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Kopfschreiber oder Bauchschreiber? Erfolgreiche Autorinnen und Autoren geben Einblick in ihre Herangehensweisen

Federwelt
Kopfschreiber oder Bauchschreiber Illustration

Es war Sommer, und ich lag auf einem Privatsteg am See und las eine Ausgabe der Federwelt. Hin und wieder schweifte mein Blick zu der Villa im italienischen Stil am Ufer. Die Rolladen waren dicht, niemand zu Hause – sonst wäre ich wahrscheinlich vertrieben worden. Wie es sich wohl anfühlte, direkt am Wasser zu wohnen? Ob ich es dann anderen gönnen würde, mal auf „meinem“ Steg zu liegen? Oder würde ich die Eindringlinge bestrafen wollen, unter einem Vorwand in mein Haus locken und sie im Keller das Fürchten lehren?

Der Tag war zu schön, um sich einen Krimi auszudenken. Ich wendete mich lieber wieder der Federwelt zu. Der Bestsellerautor Andreas Eschbach erläuterte in einem Artikel, woher er weiß, dass eine Geschichte so weit entwickelt ist, dass er anfangen kann, sie zu schreiben: Von der Idee zum Plot.* Wieso Plot?, dachte ich. Mir reicht eine Idee. Wenn ich jetzt Zeit hätte, würde ich einfach drauflosschreiben – von der Frau auf dem Steg und dem Folterkeller ... Aber leider hatte ich gerade nur so viel Zeit, den Artikel fertig zu lesen. Andreas Eschbach hat ein ausgeklügeltes System entwickelt, um herauszufinden, ob eine Idee romantauglich ist. Es gibt den Ein-Satz-Test, den 60-Worte-Test, den Vier-Punkte-Test und schließlich das Einrasten. – Erst dann beginnt er mit der Arbeit am Buch. Sein System ist sicher prima, er ist ein Erfolgsautor. Doch ist es ideal für alle Autorinnen und Autoren?
(* In: Federwelt, Heft 131, August 2018, www.autorenwelt.de/blog/von-der-idee-zum-plot)
 
Ich plane kaum. Ist das schlimm?
Wenn ich ein Buch von Anfang bis Ende durchdenken würde, bräuchte ich es nicht mehr aufschreiben. Für mich liegt der Reiz des Erzählens auch darin, spontanen Eingebungen zu folgen. Am Anfang eines Buches weiß ich meistens nicht, wo genau es endet. Was für ein wundervolles Abenteuer! So arbeitet wahrscheinlich auch Stephen King, wobei ich mich keinesfalls mit ihm vergleichen möchte. In einem Interview sagte er einmal sinngemäß, er würde seine Protagonisten einfach in eine schwierige Situation bringen und ihnen während des Schreibens dabei zusehen, wie sie aus dem Schlamassel wieder herauskämen. Und er ist ein internationaler Bestsellerautor – wie Henning Mankell (†). Dieser wurde in einem Interview gefragt, weshalb er während der Arbeit an einem Buch stets genau wisse, wie viele Seiten es umfassen werde. Mankell erwiderte, dass er, bevor er überhaupt zu schreiben beginne, sehr lange nachdenke und plane. Deshalb sei ihm klar, wie viele Seiten er benötige, um die Geschichte zu erzählen. Für mich wäre an diesem Punkt auch etwas klar: Dass ich das Buch nicht mehr zu schreiben brauche. Ich bin eine Bauchschreiberin, auch wenn das fürchterlich klingt.
Früher habe ich mich sogar dafür geschämt. Ich war 18, als mir ein Senior, ich schätze er war fast schon 30, in einem Literaturbüro den Stempel aufdrückte: „Du schreibst wohl aus dem Bauch.“ Das klang ungefähr so wie weiblich, doof und natürlich dick – mit Bauchschwarte, denn irgendwoher musste der Text ja kommen. Während der Text bei Kopfschreibern, wie der Senior einer war, als flüssiges Gespinst im Kopf oszillierte und von dort mittels Intelligenz, Wissen, Recherche, Bildung, Analyse und Stil in Sprache destilliert wurde. Und so glaubte ich tatsächlich einige Zeit, dass Männer Kopfschreiber wären und Frauen der Bauch gehörte. Heute weiß ich längst, dass die Art, wie man ein Buchprojekt angeht, nichts über das Geschlecht aussagt. Aber nach dem Eschbach-Artikel wurde ich neugierig. „Wie wäre es“, fragte ich die Chefredakteurin der Federwelt, „wenn ihr mal einen ausführlichen Artikel darüber bringen würdet?“
„Kannst du gerne machen“, sagte Anke Gasch.
„Ich? Ich wollte eigentlich nur ein Thema vorschlagen ...“
Aber zack hatte ich einen Artikel am ... Hals, Bauch, Kopf.
 
