
Wie stellen wir die Vielfalt in unserer Gesellschaft in Büchern dar, ohne unabsichtlich jemanden zu verletzen, zu diskriminieren – und auch: ohne Vorurteile zu bestätigen? Diese Frage beschäftigt die lllustratorin Constanze von Kitzing und mich bei unseren gemeinsamen Projekten.
Wir wollen Geschichten erzählen, mit der sich verschiedenste Kinder identifizieren können. In unserer Kinderbuchserie Leonie Looping entschieden wir uns dafür, ein diverses Figurenteam abzubilden, das gemeinsam die Abenteuer erlebt, ohne die Hautfarben zu thematisieren. Jede Figur darf mal stark und mal schwach sein, sie retten sich gegenseitig oder helfen gemeinsam Tieren in Not und lösen Umweltprobleme. Groß Thema war das in der Kommunikation mit dem Verlag nicht, wir haben das einfach so gemacht.
Kulturelle Vielfalt bei Verlagen
In welcher Form vielfältige Geschichten bei Verlagen erwünscht sind, ist sicher unterschiedlich. Ich habe mal beim Südpol Verlag nachgefragt, worauf er bei Kinder- und Jugendbüchern in Sachen Vielfalt achtet.
„Uns ist wichtig, dass die jungen Leserinnen und Leser ihre heutige Lebensrealität in den Büchern wiederfinden“, sagen auch die Verlegerinnen Andrea Poßberg und Corinna Böckmann. „Das beinhaltet die vielfältige Bandbreite unserer Gesellschaft mit alleinerziehenden Elternteilen, Kindern mit Handicap, Kindern mit Migrationshintergrund über Patchworkmodelle bis hin zu Regenbogenfamilien mit homosexuellen Eltern. Bei der Manuskriptsichtung achten wir zum Beispiel darauf, ob die Texte ohne tradierte Rollenbilder und Geschlechterklischees auskommen.“
Allen, denen es vor allem um die Darstellung ethnischer Vielfalt geht, raten sie, die Hände von verklärter Romantik zu lassen. Auch ein „zur Schau stellen“ ginge gar nicht. Wichtig seien „gute Recherche“ und „Authentizität“, wobei eine mitreißende Geschichte immer im Vordergrund stehen müsse.
Manchmal reicht das aber definitiv nicht. Eine Bilderbuchlektorin aus einem anderen Verlag, die anonym bleiben möchte, gestand mir: „Mir tut es schon immer leid, wenn mir Bilderbuchlizenzen mit Schwarzen Protagonisten angeboten werden, weil ich weiß, dass wir das nicht einkaufen werden. Das verkauft sich bei uns nicht.“ Sie findet es selbst schrecklich. Und doch bleibt es Fakt: Es gibt Verlage, bei denen bestimmte Stoffe keine Chance haben.
Wie beschreibe ich People of Color, ohne jemanden zu verletzen?
Eine der heißesten Fragen für alle, die Vielfalt in ihren Texten wollen, ist vielleicht: Wie beschreibe ich am besten People of Color? Ist es okay, von „milchkaffeefarbener Haut“ zu schreiben? Darf ich Augen als „mandelförmig“ bezeichnen? Oder oute ich mich damit vielleicht unbeabsichtigt als RassistIn? Um das und mehr zu klären, habe mich mit der Freien Lektorin und Sensitivity Readerin Victoria Linnea getroffen und mit ihr darüber gesprochen, wie man rassistische Motive in seinen Texten vermeiden kann:
Liebe Victoria, du bist Sensitivity Readerin, das heißt, du achtest auf problematische Darstellungen und sogenannte Mikroaggressionen in Manuskripten – wobei du auf Rassismus-Erfahrungen und Sexismus spezialisiert bist. Wie kam es dazu?
