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In vier Schritten zum Bilderbuch

Federwelt
Annika Kühn
Bild zum Beitrag von Annika Kühn über Bilderbücher

So wird Ihr Text zum Diamanten. Eine Anleitung von Annika Kühn in vier Schritten zum perfekten Bilderbuch.

Bilderbücher – seit jeher sind sie die Schmuckstücke der Literaturwelt und für AutorInnen scheinbar das perfekte Genre: Zum einen bieten sie viel kreativen Freiraum und geben ihnen die Möglichkeit, tief in fantastische Welten einzutauchen. Zum anderen sorgen sie – zumindest vermeintlich – für wenig Arbeit, weil die Texte kurz sind und sich an eine sehr junge Zielgruppe richten, die auf den ersten Blick nicht sehr kritisch erscheint.

Das muss das Verfassen einer Bilderbuchgeschichte doch ziemlich einfach machen, oder? Leider nicht! Tatsächlich ist es für AutorInnen eine der größten Herausforderungen, einen echten Bilderbuchschatz zu heben, denn es verlangt nicht nur detaillierte Kenntnisse des Gebietes, auf dem Sie sich bewegen, sondern auch Präzisionswerkzeug und jede Menge Schufterei.

Was ist es also, das aus einer kleinen Geschichte eine Bilderbuchkostbarkeit macht? Was sollten Sie bedenken, bevor Sie Ihre Mission starten? Und wie können Sie Ihren Rohdiamanten schließlich zu einem funkelnden Juwel schleifen? Eine Anleitung in vier Schritten:

Schritt 1: Erst einmal die Schatzkarte studieren – oder: Werden Sie sich darüber klar, was für ein Bilderbuch Sie schreiben wollen und für wen

Sie haben eine gute Idee und möchten sofort mit der Textarbeit beginnen? Besser nicht! Wie bei der Schatzsuche ergibt es auch beim Schreiben nur wenig Sinn, einfach drauflos zu buddeln. Kräftesparender ist es, zunächst das Ziel zu bestimmen. In Ihrem Falle bedeutet das: Fragen Sie sich, am besten noch bevor Sie den Laptop aufklappen, was für ein Bilderbuch Sie schreiben möchten und an wen es sich richten soll.

Warum das so wichtig ist? Sie haben ein Genre ausgewählt, in dem die Zielgruppen sehr genau definiert sind, ja definiert werden müssen. Denn anders als in der Literatur für Jugendliche oder Erwachsene macht es einen erheblichen Unterschied, ob die LeserInnen, die Sie im Hinterkopf haben, ein Jahr jünger oder älter sind. Im Gegensatz zu einem Vierjährigen hat ein Dreijähriger beispielsweise noch keine Vorstellung von Zeitspannen oder räumlichen Verhältnissen und kann daher nur lineare Geschichten ohne Ortswechsel vollständig verstehen. Darüber hinaus fällt es ihm schwer zu folgen, wenn viele verschiedene Figuren auftauchen. Bilderbuch-Macher sollten solche Details wissen und ihre Geschichten daran anpassen.

Eng verbunden mit Ihrer Entscheidung über die Zielgruppe sind daher nicht nur die Möglichkeiten, die Sie beim Schreiben haben (siehe auch Schritt 3), Sie bestimmen damit ein Stück weit auch schon die Art der Illustration und die Ausstattung des fertigen Buches. Was das bedeutet, lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Angenommen Sie möchten eine Geschichte über ein Schweinchen schreiben und diese soll sich an Kinder ab zwei Jahren richten. Dann sollten Sie Folgendes wissen:

A) Sie konzipieren gerade ein Bilderbuch, das sprachlich und inhaltlich äußerst einfach sein muss. Das heißt: Das Schweinchen sollte sich am besten nur mit einer Frage beschäftigen, die das Kind auch lösen kann. Denkbar wäre: „Welchen Tieren begegnet es auf seinem Weg zum Bauernhof?“

B) Sie sollten sich darauf einstellen, dass die Illustrationen, die der Verlag auswählen wird, sehr farbenfroh und großflächig ausfallen, da Kinder in dieser Altersgruppe mit abstrakten, künstlerischen oder zu detaillierten Zeichnungen in der Regel überfordert sind.

