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Preiswürdig? Die Beurteilungskriterien beim Holzhäuser Heckethaler

Federwelt
Anke Gasch
Hochgehaltener Pokal als Sinnbild zum Artikel Preiswürdig

Seit 2002 gibt es den Holzhäuser Heckethaler, einen Wettbewerb, bei dem man sich mit Kurzgeschichten von maximal fünf Normseiten zu einem jeweils ausgeschriebenen Thema bewerben kann. Begründet haben ihn Burckhard Garbe und seine inzwischen verstorbene Frau Dagmar – und zwar zunächst als reinen Nachwuchspreis. Später erweiterten sie den Wettbewerb für alle deutsch schreibenden Autorinnen und Autoren. „Mit dem Zusatz versehen: Nordhessischer Literaturpreis“, erzählt Garbe.
2017, zum Thema „Komische Vögel“, erreichten die Jury 250 Geschichten. „Davon ein Fünftel aus dem Ausland: meist aus Österreich, dann einige oder einzelne aus der Schweiz, Italien, Frankreich, Portugal, Spanien und so weiter“, berichtet Garbe und ist stolz, dass sein Wettbewerb schon lange europaweit Interesse weckt.
2018, zum Thema „Glück“, gingen sogar über 350 Geschichten ein.

In seiner Jury-Rede 2017 griff Burckhard Garbe ein Thema auf, das wohl alle Autorinnen und Autoren beschäftigt, die sich an Wettbewerben beteiligen (wollen). Darin sagte er: „Apropos gut: Wann war denn ein Text für uns Juroren gut, wann also kamen Texte in die engere Wahl oder [...] als allerbeste bis zur Preiskrönung? Ausgewählt aus der großen Menge von 250?“ Im Anschluss zählte er die Beurteilungskriterien auf, die wir hier veröffentlichen dürfen:
 
Originelle Handlung oder Sichtweise
So wie Goethe die Novelle als eine sich ereignete unerhörte Begebenheit definiert hat, müssen unsere auszuzeichnenden Geschichten wirklich auch etwas Unerhörtes haben, also etwas noch nie Gehörtes; sie dürfen keine Allerwelts- oder normale Alltagsbegebenheit erzählen, sondern sollen eine originelle Handlung oder Sichtweise besitzen.
Beispiele: Jemand, der sich darüber beklagt, dass ihn niemand besucht, ganz im Sinne von Max Raabes Erfolgssong Kein Schwein ruft mich an, dieser jemand kommt auf die Idee, sich selbst einen Besuch abzustatten. Er besucht sich. Un-er-hört, bisher nie gelesen.
Oder: Ein wortkarger „Wenigreder“ notiert die Anzahl seiner gesprochenen Wörter – abends, oder, wie es heute so stylisch heißt: am Ende des Tages. Ein Protokollant seiner Maulfaulheit. Auch eine völlig neue Geschichte. Absolut erstmalig.
 
Besondere Sprache
Was verlangen wir noch? Auch die Sprache soll besonders sein, erkennbar ausgewählt, keine platten Alltagsklischees enthalten, sondern irgendwie frisch sein, vielleicht mit neugeschaffenen Wörtern, Wortspielen, mit eigener Sprache, neuen Sprachbildern. Eine literarische, poetische Sprache eben.
In vielen der Geschichten finden sich herrlich poetische Sätze, literarisch formulierte, die keinen Vergleich mit Sätzen der großen Dichterinnen und Dichter zu scheuen brauchen. Davon möchte ich einige zitieren:
- Mein Kopf war leer und voll. Wie eine Wüste, die doch voller Sand ist.
- ...an dichten Büschen vorbei, in denen die Dunkelheit hockte.
- Die Straßenbahn quietscht ums Karree. Die Luft zwischen Tag und Nacht flockt.
- Der Gestank ohrfeigte mich.
- [...] das Blau, das aus dem Himmel suppt.
- Er beschießt mich mit einer vollen Ladung Verbalmunition.
- Gerade geht mir durch den Sinn: Wo wäre ich, wenn es mich nicht gäbe? Würde ein anderer meine Gedanken denken?
 
Manchmal verformuliert man sich auch. Bringt dann überfrachtete oder sogar stilblütenhafte Sätze wie diese zustande:
- Ein fröstelndes Unbehagen kroch ihr wie ein alter, verhasster Mathelehrer die Schulter herauf. (Was für ein Bild!)
- Das Tonband der Realität hängt eingeklemmt zwischen den Spulen der Zeit, die turbulente Kakofonie des Lebens ist verstummt.
 
