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Grimme-Preisträger Krappweis über Selbsterkenntnis und Eigeninitiative

Federwelt
Jasmin Zipperling
Tommy Krappweis in seinem Arbeitsraum

Wenn du überzeugt bist, dass es scheiße ist, musst du bereit sein zu sagen: „Dann lass ich es bleiben!“ - Tommy Krappweis im Gespräch mit Jasmin Zipperling

Tommy Krappweis ist Autor, Musiker, Schauspieler, Comedian, Produzent, Regisseur, Motivator und so viel mehr. Im Interview erzählt er von der Bereitschaft, alles hinzuschmeißen oder Geld fürs Marketing in die Hand zu nehmen, selbst, wenn man im Verlag veröffentlicht, und dass ein Angriff mit einer Nerf-Gun kein Grund ist, ihn beim Schreiben zu stören.

Tommy, du bist RTL-Samstag-Nacht-Comedian und einer der Erfinder von Bernd das Brot. Beim PAN-Branchentreffen 2019 hat man dich „Hans Dampf in allen Gassen“ genannt – du machst ja auch Musik!
Genau (schmunzelt). Aber für mich ist das alles eins; ein kreatives Ding, das ich mache. Mein Problem ist, dass ich mich schnell langweile. Wenn ich jeden Abend ausschließlich einen Gig spielen müsste, fände ich das genauso furchtbar, wie wenn ich für den Rest meines Lebens ausschließlich Ghostsitter schreiben würde. Aber der Vorteil ist, dass meine Firma verschiedene Sachen macht. Tagsüber sitze ich zwar im Wesentlichen da und schreibe, aber dann heißt es: „Wir brauchen jetzt für das Pummeleinhorn-Hörspiel einen Pummeleinhorn-Song.“ Dann gehe ich runter ins Studio zu den Sprechern und nehme dafür mal schnell ein Demo auf. Danach möchte vielleicht jemand, dass ich mir den Schnitt von etwas anschaue. So komme ich ganz wunderbar über die Runden. Ich muss natürlich aufpassen, dass ich mich nicht zerfasere wie verrückt. Aber das ist das Leben, das ich mir ausgesucht habe, und so funktioniere ich auch am besten.

Also so strukturierst du deinen Tag: Du schreibst im Büro und deine Mitarbeiter*innen kommen wegen einzelner Projekte auf dich zu?
So könnte man es sagen. Wobei es ungefähr zu 70 Prozent geplant sein muss, weil man ja zwischen 15 und manchmal auch 30 Minuten und länger braucht, bis es beim Schreiben fließt. Da möchte ich nicht sofort wieder rausgeballert werden. Darum hängt an der Bürotür ein Schild – meine Frau und ich schreiben ja im selben Raum –, da steht „Wir schreiben! Bitte nur klopfen, wenn wichtig“. Und darunter sind ein paar Beispiele aufgeführt, was unwichtig ist.

Was steht da?
Zum Beispiel: „Angriffe mit Nerf-Guns sind nicht wichtig“, „Essen bestellen ist wichtig“. Wenn also jemand rumgeht und fragt, ob jemand etwas zu essen bestellen möchte – bitte klopfen, reinkommen! Auch die Kollegin am Empfang weiß, dass wir meistens schreiben und stellt nicht jeden Anruf durch. Sie klärt erst einmal: „Was brauchen Sie? Hat das Zeit? Brauchen Sie die Antwort sofort?“ Sie sortiert ein bisschen vor.
Wenn ich rausgerissen werde, ist das wirklich schwierig. Bei meiner Art zu schreiben ist es so, dass die Figuren anfangen zu reden und ich nur noch mitschreiben muss. Diesen Fluss brauche ich. Nach einer Unterbrechung, muss ich fünf Seiten vorher anfangen zu lesen, um wieder reinzukommen.

Ich weiß gar nicht, wo ich das aufgeschnappt habe: Du hast ja für Bernd das Brot den Grimme-Preis gewonnen.
Das stimmt, ja.