Ich bin beim Lektorieren über problematische Darstellungen und Ausdrucksweisen gestolpert. Eine Gruppe Jugendlicher benutzte zum Beispiel das Schimpfwort „Du Mädchen!“. Da habe mich gefragt, ob das Absicht ist, ob der Autor bewusst seine Romanfiguren Mädchen abwerten lässt. Wenn ja: Wird das Thema noch mal bearbeitet oder aufgelöst? Wenn nein: Ist das wirklich nötig?
Dann habe ich angefangen, Fragen wie diese an den Textrand zu schreiben, und habe mit den AutorInnen darüber geredet.
Was sind Mikroaggressionen?
Mikroaggressionen sind meist wohlwollende Äußerungen, die aber andere Personen abwerten oder ausgrenzen. Es sind Sätze wie „Du sprichst aber gut Deutsch!“, „Nein, jetzt sag mal, wo kommst du wirklich her?“, „So richtig Schwarz bist du ja nun auch nicht!“ oder „Warum musst du eigentlich kein Kopftuch tragen?“ oder: „Für mich sind alle Menschen gleich.“ Sie sollen Freundlichkeit und Interesse vermitteln, enthalten aber unterschwellig Rassismen und sind verletzend bis beleidigend. Manchmal sprechen sie den Betroffenen sogar ihre Erfahrungen ab.
Der Begriff „Mikroaggression“ stammt übrigens aus den 1970ern. Geprägt wurde er vom US-amerikanischen Psychiater Chester M. Pierce, um ein Wort für diese Art von Äußerungen zu haben.
Und das ist Teil des Lektorats?
Nein, das Prüfen auf fehlerhafte Darstellungen oder Mikroaggressionen im Text ist eine zusätzliche Arbeit während des Lektorats. Man kann aber auch schon vorher den Inhalt zum Beispiel mit Hilfe eines Exposés besprechen.
Worauf achtest du dabei?
Es gibt problematische Inhalte, die man vermeiden sollte, wie die White-Saviour-Narrative: Die weißen privilegierten Menschen retten den armen Schwarzen ...
Wie bei Ziemlich beste Freunde? Der Film wird ja in den USA von verschiedenen Gruppen als sehr rassistisch empfunden.
Ich selbst kann nicht für Schwarze Menschen sprechen. Aber bei Ziemlich beste Freunde werden die Schwarzen wie folgt dargestellt: Sie sind arm, die Familie funktioniert nicht, die Frauen sind alleinerziehend, sie haben keine Impulskontrolle … Es ist ein häufiges Klischee in Geschichten, dass sich Schwarze nicht im Griff haben und in Armut leben.
Aber auch bei Fantasyromanen oder Science-Fiction muss man beachten, dass die fiktive Welt mit den Fantasiewesen eine Abbildung unserer Gesellschaft ist. Wenn man ein ausgedachtes Elfenvolk mit gelber Haut und schwarzen Haaren darstellt, ihnen schmale Augen gibt und sie mit Stäbchen essen lässt, liest es sich wie eine Anspielung. Wenn man sie zusätzlich noch mit klischeehaften Eigenschaften spickt, ist es kritisch, weil man damit ein unterschwelliges Urteil abgibt.
Man kann als AutorIn darauf pochen, dass es die eigene Fantasywelt ist und es keine Anspielungen sind. Aber wenn man Rücksicht nehmen möchte, kann man auch mal ein bisschen zurückschalten und überdenken, was man geschrieben hat oder schreiben will.
Was ist denn ein typisches No-Go für dich?
Bei jedem Manuskript fällt mir etwas auf, worüber ich mir noch keine Gedanken gemacht habe. Ich merke, dass die Darstellungen problematisch sind und frage mich selbst nach dem Grund und suche nach Lösungen. Ich lerne dabei jedes Mal. Deshalb gibt es kein klares No-Go.
Theoretisch kann man in seinen Roman alles schreiben, was man möchte. Aber wenn man vorurteilsvolle, herabwürdigende oder stigmatisierende Darstellungen benutzt, hat es Auswirkungen auf die Betroffenen.