Und C) Behalten Sie im Hinterkopf, dass das Buch höchstwahrscheinlich als Pappbilderbuch mit runden Ecken erscheinen wird. Kurz gesagt: Seien Sie sich dessen bewusst, dass Sie ein Bilderbuch planen, das optimal an den Verständnishorizont eines Kleinstkindes angepasst ist – das Kind soll in erster Linie erkennen und verstehen; es ist weder dazu in der Lage zu abstrahieren, noch Zusammenhänge selbst herzustellen.

Außerdem sollten Sie bedenken, dass Sie als AutorIn in diesem Genre nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen werden. Ähnlich wie beim Wimmelbuch dominieren IllustratorInnen die Bilderbuchszene für Kinder unter drei Jahren. Entweder konzipieren sie ihre Bücher eigenständig und schreiben die knappen Texte selbst oder sie werden vom Verlag beauftragt und arbeiten beim Formulieren eng mit dem Lektorat zusammen. AutorInnen werden hier deshalb nur sehr selten benötigt.

Aber zum Glück wächst ihre Bedeutung mit der Zielgruppe. Und mit dieser wächst auch die Vielfalt der Bilderbücher auf dem Markt. So gibt es für Kinder zwischen drei und sechs Jahren nicht nur Sachbilderbücher, die Fragen des alltäglichen Lebens oder Themen wie Natur und Umwelt behandeln. Es gibt auch erzählende Bilderbücher, in denen die Geschichte, nicht der pädagogische Nutzen im Vordergrund steht. Natürlich bedeutet das nicht, dass diese Bilderbücher „nur“ unterhalten sollen. Nein, auch sie haben in der Regel eine Botschaft – sie ist nur nicht ganz so aggressiv formuliert und ergibt sich stärker aus dem Kontext.

Überlegen Sie sich deshalb auch hier vorab, was Ihnen wichtiger ist: Sollen Ihre kleinen Leser unbedingt etwas lernen oder wollen Sie vorrangig ihre Fantasie anregen? Möchten Sie Lösungsvorschläge für ein bestimmtes Problem aus dem Alltag der Kleinen liefern? Oder soll der Spaß an Sprache im Vordergrund stehen? Die Antworten zeigen Ihnen, ob Sie aus Ihrer Geschichte ein Sachbilderbuch oder ein erzählendes Bilderbuch machen sollten.

Im Normalfall hören Kinder auf, sich für Bilderbücher zu interessieren, wenn sie eingeschult werden. Erstlesebücher nehmen dann den Platz des Lieblingsstückes im Buchregal ein. Das heißt jedoch nicht, dass die Zielgruppe für Bilderbücher mit sechs Jahren endet. Im Gegenteil, es gibt auch Bilderbücher, die sich in erster Linie an Erwachsene richten. In den Katalogen der Verlage sind sie für gewöhnlich unter den Stichworten „Geschenkbuch“ und „künstlerisches Buch“ zu finden. Ähnlich wie bei den Bilderbüchern für die ganz Kleinen liegt das Hauptaugenmerk aber auch hier oft auf den Illustrationen.

Schritt 2: Dem Pfad folgen – oder: Passen Sie auf, dass Sie nicht über die Vorgaben der Kinderbuchverlage stolpern

Sie möchten Ihre Finger jetzt endlich über die Tastatur fliegen lassen? Das ist nur allzu verständlich, immerhin haben Sie nun lange genug über Ihre Zielgruppe, Ihre Intention, ja diese ganze Bilderbuchtheorie nachgedacht. Doch halt! Es gibt noch einige Dinge, die Sie wissen sollten, bevor Sie beginnen

