
Meine ersten Schritte auf dem Weg zur Schreibkursleiterin führten mich 1994 zur VHS Augsburg. Die zuständige Fachbereichsleiterin zeigte sich aufgeschlossen und wir einigten uns auf einen Wochenendkurs zum Thema „Kurzkrimis schreiben“. Klar war mir sofort, dass ich keine Theorie-Dozentin bin. Ich wollte die TeilnehmerInnen ins Schreiben bringen und direkt in der Praxis das dafür benötigte Handwerk vermitteln. Ebenso klar war, dass ich ein gut durchdachtes Konzept brauchte.
Also ging ich erst einmal zum Denken durch den Wald. Erinnerte mich, wie ich selbst Kurzkrimis geschrieben hatte. Mein erster war eine Parodie auf das Genre gewesen. Die folgenden hatten verschiedene Ausgangspunkte (Figuren, Atmosphären, Konflikte, …) gehabt und ich hatte mit unterschiedlichen Schwierigkeiten kämpfen müssen, zum Beispiel damit, einem Delikt den richtigen Kick Originalität zu geben, eine Handlung wirklich spannend aufzubauen, passende Namen und Titel zu finden. Super! Das waren immerhin schon mal Themen, die in den Kurs gehörten.
Nun versetzte ich mich in die Rolle als Leserin und ergänzte die Zutatenliste um zwei Punkte: Der Anfang eines jeden Textes muss mich in die Geschichte hineinziehen und am Ende will ich befriedigt aus der Geschichte gehen, das heißt alle meine Fragen müssen beantwortet worden sein und eine Überraschung ist die süße Himbeere obendrauf (dann bleibt die Geschichte zudem noch länger im Gedächtnis).
Ich war noch immer im Wald. Dachte mich jetzt in die Situation meiner künftigen SeminarteilnehmerInnen ein und entwickelte:
Eine logische Struktur für Vor-Ort-Schreibseminare
So vielfältig die Anlässe für einen Text sein können, in einem Seminar müssen alle TeilnehmerInnen gemeinsam und zugleich jede/r einzelne zur eigenen Geschichte geführt werden.
Vielen Schreibenden ist es nicht angenehm in fremder Umgebung sofort einen Text zu beginnen. Sie müssen zunächst warm werden, sich allmählich auf ihre Geschichte konzentrieren, dann Fahrt aufnehmen, originale Elemente einbauen und ins Ziel kommen.
So kam ich auf die Idee (die sich bis heute bewährt hat), die Figurenentwicklung an den Anfang zu setzen: Nach einer kurzen theoretischen Einführung von mir über Protagonisten, Nebenfiguren und so weiter machen die TeilnehmerInnen erste Notizen über ihre künftigen HeldInnen. Die Entwürfe werden in der Runde vorgestellt, besprochen und nach allen Kriterien für interessante und stimmige Figuren hinterfragt. Direkt im Anschluss gibt eine Szene mit der Hauptperson ein erstes Schreibgefühl.
Nach diesem Prinzip wird die gesamte Geschichte über die Stationen Gegenspieler, Konflikt, Spannungsbogen und Plot entwickelt. Dabei werden auch bestimmte handwerkliche Mittel gezielt trainiert, so gehört ein Dialog zu den Schreibaufgaben. Inhaltliche oder gar stilistische Vorgaben mache ich keine, denn mir geht es darum, dass jeder Schreibende wirklich zu seinem persönlichen Text findet.
Diesen während des Kurses komplett entstehen zu lassen, kann aus zeitlichen Gründen nicht das Ziel sein. Wichtig ist, dass die TeilnehmerInnen neben einem ausgefeilten Plot die wichtigsten Textstellen mit nach Hause nehmen und darin ein Gefühl für die Sprache ihrer Geschichte gefunden haben.
Das funktioniert natürlich nur, wenn alle Phasen des Entwicklungs- und Schreibprozesses von regem Austausch begleitet werden, es direkte Rückmeldungen und konkrete Tipps gibt. Mit so einer vertiefenden Textarbeit wird ein Seminar auch zum persönlichen Schreib-Coaching.
Der Unterschied zu Online-Kursen
Im „geschützten Zuhause“ sind die anfänglichen Schreibhemmungen wesentlich geringer und die meisten KursteilnehmerInnen brennen darauf, gleich richtig loszulegen. Also mache ich das Schreiben einer Szene mit der Hauptfigur zum Einstieg.