Und so musste ich doch mal planen, denn allein ein „interessantes Thema“ kauft Anke nicht ein, die will es genau wissen. Es ist nicht so, dass ich immer drauflosschreibe. Für manche Bücher habe ich wochenlang recherchiert. Und auch diese Serie erforderte einiges an Vorarbeit. Ich musste Kollegen finden, die der Federwelt Einblick in ihre Arbeitsweise gewähren würden. Wenn möglich, sollten sie bekannt sein, damit alle, die den Text lesen, sich dieselbe Frage wie ich stellen können: Hätte ich diese Vorgehensweise von dieser Person bei diesem Buch erwartet?
Bauchschreiber
Kaufen im Baumarkt Pi mal Daumen, was sie glauben, dass sie brauchen, und sägen, hämmern und leimen dann drauflos. Wenn was fehlt, fahren sie noch mal. Eventuell halten sie auch vor der Drogerie und beim Discounter. Ihre Einkäufe werfen sie auf einen Haufen und hoffen, dass sie beim Schreiben stets die richtigen Teile in der richtigen Reihenfolge erwischen.
 
Kopfschreiber
Gehen nur mit wohl durchdachter Einkaufsskizze los. Keine Spontankäufe! Wenn sie alle Materialien zusammenhaben, zeichnen sie Pläne und sortieren das Material nach späterem Einsatzgebiet.
 
Allein aus dem Umfang meiner Beschreibung ist ersichtlich: Wer aus dem Bauch drauflosschreibt, muss später meistens Text abspecken.
Die Federwelt hat ebenso viele Frauen wie Männer gebeten zu verraten, ob sie sich als Kopf- oder Bauchschreiber betrachten. Von über zwanzig Kollegen hat es die Mehrheit vorgezogen, sich bedeckt zu halten. Ob unter der Decke etwas brodelt – Bauchschreiber – oder die Kühlkette nicht unterbrochen werden darf – Kopfschreiberin –, wissen wir nun leider nicht.
Überwiegend Autorinnen haben uns geantwortet. Warum wohl?
So viel der Vorrede, nun aber: Was sagt Dora Heldt, wer bei ihr übers Schreiben regiert?
 
Dora Heldt, geborene Sylterin, lebt in Hamburg und schreibt seit Jahren Bestseller. Seit 1992 und bis vor Kurzem hat die gelernte Buchhändlerin noch als Verlagsvertreterin gearbeitet. Ihre Bücher werden regelmäßig verfilmt.
 
Liebe Frau Heldt, Ihre Bücher erreichen ein Millionenpublikum. Planen Sie Ihre Geschichten akribisch oder „passieren“ Sie Ihnen?
Ich bin, glaube ich, von Geburt an Bauchschreiberin. Allerdings hat mir das manchmal auch Probleme bereitet. Denn als Bauchschreiberin fange ich einfach an draufloszuschreiben. Und irgendwann gelange ich an einen Punkt, wo ich nicht mehr weiterkomme. Und dann denke ich: Hätte ich jetzt einen Plot oder etwas Vorgezeichnetes, dann wäre es für mich einfacher.
Genau aus diesem Grund habe ich vor drei Jahren einen Krimi geschrieben. Mein Agent meinte, bei einem Krimi könne man nicht aus dem Bauch heraus schreiben, da müsse man minutiös planen, da müssten die Figuren klar sein.
 
Und?
Diese Herangehensweise hat mir gutgetan. Das habe ich auch bei meinem letzten Buch Drei Frauen am See gemerkt. Es ist kein Krimi, aber wenn ich die Kapitel alle vorher aufgeschrieben habe und wenn ich weiß, was ich schreiben will und wo ich hinmuss, kann ich es mir leisten, aus dem Bauch zu schreiben. Also brauche ich die Kopfplanung tatsächlich, um frei zu schreiben.
 
Also hat sich Ihre Methode nach und nach entwickelt?
Ja, es war früher tatsächlich so, dass ich drauflosgeschrieben habe, ungefähr wusste, um was es geht, und mich dann habe treiben lassen beim Schreiben. Und dass es manchmal auch anders ausging, als ich ursprünglich vorhatte. Seit den Krimis [= 2017: Böse Leute; 2018: Wir sind die Guten] ist es tatsächlich so, dass ich mich hinsetze und einen kompletten Kapitelaufriss mache, damit ich mich nicht verlaufe beim Schreiben.
 
Planen Sie Bücher gern auf diese Art und Weise?
Ehrlich gesagt finde ich es wahnsinnig langweilig. Nein, es macht mir keinen großen Spaß, vorher dreißig Kapitelaufrisse zu machen. Doch es lohnt sich. Denn wenn ich dann endlich mit dem Schreiben beginne, habe ich ein Gerüst, an dem ich mich langarbeiten kann. Und letztlich schreibe ich schneller, wenn ich weiß, wohin ich soll. Ich habe dabei auch mehr Freude und mehr Zufriedenheit beim Schreiben, weil alles seine Ordnung hat. Ich bin im Prinzip ein ordentlicher Mensch und habe lieber alles unter Kontrolle. Und deswegen ist dieses Vorarbeiten für mich mittlerweile eine Voraussetzung, dass das Schreiben richtig Spaß macht.
 
 
Auch Sylvia Englert alias Katja Brandis hat sich im Lauf der Jahre von der Bauch- zur Kopfschreiberin entwickelt, ohne jedoch das Bauchgefühl zu ignorieren, wie sie uns erzählte – unter der von ihr selbst gewählten Überschrift:
 
Wie ich meine Romane plane
 
Sylvia Englert, Jahrgang 1970, studierte Amerikanistik und Anglistik und arbeitete danach als Journalistin und Lektorin, bis sie sich als freie Autorin selbstständig machen konnte. Bekannt ist sie als Katja Brandis für ihre All-Age-Romane wie Khyona, Ruf der Tiefe, Vulkanjäger, oder Floaters – Im Sog des Meeres und für die Woodwalkers, ihre Reihe ab 10, die regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste steht. Unter ihrem richtigen Namen veröffentlicht sie unter anderem Handbücher für Autoren, um ihr Wissen weiterzugeben.
 