Bei einer Pädagogik-Fortbildung haben wir mal ein Spiel gemacht, da gab es eine Linie, die den Boden in zwei Bereiche getrennt hat: in „Ja“ und „Nein“. Dann wurden uns Fragen gestellt: „Wurdest du schon mal wegen deines Namens gehänselt? Hat deine Familie schon mal soziale Unterstützung bekommen?“ Du musstest dich klar entscheiden – das war ein unglaublich komisches Gefühl, auf der Seite zu stehen, wo weniger sind. Das hat einen Bewusstwerdungsprozess angeregt. Es ist kein Problem, wenn du Teil der privilegierten Mehrheit bist. Es geht darum, wie sich die Minderheit fühlt ...
Was sind die größten Fehler, die Autorinnen und Autoren in ihren Texten machen können?
Wenn sie andere Kulturen aus der eigenen Sicht beschreiben, ohne darüber nachzudenken, wie sich die Menschen aus dieser Kultur selbst sehen. Gerade beim personalen Erzähler sollte man darauf achten. Wenn eine Ostasiatin im Text über sich selbst sagt: „Ich habe schräg stehende Mandelaugen und hohe Wangenknochen“, ist es nicht ihre Stimme, sondern der westliche Blick auf eine Ostasiatin. So würde sie sich nicht selbst beschreiben.
Das heißt, es wäre gut, wenn es zur Recherche gehört, sich mit der Kultur auseinanderzusetzen, nicht nur durch Literatur, sondern auch im Austausch mit Angehörigen dieser Kultur selbst ...
Ich habe bei Twitter mal eine Anfrage gestellt, ich bat Buchmenschen, mir Textstellen zu schicken, in denen People of Color beschrieben werden. Ich habe gehofft, dass sich betroffene Leute melden, damit man von ihren Einschätzungen lernen kann. Leider ist die Diskussion nicht so geglückt. Die einzige Woman of Color, die sich dazu geäußert und ihre Erfahrungen geschildert hat, wurde von weißen NutzerInnen infrage gestellt. Es wurde nicht akzeptiert, dass sie die Darstellungen verletzend fand. Sie hat sich dann aus dem Gespräch zurückgezogen, das fand ich sehr, sehr schade. Ich habe zwar noch privat Textstellen von anderen People of Color geschickt bekommen, aber am Ende war es nur noch eine Diskussion unter Weißen.
Wenn die Möglichkeit besteht, sich die Erfahrungen von People of Color anzuhören und von ihnen zu lernen, dann nutzt die Chance. Es gibt viele YouTuberInnen, BloggerInnen und PodcasterInnen – und natürlich Sensitivity Reader.
Es ist so wichtig, sich die Meinung von den Personen anzuhören, die wir in unseren Romanen beschreiben. Wir haben oft keine Ahnung, wie wir die Hautfarbe von Schwarzen Menschen beschreiben sollen und greifen dann auf Ausdrücke wie „Er hat eine Haut wie Milchkaffee“ zurück. Das ist nicht nur exotisierend und fetischisierend, da hängt auch die ganze Kolonialgeschichte dran. Das kann ich als Deutsch-Asiatin nicht nachempfinden. Diese Informationen hab ich mir auch nur angelesen von einer Schwarzen Autorin, die sich damit beschäftigt. Sie klärt in ihrem Blog auch auf, dass der Vergleich mit Kaffee oder Kakao kritisch ist, weil schwarze Sklaven eben auf Kaffee- und Kakaoplantagen tätig waren. Werden sie genau mit den Produkten beschrieben, mit denen sie unterdrückt worden sind, ist das sehr, sehr schmerzhaft.
In Südafrika wurde mir mal gesagt: „Ihr Weißen werdet nicht braun, sondern orange!“ Das war auch komisch für mich.
Wie kann man das denn lösen mit den Beschreibungen? Es soll ja auch verpönt sein zu sagen: „Sie hat olivefarbene Haut“, aber meine Mutter ist Halbitalienerin und sie hat olivefarbene Haut.
