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Triggerwarnungen

Federwelt
Anke Gasch
Ampel

Welche Sorgen und Nöte sind mit Triggerwarnungen (TW) in Büchern verbunden? Was spricht für, was gegen sie: aus Sicht von Betroffenen, Fachleuten und AutorInnen? Wer soll über ihren Einsatz entscheiden? Wann sie setzen? Welche AutorInnen und Verlage arbeiten bereits damit, seit wann, warum, und wie sieht es dann im jeweiligen Buch aus? – Ein Klärungsansatz.

 

Trigger und Triggerwarnungen aus psychologisch-fachlicher Sicht

Silke Großbach im Gespräch mit Anke Gasch

Meine Interviewpartnerin Silke Großbach ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin TP. Als Mitgründerin vom Hamburger Institut für Traumatherapie (hit-traumatherapie-hamburg.de) organisiert sie Trauma-Fortbildungen.

Aus psychologischer Sicht: Was ist ein Trigger?
Dazu muss ich einleitend sagen: Ein traumatisches Erlebnis, verbunden mit Todesangst, Ohnmacht und Hilflosigkeit, löst im Körper eine Stressreaktion aus: Körper und Geist sind in einem Alarmzustand und wenden automatisch schützende Strategien an. Ein Mechanismus ist die Abspaltung: Die mit dem Trauma verbundenen Erlebnisse, Bilder, Gefühle, Gedanken und/oder Körperreaktionen werden nicht mehr in ihrer Gesamtheit wahrgenommen, sie werden sozusagen aufgesplittert, um vor der Gesamtheit der Erinnerung zu schützen. Diese Aufspaltung hat jedoch Folgen, es zeigen sich Symptome einer Traumfolgestörung: Schlafstörungen etwa oder Ängste oder auch eine Depression, die auf das Trauma bezogen sind, aber vielleicht von den Betroffenen gar nicht unbedingt damit in Verbindung gebracht werden.
In Bezug auf Traumata sind Trigger bestimmte Reize, die abgespaltene Erinnerungsbruchstücke automatisch reaktivieren.
Trigger oder Reizauslöser sind sehr vielfältig: Es können Gerüche, Bilder, Wörter, Berührungen, Geräusche sein oder ein Geschmack, aber auch Reaktionen der Umwelt auf Empfindungen, Erlebnisse und sogar scheinbar „harmlose“ Gesten.
Um mit diesen Reizauslösern im Alltag umgehen zu können, benötigen die Betroffenen auf jeden Fall psychotherapeutische Behandlung.

Auf die Schnelle: Was ist eine Triggerwarnung, wo kommt sie her, was ist ein Trauma?

Was ist eine Triggerwarnung?
Aufs Buch bezogen ist eine TW der Hinweis auf verstörende Inhalte, die aus Genre/Klappentext et cetera nicht ersichtlich sind und bei Menschen mit Traumafolgestörung einen Flashback auslösen könnten.

Wo kommen die TW ursprünglich her?
Aus Selbsthilfeforen (für Heimkinder, Soldaten ...).

Was ist ein Trauma?
Vereinfacht erklärt ist ein Trauma eine erschütternde seelische Verletzung. Alles Schreckliche, das uns völlig unvorbereitet trifft und dem wir uns hilflos, ja ohnmächtig ausgeliefert fühlen, kann ein Trauma auslösen.
Prof. Dr. Helga Kohler-Spiegel, Psycho- und Lehrtherapeutin sowie Autorin von Traumatisierte Kinder in der Schule verstehen – auffangen – stabilisieren bezeichnet ein Trauma auch als „eine Wunde, die wir aus uns selber heraus nicht einfach heilen können“.

Was bedeutet es für Traumatisierte, getriggert zu werden?
Durch Trigger werden Betroffene wieder mit den traumatischen Erinnerungen konfrontiert, es ist ein Flashback-Erleben des Traumas mit allen Sinnen. Ohne therapeutische Hilfe versuchen die Betroffenen nun, nicht an das Trauma erinnert zu werden. Es schien gut verpackt zu sein und soll verpackt bleiben.
Doch nicht nur durch Trigger werden Betroffene an das Trauma erinnert, auch die Abspaltung in ihnen selbst lockert sich oder es kommt zu Durchbrüchen in der Abwehr. Das heißt, die Psyche will das Verpackte irgendwann entpacken und damit eine bessere Lösung für den Umgang finden. Erinnerungen tauchen dann auch ohne Trigger auf, damit der Betroffene sich dem Ereignis stellen kann.
Bezogen auf Trigger ist es wichtig zu wissen, dass der Auslösereiz selbst kein traumatisches Ereignis darstellt, er erinnert an das Trauma. Betroffene, die durch Trigger in die alte traumatische Situation katapultiert werden, empfinden es jedoch so und wollen deswegen Trigger vermeiden.