Als Jugendliche habe ich einfach drauflosgeschrieben. Wie das Buch ausgeht? Wusste ich höchstens so ungefähr. Dadurch habe ich mich in viele Sackgassen hineingeschrieben, aus denen ich mich mühsam, Teile des Manuskripts umklammernd, wieder hinausschleppen musste. Dazu kamen jede Menge Zweifel, Schreibblockaden und Diskussionen in meiner Autorengruppe. („Wo willst du mit der Geschichte eigentlich hin?!“) Die Handlung war nicht immer richtig logisch, aber es gab nette unerwartete Wendungen.
Das ging so, bis ich mit Ende zwanzig schließlich – endlich! – einen Verlag für meine Romane fand und der von mir auf einmal Exposés für meine neuen Projekte wollte. Das war zwar anstrengend, aber auch enorm praktisch. Von nun an war ich gezwungen, die Handlung gründlich zu durchdenken, während ich sie auf drei oder mehr Seiten zu Papier brachte. Das machte den roten Faden der Geschichte dicker und haltbarer. Gleichzeitig begann ich auch, die Figuren und Welten ausgiebiger und detailreicher zu planen, schon vor Schreibbeginn Karten anzufertigen statt danach. Der Effekt: Das Schreiben machte genauso viel Spaß, ging aber schneller voran und reibungsloser. – Ich konnte einfach durch den Text brausen und den Flow genießen. Meine Lektoren und Testleser mussten seltener über peinliche Anschlussfehler und Ähnliches meckern.
Heute stecke ich immer noch richtig Arbeit in die Exposés und bitte meinen Agenten, meinen Lektor und meine besten Testleser um Rückmeldung dazu. Egal, ob ich für Kinder oder Erwachsene schreibe oder um welches Genre es sich handelt. Dann kann ich sicherer sein, dass der Plot funktioniert, restliche Zweifel tief in meinen Hinterkopf verbannen und unbeschwert loslegen. Vor Schreibbeginn strukturiere ich den Plot grob in Kapitel. Um vor jeder Arbeitssession zu wissen, wie die Szene verlaufen soll, verfeinere ich die Planung noch mal und skizziere grob, was ich an diesem Tag schreiben will. Das gibt mir Orientierung. Beim Schreiben kann ich so den Kopf ausschalten und einfach machen.
Manchmal merke ich an irgendeinem Punkt trotzdem, dass die Spannung in einem Abschnitt durchhängt, eine Figur noch zu oberflächlich charakterisiert ist oder dem Showdown die Würze fehlt. In diesem Fall muss ich nachbessern und verordne mir einen Waldspaziergang oder ein paar Runden im Schwimmbad, damit meine frei schweifenden Gedanken das Problem lösen.
Planen ist also mein Prinzip ... fast immer. Meine Figuren haben ihre eigenen Vorstellungen und reagieren manchmal anders, als ich ihnen das vorgeschrieben habe. In solchen Fall geben kluge Autorinnen nach und lassen den Figuren ihren Willen!
 
 
Auch unsere nächste „Kandidatin“ hört trotz aller Voraussicht auch auf ihre innere Stimme – oder die ihrer Figuren:
 
Dr. Herrad Schenk, geboren 1948, hat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert und veröffentlicht seit 1980 viele Bücher in verschiedenen Genres. „Gut drei Jahrzehnte lang habe ich abwechselnd Sachbücher und Romane verfasst“, sagt die vielseitige Autorin. „Die Sachbücher [etwa Der Altersangstkomplex, erschienen 2005] ernährten mich weitgehend, außerdem verschafften sie mir eine gewisse Unabhängigkeit von der launischen Muse, die das kreative Schreiben regiert.“
Herrad Schenk lebt in der Nähe von Freiburg und ist seit 1994 PEN-Mitglied.
 
Und wer nährte die Sachbücher? Der Bauch oder der Kopf? Und worin liegt der Unterschied zu den Romanen?
Herrad Schenk: Bei der Beschäftigung mit Sachthemen geht es klar und strukturiert zu: eine Fragestellung, Literaturstudium, Recherche, Stichworte, Stoffsammlung, schließlich die Gliederung und dann ein plausibles Argumentieren an dieser Line entlang. Das verlangt Disziplin und handwerkliches Können, ist aber einfacher zu handhaben als die vielen Unwägbarkeiten beim Roman-Schreiben. Sicher können sich auch hier Hindernisse auftun, neue Blickwinkel, die einen zwingen, sich von lieb gewordenen Ausgangsthesen zu verabschieden.
 
