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Wie ich zu meinem ersten Sachbuch kam. Von Tabubrüchen und Alleinstellungsmerkmalen

Federwelt
Heike Kleen
Rotes Eis am Stiel

Von der Idee zum Sachbuch: Wie findet man ein Thema und verkauft es an einen Verlag? Und wie vermarktet man sein Buch, wenn es erschienen ist? Ein Erfahrungsbericht

Als Talkshowredakteurin durfte ich mir viele Jahre von Verlagsmitarbeitern erzählen lassen, welche neuen Bücher bald erscheinen würden.
Gemeinsam überlegten wir dann, welche Autorinnen oder Autoren für das Fernsehen geeignet waren oder welche Bücher eine gesellschaftliche Diskussion auslösen könnten. Nach einigen Jahren konnte ich Tendenzen erkennen: Mal eroberten Menschen, die durch eine Behinderung neue Kräfte entdeckt hatten, die Bestsellerlisten. Oder Frauen, die nach Afrika ausgewandert waren und nun über die große Liebe zu einem Stammeshäuptling erzählten. Und heute wissen wir unendlich viel über diverse Körperteile, weil ein Buch über den Darm einen nicht enden wollenden Anstoß gegeben hat, derartige populäre Sachbücher zu veröffentlichen. 
Aber wer setzt diese Trends? Und wie platziert man bei über 70.000 Verlags-Neuerscheinungen im Jahr ein Buch, das den Nerv der Zeit trifft? Wie gut und einzigartig muss ein Thema sein, damit ein Verlag sagt: „Genau dieses Buch wollen wir!“

Worüber schreibt man nicht?
Diese Fragen beschäftigten mich von Jahr zu Jahr mehr. Ich träumte vom eigenen Buch. Doch wie sollte es mir möglich sein, einen Buchvertrag zu bekommen – als unbeschriebenes Blatt, also ohne einen prominenten Namen oder eine nachlesbare Journalistenkarriere im Hintergrund? Wie sollte ich voraussehen, was die Welt in einem Jahr bewegen würde? Und war nicht eigentlich auch schon alles gesagt oder geschrieben? Ich diskutierte mit KollegInnen und FreundInnen, und irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass es kein Thema auf der Welt gibt, das noch nicht zwischen zwei Buchdeckeln durchgenudelt worden war. Doch dann, im Frühjahr 2016, telefonierte ich mit meiner Freundin Antje, und wir sprachen über Tabus: Gibt es überhaupt noch welche in einer Gesellschaft, in der Filme über Sex im Alter gedreht werden, in der über Intimpiercings geschrieben wird und jeder möglichst viel von sich in den sozialen Netzwerken preisgibt?
„Doch“, sagte meine Freundin, „es gibt ein Tabu: die Menstruation. Da reden in Dänemark und Schweden gerade alle drüber.“ Das wusste sie, weil sie mit einem Dänen verheiratet ist, und ich merkte sofort, dass sie recht hatte. Bei dem Wort Menstruation war ich zusammengezuckt: Was soll es denn da zu reden geben?, dachte ich. Und wenn es etwas gäbe, könnte Charlotte Roche das bitte besprechen?