Lassen sich Flashbacks durch die Warnung vor gängigen Triggern (selbstverletzende Handlungen, Suizid ...), die in Büchern sonst unerwartet aufträten, vermeiden?
Da Reizauslöser so vielfältig sind und es in dem Sinne auch keine gängigen Trigger gibt, ist es nicht möglich, auf diese Weise Betroffene davor zu schützen, dass sie erinnert werden.

Können Triggerwarnungen nicht dennoch hilfreich sein? Es gibt ja auch vielfältige Allergieauslöser, die häufigsten zu nennen hilft immerhin schon mal denen, die an etwas leiden, das leider häufiger vorkommt ...
Triggerwarnungen sind aus meiner fachlichen Sicht nicht hilfreich. Im therapeutischen Kontext können in der Stabilisierungsphase mit den PatientInnen Trigger erarbeitet werden und der Umgang mit diesen. Ziel ist es jedoch, dass das Trauma verarbeitet wird und der Auslösereiz nicht mehr zu einem Flashback führt.

  • Lesetipp von Silke Großbach: Cornelia Dehner-Rau, Luise Reddemann: Trauma heilen: Ein Übungsbuch für Körper und Seele, Trias, 19,99 Euro

 

Sorgen, Nöte, Wut und Fragen

Leserstimmen, die uns zur Glosse erreichten, teils kommentiert oder eingeordnet von KollegInnen und/oder Experten für Traumafolgestörungen

Eine Verlegerin:
Ich bin skeptisch, was die Umsetzung betrifft, und hätte Sorge vor folgenden Entwicklungen:
1. Man stelle sich vor, beim Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB) und bei den Barsortimenten gäbe es bei der Titelmeldung künftig ein Feld für Triggerwarnungen, eine Checkbox zum Ankreuzen, ob und wenn ja welche gängigen oder auch nicht gängigen Trigger das Werk enthält. Womöglich bestünde die Gefahr, dass Menschen gezielt nach solchen Titeln suchen, also zum Beispiel nach Büchern, in denen es um sexuellen Missbrauch geht.
2. Vielleicht würden Buchhändler dann manche Bücher, die bestimmte Triggerwarnungen enthalten, gar nicht mehr ordern aus Sorge, haftbar gemacht zu werden: „Meine Tochter hat aufgrund dieser Passage (Stichwort Flashback) Selbstmord begangen.“ Der Buchhändler trägt eine Mitschuld, weil er ihr dieses Buch verkauft hat, obwohl er doch hätte wissen müssen ... (siehe Titelmeldung.)
3. Wenn die Amerikanisierung des Marktes weiter um sich greift, vielleicht stehen dann bald AutorInnen vor Gericht, die nicht juristisch einwandfrei formulierte Triggerwarnungen an den Anfang ihres Buches gestellt haben. Und ein Autor bräuchte vor Veröffentlichung seines Buches eine Juristin, die das Manuskript gegenliest und eine entsprechende Warnung verfasst. Das würde die Herstellung von Büchern verkomplizieren und verteuern.

