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Startups und inklusiver Kapitalismus - Neue Organisationsformen und Inklusion, Teil 1

Autorenwelt-News
Wilhelm Uschtrin

Ist die Autorenwelt eigentlich ein Startup? Was haben Staaten und Unternehmen gemeinsam? Lässt sich der Kapitalismus heilen?

Nach einer längeren Pause in unserer Transparenz-Reihe nehme ich euch in drei aufeinanderfolgenden Artikeln auf eine Zeitreise mit. Von den Anfängen der Autorenwelt über den heutigen Tag bis in die Zukunft. Dabei machen wir uns viele Gedanken über Inklusion und begegnen einigen (Organisationsform-)Geschöpfen. Sie weilen erst so kurze Zeit unter uns und sind so merkwürdig anzuschauen, dass viele von euch sie ganz unerhört finden werden.

In diesem ersten Artikel hole ich dazu etwas weiter aus und blicke auf einen Teil meiner eigenen inneren Reise zurück. Außerdem machen wir uns eine Theorie zu Inklusion zu Nutze, um diese neuen Organisationsformen mit denen vergleichen zu können, die wir schon kennen (GmbHs und dergleichen). Im zweiten und dritten Artikel werden wir uns dann die Organisationsformen selbst ansehen: Verantwortungseigentum, Plattform-Genossenschaften und Distributed Autonomous Organizations (DAOs). Ich wünsche viel Spaß.

 

Wir sind kein klassisches Startup. Und ich bin cool damit.

 

Seit ich mit Sandra über die Autorenwelt spreche, höre ich von ihr, wie gern sie Autor*innen beteiligen möchte. Nicht nur pekuniär, sondern auch am Eigentum und damit in der Mitbestimmung. Tatsächlich weiß ich nicht mal mehr, was zuerst war: der Name »Autorenwelt« oder dass Sandra mir gegenüber das erste Mal diesen Drang geäußert hat.

Bei mir fiel das nicht von Anfang an auf fruchtbaren Boden. Autor*innen beteiligen? »Von mir aus, aber nur zum Teil, ich will ja auch gut an der Sache verdienen. Schließlich stecke ich hier viel Herzblut, Schweiß und Tränen rein.« So oder so ähnlich dachte ich in den ersten Jahren oft. Eine Haltung, geprägt von dem Tech-Startup-Mythos, von dem ich gezehrt habe, während ich 2014 in Nairobi den ersten Business-Plan für die Autorenwelt schrieb. Der Startup-Mythos ist: innovative Idee -> großes Investment -> maximales Wachstum -> (finanzieller) Erfolg.

Zurück in Deutschland war es 2015 immer noch diese Haltung, mit der ich auf die Suche nach Mitstreiter*innen ging. Leider rächte sich das schnell: Das noch zarte, aber unheimlich kompetente Team, das sich daraufhin zusammengefunden hatte, überlebte den Winter nicht. Zu einem gewissen Teil lag das daran, dass es uns nicht möglich war, Gehälter zu zahlen. Aber zu einem weit größeren Teil an den langwierigen und zunehmend toxischen Diskussionsschleifen zu den Beteiligungsmodalitäten: Rapid Unscheduled Disassembly, wie sie es bei SpaceX nennen. Eine Notiz von damals habe ich immer noch: »Never again try to attract talent with the promise of riches!!!« (übersetzt ungefähr: »Versuche nie wieder, gute Leute mit der Verheißung auf Reichtum zu locken!!!«).

Allerdings hat mich diese Erfahrung auch verändert. Und die Zeiten und die Welt haben sich seitdem verändert. Wer kann sich schon so lange nicht verändern? Genau kann ich den Weg nicht mehr rekonstruieren, aber über die Jahre habe ich mich damit abgefunden, dass die Autorenwelt nicht das typische Tech-Startup ist. 

Ein Grund dafür ist sicherlich das Versprechen, das wir Gründer*innen (Sandra, Angelika und ich) uns gegenseitig, und jedem der uns zugehört hat, gegeben haben: dass wir niemals verkaufen werden. Vor allem nicht an Amazon, aber auch an sonst niemanden. Tja, es zeigt sich, dass das für potenzielle Investoren ein rotes Tuch ist. In der traditionellen Startup-Szene gibt es nämlich genau zwei Arten von Liquidations-Events (sog. »Exits«) für Investoren: den Börsengang oder den Verkauf an einen Konzern. Und ohne »Exit-Strategie« keine Investition. Und ohne Investoren oder entsprechende eigene finanzielle Mittel wird »Startup« zu einem sehr langen und harten Unterfangen. Die Geister, die wir riefen.