Ich habe auch olivefarbene Haut und ich benutze den Ausdruck, weil er in der Kosmetikindustrie verwendet wird. Ich werde im Sommer sehr schnell dunkel und wenn ich Make-up verwende, die haben halt einen Orangeton drin … (beide lachen) und ich kann das nicht benutzen, ich seh aus, als hätte ich einen Sonnenbrand, den ich gar nicht kriege.
Zurück zum Thema: Ich hab da ein gutes Beispiel aus Die Tribute von Panem. Da gibt es ein Mädchen, dessen Äußeres wurde natürlich und beiläufig beschrieben: braune Haare, braune Haut, braune Augen. Punkt. Als ganz normales Attribut, also nichts Exotisierendes. Denn wenn man den Fokus zu sehr auf das Aussehen legt, auf die Merkmale, die anders als bei den Weißen sind, dann stellt es diese heraus. Man zeigt auf die Unterschiede: „Das sind die anderen!“
In einem Jugendbuch ist mir aufgefallen, dass die Autorin nur die Frisur, also den Afro beschrieben hat, aber nichts zur Hautfarbe gesagt hat, fand ich interessant, aber auch merkwürdig. – Im Endeffekt geht es wohl darum, das „So-oder-so-Aussehen“ als ganz normal zu behandeln, nur viele wissen nicht, was normal ist in dem Punkt. Es eben nicht so sehr rauszustellen, den Ton zu treffen ...
... bei der Beschreibung nicht aus dem westlichen Blick die Andersartigkeit zu betonen. Die eigene Hautfarbe ist für einen selbst normal. Man hebt sie nicht hervor, als würde man sich selbst zum ersten Mal sehen und sich bewundern.
Übrigens habe ich mal von einer Schwarzen gelesen, dass sie erst in Deutschland die Erfahrung gemacht hat, als braun beschrieben zu werden. Sie wird sonst als gelb beschrieben, denn dunkle Hauttöne haben auch manchmal einen Gelb-, Rot- oder Bronzestich …
Was muss man denn machen, wie läuft das ab, wenn man von dir beraten werden möchte?
Man kann sich schon beraten lassen, bevor man mit dem Schreiben beginnt. Ich lese das Exposé oder die Rohfassung und wir besprechen den Stoff. Oder ich arbeite wie bei einem ganz normalen Lektorat an dem fertigen Text.
Erreichbar bin ich über: [email protected].
Vielleicht ein Positivbeispiel noch: In der zweiten Reihe von Percy Jackson, Helden des Olymp, gibt es sieben Jugendliche, die alle verschiedene Hintergründe haben. Es wird kein Fokus draufgelegt – man spürt kulturelle Einflüsse, ohne dass sie im Vordergrund stehen.
„Show, don’t tell!“
Genau.
Es geht aber nicht nur um verschiedene Kulturen – Percy ist ja weiß, wie seine Freundin auch. Aber er hat ADHS. Und es gibt Figuren mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. Alles existiert ohne große Wertung. Das finde ich gut.
Wir waren auch auf der KIMBUK, einem Kinderbuchfestival für Vielfalt und Inklusion. Da saßen auf dem Podium verschiedenste Leute, die aus unterschiedlichen Perspektiven inklusive Themen behandelt haben. Ich hab nachher gedacht: Boah, ich kann das in einem Buch überhaupt nicht alles abdecken! Es wirkt doch total künstlich, wenn ich alles einbaue. Mit manchen Themen kenne ich mich auch zu wenig aus.
Wie du sagst, da muss man eigentlich mit den Menschen sprechen, die so sind, um zu gucken, was ihnen wichtig ist.