Benutzt du den als Türstopper?
(lacht) Nee. Das nicht. Der ist im Moment der Verleihung, als ich von der Bühne ging, auseinandergefallen. Der Grimme-Preis ist ja so ein ineinander verschachteltes Ding. Ich weiß nicht, ob er immer noch so aussieht, aber damals war das so. Zwei Lötstellen sind abgebrochen und er ist einfach auseinandergefallen. Wir haben ihn mit Tesafilm geklebt und der steht mit dem original Tesafilm von 2004 im Regal.

Ich finde es toll, dass er immer noch mit dem Tesafilm von damals im Regal steht – das ist die Geschichte des Preises.
Genau, das ist seine Geschichte. Ich finde es toll, dass wir den bekommen haben. Ein bisschen übertrieben insofern, dass da auch wirklich honorierte Leute waren, die wahnsinnige Reportagen unter Einsatz ihres Lebens gemacht haben. Und dann kriegen wir den? Hm. Gefreut habe ich mich natürlich trotzdem.

Auf YouTube habe ich ein Making-of zum Film Mara und der Feuerbringer gesehen. Darin hast du gesagt, dass du mit dem Buch durch Deutschland getourt bist, um Lesungen zu veranstalten – auf eigene Kosten. Sollte man nicht annehmen, dass der Verlag sowas übernimmt?
In einer idealen Welt schon, aber wenn der Verlag a) nicht die Notwendigkeit sieht oder b) sagt, er hätte das Budget nicht, ich aber trotzdem Lesungen machen will, ist das mein Problem. Ein anderer Verlag wollte bei einem anderen Buch zum Beispiel keine Pressearbeit machen, die über ein Mailing hinausgeht oder über das, was er sonst macht. Ich habe das Buch nicht geschrieben, damit es herumliegt. Also habe ich Geld in die Hand genommen. Es mögen so 1.500 oder 2.000 Euro gewesen sein – aber das habe ich in eine Presseagentur investiert. (Anmerkung der Redaktion: Die Agentur gibt es heute nicht mehr.) Das muss natürlich jeder selber wissen. Es ist immer die Frage, ob man sich das leisten kann. Da ich eine Firma habe, die meine Bücher vielleicht in einer anderen Form wieder auswerten will, könnte sich der Invest lohnen.
Das ist übrigens nicht nur bei Verlagen so. Ein Fernsehsender bringt eine Sendung von uns, macht aber keinen Trailer oder erzählt nichts davon. Also nehmen wir Geld in die Hand, um das Ding selbst zum Beispiel über YouTube Pre-Roll zu promoten. Wir sorgen dafür, dass die Leute mitkriegen, dass es das überhaupt gibt. Das ist mittlerweile in unserer Welt relativ normal, dass wir uns darum kümmern müssen.
Ich verstehe auch, warum ein Verlag sagt: „Wir ballern in den neuen Dan Brown so viel Promo rein, dass wir mit diesem Buch garantiert noch mehr verdienen als mit dem davor!“ Man kann es einem wirtschaftlich orientierten Unternehmen erst einmal nicht vorwerfen. Du kannst auch dem Verleih Constantin nicht vorwerfen, dass er für Fack ju Göhte 3 ohne Ende Promo gemacht hat, denn er hat es ja noch und nöcher zurückbekommen. Es hat funktioniert. Wenn sie Mara und der Feuerbringer promotet hätten – einen Film, an den sie überhaupt nicht geglaubt haben – dann hätten sie das Geld vielleicht verloren. Vielleicht auch nicht. Wer weiß? Aber es hätte ein Risiko bestanden. Bei Fack ju Göhte 3 besteht kein Risiko, also ist das für ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmen der sinnvollere Weg.
Wenn du dich aber beklagst, dass dein Verlag kein Herzblut hat – von deinem Lektor oder deiner Lektorin vielleicht abgesehen – dann hast du drei Möglichkeiten: Entweder du schaffst es, sie zu überzeugen oder du machst es selbst oder du gehst zu einem anderen Verlag. Es ist leider so: Je kleiner der Verlag, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeit dort mit Herzblut betrieben wird. Und deshalb bin ich jetzt bei der Edition Roter Drache. Ich möchte viel lieber mit jemandem zusammenarbeiten, der sich den Arsch aufreißt, so wie ich mir den Arsch aufreiße. Dafür verzichte ich auf hohe Beteiligungen und vor allem auf hohe Vorschüsse und die anderen Vorteile, die ein großer Verlag natürlich bieten würde. Denn ich möchte vor allem eines nicht: Ich möchte nicht frustriert sein! Ich möchte mit Leuten, die Bock haben, Sachen machen, die schön sind und die gut funktionieren. So gut, wie wir können. Das habe ich mit einem großen Verlag bisher durchaus geschafft, aber eben nur selten.