Offener Leserbrief von Susanne Pavlovic:
Lieber Stephan Waldscheidt,
erinnerst du dich an früher? Die Zeit, in der Schokolade noch ohne den Aufdruck „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ auskam. Als keine Bäckerei auch nur daran dachte, einen Allergiker-Hinweis am Tresen zu platzieren.
Eine EU-Verordnung regelt seit 2017 die Kennzeichnungspflicht für allergene Stoffe in Lebensmitteln. Allergiker gab es auch schon vor 2017; da hatten sie im Zweifelsfall Pech. Wie ich, als ich in den 90er Jahren meine Sojaallergie entdeckte: Nach einem neugierigen Schluck schwoll ich an wie ein Fesselballon und wurde umgehend in die Notaufnahme gefahren. Zugegeben, auf einer Packung Sojamilch wäre die Kennzeichnung „Kann Spuren von Soja enthalten“ ziemlich albern, und ich bin informiert genug, Tofu und andere Sojaprodukte zu vermeiden. Aber man macht sich ja keine Vorstellung, wo überall Soja drin ist, und die Kennzeichnung erspart mir eine Menge Fragen, Vorbehalte und Sicherheitsmaßnahmen. Ich kann mich ein bisschen freier bewegen. Und dass ich inzwischen nie ohne Notfallmedikament das Haus verlasse, versteht sich von selbst.
Ich bin sicher, du weißt inzwischen, worauf ich hinauswill. Die Schokolade schmeckt nicht-allergischen Menschen nicht weniger, nur weil Erdnuss-Allergiker/innen auf ein mögliches Risiko hingewiesen werden.
Viele Menschen mit traumatischen Erfahrungen empfinden Triggerwarnungen auf Büchern als hilfreich: Triggerwarnungen vermindern für sie das Risiko, von einer Lektüre „kalt erwischt“ zu werden und dann direkt in Flashbacks oder Panikattacken zu stürzen. Wer „getriggert“ wird, der erlebt weit mehr als nur die Konfrontation mit Themen, die er oder sie lieber vermieden hätte. Der Trigger löst im Gehirn die gleiche Reaktion aus wie das ursprünglich traumatisierende Erlebnis, und das kann im Extremfall bis zu Selbstmordversuchen führen.
Menschen mit Traumaerfahrung werden in ihrer Problematik oft nicht ernst genommen. Das englische Lehnwort wird in der deutschen Sprache unsauber und oft despektierlich verwendet: „Triggert dich das?“ ist meist keine besorgte Frage nach meinem Wohlbefinden. Auch ich habe mir den Ausruf „Mann! Wie mich das triggert!“ erst abgewöhnt, als mir klar wurde, was ich da für einen Bullshit von mir gebe. Mich triggert nichts. Ich bin glücklich, was das betrifft.
Was mich allerdings unglücklich macht, ist, beobachten zu müssen, dass Gruppierungen innerhalb der Buchbranche sich gegenseitig zerfleischen. „Ungetriggerte“ schauen auf Menschen mit Triggerproblematik herab. Triggerwarnungen gelten als überspannt, der Verzicht auf Triggerwarnungen gilt als überheblich und rücksichtslos. Menschen, die Traumatisches erlebt haben, kämpfen mal mit fairen, mal mit unfairen Methoden darum, gehört zu werden.
All das bindet unsere Energien und hält uns von dem ab, was wir eigentlich wollen: gute Bücher machen, uns gegenseitig beflügeln und inspirieren.
Ich bin immer für eine sachliche, kontroverse Diskussion zu haben. Ich bin selbst nicht restlos vom Sinn einer Triggerwarnung überzeugt – habe von Betroffenen gehört, die schon durch die Erwähnung des Triggerwortes in der Warnung getriggert werden – die haben also auch nichts gewonnen. Auch unter Expert/innen ist die Wirksamkeit von Triggerwarnungen umstritten.
Wo ich nicht mit mir streiten lasse, sind die Regeln des konstruktiven Umgangs miteinander. Die wenigsten von uns sind Psycholog/innen. Ein Haufen Laien ringt hier also um eine Lösung, die machbar ist, Autor/innen nicht zu viel Verantwortung aufbürdet, die Freiheit der Kunst sicherstellt und Betroffenen gleichzeitig einen möglichst angst- und barrierefreien Zugang zur Literatur ermöglicht. Das geht nur in gegenseitiger Wertschätzung und Respekt.
Was wir alle brauchen, ist nicht noch mehr Zynismus, nicht noch mehr Angst und Gegeneinander. Was wir brauchen, ist Freundlichkeit.
Deshalb, mit aufrichtig freundlichen Grüßen,
Susanne „Textehexe“ Pavlovic

Eine Autorin und Seelsorgerin:
Ich habe herzlich gelacht. Aber das Thema „Triggerwarnungen“ ist ein sehr ernstes und die Reaktionen auf Twitter habe ich verfolgt. [...] Von PTBS Betroffene müssen lernen, Flashbacks zu beenden und sich selbst zu regulieren. Das ist, zugegeben, ein langer und harter Weg. Aber nur so kommt man auf Dauer in ein normales Leben zurück. [...] vor Triggern gewarnt zu werden, weil man keine Flashbacks möchte, finde ich eine absurde Forderung. Man würde auch keinen Diabetiker vor Zucker warnen, sondern erwarten, dass er sich schulen lässt und den Umgang mit Zucker und Insulin lernt. [...]
Die Mindestverantwortung ist in so einem Fall, sich helfen zu lassen. Mit Triggerwarnungen aber nehme ich Betroffene aus der Verantwortung heraus, ich halte sie klein und gaukle vor, dass die Welt eine sichere sei. Zumindest in meinem Buch. Falls nicht die Szene mit dem Schlauchboot den Leser dann triggert oder die Banane. (Das hatte ich schon, kein Witz.)