Was Sie unbedingt tun und was sie lassen sollten, wenn Sie Ihr Bilderbuch veröffentlichen möchten
Bilder sind der wichtigste Bestandteil eines Bilderbuches. Der Text muss hinter ihnen zurücktreten – und darf deshalb nicht zu lang sein. In Ratgebern und im Netz kursieren die unterschiedlichsten Richtwerte: Hier heißt es, der gesamte Text müsse auf eine DIN-A4-Seite passen. Dort, es wären maximal 3.000 Zeichen erlaubt. Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Denn natürlich hängt die Textlänge mit der Zielgruppe zusammen – je älter sie ist, desto mehr Worte sind erlaubt – und mit der Geschichte, die Sie erzählen möchten. Haben Sie beispielsweise vor, geheimnisvoll-poetisch von der Angst vor dem Alleinsein zu erzählen, können wenige Worte genügen, ja das Gefühl der Einsamkeit sogar unterstreichen. Eine Geschichte, in der ein Kind eine Redewendung missversteht und sich bis zur richtigen Deutung durchfragt, darf dagegen deutlich wortreicher ausfallen.

Viel wichtiger, als sich an eine konkrete Anzahl von Zeichen oder Wörtern zu halten, ist es, sich darüber klarzuwerden, wie umfangreich das Buch später sein soll. In der Regel umfassen Bilderbücher 32 oder 40 Seiten. Das hat produktionstechnische Gründe: Gedruckt werden sie nämlich auf großen Bögen, auf die für gewöhnlich acht Buchseiten passen – bei kleineren Formaten auch 16 Seiten. Da die Kosten für den Druck mit jedem weiteren Bogen erheblich steigen und sich auch das Honorar des Illustrators nach der Anzahl der Bilder richtet, rechnen sich umfangreiche Bilderbücher für die Verlage oft nicht. Es ist daher ratsam, dass Sie sich beschränken.

Aber Achtung: Dass ein Bilderbuch 32 Seiten hat, bedeutet nicht, dass Sie Ihren Text auch auf 32 Seiten verteilen können. Nein, Sie müssen sich mit acht Seiten weniger zufriedengeben, da diese bereits für den Umschlag, das Impressum, die Titelei und den Vorsatz (hinten und vorne) reserviert sind. Das bedeutet: Ihnen stehen gerade einmal 24 Seiten zur Verfügung – oder viel eher noch 12 Doppelseiten. Denn im modernen Bilderbuch werden die Seiten selten einzeln betrachtet. Zwar sind Vignetten weiterhin möglich, doch oftmals spannt sich eine große Illustration über die gesamte Doppelseite. Auch das müssen Sie beim Texten im Hinterkopf behalten. Stellen Sie sich nur mal vor, wie schwierig es für den Illustrator wäre, Ihren Helden auf einem Bild von einer dunklen Höhle tief unter der Erde direkt ins Meer springen zu lassen. Achten Sie also darauf, dass die Szenen, die Sie auf einer Doppelseite schildern, auch gemeinsam bebildert werden können. Zudem ist es ratsam, sich zu fragen: Bietet die Geschichte genügend optische Reize? Lassen sich die Situationen, die ich beschreibe, ganz leicht visualisieren oder ist es nahezu unmöglich?

Neben den anatomischen Gegebenheiten eines Bilderbuches müssen AutorInnen auch die inhaltlichen Grenzen des Genres beachten: Politische, religiöse und gesellschaftskritische Losungen sind im Bilderbuch tabu – es sei denn, Sie bewerben sich bei einem Tendenzverlag mit entsprechendem Schwerpunkt. Ebenso sensibel reagieren LektorInnen auf die Themen Sexualität, Gewalt und Tod. Diese sollten niemals beiläufig in Bilderbuchtexten auftauchen, sondern nur dann, wenn sie das Hauptthema sind und behutsam erläutert werden. Gehen Sie beim Konzipieren Ihrer Geschichte deshalb möglichst hart mit sich selbst ins Gericht: Behandeln Sie schwierige Fragen kindgerecht? Verhalten sich Ihre Figuren politisch korrekt? Entspricht das Vokabular, das Sie verwenden, den gerade gängigen Sprachkonventionen? (Denken Sie nur an die hitzige Diskussion um Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“.) Sind die Geschlechterrollen, die Sie Ihren Charakteren zuweisen, veraltet? Oder die Szenen, die Sie beschreiben, für Ihre kleinen Zuhörer vielleicht zu brutal?