Ja, sprecht mit den Personen, über die ihr schreiben möchtet, und hört zu. Ich teile meine Erfahrungswelt, aber ich gehe nicht hin und sage: „Ihr müsst einen diversen Cast haben und ihr müsst Sexismus vermeiden!“
Ich sage das sehr klar. Wenn ich zu meinen Lesungen in die Schulen gehe, sehe ich, dass etwa 60 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben. Und wenn die nicht in Büchern vorkommen, dann werden sie die nicht lesen. Gerade im Kinderbuch ist das eine Sache von Verantwortung und Identifikation. Ich muss an die Lebenswelten und Probleme, den Erfahrungshorizont der Kinder andocken – das sind aktuelle Themen.
Victoria, kannst du noch mal erklären, wie die Inhalte zurückgespiegelt werden auf die Gesellschaft und was für eine Wirkung das hat, wenn man das vernachlässigt?
Wie du selbst gesagt hast: Wenn man keine Identifikationsfigur hat, sich nirgendwo gespiegelt sieht, weiß man auch nicht, wer man ist. Das ist gerade bei Heranwachsenden wichtig. Es ist schwierig, eine deutsche Person of Color zu sein, weil durch die Darstellungen in den Büchern oder anderen Medien ein Bild vorgegeben wird, wie eine Deutsche oder ein Deutscher auszusehen hat. Demnach kann eine „asiatisch Gelesene“ keine Deutsche sein. Dem Klischee nach ist sie oft passiv, devot, lächelt immer und zeigt wenig Mimik … Und damit wächst sie auf und lässt sich so behandeln, weil alle denken, dass es so richtig wäre. Ähnlich ist das ja auch mit den Geschlechtszuordnungen, wenn jemand sagt: „Du bist ein Mädchen, du bist ein Junge!“
Gerade für Menschen, die keine Identifikationsfigur zu Hause haben, sind Medien wichtig, weil sie ein Bild formen. Wir brauchen Bücher, in denen alle möglichen Menschen ganz normal existieren und nicht die Außenseiter sind. Gerade wenn du verschiedene Wurzeln hast oder nicht der „Norm“ entspricht, brauchst du Figuren, mit denen du dich identifizieren kannst, sodass du sagen kannst: So bin ich!
Eine Freundin von mir schaut gerne koreanische Seifenopern. Da wird immer gesagt: „Ich mag dich, weil du so intelligent bist.“ Aber sobald ein Mann in der Nähe ist, verhalten sich die Mädchen überhaupt nicht klug. Sie sind diejenigen, die Kaffee kochen, sie führen die Assistenzarbeiten aus … Indem man sich Medien aus anderen Kulturen anschaut oder wenn man verreist, dann wird man viel sensibler für die Dinge bei uns, die man sonst als „normal“ empfunden hat, was ja auch nur eine Spielart des Lebens ist ...
Das merke ich bei meinem Kind, das Serien und Filme aus verschiedenen Ländern guckt – die sind dann übersetzt –, sie transportieren ganz unterschiedlich Werte, die ich auch nicht immer gutheiße. Durch die kulturellen Unterschiede bemerkt man, mit welchen Werten man aufgewachsen ist.
Es gibt ja auch immer wieder Diskussionen über ältere Werke wie Pippi Langstrumpf oder Jim Knopf, in denen veraltete Darstellungen und Begriffe für People of Color stehen … Sollte man das anpassen? Wie siehst du das?
Sehr schwierig. Inhalte kann man ja auch nicht einfach ändern. Ich bin dazu übergegangen, das N-Wort nicht zu reproduzieren. Weil wenn Betroffene das Wort hören, dann ist das wirklich schmerzhaft. Aber eine ganze Geschichte kann man ja nicht umschreiben, sie ist ja auch ein Stück Zeitgeschichte. Nur ist es ja nicht allein so, dass diese Wörter benutzt werden, sondern die ganze Darstellung ist schwierig. Wenn man solche Bücher liest, muss man mit seinen Kindern diese Inhalte besprechen.
Wäre es eine Lösung, die Bücher so zu lassen, aber in einem Vorwort zu sagen, dass man Darstellung und Wortwahl vielleicht an der ein oder andren Stelle mit den Kindern bespricht? Oder dass man die Bücher kommentiert?