Mara Laue, Autorin:
Ich gestehe: Als ich Stephan Waldscheidts Text las, war ich erschüttert und so wütend, dass ich die Federwelt in die Ecke gepfeffert habe. Sich über Behinderte auf deren Kosten lustig zu machen, ist ein absolutes No-Go! Denn ein erlittenes Trauma ist eine psychische Behinderung.
Ebenso verärgert haben mich einige Reaktionen darauf in den sozialen Medien. Einige „Argumente“ waren in meinen Augen derart lächerlich, dass ich den sie Äußernden nur zugutehalten kann, dass sie nie selbst betroffen waren. Nur wer nie selbst ein Trauma erlitten hat, hat mangels Erfahrung nicht die geringste Ahnung davon, was das und erst recht eine Re-Traumatisierung mit Betroffenen und deren Angehörigen (!) anstellt.
Zum Beispiel der Tenor: „Die Leute müssen eben lernen, ihr Trauma zu bewältigen und Flashbacks in den Griff bekommen, dann finden sie auch in ein normales Leben zurück.“ Je nach Art des Traumas vergehen manchmal Jahre, bis Betroffene überhaupt in der Lage sind, sich dem zu stellen. Und selbst die beste Therapie und der stählernste Wille können nicht immer alles heilen. Ich spreche aus persönlicher Erfahrung: Zwanzig Prozent meiner amtlich anerkannten Schwerbehinderung entfallen auf irreparable Traumaschäden.
Außerdem lässt dieses „Argument“ völlig außer Acht, dass nicht jedes Trauma schon lange genug zurück liegt, dass die Traumatisierten Zeit hatten, es zu bewältigen. Die Wartezeit für eine Psychotherapie beträgt oft ein Jahr und länger. Und bis die Therapie zu einem „normalen Leben“ führt (wenn überhaupt), dauert es Jahre. Sollen Betroffene in dieser Zeit auf das Lesen von Büchern verzichten und sich dadurch in ihrer Lebensqualität noch mehr einschränken? Oder jedes Mal vorher jemanden probelesend nach Triggern fahnden lassen? 
Manche meinen, mit Triggerwarnungen werde Betroffenen die Verantwortung für ihr Leben abgenommen. Das Gegenteil ist der Fall! Betroffenen wird gerade dadurch die Verantwortung in die Hand gegeben: Erst durch die Triggerwarnung können sie frei entscheiden, ob sie trotz Warnung das Buch lesen und eine Re-Traumatisierung riskieren wollen. Als Diabetikerin erwarte ich selbstverständlich, dass der Zuckergehalt von Nahrungsmitteln auf den Verpackungen angegeben ist. Nur so kann ich die Verantwortung für meine Gesundheit voll übernehmen. Eine Triggerwarnung ist nichts anderes.
Von keinerlei Sachkenntnis getrübt ist der „Rat“, dass „die Leute“ ja das Buch weglegen könnten, sobald sie merken: Eine problematische Stelle kommt. Denn in dem Moment, wo jemand mit Traumafolgestörung merkt, dass da ein Trigger steht, hat der schon einen Flashback ausgelöst. Im schlimmsten Fall werden dadurch Jahre der Therapie wieder zunichtegemacht.
Triggerwarnungen sind „Spoiler“? Falsch, die Warnungen verraten nichts Konkretes, anhand dessen man sich den Verlauf der Handlung oder gar deren Ausgang denken kann. Da „spoilern“ Klappentexte erheblich mehr.
Die Befürchtungen, für die Folgen von Triggern im Text verklagt zu werden? Lachhaft! Liest jemand ein Buch trotz einer Triggerwarnung, liegt die Verantwortung eindeutig bei dieser Person allein. Siehe die Warnungen auf den Zigarettenschachteln. Nikotingeschädigte sind mit ihren Klagen nur durchgekommen, als es diese Warnungen noch nicht gab.
„Perverse“ könnten gezielt Bücher mit Warnungen suchen? Nicht stichhaltig, dazu müssten die keine Bücher mühsam nach Triggerwarnungen durchforsten, solche Szenen bekommen sie fast täglich im Fernsehen erheblich anschaulicher serviert.
Wer über eine Triggerwarnung „entscheiden“ soll: wir AutorInnen. Wenn wir sie für nötig halten, um Teile unserer Leseklientel zu warnen, schreiben wir sie rein. Wenn der Verlag sie für nötig hält, tut der es. Wo sollte da ein Problem sein?
In meinen Augen sind Triggerwarnungen gelebte Menschlichkeit, zeugen von Mitgefühl und Rücksichtnahme. Und davon haben wir in allen Lebensbereichen gegenwärtig viel zu wenig! Sich über durch Traumata Behinderte und AutorInnen lustig zu machen, die für möglicherweise Betroffene Triggerwarnungen in ihre Bücher setzen, ist für mich ein absolutes No-Go!