Darüber hinaus sollten Sie das Verhalten Ihres Protagonisten einer kritischen Prüfung zu unterziehen. – Vor allem dann, wenn er menschlich ist. Kinder saugen in diesem Alter alles begierig auf und lernen Werte, Normen und Verhaltensweisen nicht nur von Ihrer Familie, sondern auch aus Büchern. Als AutorIn haben Sie damit eine riesige Verantwortung. Ihr Held sollte deshalb keine gefährlichen oder verwerflichen Dinge tun, ohne dass es Folgen für ihn hat. Isst er beispielsweise einen Fliegenpilz, ist es angebracht, dass er Bauchschmerzen bekommt und nicht länger mit rosafarbenen Wangen durch den Wald hüpft. Aber – und das ist mindestens genauso wichtig – stellen Sie sicher, dass die Strafe für sein „Vergehen“ verhältnismäßig ist und dass am Ende alles wieder gut wird. Darüber freut sich nämlich nicht nur Ihr Protagonist, auch LektorInnen und Eltern werden es Ihnen danken. Denn Kinder gehen viel lieber ins Bett, wenn ihre Gutenachtgeschichte glücklich ausgeht ...

Schritt 3: Und nun: buddeln! – oder: Endlich dürfen Sie schreiben

Es ist so weit: Die eigentliche Arbeit kann beginnen. Verteilen Sie den Plot zunächst grob auf die Buchseiten: Schreiben Sie einfach die Seitenzahl vor den jeweiligen Handlungsabschnitt. Und widmen Sie sich dann folgender Frage: Wollen Sie parallel erzählen oder lieber gegenläufig? Oder anders gefragt: Möchten Sie, dass die Illustrationen später Ihren Text unterstreichen und die Situationen, die Sie schildern, genau wiedergeben? Oder ist es Ihnen lieber, wenn sich Bild und Text ergänzen, einander vielleicht sogar ironisch brechen?

So viel vorweg: Schreiben Sie für die Kleinsten der Kleinen, sollten Sie die parallele Erzähltechnik wählen. Kindern bis drei Jahre genügt es, wenn Sie beschreiben, was im Bild passiert. Es fasziniert sie, dass sich das, was sie sehen, benennen lässt, und sie freuen sich, wenn sie eine Verbindung zwischen Gesehenem und Gehörtem herstellen können. Größere Kinder sind dagegen eher begeistert, wenn sie Dinge im Bild entdecken, die im Text nicht erwähnt werden. Sie fühlen sich dadurch wie kleine Detektive, die einer verschwundenen Kostbarkeit nachspüren. Scheuen Sie sich also nicht davor, beim Ausformulieren Ihrer Geschichte auf Informationen zu verzichten, die von den Illustrationen transportiert werden können. Sie haben dadurch die Möglichkeit, eine einzigartige Text-Bild-Spannung zu erzeugen. (Denken Sie lediglich daran, im Manuskript zu erwähnen, was Sie ausgelassen haben und im Bild auftauchen sollte. Hierfür können Sie beispielsweise die Kommentarfunktion Ihres Schreibprogrammes nutzen.)