Anschließend folgt auch mein Online-Kurs „Kurzgeschichte“ der oben beschriebenen Struktur und führt systematisch durch alle Stationen des Schreibhandwerks.
Mosaikartiger Seminaraufbau
Zum Thema „Beweggründe von Figuren glaubhaft schildern“ würde es schnell gekünstelt-gezwungen wirken, einen einzigen Text entstehen zu lassen. Auf der Suche nach einer Kurs-Struktur wurde mir bewusst, dass Beweggründe mit Modalverben zusammenhängen. Also entwickelte ich Aufgaben, die ein Modalverb (etwa wollen) und ein dahinter stehendes Grundgefühl (wie Ehrgeiz) mit einem handwerklichen Mittel verbinden (hier: der Rückblende).
Dieser Themenkurs ist also wie ein Mosaik organisiert.
Das lässt sich auch auf andere Kurse anwenden. Wird beispielsweise das „Handwerk des Schreibens“ bei mir trainiert, bekommen die TeilnehmerInnen Aufgaben, die größtenteils völlig unabhängig voneinander sind, doch zusammen ein Bild vom Basishandwerk ergeben. Dabei ist es wichtig, eine abwechslungsreiche Reihenfolge zu entwickeln.
In die Tiefe mit Variationen
Geht es darum, in eine bestimmte Thematik tiefer vorzudringen und/oder Unterschiede zu verdeutlichen, bieten sich Variationen an. Dann werden beispielsweise in einer Hand voll Schreibaufgaben grenzüberschreitende Erfahrungen, starke Gefühle oder Arten der Komik durchgespielt und im Bereich der Dramatik wird ein Szenario in verschiedenen Genres umgesetzt.
Grundsätzlich gilt: Alle Aufgaben dürfen nur so viele Vorgaben enthalten, wie unbedingt nötig – den Schreibenden muss ausreichend Raum für die Entwicklung ihrer individuellen Stile und Themen bleiben!
Auch Sie möchten Schreibseminare anbieten? Hier sind Einsteiger-Tipps:
1. Überlegen Sie, ob Sie wirklich Seminare geben wollen!
a) Versetzen Sie sich in die Rolle des Leiters/der Leiterin einer Gruppe, die aus engagierten, lernbegierigen und oft sehr unterschiedlichen Kreativen besteht.
b) Fühlen Sie sich in der Lage, spontan auf alle möglichen (!) Fragen der TeilnehmerInnen zu reagieren?
c) Können Sie aus dem Stehgreif heraus kompetent antworten? Den Seminarverlauf flexibel auf die konkreten Bedürfnisse der Anwesenden anpassen? Ohne dabei den roten Faden zu verlieren?
d) Genügt Ihnen einmaliges Vorlesen eines Textes, um dessen Stärken und Schwächen zu erkennen? Ihn sowohl inhaltlich als auch stilistisch zu analysieren? Bis in einzelne Formulierungen hinein?
e) Nur wenn Sie auf alle Fragen mit einem klaren Ja antworten können, sollten Sie sich dieser Herausforderung stellen. Sind Sie unsicher, weil Ihnen konkrete Erfahrungen fehlen, besuchen Sie eine Schreibgruppe, in der offen kritisiert wird. Das kann zumindest für Punkt d) ein erster Test sein.
2. Bewegen Sie sich nur auf Gebieten, in denen Sie sich zu Hause fühlen. (Ich gebe zum Beispiel keine Lyrik-Seminare.)
3. Versetzen Sie sich in die Erwartungen der TeilnehmerInnen.
4. Machen Sie sich auch bewusst, wie viel an äußerer Energie diese in Ihr Seminar stecken, indem Sie sich freinehmen (oder freischaufeln müssen) und möglicherweise zu Ihnen anreisen, also Ausgaben für Fahrt und Übernachtung haben. Wertschätzen Sie, was sich die TeilnehmerInnen Ihr Seminar kosten lassen!
5. Beginnen Sie mit Kursen an Volkshochschulen. Dort wird Ihnen die Organisation komplett abgenommen, Sie haben den Kopf frei für die inhaltlichen Aufgaben. Und Sie brauchen sich nicht um Werbung zu kümmern, gehen also keinerlei finanzielles Risiko ein.
Astrid Rösel (www.schreibbogen.de) begleitet AutorInnen auch bei der Planung ihres Seminars/Online-Kurses, gibt Rückmeldung zu Struktur, Schreibaufgaben und so weiter. Ihr Stundensatz beträgt 28 Euro.
In FEDERWELT Heft 112, Juni/Juli 2015
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