Ein runder Spannungsbogen
Und einen Spannungsbogen muss solch ein Text haben, einen Interesse weckenden Anfang bis hin zu einem logischen, vielleicht sogar unerwarteten Schluss.
Geschichten können ganz sanft beginnen, als Einleitung, Hinführung, aber sie können auch mitten hineinspringen in das Geschehen, das erst danach entfaltet wird. Unter den 2017er Geschichten fand ich besonders gut:
 
- Wenn Kappens Säge sägen will, ist das möglich. Kappens Haus liegt außerhalb des Ortes.
- Die Zehen rotieren gegenläufig in kleinen Kreisen, das Gehör notiert ein Knacken in der Wand, 97 mal 53 ist 5141. Jetzt bin ich wach, eingerastet in den Morgen.
- Als ich in der Bahnhofshalle stand, fiel mir die Taube direkt auf den Kopf. Ihre Krallen pieksten wie feine Nadelstiche, sie fühlte sich lauwarm an.
 
Was man in literarischen Texten möglichst vermeiden sollte, sind Klischees – inhaltliche oder entsprechende Formulierungen:
 
- Der Pfarrer erhob sich, faltete die Hände und schaute milde lächelnd in die Runde, dann erhob er das Wort.
- Der Professor rollte die Augen und kritzelte geniale Ideen auf einen Fetzen Papier.
- Pleiten, Pech und Pannen; es ist ein Lauf im Hamsterrad; das Leben ist kein Zuckerschlecken ...
 
Schadet nie: Unterhaltungswert

Wenn eine Geschichte zusätzlich Witz hat und Unterhaltungswert, dann kann auch das nicht von Schaden sein, so hat sie noch mehr Chancen auf eine Nominierung. Aber auch sehr Ernstes und Trauriges wurde schon nominiert.

Was noch wichtig ist
Wichtig ist es natürlich auch, die formalen Kriterien einzuhalten: Der Text muss das vorgegebene Thema behandeln und darf maximal 9.000 Zeichen umfassen. 2017 wurden zehn Geschichten eingereicht, die weitaus länger waren und deshalb nicht berücksichtigt werden konnten. Schade! 
Zur Einhaltung des Themas berichtet Garbe: „Komische Vögel. Das ließ viel inhaltlichen Spielraum, aber selbst bei großzügigster Auslegung waren rund fünfzehn Texte absolut nicht auf diesen Nenner zu bringen. Eingeschickt worden waren uns also fertige Geschichten aus der sogenannten Schublade der Verfasser. Leider nicht wertbar. Nicht in diesem vorgegebenen Zusammenhang. Was aber passte denn ins Thema? Wann war eine geschilderte Person ein komischer Vogel? – Die meisten der 250 Einsender beugten da schon vor, in ihrer Geschichte. Ließen eine andere geschilderte Person erklären, der X sei schon ein komischer Vogel. Die deutsche Sprache hat dafür mannigfache weitere Ausdrücke, die in großer Vielfalt in den Geschichten verwendet wurden. Direkte und indirekte: Meschugge, plemplem, verrückt, schräg, merkwürdig, jeck, deppert. Oder es wird gesagt: Die ist anders als andere Leute.
Worum ging es bei dem Thema also? „Letztlich: ums Anderssein“, sagt Garbe. „Ein immer noch sehr relevantes Thema. Hochpolitisch sogar.“
Interesse wecken kann auch ein besonderer Titel. Zum Thema „Glück“ nennt Garbe zum Beispiel diese: „Das Glück passt in einen Schuhkarton, Hommage an eine Currywurst, Verglückt.“ Oder – als ungewöhnlichsten Titel: „Bripp Bripp Bripp.“
Was definitiv nicht ankommt, ist Kitschiges. In Sachen „Glück“ outete Garbe diese Sätze als Kitsch: Seine kraftvollen Hände, sein energischer Gang und ein sicheres Gespür für die richtigen Kleidungsstücke machten ihn zu einer äußerst attraktiven Erscheinung. Ein Mann in den besten Jahren mit Geschmack, Intelligenz.

Garbe, Jahrgang 41, selbst Autor von bisher 39 veröffentlichten Werken, erhielt diverse Auszeichnungen und Preise und war bisher der einzige Erstleser aller Wettbewerbstexte. Die restlichen sieben Juroren erhielten lediglich die zehn Texte, die er für die besten hielt. Für alle, auch für die in 2019 10-köpfige Jury, ist das Lesen und Auswählen ein Ehrenamt.
2018 haben übrigens in der Kategorie „von 14 bis 29“ (aus Hessen) ein 17- und ein 25-Jähriger gewonnen. In der Kategorie „alle ab 14“ (egal von wo) war eine Siegerin 66, die andere 68 Jahre alt. Bei diesem Wettbewerb ist also, sobald Sie 14 sind, Ihr Alter völlig irrelevant. Die Hauptsache ist: Sie halten sich an die Teilnahmebedingungen und schreiben – im oben geschilderten Sinne – gut. 
Das Thema der Ausschreibung lautet 2019 „Neustart“; Einsendeschluss ist der 31. Juli 2019. Alle weiteren Bedingungen finden Sie hier: www.immenhausen.de/seite/261740/literaturpreis.html. – Viel Erfolg!

Autoren: Anke Gasch und Dr. Burckhard Garbe | [email protected] | [email protected]

Foto: Fauzan Saari/Unsplash
 

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