Darüber hinaus sollten Sie sich an die Regeln des Schreibens von Prosatexten halten. Denn im Grunde ist eine Bilderbuchgeschichte nichts anderes als ein Roman auf sehr wenig Raum. Auch sie braucht einen Helden, der sympathisch ist und Identifikationspotenzial besitzt, einen Konflikt, der sich zuspitzt, und einen interessanten Schauplatz. Natürlich müssen Sie die Bedürfnisse und Fähigkeiten Ihrer Zielgruppe im Auge behalten, wenn Sie mit dem Plotten beginnen. Als Faustregel können Sie sich merken, dass die Komplexität Ihrer Geschichte – das heißt, die Größe des Figurenkaders, die Zahl der Orts- und Zeitwechsel, die Länge der Geschichte und die Intensität des Konfliktes – mit dem Alter Ihrer Zielgruppe zunehmen darf. Verwechseln Sie dabei aber bitte nicht „komplex“ mit „kompliziert“. Ihre Geschichte muss verständlich bleiben, überfordern Sie die kleinen Zuhörer also nicht mit verworrenen Metaphern, parallel verlaufenden Handlungssträngen oder undurchdringlichen Beziehungsgeflechten. Kinder verlieren schnell die Lust am Buch, wenn sie der Handlung nicht mehr folgen können. Zwar können BilderbuchautorInnen davon ausgehen, dass die Vorlesenden auftauchende Fragen beantworten, sie dürfen sich aber nicht darauf zurückziehen. Vielmehr sollte ein Bilderbuch Anlass geben, das Gelesene „nachzubetrachten“ und mit Kindern über Inhalte zu sprechen. Warum hat sich der Held so entschieden, wie er sich entschieden hat? War das gut? War das schlecht? Wie könnte es ihm nach dem Ende der Geschichte ergehen?

Wenn es Ihnen gelingt, ein Mit- und Weiterdenken zu provozieren, dann haben Sie gute Arbeit geleistet. Ihre Geschichte hallt in den Köpfen der Kleinen nach.
Genauso wichtig wie seine Zielgruppe nicht zu überfordern, ist es, sie nicht zu unterschätzen. Kinder wollen ernst genommen und gefordert werden. Sie lieben ungewöhnliche Helden, die ihre Fantasie anregen. (Das gleiche gilt im Übrigen für LektorInnen – kein Verlag wartet auf das zwanzigste Bilderbuch über ein verlorenes Kätzchen, das seine Mama sucht!) AutorInnen gibt das die Möglichkeit, sich richtig auszutoben. Vom Nachbarsjungen, der auf Bäume klettert, oder einem Meerschweinchen, das schwimmen lernen will, bis hin zu einem Yeti mit Schnupfen eignet sich eigentlich jeder und alles als BilderbuchprotagonistIn. Entscheidend ist lediglich, dass die Hauptfigur Raum für Identifikation lässt. Ihre Probleme sollten sich mit denen der Zielgruppe decken. Eine Geschichte für Fünfjährige sollte daher auch nicht mit einem vierjährigen Protagonisten aufwarten. Der befindet sich nämlich nicht nur in einem anderen Entwicklungsstadium, er ist in den Augen der größeren Kinder auch noch ein echtes Baby – und damit können und wollen sie sich nicht mehr vergleichen. Immerhin sind sie schon groß und werden bald eingeschult. Legen Sie Ihre Hauptfigur deshalb lieber etwas älter als Ihre Zielgruppe an. Ein, zwei Jahre sollten genügen, um das Interesse für den Helden Ihrer Geschichte zu wecken.

Wie auf der inhaltlichen Ebene haben BilderbuchautorInnen auch auf der sprachlichen die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren. Dass Sie ein Bilderbuch schreiben, bedeutet nämlich nicht, dass Sie ausschließlich einfache Worte in Hauptsätzen aneinanderreihen dürfen. Das Gegenteil ist der Fall: Ihr Text sollte möglichst lebendig sein – und gleichzeitig das Wissen Ihrer Zielgruppe berücksichtigen und erweitern. Fremdworte und Bandwurmsätze haben in einem Bilderbuch zwar nichts zu suchen, dafür sind Onomatopoesie (Laut- oder Tonmalerei), Interjektionen und Neologismen (neuartig gebrauchte sprachliche Ausdrücke) erlaubt, ja sogar gewünscht. Denn kleine Kinder erweitern ihren Wortschatz unentwegt, verstehen Neuverbindungen aus Worten, die ihnen geläufig sind, erstaunlich gut und haben erfahrungsgemäß sehr viel Spaß, wenn Texte spielerisch mit Sprache umgehen. Trauen Sie sich also ruhig, einen „Milchkuhmelkmeister“ oder einen „Ratterknatterknalltrank“ unterzubringen. Auch Reime sind in Bilderbüchern üblich und können einen Text aufregend machen. Aber Achtung: Sie müssen funktionieren. Nichts fällt im Lektorat schneller durch als ein Text mit gewollten Reimen und schiefem Versmaß.