Also entstehen Ihre Sachbücher deutlicher im Kopf?
Alles in allem gleicht das Verfassen von Sachbüchern einer gut geplanten Wanderung mit Karte und Kompass: Man hat ein Ziel, einigermaßen realistische Vorstellungen über den Schwierigkeitsgrad, den Verlauf und die benötigte Zeit. Das Schreiben eines Romans hingegen gleicht einer Wanderung, bei der man irgendwann ins Unbekannte aufbricht, einfach drauflos, ohne zu wissen, wohin es einen führen wird, immer mit dem Risiko, in einer Sackgasse zu landen, sich im Kreis zu drehen, energiezehrende Umwege zu nehmen. Umso größer die Befriedigung, wenn sich zwischendurch wunderbare Ausblicke auftun und die Sache sich am Ende wie von selbst rundet.

Das klingt so, als würden Sie bei Ihren Romanen ohne Karte und Kompass navigieren?
Nicht ganz. Während die Romanhandlung sich entfaltet, steht bei mir meist eine Person, die aus dem Nebel auftaucht, eine Stimme bekommt, zu erzählen beginnt. Von ihr hängt alles weitere ab. Ob sie sich in nächster Zeit öfter und dringlicher meldet. Andernfalls stockt die Geschichte und stirbt allmählich ab. Nach etwa zwanzig Seiten weiß ich, ob es weitergehen wird oder nicht.
Als ich meinen Roman Die Frau von gegenüber (insel taschenbuch, 2017) begann, sah ich lange zwei ältere Leute vor mir: eine Frau und einen Mann, die sich vom Fenster aus über eine Straße hinweg beobachteten und aus allen Lebensäußerungen des anderen ihre (meist falschen) Schlüsse zogen. Wochenlang belauerten die beiden einander, sie bekamen deutlichere Konturen, doch das Bild blieb statisch, die Geschichte wollte sich einfach nicht in Bewegung setzen. Bis mich der Gedanke anflog: Es braucht ein Drittes, sie zum Leben zu erwecken. Also ließ ich eine junge Frau in das Haus der alten einziehen: attraktiv, eigenwillig, temperamentvoll. – Und mit ihr als Brennpunkt kam die Erzählung plötzlich in Fahrt.

Und wie sieht die Arbeit im Detail dann aus?
Während sich die Romanhandlung entfaltet, mache ich mir Verlaufsskizzen, Diagramme, über die Charaktere, ihre Eigenarten und Biografien, ihre Beziehung zueinander. Diese Baupläne muss ich fortlaufend anpassen, denn die Figuren werden beim Schreiben wirklicher, sie verlangen ab und an Kurskorrekturen, sodass die Sache einen anderen Verlauf nehmen kann als anfangs geplant. Ist der Roman fertig, kommt es mir vor, als existierten sie tatsächlich, mehr oder weniger gute Bekannte, die mir da draußen jederzeit begegnen könnten. Ich müsste nur eine Straße entlanggehen, die ich genau vor mir sehe, an einem Haus klingeln, das mir sehr vertraut ist – und sie würden mir ihre Wohnungstür öffnen und sich wahrscheinlich nicht mal wundern, wenn ich vor ihnen stehe.

Und jetzt kommt etwas ganz Besonderes. Nicht nur, dass mit Jörg Maurer endlich auch einmal ein Autor zu Wort kommt … er hat noch dazu ein sehr ungewöhnliches System. Doch wer seine Bücher kennt, den wird das nicht wundern: Maurer, geboren 1953, war einige Jahre Lehrer, machte Karriere als Musik-Kabarettist und verfasst seit 2009 im Jahresrhythmus Krimis. Sein beliebter Kommissar Jennerwein ermittelt im oberbayerischen Raum. Föhnlage wurde 2011 verfilmt. Jörg Maurer schreibt aber auch Bücher ohne Krimi wie Bayern für die Hosentasche – Was Reiseführer verschweigen.
www.joergmaurer.de

Der Autor schrieb uns:

Das konzentrische Prinzip

Ich bin weder sorgfältiger Plotter noch spontaner Bauchschreiber, ich arbeite nach dem Zellteilungsprinzip, von Mutter Natur lernt man eben immer am meisten. Dabei fange ich mit einem Satz an, den man später genau in der Mitte des Buches lesen wird. Nur so als Beispiel: Du hast die Zahnpasta manipuliert, ich habe einen Laborbericht, der das beweist. Jetzt suche ich mir Sätze, die logisch, vom Tempo her, dramaturgisch oder einfach gefühlsmäßig jeweils vor und hinter diesen Satz passen. (Zugegeben, das funktioniert am Anfang gar nicht so leicht, aber dann geht es immer schneller, bis einem die passenden Sätze nur so zufliegen und man schließlich einen sinnvollen Anfangssatz und einen ebensolchen Schlusssatz formuliert hat.) Nach diesem konzentrischen Prinzip wachsen auch DNA-Ketten, Eizellen, Pyramiden, Weltreiche, Fangemeinden, Vertriebswege, Seuchen. Es ist eine ganz und gar natürliche Methode der Entwicklung. Einen Roman von vorne anzufangen wäre so, wie wenn Gott bei der Erschaffung Adams mit den Zehen begonnen und sich bis zum Scheitel hochgearbeitet hätte. Die geschilderte Arbeitsweise hat den Vorteil, dass ich kein Lektorat brauche, ich muss nicht einmal Korrektur lesen. Die Sätze davor und danach fügen sich nämlich wie von selbst ein, es sind eigentlich gar keine anderen möglich. Wie so oft im Leben kommt aber jetzt der Haken. Diesen Mittelsatz zu finden ist nämlich der schwierigste Teil beim konzentrischen Romanschreiben.
Bis ich den Kernsatz habe, vergehen immer mehrere Monate, der Rest ist in ein paar Wochen geschrieben. Wie ich ihn finde? Ich habe es schon mit Nachdenken in abgeschiedenen Bergtälern oder Klöstern probiert – oft fand ich da keinen Satz und es entstand auch kein Roman. Bei Kollegen klauen? Im Prinzip ist das möglich, aber aus einem Kafka-Kernsatz wird eben wieder eine Kafka-Geschichte, und ich weiß nicht, ob das auf dem aktuellen Markt bestehen kann. Ich mache es so: Ich suche belebte Plätze wie Fußgängerzonen, Fußballstadien oder Rockkonzerthallen auf. Dort pflücke ich mir Sätze von Vorbeigehenden ab. Den Satz Du hast die Zahnpasta manipuliert, ich habe einen Laborbericht, der das beweist habe ich vor ein paar Jahren in Köln gehört. Er wurde Kernsatz und Motor meines neuen Romans. Auch der spätere Leser empfindet das so. Er unternimmt mit jedem Buch quasi eine Bergtour, mit einem schweißtreibenden Aufstieg zum Mittelsatz und dem herrlich entspannenden Abstieg bis zum glücklichen Schluss. Auch dieser kleine Artikel ist natürlich so entstanden. Mir ist lange nichts eingefallen, dann aber hatte ich zufällig einen Speed-Dating-Termin. Die Dame stellte sich vor, erzählte von sich nur Positives, schilderte ihre Erfolge und Vorzüge. Dann aber sagte sie: Wie so oft im Leben kommt aber jetzt der Haken. Und schon hatte ich einen Text für die Federwelt. (Was bei ihr, also der Frau, der Haken war, werde ich allerdings nie erfahren.)

Ganz ohne Haken und Schnörkel hat uns Antonia Baum, Jahrgang 1984, geantwortet. Die Berlinerin ist Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und erhielt große Medienresonanz auf ihre bei Hoffmann und Campe erschienenen Romane Vollkommen leblos, bestenfalls tot (2011) und Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren (2015) sowie Tony Soprano stirbt nicht (2016). Mit Stillleben wurde Piper 2018 ihre Verlagsheimat.

AutorInnen scheinen in mehrere Lager geteilt zu sein: Manche entdecken ihre Geschichten erst beim Schreiben, einige planen sie vorab bis ins Detail und viele arbeiten mit diversen Mischformen. Wie sieht Ihr System aus?
Antonia Baum: Eine Zeit lang habe ich mal geglaubt, dass alles geplottet sein müsse, bevor man anfängt zu schreiben. Gerade glaube ich das wieder nicht. Kurz: Es geht immer hin und her zwischen Intuition und Plan, und ich kenne den richtigen Weg nicht.

Arbeiten Sie immer auf dieselbe Art? Oder kommt es auf das Genre an? 
Es gibt Geschichten, bei denen weiß man genau, wie man sie erzählen muss. Das ist am einfachsten, diese Geschichten sind Geschenke. Aber meistens muss ich im Laufe des Schreibens noch rausfinden, welche Geschichte ich eigentlich erzählen will. Ich habe panische Angst vor dieser Ungewissheit. Ich hasse es, mich unter diesen Umständen zum Schreiben hinsetzten zu müssen und diese Aussage ist in ihrer Autoren-Klischee-haftigkeit natürlich super lächerlich, but true.

Würden Sie genauso vorgehen, wenn Sie kein Geld mit Ihren Büchern verdienen wollten? Inwieweit prägt der Buchmarkt Ihre Vorgehensweise?
Wenn ich Geld verdienen wollte, würde ich nicht schreiben. Und Bücher werden halt echt nur gut, wenn man sie schreiben muss, egal, was der Buchmarkt dazu sagt. Der Buchmarkt macht, was er will, ich mache was ich will, ist okay so.

Auch Marliese Arold macht, was sie will:

Marliese Arold, geboren 1958, schrieb mit 12 Jahren ihren ersten Krimi auf einer selbst ersparten Schreibmaschine. Sie studierte Bibliothekswesen in Stuttgart und veröffentlichte 1983 ihr erstes Kinderbuch. (Der erste Krimi mit fünf Leichen war abgelehnt worden ...) Seitdem hat sie zahlreiche erfolgreiche Bilder-, Kinder- und Jugendbücher geschrieben, die in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurden. „Schreiben ist Abenteuer“, verriet sie uns.
www.marliese-arold.de

Marliese Arold: Manche Szenen entwickeln sich ganz anders als geplant. Schwups, und schon ist eine neue Figur aufgetaucht und drängt sich aufmüpfig dazwischen. Gelegentlich muss ich sie zurückpfeifen.

Das klingt nach einer Bauchschreiberin, wie sie im Buche steht!
Wenn Sie es so nennen wollen. Am schönsten und spannendsten finde ich nun mal das Drauflos-Schreiben, das Herumtasten. Ohne Ausrüstung auf eine Expedition zu gehen, kann funktionieren. Sicherer ist es mit Kompass und Karte. Am schnellsten kommt man mit einem Navi ans Ziel, aber ist es auch der interessanteste Weg?