Vielleicht. Als ich mit meinem Kind den Dumbo-Film von 1941 geguckt habe, ist mir aufgefallen, dass der absolut rassistisch ist. Das habe ich als Kind gar nicht bemerkt. In der Szene, wo die Krähen singen, da heißt eine Jim Crow. Das ist ein Begriff für den schwarzen tanzenden Musiker an sich … Daraus wurde so eine Witzfigur gemacht. Nach diesem Begriff wurde die Krähe genannt.
Und auch von den Werten her ist der Film schwierig: Dumbo wird gemobbt, weil er anders aussieht. Erst am Ende, als er Leistung zeigt, wird er „geliebt“. Es geht aber nicht um ihn als Person, es geht nur um seine Leistung, darum, wie viel Geld er einbringt.
Da sieht man wieder: Bei Jim Crow brauchst du das Wissen, um zu verstehen, dass das rassistisch ist. Deswegen ist es so wichtig, bei Kinderbüchern darauf zu achten, weil das den Blick für die Zukunft prägt und die Werte. Wer schreibt und die Möglichkeit hat, zu veröffentlichen, hat einfach auch die Möglichkeit, etwas zu gestalten, zu vermitteln. Ich finde, das ist wirklich eine Aufgabe, sich dessen bewusst zu sein und nicht aus dem Unterbewussten irgendwelche Klischees zu bedienen. Und wenn man sie nutzt, dann absichtlich …
Weißt du noch, wie der Satiriker Martin Sonneborn auf der Frankfurter Buchmesse als Stauffenberg ankam, um so auf eine Lesung von Björn Höcke zu kommen? Er hat es willentlich gemacht, um eine Wirkung zu erzielen, aber stell dir mal vor, jemand zieht einfach so eine SS-Uniform zu Fasching an, ohne sich dabei was zu denken!
Und er hat dem Höcke die Show gestohlen damit. Er war in den Medien.
Ja, das war gewollt. Das eckt natürlich an. Man kann sagen, er hat es benutzt, um etwas darzustellen. Das ist der Unterschied, ob man bewusst damit umgeht oder unbewusst Vorurteile bedient.
Vorurteile formen das Bild, das man auf die Mitmenschen hat. Und wenn die Ärztin reinkommt und wie Karella Easwaran eine Person of Color ist, wundert man sich. Und dieses Gefühl ist rassistisch. Oder wenn man bei einem Menschen mit Doktor-Titel einen Mann erwartet hat, sexistisch.
Wenn man Leuten, die unterschwellig herabsetzende Bilder in ihren Texten produziert haben, nun aber sagt: „Das war jetzt aber rassistisch!“, dann …
… kommt der Egoschutz.
Genau! Die haben dann eine Blockade, wollen vielleicht gar nicht hören, dass sie einen Fehler gemacht haben, und fühlen sich sogar selber getroffen: „Ich bin doch nicht rassistisch. Ich hab’s doch nur gut gemeint.“
Ich denke, man kann das mit dem Lektorat vergleichen. Wenn ich sage: „Du hast da eine wirklich lustige Stilblüte im Text“, dann lacht man auch drüber. Fehler passieren. Ansonsten gäbe es kein Lektorat. Es wurde noch nie ein Manuskript zurückgegeben, wo nichts angestrichen war.
Jeder sagt mal diskriminierende, rassistische Sachen und denkt sich nichts dabei. Das ist normal. Ich würde Kritik in dieser Richtung auch so sehen wie ein „Du hast hier Rechtschreibfehler in deinem Text.“
Wenn man es besser machen möchte, dann sollte man die eigenen Fehler anerkennen und daraus lernen, anstatt sie nur abzublocken.
Für alle, die sich noch mehr Input wünschen, hat Cally Stronk eine Liste mit Fragen zusammengestellt, die einem helfen können zu überprüfen, ob man beim Schreiben vielleicht unbeabsichtigt rassistisch ist. Hier ist die Liste zu finden: callystronk.blogspot.com.