Sind Sie kein Poet, dann lockern Sie Ihren Text lieber mit kraftvollen Adjektiven auf und bauen Sie Dialoge ein, die die Figuren genauer charakterisieren und die Handlung vorantreiben. Erinnern Sie sich: Sie haben nur sehr wenig Raum für Ihre Geschichte. Es ist deshalb wichtig, dass Sie präzise formulieren und keinen Platz an Sätze verschwenden, die Sie genauso gut weglassen könnten. „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ sind oft überflüssig. Nutzen Sie die Dialoge lieber, um Emotionen zu wecken und den Vorlesenden die Chance zu geben, ihren Vortrag abwechslungsreicher und unterhaltsamer zu gestalten. Ein Vater, der direkt in die Rolle einer mürrischen Mandarine schlüpft, die sich mit einer überdrehten Zitrone anlegt, wird sein Kind deutlich leichter zum Strahlen bringen als einer, der aus der Sicht eines Außenstehenden berichtet, was da in der Obstschale vor sich geht.

Im Idealfall ist Ihr Bilderbuch sowieso in der Lage, die Großen ebenso zu amüsieren wie die Kleinen. Warum? Weil die VorleserInnen darüber entscheiden, wie die Geschichte von der Zielgruppe rezipiert wird. Nur wenn sie ebenfalls Spaß haben, können AutorInnen sich sicher sein, dass ihre Botschaft so bei den kleinen LeserInnen ankommt, wie sie sie meinen. Schaffen Sie also auch für Erwachsene Leseanreize: Bauen Sie beispielsweise Sprachspiele ein, die sie herausfordern, oder eine kauzige Nebenfigur, über die sie schmunzeln können. Auch interaktive Elemente, die Kinder zum Mitmachen einladen, sind geeignet, um die Vermittler Ihrer Geschichte zu unterhalten. Sie werden dankbar sein, etwas in Ihrem Buch zu finden, das sie in den vielen anderen noch nicht gesehen haben – vor allem dann, wenn sie es mehr als einmal vorlesen müssen.

Die wichtigsten Dos und Don’ts für BilderbuchautorInnen

Dos:
•    Informieren Sie sich über Ihre Zielgruppe! Welche Fähigkeiten und welches Wissen besitzt sie? Was müssen Sie deshalb beim Schreiben berücksichtigen?
•    Formulieren Sie präzise und kraftvoll! Sie haben nur wenig Platz, um das zu sagen, was Sie sagen möchten – und dabei auch noch zu unterhalten.
•    Erschaffen Sie einen ungewöhnlichen Helden, mit dem sich Kinder identifizieren können! Seien Sie dabei mutig und lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf.

Don’ts
•    Werden Sie nicht zu pädagogisch! Selbst wenn Sie eine klare Botschaft überbringen wollen, sollten Sie nicht den Zeigefinger erheben.
•    Politik, Gewalt und Sex haben im Bilderbuch nichts zu suchen. Außerdem sollten Sie kritisch hinterfragen, ob die Sprache und die Rollenbilder, die Sie verwenden, zeitgemäß sind.
•    Unterschätzen Sie Ihre Zielgruppe nicht! Kinder wollen herausgefordert werden – sowohl sprachlich als auch durch Inhalte.