Als du meintest, dass du alles selbst in die Hand genommen hast, da war mein Gedanke: Wieso nicht Selfpublishing? Aber du scheinst mit der Edition Roter Drache zufrieden zu sein.
Ja, ich habe schon sehr früh über Selfpublishing nachgedacht. Aber Holger von Roter Drache hat so im positivsten Sinne genervt – sehr positiv! –, dass ich mir gedacht habe: „Nee, das ist doch viel schöner so. Das machen wir zusammen.“ Ich kann alles beitragen, was ich beitragen möchte und muss mir nicht anhören, warum was nicht geht. Wenn Holger etwas gut findet, sagt er einfach: „Ja klar, dann probieren wir das mal.“
Man muss auch sagen, bei Schneiderbuch war Mara schwierig aufgehoben, weil es kein dezidiertes Kinderbuch ist, sondern ein All-Ager. Sowas macht der Verlag sonst nicht. Die wollten es zwar haben, fanden es gut, aber sie wussten nicht, was sie damit machen sollten. Ich habe sie ein bisschen von ihrem Leiden erlöst, indem ich die Rechte zurückgefordert habe. Das lief dann im gegenseitigen Einvernehmen.

Erzähl noch mal was zur Lesetour für Mara.
Ich möchte gerne, dass Menschen dieses Buch lesen! Und wenn der Verlag oder die Buchhandlung die Leser*innen nicht darauf aufmerksam macht, dann sage ich es einfach jedem einzelnen. Die einfachste Lösung: Schullesungen. Schulen haben meistens kein Geld und die freuen sich, wenn man was anbietet. Generell sollten AutorInnen natürlich Geld kosten, man muss das schon als Ausnahme deklarieren – aber ich habe in den Schulen, sozusagen als Spende, ohne Honorar gelesen und mein eigenes Equipment mitgebracht. Die haben kein Geld und ich will mein Buch verbreiten. Da treffen zwei Interessen wunderbar aufeinander. Was ich total zum Kotzen finde, ist, wenn Veranstalter und Veranstaltungsorte sagen: „Das ist doch Marketing für dich!“ Es gibt natürlich auch Veranstalter, die gerade anfangen. Oder der sagt: „Du, wir haben hier ein Problem am Donnerstag, ich weiß nicht, ob da Leute kommen.“ Wenn das von vornherein klar ist, kann ich ganz anders damit umgehen.