Die rote Welle packt mich
Doch das Thema ließ mich nicht mehr los, ich begann zu recherchieren und fand ein paar interessante Artikel im Netz. Nicht ansatzweise so viele wie heute, aber ich erfuhr, dass es eine neue feministische Bewegung in den USA und Kanada gab, die mit Artikeln und Kunstaktionen auf das Thema Menstruation aufmerksam machten. Ich lernte, dass es so etwas wie eine Menstruationstasse gibt, eine echte Alternative zu Tampons. Und ich machte mir zum ersten Mal in meinem Leben Gedanken darüber, wie viel Plastik in Binden und Tampons steckt. Das konnte doch weder für die Umwelt noch für den weiblichen Körper gut sein? Irgendwann dachte ich: Da kommt eine rote Welle auf uns zu, das Thema wird im nächsten Jahr zu uns rüberschwappen, ich muss JETZT ein Buch darüber schreiben! Dann könnte ich die erste sein, die das Thema groß macht!
Aber das funktioniert ja nicht einfach so. Außerdem brauchte ich einen Verlag, der dieses Buch veröffentlichen wollte. Wieder besprach ich mich mit FreundInnen und KollegInnen, doch die Reaktionen waren eher gedämpft. „Schwieriges Thema“, hieß es. Oder: „Das ist heutzutage kein Tabu mehr.“
Eine Freundin warnte mich sogar, dass ich mir damit meinen Ruf ruinieren oder einen Shitstorm einhandeln würde, ich solle lieber die Finger von so einem Thema lassen.
Ich war verunsichert, fragte mich, wer so ein Buch überhaupt kaufen würde. Dann dachte ich: Bei Darm mit Charme hat sicher auch nicht jeder gleich geahnt, dass die Welt auf dieses Buch gewartet hat. Und besann mich auf mein Lebensmotto: „Das größte Risiko im Leben ist, kein Risiko einzugehen.“ Was sollte mir groß passieren? Ich kann versuchen, das Thema einem Verlag anzubieten. Klappt das nicht, muss ich mir wenigstens niemals vorwerfen, es nicht probiert zu haben.

Der lange Weg vom Exposé zum Vertrag
Von befreundeten Autoren wusste ich, dass ich zunächst ein Exposé brauchte. Darin sollte ich das Thema knackig und überzeugend zusammenfassen, Stichpunkte zum Inhalt liefern am besten sogar in Form eines Inhaltsverzeichnisses und dazu ein paar überzeugende Informationen zu meiner Person. Letzteres fand ich besonders schwierig, denn wer glaubt einer Talkshowredakteurin und Medientrainerin, dass sie auch schreiben kann?
Egal, ich setzte mich gewissenhaft an das Exposé – mit diesen Worten fing es an:

Idee
Gibt es noch Tabus in Deutschland? Oft kommt es einem vor, als würden wir über alles reden: Die Themen Sex im Alter und Geschlechtsumwandlungen haben längst Einzug ins öffentlich-rechtliche Fernsehen erhalten und selbst über Trends wie Anal-Bleaching oder Vaginalstraffungen wird man informiert. Sogar unser Darm hat plötzlich „Charme“, seitdem gehört das Sprechen über Flatulenzen fast zum guten Ton. Nur ein Thema gibt es, über das wir uns in Deutschland weiter ausschweigen: die Menstruation. An dieser Stelle endet das Interesse an den Vorgängen unseres fantastischen Körpers plötzlich, die Männer hören verschämt weg, und die Frauen sprechen darüber lieber unter Ausschluss der Öffentlichkeit – wenn überhaupt. In der Werbung ist die Blutung blau, vielleicht hüpfen ein paar Frauen dank formvollendeter Slipeinlagen fröhlich durch das Leben, von Blut oder Schmerzen keine Spur. Die Menstruation bleibt unsichtbar, und nur wenn Frauen unbequem werden, heißt es von Männerseite abwertend: „Die hat wohl ihre Tage ...“

Ich lieferte noch ein paar inhaltliche Informationen, schrieb dazu, dass ich das Buch in einem unterhaltsamen Ton schreiben werde und das Thema erwartungsgemäß in Presse und Fernsehen eine gewisse Aufmerksamkeit erzielen dürfte, da es dort noch nie stattgefunden habe.
Dann überlegte ich, zu welchem großen Publikumsverlag mein Buch passen würde: zu Droemer, Heyne, Ullstein, vielleicht Rowohlt? Und zu wem hatte ich einen guten Draht?
Das war die Pressestelle von Heyne, aus Programmleitung oder Lektorat kannte ich keinen. Also schrieb ich meinem Pressekontakt eine Mail, hängte das Exposé mit Bitte um Einschätzung und eventuell Weiterleitung an – und wartete ab. Die zuverlässige Kollegin antwortete prompt und sehr ehrlich: „Zuerst dachte ich: Geht gar nicht – habe mich aber sofort festgelesen.“ Und so wanderte mein Exposé in die Programmleitung!