Ein weiterer Grund für meine Abkehr vom Startup-Mythos ist die Branche, in der wir uns bewegen. Ohne jemandem auf die Füße treten zu wollen, ich bin ja selbst Teil davon, aber ich habe selten erlebt, dass wir als »Buchbranchen-Startup« bei Leuten außerhalb der Branche die Herzen höher schlagen lassen. Wenn ich auf Partys oder in sonstigen Runden erzählt habe, dass wir eine Online-Plattform für Autoren entwickeln und dass unser Geschäftsmodell auf dem Verkaufen von Büchern fußt, habe ich nur leere, wenn nicht gar besorgte Blicke geerntet. Klar, ich übertreibe – aber nicht viel!

Zum Glück habe ich über die letzten Jahre etwas (wieder-)gefunden, das das Vakuum gut ausfüllt, wo vorher die Startup-Mentalität war: den Wunsch, einen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten ... Doch dazu in einem anderen Beitrag mehr. Jedenfalls nützt dieser Wunsch als Purpose und als Motivation genauso gut wie das Gewinnstreben, das mich vorher angetrieben hat. Wenn nicht besser.

 

 

»Why Nations Fail«

Ein Buch, dass mich auf der eben skizzierten Reise sehr inspiriert hat, ist »Why Nations Fail« von Daron Acemoglu und James Robinson. Darin postulieren die beiden, dass es vor allem zwei Faktoren sind, die zum Erfolg von Staaten führen: inklusive wirtschaftliche und inklusive politische Institutionen. Diesen gegenüber stehen extraktive (abschöpfende und ausschließende) wirtschaftliche und politische Institutionen, die dazu führen, dass Staaten oder Gesellschaften scheitern. 

Inklusive wirtschaftliche Institutionen erlauben es breiten Teilen der Bevölkerung, an der Wertschöpfung zu partizipieren und Wohlstand aufzubauen. In extraktiven wirtschaftlichen Systemen hingegen wird die Wertschöpfung von Eliten kontrolliert und der Überschuss abgeschöpft, das Gros der Bevölkerung geht leer aus. In inklusiven (pluralistischen) politischen Systemen (bspw. Demokratien) ist die Macht gleich(er) verteilt, und es werden viele, wenn nicht alle Teile der Bevölkerung an den Entscheidungsprozessen beteiligt. Bei extraktiven politischen Institutionen (bspw. Autokratien, Monarchien) ist das Gegenteil der Fall, der Großteil der Bevölkerung kann keinen politischen Einfluss nehmen.

Entwicklung geschieht nun dadurch, so die Autoren, dass sich die wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten beeinflussen und gegenseitig verstärken, in die eine oder andere Richtung. Und auch ein einmal eingeschlagener Weg verstärkt sich meist zunehmend, extraktive Institutionen werden zunehmend extraktiver und inklusive zunehmend inklusiver.

Die beiden Autoren führen dafür reihenweise historische und zeitgenössische Beispiele auf. Ein positives Beispiel dafür ist der Übergang vom mittelalterlichen England über das Empire zum Staat des Vereinigten Königreichs in seiner heutigen Form. Die BBC illustriert den politischen Wandel dabei ganz hervorragend. Für den wirtschaftlichen Wandel ließe sich eine ähnliche Infografik zeichnen, etwa mit der Entwicklung von Körperschaften (Corporations) wie der East India Company und einer der ersten Börsen (London Stock Exchange) als nur zwei von vielen Meilensteinen auf dem Weg zu größerer wirtschaftlicher Inklusion. Ein aktuelles Beispiel, das gleich beide Seiten zeigt, sind die beiden Koreas: extraktiv im Norden und inklusiv im Süden.

Aber was hat das nun mit Startups, Organisationsformen und der Autorenwelt zu tun?

Ich glaube, dass wir viel lernen können und interessante Einsichten gewinnen, wenn wir diese Theorie auf die Wirtschaft übertragen und statt Staaten Unternehmen betrachten.