Weitere Stimmen:
Ein Autor: Denke ich zu „Triggerwarnungen“ und „Entrüstungsstürmen“ über literarische Erzeugnisse in die Tiefe und Breite, lande ich bei der Folge: Ich als Autor soll die Verantwortung für das Fühlen und Handeln meiner Leser übernehmen. Immer. Darf ich dann ab sofort sagen, dass meine Frau und die Autoren, deren Werke ich sehe oder lese, für mein Wohlbefinden zuständig sind? Für mich absurd. Eine Einschränkung von Kunst-, Meinungs- und Literaturfreiheit. Wird Literatur so nicht weichgespült – oder besser: zensiert? Zugleich zeigt sich der Alltag zunehmend brutal: Politiker müssen mit Messerattacken rechnen [...].
Für die Dark-Fantasy-Autorin Nora Bendzko gehen Gedanken zu Weichspülen oder Literaturzensur am Thema vorbei. Der Grund: „Niemand sagt, dass Inhalte verboten werden sollen. Der Wunsch nach Triggerwarnungen ist nur der Wunsch, kenntlich zu machen, was Texte an Gewalt oder Diskriminierungen enthalten, das im Vorwort oder aus dem Klappentext nicht ersichtlich ist. Portale für Fanfiction wie Archive of Our Own nutzen Triggerwarnungen seit Jahren und haben sicherlich keine Inhalte eingebüßt.“ Weiter erzählt sie, dass es auch nicht darum gehe, Verantwortung zu übernehmen, wenn jemand getriggert werde, eben weil Trigger so individuell seien: „Es geht nach eigenen Kräften um einen Leserservice, bei dem transparent über bekanntermaßen verstörende Inhalte wie Missbrauch informiert wird.“
Für Martin Conrath, der Thriller, Krimis und historische Romane schreibt, ist das keine Option. Das, was er macht, „muss frei sein von jeglicher Schere im Kopf“, sei sie politisch oder sozial. „Mir ist wichtig, dass das nur für mich als Autor, als Künstler gilt und nicht als Mensch“, betont er. „Im täglichen Leben sind Rücksichtnahme und Respekt essenziell. Wenn ich aber anfange zu überlegen, wie meine Kunst auf irgendjemanden, wir sind sieben Milliarden auf der Welt, wirkt, dann ist sie nicht mehr frei. Aus dem einfachen Grund, weil es immer jemanden geben wird, den ich eventuell ungewollt verletze, nicht erwähne oder triggere. Allein, weil fast alles Trigger sein kann, wäre das Auflisten unmöglich und daher sinnlos.“
Ähnlich sieht das Dr. Martin Grabe, Sachbuchautor und Chefarzt der Psychotherapeutischen Abteilung der Klinik Hohe Mark in Oberursel. Er sagt: „Prinzipiell kann man sich (und andere) vor Triggern nicht schützen, weil es kleinste Sinnesreize sein können, die bei jemanden, der an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet, eine Kaskade von negativen Erinnerungen und Gefühlen auslösen. So könnte in einem Roman Zigarrenrauch vorkommen oder eine Automarke – an sich völlig neutral –, aber für einen Betroffenen möglicherweise ein heftiger Trigger, weil es ihn an den Täter erinnert. – Es sind Reize, die andere Menschen gar nicht entschlüsseln können, wo sie gar nicht auf die Idee kommen würden, dass sie einen Flashback auslösen.“ Insofern hält er eine „Triggerwarnung im eigentlichen Sinne“ für unmöglich. „Es läuft letztlich nicht auf eine Triggerwarnung hinaus, sondern auf eine Warnung vor allgemein belastenden Inhalten. Das ist, was man machen könnte, wenn man denn will.“ Als allgemein belastend nennt Grabe, der durch unsere Interviewanfrage zum ersten Mal von Triggerwarnungen in der Literatur gehört hat: „Szenen sexueller oder körperlicher Gewalt“. Solch eine Warnung könne prinzipiell hilfreich sein; gerade bei von PTBS Betroffenen sei er sich aber durchaus nicht sicher, ob sie tatsächlich positive Wirkung habe. (Warum, erfahren Sie etwas später.)