Die erste Absage
Doch die klare Absage kam fast genauso schnell. Das sei alles interessant, aber man könne sich einfach nicht vorstellen, dass Frauen noch mehr über dieses Thema wissen wollten, als sie sowieso schon wüssten. Das konnte ich nachvollziehen. Aber plötzlich war eine neue Tür einen Spalt weit aufgegangen, man hatte sich mit meiner Idee beschäftigt und sie diskutiert. Ich schrieb zurück, zeigte Verständnis für die Bedenken und wies darauf hin, dass das Thema nur funktionieren könne, wenn das Buch unterhaltsam, frech und laut werde!
Ich möge doch mal ein Probekapitel einreichen, hieß es, das helfe mehr als jedes Exposé. Und so blieb die Tür angelehnt.
Sollte ich mir die Mühe wirklich machen? Die Chancen standen nicht gut, das Thema war bereits abgelehnt worden. Vielleicht war das mit dem Probekapitel auch nur so dahingesagt gewesen, um mich noch ein bisschen bei Laune zu halten? Und wollte ich wirklich mein Debüt mit einem Buch über die Menstruation feiern? Nach anfänglicher Begeisterung für das Thema überkamen mich ernsthafte Zweifel.
Der Sommerurlaub stand an, Zeit zum Nachdenken – oder Vergessen. Ich hakte die Idee ab, bis ich im August 2016 eine Nachricht in der Zeitung las: „Chinesische Schwimmerin bricht Tabu und wird dafür gefeiert!“
Die Chinesin Fu Yuanhui hatte über 100 Meter Rücken nur Bronze erreicht und ganz locker erklärt, dies liege daran, dass sie ihre Tage habe. Die Welt stand Kopf, weil sie etwas ausgesprochen hatte, was ganz natürlich war. Mein Kampfgeist war geweckt, ich setzte mich an den Rechner und klapperte ein bissiges Probekapitel in die Tasten.
Es umfasste vier Seiten und begann so:
„Man stelle sich vor, Männer würden fünf Tage lang ununterbrochen bluten – und trotzdem weiterleben!
Wir wissen, was ein Männerschnupfen aus ihnen macht, würden täglicher Blutverlust und starke Unterleibskrämpfe sie endgültig in die Knie zwingen? Weit gefehlt.
Ja, sie würden leiden, aber danach würden sie sich so richtig abfeiern und gegenseitig übertrumpfen: „Alter, hab ich geblutet! Und diese Schmerzen! Ich komm ja nur noch mit den größten Tampons klar, diese kleinen Dinger sind echt nur für Anfänger!“
Jeder Mann für sich wäre plötzlich ein medizinisches Wunder und dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen. Aufmerksamkeit, bitte! Vielleicht etwas Szenenapplaus?
Die kleinen Jungs würden sehnsüchtig darauf warten, endlich in den Kreis der Menstruierenden aufgenommen zu werden, und dann – hey! – Champagner! Jetzt bist du ein echter Mann! Das muss gefeiert werden und alle Welt soll es wissen! Ich poste das gleich mal …
Man stelle sich vor, unter diesen Umständen zum nicht-blutenden Teil der Bevölkerung zu gehören. Ihr wollt gleichberechtigt sein, gleich viel verdienen und in Spitzenpositionen arbeiten? Aber ihr blutet nicht mal!!! Was habt ihr für eine Ahnung vom Leben? Und denkt dran: menstruierende Männer haben ein Vorrecht auf Sitzplätze, dürfen sich in Schlangen vorne anstellen und werden beim Arzt zuerst drangenommen. Ach ja, wir sollten dringend über zusätzliche Urlaubstage für Männer nachdenken.

Ich schickte das Kapitel ab – und plötzlich wendete sich das Blatt. Mein Ton kam gut an, und um sich ein weiteres Urteil zu bilden, wünschte man sich eine kommentierte Gliederung, eine Dramaturgie und meine Argumentationslinie für das Buch. Nun begann die Fleißarbeit. Ich musste mich viel tiefer ins Thema einarbeiten: Was passierte da eigentlich genau im weiblichen Körper alle vier Wochen? Wie funktioniert das in der Tierwelt, warum brauchen Kuh und Katze keine Binden? Welche Hygieneartikel sind neu auf dem Markt? Was sagt die Kulturgeschichte zur Mens? Je mehr ich lernte, umso begeisterter war ich, denn das Thema gab wirklich viel her.