Das Besondere an Mara: Man merkt, dass du eine besondere Beziehung zu Rollenspielern hast.
Ja, ich habe eigentlich zu dem ganzen Nerd-Kram eine große Affinität. Da findet in meinem Leben einfach sehr viel statt. Nicht unbedingt selber als Rollenspieler. Als Spielleiter war ich ganz okay, aber ich war kein guter Rollenspieler. Ich habe immer nach Fehlern im System gesucht und war eigentlich einfach nur nervig. Aber ich bin extrem Nerd-affin, ich bin zum Beispiel überzeugter Gamer. Da sehe ich übrigens nicht ein, warum es Leute geben muss, die mich als „Killerspieler“ bezeichnen.
Ich bin viel auf Conventions unterwegs. Die Leute da mögen mich und ich mag die Leute. Da fühle ich mich wie unter normalen Menschen. Da ist natürlich klar, dass sich das auch in meinen Büchern niederschlägt. Ghostsitter I geht damit los, dass mein Protagonist ein Spiel zockt, das Worlds Of WerWizards heißt. Ich erzähle dadurch, dass er eigentlich ein versierter Gildenchef wäre, er traut sich nur nicht, es laut zu sagen. Der andere Typ, der da den Raid anführt, ist einfach lauter. Mir geht es nicht nur darum, zu zeigen, dass er ein Gamer ist. Es geht um die Story. Aber ich habe sie in ein realistisches Gaming-Set-up gesetzt – was auch zu Diskussionen geführt hat. Gerade bei Eltern oder bei Lehrern. Die haben das Buch gelesen und fanden das scheiße, weil sie gesagt haben: „Mein Sohn zockt doch schon die ganze Zeit.“
Meine Antwort ist dann immer: „Dann interessiert euch mal dafür, was der da macht! Und schaut mal a) ist es seinem Alter entsprechend und b) wenn es das ist: Was macht er da? Was findet er toll daran? Und in Gottes Namen: Wenn du einen Laptop hast – spiel doch mal mit!“

„Der Autorenblues“ von Tommy Krappweis über wahre Geschichten, vorgetragen am 25. April 2019 auf der ersten phantastischen Lesenacht im Rahmen des PAN-Branchentreffens, für die Federwelt leicht adaptiert

„Hey, verehrter Herr Lektor, warum haben Sie Ihre Kürzungen eigentlich nicht markiert?“
„Hey, mein lieber Lektor, warum hast du denn die Kürzungen in meinem Skript eigentlich nicht markiert?“
„Na ja, ich habe festgestellt, das ist so überflüssig, da wäre es am besten, sie hätten gar nicht existiert.“

„Hey, Frau Redakteurin, was meinen Sie mit Die Figuren müssen irgendwie tiefer sein?“
[...]
„Na ja, ich finde, da muss man noch mal ran, weil da muss man auf irgendeine Art noch mal tiefer rein.“

„Hey, großer Verlag, warum habt ihr denn für mein Buch überhaupt keine Promo gemacht?“
„Das kann man wirklich nicht sagen, Herr Krappweis. Aber anscheinend hat das Mailing nicht so viel gebracht.“

„Hey, großer Sender, warum hast du denn überhaupt keinen Trailer für meine neue Sendung gezeigt?“
„Wir haben doch einen gepostet, Herr Krappweis. Und zwölf Leute haben ihn geliked.“

„Großes Gremium, ich habe eine Frage: Warum gefällt euch das Treatment nach zwölf Fassungen plötzlich gar nicht mehr?“
„Ja, wir wissen auch nicht, was mit dir los ist, Krappweis, aber Version 1, die gefiel uns sehr!“

„Hey, nur diese eine Frage: Warum the fuck habt ihr mein völlig vogelloses Buch mit Vögeln auf dem Cover rausgebracht?“
„Wir haben mit den verschiedensten völlig anderen Büchern mit Vögeln auf den Covern sehr gute Erfahrungen gemacht.“

„Na dann!“

Vögel auf dem Cover, obwohl sie im Buch keine Rolle spielten – wahre Geschichte?
Diese Geschichte ist in meinem Nebenbüro passiert. Bei David Gromer und Erik Haffner. Die haben ein Buch über schlagfertige Sprüche geschrieben. Es ist eigentlich ein Geschenkbuch, vollgepackt mit frechen Sprüchen für jede Lebenslage.
Meine liebe Frau hat dann darauf geachtet: Als sie das nächste Mal in einer Buchhandlung war, hat sie tatsächlich vier oder fünf Bücher gesehen, in verschiedenen Genres, auf denen Vögel waren. Bei Buchcovern war ein Vogeltrend zu beobachten! Vögel, die auf einer Hochspannungsleitung sitzen und sich blöd anschauen.