Kranken nicht der Kapitalismus und mit ihm viele Unternehmen, Konzerne und Behörden daran, dass besorgniserregend viele Mitarbeitende »innerlich gekündigt« haben, nur »Dienst nach Vorschrift« machen und »um fünf den Stift fallen lassen«? Dass sich viele Mitarbeitende nicht mit dem proklamierten Sinn und Zweck ihrer Organisationen verbunden fühlen, sondern das Gefühl haben, nicht wirklich etwas entscheiden oder bewirken zu können? Dass die Entscheidungen, die über die Hierarchie nach unten gereicht werden, oft nur dazu dienen, immer neue Umsatz- oder Effizienzziele zu erreichen? Dass es eine Binsenweisheit ist, dass man sowieso nicht darauf vertrauen kann, dass Unternehmen von sich aus gute und richtige Entscheidungen treffen?

Sehe ich da nicht, wenn ich den Kopf ein wenig schief halte, die Konturen und Effekte einer extraktiven Institution hindurchschimmern? Bei der die wirklichen Entscheidungen an der Spitze einer Hierarchie getroffen werden, sei es von Geschäftsführern oder von Gesellschaftern? Bei der die Entscheidungen meistens nur der Gewinnmaximierung und dem Abschöpfen dieses Gewinns in die Taschen der Gesellschafter dienen?

Mir scheint es so.

 

 

Inklusiver Kapitalismus durch inklusive Unternehmen

Was bedeutet es, wenn wir annehmen, dass a) diese Regeln nicht nur für große Zusammenschlüsse von Menschen (Staaten) gelten, sondern auch für kleine (nämlich Unternehmen), und dass b) Unternehmen (immer noch) vor allem extraktiv geprägt sind? 

Persönlich glaube ich, dass es unserer Gesellschaft, den Einzelnen und unserem Planeten guttun würde, wenn wir dem Gedanken der Inklusion auch in Bezug auf unsere Unternehmen stärker folgten. Es wäre sicherlich ein interessantes Experiment für ein Unternehmen, so weit wie möglich aufzumachen, so inklusiv wie möglich zu sein und zu sehen, was das für einen Effekt auf »Erfolg« hat, wie immer dieser definiert und gemessen wird.

Bezogen auf Unternehmen bedeutet wirtschaftliche Inklusion, dass Stakeholder (Mitarbeitende, Kunden, Lieferanten usw.) fair mitverdienen und es keine unbeteiligten Shareholder gibt, die Gewinne abschöpfen. Politische Inklusion bedeutet, dass Stakeholder wirklich mitbestimmen und Entscheidungen treffen können. Inklusiv sein bedeutet auch, dass die Barrieren für beides niedrig und die Membranen des Unternehmens durchlässig sind. Die inklusiven Institutionen sind dann stark, wenn sie nicht willkürlich zurückgenommen werden können. Wenn sie irreversibel in der Satzung verankert werden, sind Institutionen sehr robust.

Hier schließt sich der Bogen zur Einleitung dieses Artikels und zu Sandras Wunsch nach der politischen Inklusion von Autor*innen, etwa in Form einer Genossenschaft. Bisher ist es nur bei dem Wunsch geblieben. Wir scheuen den Mehraufwand, der damit verbunden ist, schließlich können wir uns bisher nicht einmal selbst Gehälter zahlen. Doch wir haben die politische Inklusion fest im Blick, versprochen.

Wirtschaftliche Inklusion hingegen leben wir schon jetzt, indem wir 7% unseres mit Buchverkäufen gemachten Umsatzes direkt oder indirekt an Autor*innen ausschütten (das ist mehr als zwei Drittel dessen, was nach Abzug aller variablen Kosten übrig bleibt). Das ist zwar noch nicht durch politische Inklusion abgesichert (wie gesagt, die beiden verstärken und bedingen sich), aber mit Verantwortungseigentum haben wir ein gutes Instrument dafür. 

Im nächsten Artikel werden wir uns daher die Organisationsform des Verantwortungseigentums ansehen. Und weil die Genossenschaft ein probates Mittel ist, um Inklusion herzustellen, aber etwas angestaubt ist, werden wir zusätzlich auch noch die Plattform-Genossenschaft kennenlernen.

 

Herzliche Grüße
Will

 

Bilder von Avi Richards, kate.sade und Jon Tyson auf Unsplash.

 

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