Wer hilft im Paragraphendschungel?
Und – oh Wunder – das sah der Verlag auch so, der Funke sprang über und man bot mir einen Buchvertrag an. Es war ein toller Moment, als per Post der „Autorenvertrag“ angeflattert kam, auf dem mein Name stand. Doch die Ernüchterung folgte schnell: sieben Seiten voller kleingedruckter Paragraphen mit Wörtern wie Kleinlizenzen, Nettoverlagserlös, Nutzungsarten ... Dazu irgendwelche Prozentangaben. Ganz ehrlich: Ich war überfordert und konnte nicht einschätzen, welche Konsequenzen meine Unterschrift unter all diese Paragraphen haben könnte. Würde ich meine Seele verkaufen? Oder ungewollt eine Waschmaschine erwerben?
Ich erkannte: Ein Literaturagent (oder eine Literaturagentin) ist nicht nur dafür da, eine Buchidee bestmöglich zu verkaufen, er hilft einem auch durch den Papierkrieg. Aber sollte ich jetzt noch einen Agenten nehmen, wo ich den Vertrag schon in der Tasche hatte? Und damit 15 Prozent abtreten von meinem mühsam ausgehandelten Honorar, das nicht gerade schwindelerregend hoch war?
Ein befreundeter Journalist half mir aus der Vertragspatsche, er bat seinen Literaturagenten, doch mal kurz über meinen Vertrag zu schauen. So wurde es gemacht – und siehe da: Es gab Optimierungsbedarf! Zwar handelte es sich um einen Standardvertrag, wie mir der Agent versicherte, aber zu drei Paragraphen hatte er ergänzende Vorschläge beziehungsweise meinte, ich solle versuchen, sie ganz rausstreichen zu lassen.
Ich befolgte seinen Rat und war zwar nicht auf ganzer Linie erfolgreich, aber konnte einen wichtigen Zusatz in den Vertrag aufnehmen, der lautete: „Sollte das Werk Illustrationen enthalten, sorgt der Verlag für die Einholung der Rechte und trägt die dafür entstehenden Kosten.“
Dann ging es auch schon los, inzwischen war es November, ich lernte meine Lektorin kennen und begann zu schreiben. Bis zur Abgabe des Buches hatte ich noch ein halbes Jahr Zeit.
Während des Schreibens merkte ich, dass das Thema Menstruation in den sozialen Medien größer wurde. Oder bildete ich mir das nur ein, weil ich mich so intensiv damit befasste? So wie Schwangere plötzlich nur noch Menschen mit Kinderwagen sehen? Nein, es war keine Einbildung, die Berichterstattung rund um den weiblichen Unterleib nahm 2017 zu. Einerseits freute mich das – ich war auf dem richtigen Weg –, andererseits befiel mich plötzlich Panik. Was, wenn vor meinem ein anderes Buch zu „meinem“ Thema erscheinen würde? Womöglich von einer prominenten Autorin, die sowieso in jeder Talkshow landet, egal worüber sie schreibt? Nach so vielen Jahren im Journalismus war mir klar: Wer als Erster mit einem nie dagewesenen Thema in der Medienlandschaft aufschlägt, bekommt die größte Aufmerksamkeit. Alles, was danach kommt, hat es wahnsinnig schwer.