Ich habe gedacht, das wäre ein Witz …
Nein! Alles, was ich in dem Song erzählt habe, ist wahr. Alles! Auch dass die Redakteurin zu mir gesagt hat, die Figuren müssten irgendwie tiefer sein. Egal, welches Buch ich dir gebe – ob es von Tennessee Williams oder von Michael Ende ist – den Mist kannst du immer sagen und wichtig klingen! Es gibt ja keine endliche Bezeichnung für „jetzt sind sie tief!“ Das ist einfach nur Gelaber. Entweder kriege ich eine klare Ansage von wegen: „Schau mal hier, an der Stelle, wenn die Frau das und das sagt, habe ich den Eindruck, dass da mehr dahintersteckt.“ Zum Beispiel. Oder: „Gib ihr doch an der Stelle das und das, damit wir das Gefühl haben – aha! – sie ist wohl doch nicht so glücklich wie sie tut.“ Das ist ein ganz konkreter Tipp, mit dem kann ich arbeiten. Aber nicht „Die Figuren müssen irgendwie tiefer sein.“ Das heißt, entweder hat sie das Ding nicht verstanden oder du hast wirklich oberflächlichen Scheiß geschrieben. Aber dann hast du ganz andere Probleme.

Hast du einen Tipp für unsere Leserinnen und Leser?
Das Wichtigste ist: Die einzig wirklich schlecht geschriebene Seite ist eine leere Seite. Hauptsache, es steht etwas da. Selbst wenn du nur OXO OXO OXO schreibst, ist das immer noch besser, als wenn die Seite leer ist. Denn wenn da was steht, kann ich es korrigieren und ich kann es morgen noch einmal lesen und bin schon wieder ein Stück weiter. Oder ich stelle fest, okay, ich bin einen Holzweg entlanggelaufen. Aber es ist was auf der Seite!
Was ich in keiner Weise unterstützen kann, ist da zu sitzen und zu denken: „Oh Gott, wie fang ich an, wie fang ich an?“ Schreib doch irgendwas hin! Zur Not schreib: „Der Protagonist setzte sich und musste erst mal was essen.“ oder „Der Protagonist saß da und wusste nicht, was er tun sollte“ und reflektiere darüber, dass er nicht weiß, was er jetzt tun soll. Auch da kommt dann deine Figur, wenn sie halbwegs funktioniert, auf die Idee, dass sie sagt: „Schließlich stellte er fest, Untätigkeit war nicht das, was ihn weiterbringen würde. Er stand auf und griff zum Telefon.“ Es wird irgendwas passieren! Bitte nicht vor leeren Seiten prokrastinieren und Heulkrämpfe kriegen! Schreib irgendwas!
Disziplin finde ich wichtig. Mach es! Was ich noch wichtig finde, betrifft die Zusammenarbeit mit anderen. Letztendlich bist DU die Person, die das Buch schreibt. DU musst das gut finden! Wenn eine Ansage von außen an dich herangetragen wird – egal, ob von Regisseur, Produzent, Lektorat, Redaktion, Fernsehsender oder sonst wem –, wenn das etwas ist, bei dem du überzeugt bist, dass es scheiße ist, musst du bereit sein, zu sagen: „Dann lass ich es bleiben!“ Immer. Denn nichts auf der Welt, kein Buch, das in irgendeinem Laden liegt, kein Film, der gedreht wird, ist so wichtig. Ich würde lieber einen völlig anderen Job machen, als noch einmal in meinem Leben irgendetwas machen, was so kompromissbehaftet ist, dass ich es scheiße finde. Ich habe mal für eine sehr berühmte deutsche Autorin eine Drehbuchversion ihres Buches verfasst. Ich habe die Schnittfassung gesehen, bevor sie rauskam. Danach habe ich die Produktionsfirma angerufen und gefordert, dass sie meinen Namen entfernt. Das, was die gedreht haben, war nicht das, was ich geschrieben hatte! Ich habe nach zehn Minuten den ersten Satz von mir gehört. Ich habe gesagt: „Ich finde es total schrecklich und ich will meinen Namen da nicht sehen, sonst werde ich rechtliche Schritte einleiten. Ihr müsst mir auch die letzte Rate nicht bezahlen. Ich will wirklich nichts mit diesem Ding zu tun haben!“ Zwei, drei Mal ist sowas in der Art schon passiert.