Das ist ein schöner Vergleich! Aber heißt das, dass Sie immer drauflosschreiben, weil es mehr Abenteuer bedeutet?
In unserer schnellen Zeit ist Planen unumgänglich. Die Planungsphase empfinde ich als sehr anstrengend. Die „schwarzen Löcher“ im Handlungsstrang können schlaflose Nächte verursachen. Aber besser in dieser Phase eine Woche länger nachgedacht als später ganze Kapitel und halbe Manuskripte neu geschrieben!

Aha! Also doch! Ertappt?
Meine Arbeitsweise hat sich insofern geändert, dass ich heute stärker plane als früher. Meine ersten Bücher entstanden, indem ich eine Idee hatte, einfach anfing und drauflosschrieb. Wunderbarerweise fügte sich am Schluss meistens alles zusammen. Aber es gibt auch die Schreibruinen, die Irrwege, die im Kreis herumführen.

Das haben uns einige AutorInnen berichtet, dass sich ihre Arbeitsweise im Lauf der Zeit verändert hat – je professioneller sie wurden.
Ich denke, das kommt auch auf das Genre an. Ein Krimi erfordert genaue Planung. Eine witzige Geschichte entsteht in erster Linie aus dem Bauch heraus.

Wir hatten auch Krimiautoren, die gern aus dem Bauch heraus schreiben. Deshalb ist diese Umfrage auch so interessant! Kommen Ideen eigentlich immer aus dem Bauch?
Woher die Ideen genau kommen, weiß ich nicht. Wenn sie da sind, notiere ich sie in einem Notizbuch. Manchmal brauche ich noch zwei, drei kleinere Ideen dazu, bis ich das Gefühl habe, dass daraus eine Geschichte werden kann. Anzeichen für eine gute Idee ist ein Kribbeln im Bauch.

Also doch. Da ist er ja, der Bauch!
Ja, aber er bleibt nicht allein: Manchmal fesselt die Idee so sehr, dass im Kopf für nichts anderes mehr Platz ist – egal, woran ich gerade arbeite. Dann habe ich so lange keine Ruhe, bis ich die Idee mit allen Zusatzgedanken aufgeschrieben habe. Das kann schon ein halbes oder sogar ein ganzes Exposé sein.

Die Idee steigt aus dem Bauch in den Kopf? Aber sie steigt Ihnen nicht zu Kopf, wie man an Ihren vielen spannenden Büchern sieht!
Das verhindert das Exposé. Es bietet für das eigentliche Schreiben den groben Rahmen. Das Exposé kann sich beim Schreiben allerdings völlig ändern, aber es ist gut, einen roten Faden zu haben. Manchmal mache ich einen Kapitelplan, besonders dann, wenn der Umfang des Buches beschränkt ist. Ich überlege mir, wie die Figuren aussehen und welchen Charakter sie haben sollen. Das geschieht bereits vor oder in der Exposé-Phase, direkt vor dem Schreiben aber genauer.

Das hört sich alles sehr gut miteinander verwoben an – Kreativität und Planung.
Ja, so hat es sich entwickelt. Während des Schreibens entstehen neue Gedanken. Ab und zu fließt auch der Alltag in die Geschichte ein. Manchmal schreibe ich etwas nieder – und dann geschieht es wenig später wirklich, sodass ich mich frage, ob ich nicht doch ein wenig Magie beherrsche.
(Marliese Arold lacht und erzählt weiter:) Ich plane keine Plotpoints auf dem Reißbrett und unterteile meine Geschichten auch nicht in Drei- oder Fünfaktmodelle. Was spricht gegen sieben Höhenpunkte? Und muss sich die Geschichte unbedingt drei Seiten vor Schluss noch einmal komplett drehen? Ist das nicht zu sehr „Drehbuch“?

Und was sagt ein Krimi- und Thrillerautor zum Thema Planung?

Als freier (und preisgekrönter) Journalist arbeitet Linus Geschke unter anderem für SPIEGEL ONLINE und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Seine Jan-Römer-Krimis erschienen bei Ullstein, seine vier Akte-Zodiac-Thriller brachte Edel Elements heraus. Unter dem Dach von dtv startete am 31.01.2019 mit Tannenstein der Auftakt zu einer neuen Thriller-Trilogie.
www.facebook.com/linusgeschke

Wie sieht dein System aus, bist du Planer oder Bauchschreiber? Wo verortest du dich?
Ich kenne den Anfang und das Ende meiner Geschichten, aber nie den Weg dahin. Ich fände es auch langweilig, wenn ich vorher alles durchgeplottet hätte, mir würde dann die Überraschung am eigenen Text fehlen. Manchmal kommen mir beim Schreiben die besten Ideen, für die ich dann nicht mehr so aufgeschlossen wäre, wenn ich die komplette Story zuvor in ein Korsett gepresst hätte. Vielleicht kann man das mit einem Waldspaziergang vergleichen, bei dem man unterwegs etwas Schönes sieht, was links oder rechts des Weges liegt. Die Freiheit, dorthin zu gehen und mir das anzuschauen, möchte ich behalten, auch beim Schreiben. Wichtig ist nur, dabei die Himmelsrichtung nicht aus den Augen zu verlieren, in der das eigentliche Ziel liegt.
Generell ist es sicherlich auch eine Frage der Geschichte, die man vor Augen hat. Wenn viele Erzählstränge vorhanden sind, ist das Plotten wichtiger, um am Ende auch alle Punkte vernünftig verbinden zu können. So lange es jedoch nur verschiedene Perspektiven sind, die sich am selben Strang orientieren, kann man ruhig etwas spontaner bleiben.

