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Hart an der Deadline: Pro und Kontra

Federwelt
Nina George
Bild zum Thema Deadline

Keine Zeit zu zweifeln, keine Zeit aufzugeben, hier das Pro: Hoher Druck macht aus Text-Briketts Diamanten. Kontra: Ist der Zeitdruck zu häufig zu heftig, erstickt er die Kreativität. Warum Schreiben unter Hochdruck trotzdem ihre wertvollste Erfahrung als Künstlerin ist, beschreibt Nina George.

Vor dreiundzwanzig Jahren begann ich als Journalistin zu arbeiten; zunächst sechs Jahre bei zwei Monatszeitschriften, wo ich zwei Wochen Zeit für einen zwölfseitigen Report hatte. Zwei Wochen! Das war ja schon fast Arbeiten mit Freizeitüberschuss.

Dann wechselte ich zum Abendblatt. Es war berüchtigt, eine härtere Schlagzahl als die BILD zu fahren. Die Reporter strickten mit der berüchtigten „Heißen Nadel“ auf der allerletzten Arschbacke ihre Texte, stets in der Todeszone der Deadline. Voll auf Adrenalin, das sie durch zwei Stunden Akkordtippen kurz vor Drucklegung peitschte. Die Texte waren auf den Punkt. Ich hielt diese Stress-Junkies für unerreichbar.

Nach einer Woche verstieg sich mein Chefredakteur – Typus Maßhemd, Weste, erotisiert durch die Macht seiner Headlines – dazu, mir um elf Uhr Aufträge über Themen zu geben, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Mit der Ansage, bis um 17 Uhr eine druckfertige Lösung zu präsentieren.

Ich bin mir sicher, er war Hobby-Sadist.
Im Nachhinein weiß ich: Ja, das war er. Wie alle Chefredakteure oder Manager, die meinen, ihre Leute würden unter Druck am besten arbeiten. Unsensibel und arschig, ermöglichte er mir dennoch das richtungs-weisendste, künstlerische Moment meines Berufslebens. Wenn nicht sogar DIE existenziellste Erfahrung.

Gezwungen von Geld- und Zeitnot brach ich hypergestresst und mit adrenalisierter Gewalt durch die dichte, klebrige, ewige Schicht von Versagensangst, die mein Schreiben kontrollierte. Diese Versagensangst war Bremsschaum. Der Schaum erstickte mich, sodass ich meist Texte schrieb, die keinen störten; grundsolide zwar, aber absolut austauschbar. Ich hatte keine eigene, unverwechselbare, deutliche Stimme.

Unter Hochdruck löste sich der Bremsschaum auf. Ich hatte keine Zeit zu zweifeln. Mich zu bremsen! Zu faseln. Ich hatte keine Zeit, mir Gedanken zu machen, wem ich auf den Schlips trete oder was mein Chef von mir denkt. Keine Zeit, „schön“ (= schwurbeliert) zu schreiben. Ich feuerte die Stories ungefiltert aus dem heraus, was ich bin, wie ich bin, und wer ich bin. – Und es ward Licht!

Na, ja. Okay. Und es ward „Nina“.

Das gewaltsame Abschälen aller Bremsbeläge wie Feigheit, Gefallsucht oder Eitelkeit hatte freigelegt, wer ich bin. Als Schreibende, als Künstlerin, ich habe meine Stimme hinter der Angst gefunden. Die Deadline wurde zur „Lifeline“.

Druck macht Texte besser

Wer den Todesgrat „Abgabeeeeeee“ vor sich fühlt wie eine, die dem Abgrund voller aufrecht stehender Ausbeinmesser entgegenrennt und es verdammt noch mal schaffen muss!, bis zur Deadline-Kante ihre Rettungsflügel (= den Text) fertig zu klöppeln – der liefert den besseren, dichteren, wuchtigeren Text ab. Gründe: siehe oben. Die Konsistenz der unter zeitlichem und emotionalem Hochdruck gewebten Rettungsflügel ist aus einer fühlbar konzentrierteren Textur, als wenn sie superrelaxed verfasst sind.

Unsere Geschichten, davon bin ich überzeugt, saugen unsere innere Grundhaltung während des Schreibens auf wie Küchenpapier. Beziehungsärger, Schnupfen, Angst, Langeweile ... und eine spannungsarme, weil einen Tick zu entspannte Grundhaltung, dimmt eine Geschichte insgesamt ab. Während Hochspannung – alert, vital und vibrierend – sich im Text wiederfindet. Bis heute schreibe ich die besten Kurzgeschichten, wenn der Abgabetermin in drei Tagen ist.

Ach, Unsinn. Am besten am selben Tag.

Und das gilt für jeden Text unter 15.000 Zeichen: Ich schreibe ihn am Tag der Abgabe. Nur so verhindere ich, dass ich drumherum rede.

Aber es gibt noch eine zweite Wahrheit. Hart an der Deadline ist eben nicht immer besser.
Schon gar nicht, wenn es um Romane geht: Man darf sie natürlich schnell schreiben. (Ich benötige meist zehn Wochen zum reinen Schreiben. Aber plus ein Jahr Vor-Denken und drei Monate Editieren).