Wie vermarkte ich mich?
Also drängte ich den Verlag, mein Buch vorzuziehen. Erscheinungsdatum sollte ursprünglich im Februar 2018 sein (eineinhalb Jahre „nach meiner Idee!“), ich wollte im Herbst 2017 erscheinen. Ich war mir sicher, dass andere inzwischen auf derselben Fährte unterwegs waren und den weiblichen Unterleib als letztes Tabu entdeckt hatten.
So war es auch, plötzlich erhielt ich die Nachricht, dass zwei junge Studentinnen im Frühjahr 2017 mit Ebbe & Blut: Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus auf den Markt kommen würden. Autsch. Ich war zu spät mit meinem Tage-Buch, die erste große Pressewelle würde an die Kolleginnen gehen. Verdient, denn Ebbe & Blut war und ist ein tolles Buch mit witzigen Grafiken und guten Texten, und so fand es von der Brigitte bis zur Süddeutschen Zeitung viel Anklang, wurde besprochen und empfohlen, aber die Verkäufe hielten nur bedingt mit, auf die Bestsellerliste schaffte es das Buch nicht. Und nun? War ich zu spät? Oder könnte ich womöglich von dieser Entwicklung profitieren?
Mein Verlag hatte das Tage-Buch inzwischen auf November vorgezogen, doch mir war klar, dass eine zweite Pressewelle in diesem Ausmaß nicht zu erwarten war.
Wie heißt es so schön: hinfallen, aufstehen, Krone richten ... Ich musste die Welt davon überzeugen, dass man unterhaltsam über ein so „ekliges“ Thema wie die Menstruation sprechen konnte. Und dass wir Gesprächsbedarf haben! Das würde mir zwar so schnell keiner glauben, doch ich wusste, dass Verlage für einige AutorInnen sogenannte Buchtrailer produzieren lassen. Das sind kleine Clips, in denen AutorInnen über ihr Buch erzählen. So etwas brauchte ich!
Leider wusste ich auch, dass diese Trailer sehr teuer sind, der Verlag für ein Paperback vermutlich über kein entsprechendes Budget verfügt. Und jetzt? Selber mit der Handykamera rumstümpern? Bloß nicht. Ich hakte nach: „Wie wäre es, wenn ich einen Teil der Kosten übernehme und der Verlag sich beteiligt?“ Inzwischen stand ich vermutlich längst auf der Liste der anstrengendsten AutorInnen. Aber Hartnäckigkeit zahlt sich aus, man sicherte mir eine Beteiligung zu, und ich engagierte eine ehemalige Kollegin, Sonja Praxl, für die Produktion meines Trailers.
Nun musste ich plötzlich vor der Kamera in ein paar knackigen Worten erklären, warum die Menstruation kein Tabu mehr sein darf, was wir darüber wissen sollten und wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper ist. Alles kein Problem, dachte ich, im Kopf hatte ich mir die entscheidenden Sätze zusammengelegt – doch dann kam der Dreh. Am Vortag hatte ich mit einer Horde Kita-Kinder den Geburtstag meiner Jüngsten gefeiert und mir abends um zehn todmüde die Fingernägel blutrot lackiert – und kaum lief am nächsten Morgen die Kamera, fiel mir gar nichts mehr ein. Plötzlich merkte ich, wie schwer es war, auf den Punkt zu kommen, dabei locker zu wirken, witzig und trotzdem intelligent zu sein. Meine Hochachtung vor den Talkshow-Profis, die ich jahrelang ins Studio begleitet hatte, stieg gewaltig. Dank meiner tollen Kollegin hatten wir vier Stunden später passables Material im Kasten, und im Zusammenschnitt merkt man glücklicherweise nichts mehr von Wortfindungsstörungen oder verhaspelten Sätzen.