Und wie hältst du es mit deinen Charakteren: Wie gut kennst du die, bevor du losschreibst?
Besser als meine Freunde! Ich gehe mit ihnen zu Bett, wache mit ihnen auf, erschaffe sie und wundere mich dennoch, wie stur sie sind, sobald sie anfangen, ein Eigenleben zu entwickeln.

Arbeitest du immer auf dieselbe Art?
Bislang gab es noch keinen Grund, davon abzuweichen.

Weiter geht es mit dem letzten Mann im Bunde: Wladimir Kaminer ...

„Privat ein Russe beruflich ein deutscher Schriftsteller, bin ich die meiste Zeit unterwegs mit Lesungen und Vorträgen ...“ So stellt Wladimir Kaminer sich auf seiner Website (www.wladimirkaminer.de) vor. Dort steht auch, wie er darauf gekommen ist, demnächst mit dem Verkauf von Tannenbäumen reich zu werden.
Kaminer ist ausgebildeter Toningenieur, studierter Dramaturg und Miterfinder der Russendisko. Mit dem gleichnamigen Kurzgeschichten-Band landete er seinen ersten großen Erfolg; bis heute ist Russendisko sein meistverkauftes Buch – mit mehr als einer Million Exemplaren.
Seinem Genre ist der SPIEGEL-Bestsellerautor stets treu geblieben. Und allein die eigene Familie bietet Kaminer so viel Stoff, das seine Fans weiter auf Bücher hoffen dürfen wie Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger: Ein Unruhestand in 33 Geschichten.

Herr Kaminer, wie sieht Ihr System aus, sind Sie Planer oder Bauchschreiber? Wo verorten Sie sich?
Na also, ich glaube nicht, dass ein Mensch etwas planen kann. – Wie kann er etwas planen, wo er nicht mal weiß, was in der nächsten Sekunde kommt? Das ist eine absurde Übertreibung der eigenen Kraft. Wissen Sie, er kann doch noch nicht mal planen, wann er aufs Klo geht. Wie soll er da eine Geschichte planen?
Das einzige, was der Mensch aus seiner Vergangenheit weiß, sind Geschichten, die von anderen aufgezeichnet wurden. Und um dieses Leben weiter fortsetzen zu können, muss der Mensch sehr aufmerksam beobachten, muss versuchen, dieses fließende Leben um sich herum festzumachen. So, dass auch die nächsten Generationen Lust haben, sich damit zu beschäftigen, es zu lesen und sich damit auseinanderzusetzen. Mir geht es nicht darum, irgendwas Neues oder Eigenes zu schaffen. Meine Arbeit ist meine Fahrkarte: Wir leben in einer sehr unbeständigen Welt, nichts ist von Dauer. Ich habe viel über die Sowjetunion geschrieben und die existiert seit 27 Jahren nicht mehr, da sind inzwischen Häuser zu Staub zerfallen, Autos sind zerschrottet und Menschen gestorben, auch jetzt sterben gerade wieder Menschen. Irgendwann wird nichts bleiben außer meinen Geschichten. Und die Sowjetunion wird das sein, was ich geschrieben habe, nicht mehr und nicht weniger.

Wie gehen Sie also an die Arbeit heran?
Meiner Meinung nach gibt es zwei Kräfte, die Menschen zu Großem bringen: Es sind Liebe und Hass. Man kann auch mit Hass sehr weit kommen. Mir gefallen aber mehr die Autoren, die die Größe haben, die Welt trotz allem zu lieben: mit ihrer ganzen Unvollkommenheit, mit ihrem Verrat ... Sie zu lieben, ist eine viel härtere Arbeit, aber es lohnt sich auch.
Ich brauche Geschichten nicht als Spiegel, dass ich da bin. Es gibt eine Tarotkarte, die Nummer acht, glaube ich, darauf ist ein Berg der Weisheit abgebildet – und unten steht ein wilder Bock mit Kristallaugen. Die Geschichte dazu ist, dass der Bergsteiger quasi in die Augen des Bocks schaut und immer etwas zurückbekommt: Seine Gefühle, die Fragen, die er hinschickt, bekommt er verstärkt. Mit der Zeit werden die Augen des Bocks immer trüber und der Bergsteiger: Es sind seine Augen, die sind trüb geworden, er hat Zeit vor dem Spiegel verbracht, anstatt den Berg hochzugehen. Eine extrem gefährliche Falle ist diese Beschäftigung mit sich selbst – im Nu ist das Leben vergangen. Dazu ist mir die Zeit zu schade.

