst! Das ist richtig so, hinter das Verantwortungseigentum kommen wir nicht mehr zurück, alle zukünftigen Eigentümer der Autorenwelt müssen Verantwortungseigentümer sein. Für nicht natürliche Personen, Körperschaften, bedeutet das schlicht, dass sie selbst auch Verantwortungseigentum sein müssen. Oder anders gesagt: Nur Unternehmen in Verantwortungseigentum können sich an Unternehmen in Verantwortungseigentum beteiligen.

Zurück zur guten alten Genossenschaft beziehungsweise ihrer zeitgenössischen, skalierten, und Technologie-gestützten großen Schwester, der »Plattform-Genossenschaft«.

Das Konzept ist denkbar simpel: Man nehme eine große Internet-Plattform da draußen, bei denen Nutzer in Selbstständigkeit Dienstleistungen vollbringen, wandle sie in eine Genossenschaft um und mache alle vormals Selbstständigen zu Genoss*innen/Eigentümer*innen. Plattformen, die geradezu danach schreien, sind zum Beispiel YouTube, Airbnb oder Uber. 2019 hatte Uber um die 5 Mio. Fahrerinnen bei etwas über 65 Mrd. US-Dollar Umsatz (Buchungen)(cit.), Airbnb knapp 2,9 Mio. Gastgeber und um die 38 Mrd. US-Dollar Umsatz (Buchungen)(cit., cit.). Damit würden sie sich gut in die Liste der größten bestehenden Genossenschaften einfügen.

Interessant dabei ist auch, dass diese bestehenden Plattformen wirtschaftlich ja bereits sehr inklusive Züge haben. Es ist unheimlich leicht anzudocken, mitzumachen und mit ihnen Geld zu verdienen. Und das ist auch das Geheimnis vieler moderner Unternehmen, die Geschäftskunden als Kunden haben, nämlich Ökosysteme um sich herum aufzubauen. Shopify, unser Shopsystem-Anbieter, macht das zum Beispiel so: Shopify konzentriert sich auf die Kernfunktionen dessen, was ein Online-Shop können muss, und eine riesige Anzahl von Agenturen und kleiner Firmen baut Erweiterungen, die man über den Shopify-App-Store installieren kann. So gewinnen am Ende alle Beteiligten: Kundinnen haben mehr Möglichkeiten, Shopify wird immer häufiger verwendet und die App-Anbieter verdienen durch den Mehrwert, den sie zusammen mit Shopify für die Kundinnen generieren können. Eine positive Dynamik entsteht. Apropos »App-Store«, Apple und Konsorten: gleiche Masche.

Allerdings gibt es bei all diesen Unternehmen immer noch Shareholder, die Gewinne abschöpfen, und politische Mitbestimmung ist in der Regel nicht gegeben – es handelt sich also nur um unvollständige Inklusion. Aber man sieht schon, dass das gut zu funktionieren scheint mit der Inklusion. Insbesondere wenn man es jeweils mit den alten Unternehmen vergleicht: Fernsehsender – YouTube, Hotels – Airbnb oder Taxis – Uber. Die Barrieren, bei den alten Unternehmen mitzuspielen, sind ungleich höher, sodass noch nicht mal die wirtschaftliche Inklusion gegeben ist.

Übrigens muss ich an dieser Stelle fairerweise sagen, dass bestimmte Shareholder natürlich eine wichtige Rolle spielen. Denn die frühen externen Shareholder sind ja Risikokapital-Investoren, die mit ihrem Geld ein großes Risiko eingehen und ohne die alles länger dauern würde (und oft gar nicht funktionieren würde). Genau dies ist für Plattform-Genossenschaften daher ein sehr kritischer Faktor: Geldgeber zu finden, die nicht nach dem klassischen Risikokapital-Modell vorgehen.

Und trotzdem: Ist die Vorstellung von Plattformen wie YouTube, Uber und Airbnb, die ihren Nutzern gehören (sowohl den Produzenten/Dienstleistern als auch den Nutzern/Konsumenten), wo diese über alles entscheiden können und niemand sonst Gewinne abschöpft, nicht erhebend? Aber das ist Träumerei, so was gibt’s nicht!? Gibt es doch! Es gibt eine ganze Bewegung dazu, das Schlagwort ist »Plattform Cooperatives« (Genossenschaft heißt auf Englisch »Cooperative«). Siehe platform.coop, platformcoop.de und Wikipedia.

Das sind also Plattform-Genossenschaften. Spannend, oder? Und schon sehr inklusiv! Leider auch etwas behäbig. Sicherlich kann man einer Genossenschaft mit viel Technologie, Automatisierung und einer ordentlichen Portion guten Willens seitens der Behörden und des Notars Flügel anheften, aber sie ist doch immer noch im Genossenschaftsgesetz (GenG) verankert und kommt davon nicht los. 

Aber eigentlich will da doch etwas ganz anderes, etwas Neues entstehen. Im dritten Artikel dieser Serie beobachten wir aus sicherer Entfernung Distributed Autonomous Organizations, kurz “DAOs”, die Inklusion auf die absolute Spitze treiben.

 

Herzliche Grüße
Will

 

Bilder von Nik, NeONBRAND und veeterzy auf Unsplash.

 

 

Mehr Informationen zu Verantwortungseigentum:

 

 

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