Der erste Kinofilm, den ich schreiben sollte, da war ich 24. Ich habe das geschrieben, und dann kam nach fünf oder sechs verschiedenen Fassungen eine Änderung, die sowas von Bullshit war, weil die nicht wussten, was sie wollten – und auf meine Kosten gesucht haben. Irgendwann habe ich gesagt: „Ich gebe euch jetzt euer ganzes Geld wieder zurück und mache wieder Straßenmusik.“ Ich musste nicht Straßenmusik machen, aber ich wäre dazu bereit gewesen. Du musst diesen Punkt für dich definieren, ab dem du sagst „Nein, dann mache ich es eben nicht. Hier hast du dein Geld zurück, wir machen jetzt eine Rückabwicklung.“
Bei Mara und der Feuerbringer gab es eine Zeit von zwei, drei Wochen, wo ich meinen Namen zurückgezogen hatte. Da hatte ich gesagt: „So leid es mir tut, ich möchte mit dem Film nichts mehr zu tun haben, wenn ihr diese Änderung unbedingt wollt.“ Ich glaube, es war sowas wie eine erwachsene Seherinnen-Stimme als Erzählerin einzuführen. Als würde Mara rückblickend darüber erzählen, um Sachen zu erklären. Ich war sowieso der Meinung, man muss sie nicht erklären, wenn man hinschaut. Dazu gab es – vorsichtig gesagt – verschiedene Auffassungen und deswegen finden sich in dem Film diverse Stellen, mit denen ich gerade noch so leben kann, die ich aber als total überflüssig erachte.
Zum Beispiel gibt es eine Szene, die eigentlich musikalisch und filmisch richtig schön war. Mara läuft auf dem Weg zum Brunnenhof durch eine Gasse. Da war wunderschöne Musik, und es war alles klar. Und es wurde verlangt, dass ich an der Stelle erkläre: „Loki will das-und-das, aber was sollte ich bloß tun?“ Bla, bla, bla. Also eigentlich das, was ich gerade schon gesehen habe, aber paraphrasiert für die jüngsten Kinder oder die Leute, die gerade im Kino auf ihr Handy geguckt haben. Das in tausendfacher Stärke wäre diese allererste Änderungsidee gewesen. Ich wollte auf gar keinen Fall irgendetwas mit dem Film zu tun haben, wenn diese Änderung durchgesetzt worden wäre. Der Kinofilm war wirklich etwas, worauf ich ein Jahrzehnt hingearbeitet habe. Aber nach einem bestimmten Punkt der Kompromissbereitschaft wäre ich bereit gewesen, das auch hinzuwerfen. Es gibt einfach eine Grenze und wenn die überschritten ist, musst du meiner Meinung nach bereit sein, es hinzuwerfen. Wenn du das nicht bist, bist du korrumpierbar, und es wird irgendwann der Punkt kommen, an dem du etwas veröffentlichst, für das du dich schämst. Das sollte nicht sein, außer es ist dir wichtiger, dass ein Buch im Regal steht. Auch dieser Wunsch ist legitim, nur dann darf es dir nicht um den Inhalt gehen.
Wobei, zum Beispiel bei Ghostsitter war mit der Lektorin alles super! Da war die Redaktion toll – das gibt es ja auch! Es ist nicht immer ein Kampf. Ich würde sagen, von den Büchern, die ich geschrieben habe, war – von dem leidigen Promothema abgesehen – eigentlich nur ein Drittel unerfreulich in der Entstehung. Die anderen waren wunderbar. Es sind immer diese Sachen, die einem in Erinnerung bleiben. Aber natürlich hat der Großanteil funktioniert.

Links:

Autorin: Jasmin Zipperling | https://jasmin-zipperling.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 142, Juni 2020
Blogbild: Copyright Tommy Krappweis

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 142, Juni 2020: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-32020
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