Doch man sollte sie nicht unter Druck schnellschnell „fertigkriegen“ wollen und hoffen, dass der Druck schon automatisch die Qualität verbessere! Mehr Druck = mehr Qualität = mehr Ausstoß: Das ist ein Mythos, unter dem viele Autorinnen in der Unterhaltungsbuchbranche geraten sind, und sich zu Verträgen drängen lassen, die zwei bis drei Romane pro Jahr verlangen.

Leute: das geht nicht gut.

Die ständige Pistole auf der Brust der Kreativität bringt sie um

Druck ist ein Bildhauer. Er kann aus einer Autorin, einem Autor, eine Stimme herausschlagen, die sonst niemals aus dem granitenen Gefängnis von Angst, Faulheit oder Eitelkeit herausgekommen wäre. Ja, die Deadline schafft Leben in die Bude.

Jetzt das Aber: Aber Druck ist auch ein Zerstörer.

Wer ständig die Knarre am Kopf hat, kann nach durchschnittlich zwei Jahren nicht mehr kreativ und komplex schaffen. Es gibt keine Zeit, keine Kraft, keine Übung mehr für mehrdimensionale Emotionen, um Figuren auszuformen oder Plots vertrackter zu bauen oder einen großen Stoff abseits der häufigsten Grundideen zu entdecken. Stattdessen wird stets dasselbe Figurenensemble mit nur anderen Namen benutzt, hinzu kommen ähnliche Wendungen im Plot und gleiche Konflikte. Schauen Sie mal auf die Bücher jener, die in den letzten sechs Jahren nahezu alle neun Monate einen neuen Roman draußen hatten: Sie werden ähnlicher. Und die Luft geht ihnen aus.

So ging es auch mir: Ich habe zehn Jahre lang wie die Adrenalin-Junkies täglich Texte rausgeschossen. Und irgendwann lief der Motor zwischen den Ohren, ohne etwas zu produzieren. Er war überdreht, ich hatte keine einzige „große“ Idee mehr. Das war der Zeitraum, in dem kein Roman von mir erschien. Erst als ich mich von der Todeszone entfernte, lebte ich auf.

2013 ist mir die Verführung zum Schnellschuss trotzdem noch einmal passiert. Nach dem Hyper-Erfolg des „Lavendelzimmers“ – 17 Monate SPIEGEL-Bestseller, erfolgreichste deutschsprachige Taschenbuchautorin 2014, 27 Übersetzungen – sollte ich, wenn es nach Verlag, Vertreter, Buchhandel und auch Leserschaft ging, fix nachlegen. Ich versuchte das ohne Pause – und scheiterte grandios. Der Druck, schnell und dann noch brillant zu liefern, originell und zutiefst berührend natürlich, presste mich aus wie die letzte Zitrone am Baum. Acht Monate kämpfte ich. Erst als ich aufgab und den groß angekündigten Folgeroman nach 250 Seiten zur Seite legte, weil er luftleer, spannungsarm und unkreativ war – erst da kamen Lust, Kraft und komplexe Ideen wieder. Und mir wurde klar: lieber ein gutes Buch – als ein schnelles. Mein Kreativitätsrhythmus tickt anders als der immer rasantere Drehkreisel der Literatur. Ich kann nicht jedes Jahr etwas Besonderes schreiben. Ich muss leben, nachdenken, nachfühlen.

Dieser von mir so gefühlten Wahrheit haben sich Forscher an der Harvard- und an der Yale-Universität gemeinsam gewidmet und stellten fest: Die positiven Effekte des Drucks kehren sich tatsächlich ab einem gewissen Überdruck um. Nämlich dann, wenn die Aufgaben nicht mehr alleine in einem normalen Fünf-Tages-Rhythmus zu schaffen sind. Wer dann trotzdem zehn, zwölf Stunden an sieben Tagen die Woche malocht, dem bleiben nur Erschöpfung, Frustration – und Selbstlügen: Obwohl die Kreativität der Probanden einer Studie nachweislich um die Hälfte nachließ, je länger der Druck auf ihnen lastete, so meinten sie nahezu alle noch, sie seien viel effektiver und einfallsreicher als zu entspannten Zeiten. (Die Probanden waren keine Autoren, aber mit ähnlich kreativ-psychologischen Aufgaben befasst.)

Um genau zu sein: Sie hatten Angst davor, ohne Druck nichts mehr zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen: doch. Es ist ein bisschen wie beim Sex: Je entspannter man da rangeht, desto leichter und aufregender wird er.

PS: Über die erste Deadline für den Federwelt-Artikel über „Ist schneller besser? Positive und negative Effekte der Deadline“ ging ich im November 2014 mit der Nonchalance des absoluten Vergessens hinweg.

Über Nina George, ihre Romane, Artikel, Blogs und politisches Engagement: www.ninageorge.de, www.nina-george.com, www.fairerbuchmarkt.de

In FEDERWELT, Heft 111 April/Mai 2015

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 111, April 2015: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-22015
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