Schritt 4: Putzen, polieren und den Schatz präsentieren – oder: Ja, auch ein Bilderbuch braucht ein Exposé

Puh, nach vielen Stunden harter Arbeit haben Sie es geschafft und einen Diamanten gehoben. Nun geht es darum, ihn der Welt zu präsentieren – aber nicht, ohne vorher noch einmal kräftig nachzupolieren. Wie das geht? Mithilfe Ihrer Zielgruppe. Lesen Sie den Kindern in Ihrer Familie oder im Bekanntenkreis Ihre Geschichte vor und prüfen Sie, ob diese alles verstehen, bis zum Ende aufmerksam zuhören und an den richtigen Stellen lachen. Dieses Voraburteil kann helfen, auch die kleinsten Macken des Textes aufzuspüren und zu beseitigen. Kinder sind nämlich nicht nur die besten Richter, sie haben hin und wieder auch Problemlösungsideen, auf die Erwachsene nicht im Traum kommen würden. Lassen Sie sich die Chance also nicht entgehen, Ihre Geschichte an ihnen zu testen.

Danach können Sie Ihr Manuskript für das Versenden an verschiedene Verlage vorbereiten. Wie bei Büchern für Erwachsene gilt: Der Text allein reicht nicht aus; ein durchdachtes Exposé ist Pflicht. Natürlich sieht das etwas anders aus als bei einem Roman. So ist ein Bilderbuchexposé ist nicht dazu gedacht, den Inhalt noch einmal zusammenzufassen – das Manuskript ist ohnehin so kurz, dass LektorInnen es komplett lesen werden. Vielmehr geht es darum, die Zielgruppe zu definieren und die Besonderheiten des Buchprojektes hervorzuheben. Stellen Sie heraus, was Ihre Geschichte von den vielen anderen auf dem Buchmarkt abhebt. Ist die Handlung einzigartig? Beschäftigten Sie sich mit einem Thema, das gerade hochaktuell und im Genre daher noch selten ist? Oder haben Sie interaktive Elemente in Ihrer Geschichte untergebracht, die Kinder zum Mitmachen einladen und daher einen besonderen Lerneffekt haben? Außerdem kann es von Vorteil sein, wenn Sie sich in Ihrem Exposé genauer mit der Konkurrenz beschäftigen. In den meisten Fällen freuen sich die Verlage, wenn es bereits einen ähnlichen Titel gibt, der großen wirtschaftlichen Erfolg hatte. Das bedeutet nämlich, dass der Markt dafür vorhanden ist.

Im Übrigen ist es sogar erlaubt, ungewöhnliche Ausstattungsideen und Illustrationsvorschläge im Exposé zu nennen. Aber bitte tun Sie genau das: Nennen Sie Ihre Vorschläge, beharren Sie nicht auf ihnen. Verlage müssen bei der Entscheidung über das Format, die Ausstattung und den Illustrator nämlich viele Faktoren berücksichtigen und können den Wünschen der AutorInnen deshalb nur in absoluten Ausnahmefällen vollkommen entsprechen. So können neben Kosten auch die Identität einer Reihe oder ästhetische Ansprüche eine Rolle spielen.

Ob Sie Ihre fertigen Unterlagen lieber per Post oder E-Mail an Verlage verschicken sollten, lässt sich nicht eindeutig sagen. Manche Verlage nehmen ausschließlich Papiermanuskripte entgegen, andere bestehen auf PDFs. Informieren Sie sich am besten auf der jeweiligen Website über die konkreten Anforderungen. Und nutzen Sie dann auch gleich die Gelegenheit, um sich genauer mit dem Verlag zu beschäftigen, an den Sie sich wenden möchten. Blättern Sie im Katalog und lesen Sie aufmerksam die Selbstbeschreibung, um zu prüfen, ob Ihr Manuskript auch tatsächlich zum Verlag passt. Nichts ist für Sie und die LektorInnen frustrierender, als wenn Ihr Projekt und das Programm keinerlei Überschneidungen haben. Verschonen Sie Pappbuchlektoren also lieber mit Texten für Fünfjährige und schicken Sie Ihre lustige Geschichte nur an Verlage, die für lustige Bilderbücher bekannt sind. Sie möchten doch nicht, dass Ihr funkelnder Diamant bei jemandem landet, der ihn nicht zu schätzen weiß.

In: FEDERWELT, Heft 114, Oktober/November 2015