Daneben erreichten uns via Mail, am Telefon und per PN häufiger Aussagen und Fragen wie:

  • Führen Triggerwarnungen nicht dazu, dass Autoren und Leser bestimmte, vielleicht sogar wichtige, für sie hilfreiche Themen meiden, weil sie mehr und mehr als „schwierig“, vielleicht sogar als „Pfui“ eingestuft werden?
  • Wegen Kolleginnen und Kollegen, die nicht einfach nur auf Missstände hinweisen, sondern regelrecht Hetzjagden veranstalten, traue ich mich gar nicht mehr/kaum noch, zu schreiben/meine Meinung zu äußern.

Isabell Schmitt-Egner, Autorin und Freie Lektorin (Carlsen Impress, Piper, Drachenmond ...) hat bereits öfter erlebt, dass AutorInnen „an den Pranger gestellt“ wurden: „Weil Einzelnen der Unterschied zwischen Plagiat und falsch ausgewiesenem Zitat nicht bekannt war, wurden Autoren zu Unrecht als Plagiatoren gebrandmarkt. Inzwischen werden die ersten Autoren wegen angeblich fehlender Triggerwarnungen öffentlich bloßgestellt. Das Problem: Nicht jedes Buch enthält Zitate, aber jedes Buch enthält mögliche Trigger und ist somit angreifbar. – Was für die einen Schutz bedeuten sollte, wird als Waffe gegen die anderen gerichtet.“
Die Abwehrhaltung vieler AutorInnen gegenüber Sensitivity Readern oder Triggerwarnungen resultiert für sie „aus der Erfahrung, dass die Community sich aus so etwas eine Allzweckwaffe bastelt, um jedes beliebige Buch verreißen zu können“.

  • Reicht, statt einer Triggerwarnung, vielleicht ein Button auf Romanen, in denen man mit bestimmten Formen von Gewalt nicht rechnet, der darauf hinweist – oder schlicht eine Altersfreigabe im Sinne einer FSK?

Die Psychologin und Fantasy-Autorin Elea Brandt schreibt dazu auf ihrer Website (https://eleabrandt.de/2019/04/12/mythbusting-triggerwarnungen-in-buechern): „Was in Bezug auf Medieninhalte nicht hilft, sind unspezifische Warnhinweise (‚kann verstörende Szenen enthalten‘), da diese den Betroffenen nicht dabei helfen, sich auf konkrete Themen einzustellen, und zugleich unspezifische negative Erwartungen wecken. Dort plädiert sie auch dafür, Inhaltswarnungen zu normalisieren: „Sie nehmen niemandem etwas weg und stellen eine wichtige Unterstützung für Betroffene dar. Dabei ist nicht wichtig, dass Triggerwarnungen komplett vollständig sind [...] Was spricht also dagegen, eine Leistung anzubieten, die vielen hilft und niemandem schadet?“
Dr. Martin Grabe ist unsicher, ob Letzteres so stimmt. Er fragt sich: „Ob man da nicht manchmal erst Ängste auslöst, wenn man von PTBS Betroffene so vorwarnt?“ Er fürchtet, dass man sie dadurch „auf ein Vermeidungsverhalten fixiert, das ihnen nicht guttut“. Denn ein Kriterium, das zur PTBS gehöre, sei „neben erhöhtem Anspannungsniveau und Flashbacks die Vermeidung“. Eine Therapie würde gerade dieser entgegenwirken wollen. „Denn in jedem Moment, wo ich eine Angst vermeide, wird diese noch größer und gewinnt an Kraft.“ Seine Sorge sei also, wenn man ein solches Warnsystem gestalte, dass Betroffene „noch eher in ein Vermeidungsverhalten und in noch mehr Ängste geraten, als wenn ihnen zugemutet wird, das normale Leben auch als solches zu verbrauchen“. Dies gelte auch für die Zeit, in der sie auf eine Therapie warteten.
Prof. Dr. Helga Kohler-Spiegel teilt die Meinung ihres Kollegen und ergänzt: „Die Warnung kann auch das Empfinden verstärken, nicht sicher zu sein auf der Welt oder im Alltag gewarnt werden zu müssen ...“

  • Kann eine Warnung nicht auch selbst triggern?