Statements zum Thema Vielfalt und Rassismus in der Literatur – Was wirkt verletzend? Worauf achten Autorinnen und Autoren? Und: Was wünschen sie sich?
Mo Asumang, unter anderem Filmemacherin und Autorin: „Es ist verletzend, wenn Charaktere mit Migrationsgeschichte in Büchern auf Klischees reduziert werden. Das gilt im Übrigen auch für weibliche Charaktere. Ich bin der Meinung, dass jede und jeder alles erreichen kann. Wo sind die Richterinnen mit dunkler Hautfarbe? Wo die Politikerinnen mit Kopftuch?“
Salah Naoura, Autor: „Direkter Rassismus ist mir in neuerer Kinder- und Jugendliteratur noch nie aufgefallen – hier besteht aus meiner Sicht eher das Problem, dass ganze Personengruppen einfach gar nicht vorkommen und die Vielfalt unserer Gesellschaft somit gar nicht abgebildet wird. Das betrifft aber nicht nur andere Kulturen, sondern generell Gruppen, die in irgendeiner Form von der Norm der deutschen, heterosexuellen, bildungsbürgerlichen Kernfamilie abweichen, sprich: Kinderbücher mit ausländischen oder binationalen, homo-, bi- oder transsexuellen Figuren bleiben die Ausnahme. Da hinkt die Literatur der Wirklichkeit für mein Empfinden deutlich hinterher.
In meinen eigenen Büchern kommen andere Kulturen und Randgruppen ebenfalls viel zu selten vor, finde ich. Ich fange gerade erst an, beim Schreiben bewusster auf Diversität zu achten.“
Celina Bostik, Musikerin: „Ich finde es verletzend, wenn in Büchern die First Nations immer noch fälschlicherweise als Indianer bezeichnet werden (auch noch in Schulbüchern), dass oft ein stereotypisierendes Bild von Afrika gezeichnet wird (Afrika nicht als Kontinent, der aus 54 Ländern besteht, sondern als Land, wo überall Armut herrscht, die Menschen ungebildet sind et cetera), die Benutzung des N-Wortes und wenn People of Color nur vorkommen, um das „Andere/Fremde“ zu bezeichnen oder wenn sie nur in sehr stereotyper Art dargestellt werden.“
Deniz Selek, Autorin: „Rassismus ist für mich persönlich ein so gestriges und langweiliges Thema, dass ich versuche, es so weit wie möglich aus meinen Büchern herauszuhalten. Je weniger ich Gebrauch von rassistischen Anfeindungen mache, umso normaler erscheinen die Umstände, unter denen die Geschichte spielt. Und das ist, was ich will. Es ist einfach egal, ob die Protagonistinnen schwarz oder weiß oder beides sind. Ich möchte, dass die Charaktere meiner Figuren im Vordergrund stehen, dass sie schillern, polarisieren, in sich interessant und stimmig sind. Dass der eine braune Haut oder die andere rote Haare hat, spielt nur in der Liebe eine Rolle, wo diese äußeren Merkmale Bewunderung finden. :-)“
- www.nzz.ch/feuilleton/zensoren-sehen-anders-aus-amerikas-zank-um-sensitivity-readers-ld.1369987
- https://vickieunddaswort.de/diversitaet-um-jeden-preis
- www.deutschlandfunkkultur.de/rassismus-macht-den-koerper-krank-wie-tausende-kleine.976.de.html?dram:article_id=422167
- https://forum.fanfiktion.de/t/23709/1
- https://unrast-verlag.de/anleitung-zum-schwarz-sein-393-393-detail
- www.nordbayern.de/kultur/schwarz-und-selbstbewusst-anne-chebu-im-interview-1.3992785
- www.phoenix-ev.org/about.html
- https://sensitivity-reading.de
Autorin: Cally Stronk | https://callystronk.blogspot.com | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 136, Juni 2019
Foto: Christian Friedrich
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