Das Spiel mit der Öffentlichkeit
Die Veröffentlichung des Buches rückte immer näher, ich hatte die ersten Fahnen meines Buches bekommen – und ich besann mich auf meine zahlreichen Kontakte zu diversen Talkshowredaktionen. Die musste ich nutzen! Als ich im Hamburger Café Leonar gemeinsam mit einem Freund über die Vermarktung nachdachte, sah ich plötzlich, dass Hubertus Meyer-Burckhardt am Nebentisch saß, einer der Gastgeber der NDR Talk Show. Oh je, ein Wink des Schicksals? Aber sollte ich etwa rübergehen, ihn beim Frühstück stören und mit dem Thema Menstruation zutexten? Wohl kaum. Allein der Gedanke ließ mich vor Scham erröten. Aber sollte ich diese Chance verstreichen lassen? Die NDR Talk Show wäre natürlich eine perfekte Plattform für mein Buch, und Barbara Schöneberger traute ich zu, die nötige Portion Humor in das Gespräch zu bringen.
Ich saß wie auf Kohlen, beobachtete Meyer-Burckhardt aus den Augenwinkeln und legte die Fahne meines Buches, die ich dabei hatte, demonstrativ auf den Tisch. Dann kam der Moment, der mir bis heute peinlich ist: Der Moderator beugte sich zu uns und fragte: „Könnte ich bitte mal das Salz haben?“ Und ich sagte: „Na klar, und mein neues Buch bekommen Sie auch gleich dazu!“
Verdutztes Gucken, Gelächter auf beiden Seiten, ich erkläre irgendetwas wie: „Ich mach das ja normalerweise nicht, aber … könnten Sie das vielleicht Ihrer Redakteurin geben, die für die Bücher zuständig ist?“ Endlich war der Scham-Moment vorbei. Zu einem Besuch in der NDR Talk Show ist es nie gekommen.
Im November 2017 erschien dann endlich mein Tage-Buch und ein paar Zeitungen, Zeitschriften und Online-Portale interessierten sich tatsächlich dafür: Ich gab der Bild der Frau, der Cosmopolitan und der taz ein Interview. In ZEIT Wissen wurde mein Buch sehr gut besprochen, und besonders offen für das Thema waren die KollegInnen in Österreich und in der Schweiz.
Die Talkshows, zu denen ich gute Kontakte hatte, offenbarten sich als Enttäuschung: Keine wollte das Thema aufnehmen, entweder hieß es: „Man kann den Zuschauern so etwas Ekliges nicht zumuten“ oder „Die Männer in der Redaktion sind dagegen“ oder „Unser Moderator ist zu verklemmt.“ Inzwischen hatte selbst die BILD auf ihre Art das Thema Menstruation entdeckt – doch für die großen Talkshows blieb es ein Tabu. Bis Anfang Juni plötzlich die stern-TV-Redaktion anrief – ob ich am nächsten Mittwoch schon etwas vorhabe? Man wolle sich mit dem Thema Menstruationsschmerzen auseinandersetzen, man plane eine Hypnose-Aktion im Studio, ob ich als Expertin etwas sagen könne?
„Äh … klar!“
Und ob man übermorgen mal eben zum Drehen zu mir nach Hause kommen könne?
„Äh …na gut!“
Und so wurde mein Buch dann doch noch in einer Talkshow beworben. Ich hatte nur wenige Minuten Redezeit, die ich halbwegs gut nutzte – und hinterher fiel mir genau ein, was ich noch alles hätte sagen wollen – aber das ist vermutlich immer so. Über Nacht kletterte mein Tage-Buch im Amazon-Ranking in den zweistelligen Bereich, am übernächsten Tag fiel es genauso schnell zurück ins Nichts.
Das Tage-Buch wird wohl nie ein Bestseller werden, und trotzdem habe ich keine Sekunde bereut, es geschrieben zu haben. Ich konnte ein Tabu-Thema ins Rampenlicht zerren und freue mich über jede einzelne positive Rückmeldung, die ich von Frauen dafür bekomme. Darüber hinaus hat eine Veröffentlichung immer eine gewisse Strahlkraft. „Ein Buch ist wie eine Visitenkarte“, sagte ein Freund. Ich denke, er hat recht. Nur in seltenen Fällen kann man vom Bücherschreiben leben, aber es öffnet einem unendlich viele Türen. Heute schreibe ich eine Serie über den weiblichen Unterleib bei SPIEGEL ONLINE – und das habe ich meinem Buch und dem Verlag zu verdanken.
Bei Heyne ist für das Herbstprogramm 2019 ein weiteres Buch von mir eingeplant. Darüber hinaus bin ich Co-Autorin eines Buches, das gerade bei Droemer erschienen ist. Und inzwischen habe ich einen Literaturagenten, der meine Verträge aushandelt, mit mir an meinen Ideen bastelt und mir wertvolle Tipps gibt.
Mein Rat an alle AutorInnen und die, die es werden wollen: niemals aufgeben. Alleinstellungsmerkmale suchen: Was macht mich oder meine Idee einzigartig? Ganz viel netzwerken und alle Kontakte aktivieren, die man hat. Und noch einmal: niemals aufgeben! Irgendwas geht immer.

Linktipps

Autorin: Heike Kleen | www.medientussi.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 134, Februar 2019
Blogbild: Foto: Erol Ahmed/Unsplash

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 134, Februar 2019: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-12019
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