Sie beobachten also das Leben um sich herum und aus der Beobachtung heraus, entstehen die Geschichten?
Das blödeste an dem Beruf ist, dass man nichts kontrollieren kann. Da pustet Gott quasi mal nach links, mal nach rechts ... Manchmal dauert es Jahre, bis ich ein Ende für eine Geschichte habe. Man darf nicht ungeduldig sein. Mal stimmt alles wunderbar, ist supertoll redigiert, jeder Satz sitzt, aber die Geschichte lebt nicht. Nein, sie springt nicht! Sie ist wie ein totes Eichhörnchen. Und dann muss noch etwas dazu, was kein Mensch kann, Gottes Atem, Magie ... Wenn es klappt und ich habe die magische Komponente, dann freue ich mich, das ist ein wertvolles Geschenk. Etwas, was ich mir nie „nur“ erarbeiten könnte. – Geschenke sind was ganz Tolles.

Was machen Sie, wenn Magie fehlt?
Dann habe ich bescheuerte Ideen und frage mich: Soll ich vielleicht zur Pediküre gehen?

Hilft das?
Ein großer Mann mit Bart hat mir gesagt, wie der Frust ihn verlässt, wenn jemand an seinen Füßen arbeitet. Ich habe es noch nicht probiert, bin noch unentschlossen, vielleicht gehe ich heute.

Und was hat bisher geholfen? – Die Geschichte einfach noch liegen zu lassen?
Ja, ich nehme dann die Geschichte auseinander, jongliere hin und her. Es ist ein bisschen wie, wie sagt man, ... mit dem Goldsieben oder ... -waschen. Der eine siebt fünf Kilo Sand durch. Nichts kommt. Und der andere hat es nach einem Kilo gefunden. Normalerwiese, wenn es glänzt, strahlt es so stark, dass man es erkennt. Also macht man als Autor auch mal Siebübungen. So, und damit habe ich Ihnen alles verraten!

Hätte ich das gedacht?
Die Antworten meiner Kollegen haben mich so manches Mal überrascht, aber auch bestätigt. Denn natürlich kann man einen komplexen Krimi genauso wenig aus dem Ärmel schütteln wie ein wissenschaftliches Sachbuch. Doch in Abstufungen kann man sehr wohl unterschiedlich an die Arbeit herangehen: Wie genau plant man die einzelnen Kapitel? Wie exakt möchte man einen Charakter festlegen, wie viel Spielraum darf sein? Es geht hier nicht um richtig oder falsch, sondern um das Optimum für jede einzelne Autorin. Denn wenn wir in unserem Element sind – und jeder Mensch ist anders –, können wir aus der Fülle der Kreativität schöpfen.

Fazit

Viele Wege führen ans Ziel
Ob Kopf- oder Bauchschreiber, das Ziel ist gleich. Allerdings unterscheiden sich die Methoden im Zeitaufwand stark. Eine Kopfspringerin wird deutlich mehr Zeit im Trockentraining verbringen als eine Bauchplatscherin, die einfach ins kalte Wasser hopst. Dafür wird die Kopfschreiberin dann weniger Zeit zum Schreiben benötigen; sie malt ihre Figuren ja „nur“ noch aus. Dabei kann sie sich vielleicht auch stärker auf die Formulierungen konzentrierten, da sie stets genau weiß, was sie in einem Kapitel, einer Szene transportieren will, welche falschen Fährten sie bei einem Krimi zum Beispiel legen will.

Planen spart Zeit?
Wer gut plant, läuft kaum Gefahr, sich in eine Sackgasse zu schreiben und dann vielleicht viele Seiten verwerfen zu müssen, wie es Bauchschreibern passieren kann, die sich ihre Geschichte erst im Schreibprozess erobern und dann womöglich feststellen: Ich bin irgendwo einem falschen Strang gefolgt, der im Nichts endet.

Mittelwege
Oft finden Autorinnen und Autoren ihr ideales System mit der Zeit, und das ist in der Regel ein Mittelweg zwischen Plotten und Ausprobieren. Es ist auch eine Frage der Geduld. Nicht jeder Autor bringt die Disziplin auf, akribisch zu plotten. Und nicht jede Autorin hat den Mut, in das Ungewisse einer noch nicht ausgegorenen Geschichte zu springen. Oder den Mut, das öffentlich zu bekennen wie Nino Haratischwili, die es im Herbst 2018 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Der ZEIT verriet sie in Ausgabe 41/2018 „Oft weiß ich ganz vieles nicht, wenn ich anfange, ich habe meistens entweder eine Szene oder eine Figur. Meistens weiß ich nicht, was auf der nächsten Seite passiert.“
Das kommt mir bekannt vor! Doch die Arbeit an diesem Beitrag hat mich ein wenig verändert. Was wäre, wenn in mir beispielsweise eine gewiefte Planerin stecken würde, die ich nur noch nicht gefunden hätte? Wenn ich lediglich aus Gewohnheit in meinen alten Stiefeln der Spontaneität herumtippeln würde? Ich habe so viele Bücher mehr oder weniger spontan geschrieben – es wäre an der Zeit, etwas zu verändern. Und so befinde ich mich nun in dem spannenden Prozess, mein Pferd von hinten aufzuzäumen, indem ich es mir von vorne ausdenke.

Linktipp
www.zeit.de/2018/41/schriftsteller-berufsbild-schaffensprozess-buecher-schreiben

Autorin: Shirley Michaela Seul | www.Shirley-Michaela-Seul.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 134, Februar 2019
Blogbild: Illustration: Carola Vogt

 

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