Elea Brandt: „Ausgeschlossen ist es nicht. Allerdings sind Triggerwarnungen ja in der Regel entsprechend gekennzeichnet. Das heißt, auch hier können Betroffene selbst entscheiden: ‚Lese ich sie oder lieber nicht?‘ – Ein Problem könnte sein, dass allein der Begriff ‚Trigger‘ vorurteilsbehaftet ist und möglicherweise negative Erwartungen auslöst. Wer das vermeiden will, kann von ‚Inhaltshinweisen‘ oder ‚Content Notes‘ sprechen.“

  • Wann und wovor sollte ich denn eine Triggerwarnung abgeben?

Mara Laue: „Immer dann, wenn in einem Buch etwas thematisiert wird, das a) bekanntermaßen (!) Traumatisierte triggern könnte (exzessive Gewaltdarstellungen et cetera) und b) nicht genretypisch ist, sind Triggerwarnungen angebracht. Wer einen Krimi oder Thriller kauft, weiß, dass er darin mit Gewalt und Tod konfrontiert wird. Wer ein entsprechendes Trauma erlitten hat, liest solche Bücher nicht oder ‚auf eigene Gefahr‘. Aber niemand rechnet ohne Vorwarnung damit, in einem Liebesroman mit einer Vergewaltigungsszene konfrontiert zu werden.“

Verlegerinnen und Autorinnen, die mit Triggerwarnungen arbeiten, erzählen vom Wie und Warum

25 Jahre alt war Grit Richter, als sie 2012 den Art Skript Phantastik Verlag gründete. Seine Nische? Die „dunkle Seite der Phantastik“: Dark Fantasy, Steampunk und Space Opera – ungewöhnliche, skurrile Geschichten, außergewöhnliche Welten. Die Verlegerin und Grafik-Designerin arbeitet „seit etwa einem Jahr“ mit Triggerwarnungen, die sie lieber Content Notes im Sinne von „Inhaltshinweise“ nennt. Sie nutzt diese, weil sie darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sie Menschen mit Traumafolgestörungen damit helfen könne. Für Spoiler hält Grit Richter Content Notes nicht. „Ich sage ja nur, dass es Inhalte gibt, die Flashbacks auslösen könnten, ohne Details zu verraten.“
Momentan stehen ihre Content Notes in zwei E-Books unter dem Impressumstext, in die Print-Ausgaben werden diese Hinweise zur nächsten Auflage übernommen. Die Entscheidung für eine Content Note fällt sie nur, „wenn in einem Buch etwas für das Genre komplett Ungewöhnliches passiert. – Als Verlegerin kann ich dabei nur so weit gehen, dass ich explizit nach unerwartbaren, verstörenden Szenen suche und diese kenntlich mache.“ Im Impressum würde eine Angabe wie „enthält eine Mordszene“ niemanden stören, ist Richter sicher: „Wer sie sucht, erwartet sie dort oder hinten im Buch, wo das Glossar steht. Alle anderen beachten sie nicht.“ Abschließend betont sie: „Ich bin noch sehr neu auf diesem Gebiet und mache sicherlich nicht alles richtig, aber ich bin bereit zu lernen.“

2013 gründete Ingrid Pointecker aus Wien ihren Kleinverlag ohneohren, der Bücher stets zuerst in der elektronischen Fassung herausbringt. Sie verlegt Low, Dark und Urban Fantasy, Steampunk, fantastische Satire, Science-Fiction und Kurzgeschichten „der besonderen Art“. Besonders heißt unter anderem immer: Klassische Völker, Settings und Weltrettungsepik haben darin keinen Platz. Ihre erste Veröffentlichung mit Content Note erschien am 9. September. „Ob Personen von Ereignissen, die nicht Teil des alltäglichen Lebens sind (besonders, wenn diese negativ sind), lesen wollen, sollen sie selbst entscheiden. Wir werten nicht“, sagt Ingrid Pointecker, weswegen auch sie sich gegen den Begriff „Triggerwarnung“ entschieden hat. Content Notes sieht sie – wie Nora Bendzko – als „eine zusätzliche Serviceleistung für LeserInnen im Sinne einer offenen Kommunikation und einer transparenteren Buchauswahl“.

Nora Bendzko hat sich im Selfpublishing für Triggerwarnungen entschieden. Sie hat gesehen, dass es die Nachfrage gibt, wollte sie gern bedienen, aber auch den Bedenken Sorge tragen, dass die Warnungen spoilern könnten. Sowohl im E-Book als auch in ihren Print-Veröffentlichungen stellt sie einen einzigen Link bereit, der zur einer Übersicht auf ihrer Webseite führt. Wem es wichtig ist, kann den Link aufrufen. 
Zum generellen Umgang mit Vorwürfen erzählt sie: „Für viele ist ja das große Angst-Szenario, jemand wirft mir zum Beispiel irgendeine Form von Diskriminierung vor und in Folge ist meine Karriere gefährdet. Das muss so nicht sein. Es kommt immer darauf an, wie wir mit Kritik umgehen. Mein erstes Galgenmärchen wurde von einer bekannten Bloggerin verrissen, unter anderem stand sogar Verherrlichung von Vergewaltigung im Raum. Natürlich schockt das zuerst, aber letztendlich ging es nie um mich als Person, sondern um den Text. Weil mir das klar war, konnte ich ruhig bleiben und habe im Gegenteil nicht Respekt verloren, sondern am Ende sogar gewonnen.“ (Mehr dazu hier: www.crowandkraken.de/interview-verrisse-und-kritik-interview-mit-nora-bendzko-und-liza-grimm)

Mira Manger, Jahrgang 96, deren Debüt Das Dach der Welt Anfang August bei Piper erschienen ist, hat im Vorfeld viel über Triggerwarnungen gelesen: „Auch auf Twitter – warum man das macht und dass es wichtig ist, sie bei sensiblen Inhalten zu geben.“ Für sie war es gar keine Frage, diese Inhalte am Anfang ihres Buches zu nennen. „Weil ich es bei einigen Filmen und Romanen selbst gern so gehabt hätte.“ Bei einem Telefonat über Danksagung und Vorwort hat sie ihre Lektorinnen gefragt, ob es möglich sei, ihren Wunsch nach einer Triggerwarnung umzusetzen. „Beide haben direkt ‚Ja, das ist eine sehr gute Idee‘ gesagt.“
Die Frage, wie die Warnung aussehen soll, hat Manger geklärt, indem sie mehrere Werke von KollegInnen angesehen hat.
Im Netz habe sie mitbekommen, dass es für den Einsatz von Triggerwarnungen nicht nur Lob gebe. Dann hieße es „Du willst dich ja nur wichtig machen“ oder „Ach, das machst du doch nur, weil es gerade trendy ist“.

Barbara Pointner, eine von Mangers Lektorinnen, erzählt: „Wir arbeiten noch nicht so lange mit Inhaltshinweisen, wir machen das sehr individuell mit dem Autor – oder der Autorin – aus. Wenn wir beim Lektorieren das Gefühl haben, dass in einem Text sensible Themen intensiv aufbereitet werden, die Flashbacks auslösen könnten, regen meine Kolleginnen und ich es auch an, aber letztlich hat der Autor das letzte Wort.“ Bis jetzt sei es so, dass ihnen dabei vor allem das eigene Gefühl als Orientierung diene. „Rückmeldungen nehmen wir allerdings immer gern auf und lernen so dazu.“ (Wie es in den anderen Lektoraten des Hauses gehandhabt wird, war in der Kürze der Zeit leider nicht zu recherchieren.)
Die Inhalte zu finden und benennen, die als sensibel erachtet werden könnten, fiel Mira Manger leicht. „Auch weil ich eine Testleserin speziell darauf angesetzt habe zu prüfen, ob ich die psychischen Komponenten authentisch dargestellt habe.“

Susanne Pavlovic, Lektorin und Autorin: „Ich werde auch weiterhin auf meinen High-Fantasy-Romanen nicht vor Schwertern, Schnaps, Monstern und Gewalt warnen. Ich werde aber in meine Bücher (vorne – damit es in der Leseprobe beim großen A aufscheint) einen Vermerk setzen, der auf meine Webseite führt. Wer möchte, kann dann dort Triggerwarnungen für alle Bücher nachlesen. Für mich ist das ein guter Kompromiss, und mehr werden wir auch nicht erreichen – lauter individuelle Lösungen, mit denen sich die AutorInnen wohlfühlen.“

Linktipps

Autorin: Anke Gasch | www.anke-gasch.com | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 138, Oktober 2019
Blogbild: Harshal Desai auf Unsplash

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 138, Oktober 2019: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-52019
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