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Germanys next Topautorin

Federwelt
Illustration zum Artikel "Germanys next Topautorin" von Michaela Seul

Germanys next TopautorIn – Oder: Gut schreiben ist wichtig, gut aussehen heute ebenso

Von Michaela Seul

Das Beste am Job der Schriftstellerin? Keine Frage: Du kannst im ausgeleierten Jogginganzug und mit fettigen Haare auf die Straße, du kannst eine verschmierte Brille tragen, du darfst dick sein, ja musst es vielleicht sogar: Weil du keinen Wert auf Äußerlichkeiten legst. Weil du innen leuchtest. Niemand erwartet Laufstegqualitäten von dir. Du musst den ganzen Schönheitswahn nicht mitmachen. Deine Attribute liegen woanders, und dort sieht man sie nicht. Im Kopf, im Herzen. Du brauchst keine Pfirsichhaut, sondern Sprachgefühl, und wie dein Busen aussieht ist egal, Hauptsache es liegt genug Kreativität vor der Hütte.

Tja. So war das mal. Damals, als man von AutorInnen noch Geist verlangte. Doch im Zeitalter der Mediengesellschaft hat sich das verändert. Also nicht, dass man keinen Geist mehr haben dürfte, doch, doch, durchaus. Aber der sollte bitteschön appetitlich verpackt sein.

Leserinnen! Ist euch mal aufgefallen, dass Verlage vor allem die Titel jener Autoren mit Porträts bewerben, die gut aussehen? Der Drei-Zentner-Autor mit Pickeln und Dreifachkinn muss schon sehr berühmt sein, ehe er als Mensch abgebildet wird. In der Regel reicht in einem solchen Fall das Buchcover. Aber der kantige Typ mit dem Dreitagebart und dem Unterhosenwerbungskörper. Her mit dem Foto, vielleicht sitzt ein Hund bei ihm, so zeigt er seine weiche Seite, daneben das Buchcover, gern kleiner, ist nicht so wichtig.

Genau, ist nicht so wichtig. Wird immer unwichtiger. Man interessiert sich nicht für das, was im Buch steht, sondern für denjenigen, der es geschrieben hat. Nicht zwischen den Zeilen wird geforscht, sondern in seinem Gesicht. Wer bist du? Was postest du? I like you! Ich bin ganz twitter nach dir! Ich les deine Bücher, weil ich dich sexy finde. Und der Bestsellerautor Frank Schätzing war auch mal Coverboy der Federwelt (Heft 79). In der Unterhose! Denn die Federwelt ist hipp! Yeah!

Ist euch schon mal aufgefallen, dass von den „jungen“ Autorinnen zwischen dreißig  und vierzig immer diejenigen in den Medien auftauchen, die gut aussehen? Zufall? Wer glaubt hier noch ans Märchen von Aschenputtel? Aschenputtel darfst du im Kopf sein, aussehen musst du wie die Prinzessin.

Das Wichtigste beim Interview ist der Friseur

Neulich erzählte mir eine Kollegin, dass sie eine dreiviertel Stunde zu spät zu einem Interviewtermin gekommen sei – mit der Süddeutschen Zeitung! Aber sie hatte einen triftigen Grund, den sie allerdings verschwieg. Womöglich hat sie einen Todesfall vorgeschoben. Den gab es auch: Ihre grauen Haare mussten dran glauben, denn sie war vorm Interview noch beim Friseur. Wenn du als Frau grauhaarig auftauchst, was willst du mir da schon erzählen? Abgesänge? Grauhaarig bist du kein Hingucker.

Moment mal? Ich dachte wir sind Hinschreiber.

Nein, nein, heute reicht das in den meisten Fällen nicht. Du musst auch Hingucker sein. Außer wie gesagt, du bist ganz berühmt, da ist es egal, wie du aussiehst. Allerdings fragt man sich, ob du berühmt wirst, wenn du so aussieht, wie du früher dachtest, dass du aussehen kannst, wenn du Schriftstellerin bist.

Schau: Ein Supermodel kann ein Buch veröffentlichen. Jeder Depp kann ein Buch veröffentlichen, und wenn er gut aussieht, wird es sich auch verkaufen. Aber nicht jeder Autor, nicht jede Autorin kann gut aussehen.

Alles klar?

Im Bikini den Trauerratgeber anbieten?

Ich fasse mich an die eigene Nase. Vor einem Verlagstermin wasche ich mir die Haare und überlege mir, was ich anziehe. Ich denke dabei an das Thema des Treffens. Schlage ich ein Buch zu einem hippen Trendthema vor, werde ich mich dazu passend kleiden. Schlage ich einen Trauerratgeber vor, benehme und kleide ich mich anders. Es geht ja darum, dem Verlag zu beweisen, dass ich die Richtige für dieses Projekt bin. Ich weiß, dass ich das auch im Bademantel, im Businessdress und im Bikini bin. Aber der Verlag weiß das vielleicht nicht, also nutze ich mein Auftreten, ihm dies zu zeigen. Mir fällt das zum Glück nicht schwer. Als Schriftstellerin bin ich nun mal viele. Ich hab nicht nur einen Kleiderschrank, ich habe auch einen Persönlichkeitenschrank. Zumal ich ja auch noch als Ghostwriterin arbeite und ständig jemand anders bin. Und auch hier ist es mir aufgefallen: Gutaussehende Menschen haben bessere Chancen, nicht nur auf dem Buchmarkt, sondern auch auf dem Prä-Buchmarkt, wenn es darum geht, ob überhaupt jemand ihr Buch drucken will. Außer wiederum, sie sind eine Koryphäe auf ihrem Gebiet, da dürfen sie auch dick und hässlich sein. Aber ein neuer Autor sollte schon attraktiv sein. Schöne Menschen haben es überall einfacher, wie unzählige Studien beweisen.

Zu jung für ein Buch, zu alt für den Erfolg

Die Realität ist hart, liebe Kolleginnen und Kollegen. Vor allem für diejenigen unter uns, die auf die fünfzig zugehen oder sie überschritten haben. Früher wurde der alte Wein, der alte Geist besser, so kam es zum Weingeist. Heute schimmelt er ab fünfzig. Kürzlich erzählte mir meine Agentin folgende Horrorstory: Wenn ich zwei Bücher anbiete, das eine von einer Autorin über fünfzig, die seit langem im Geschäft und auch recht erfolgreich ist, allerdings eher im Mittelfeld. Und das andere von einer Autorin Anfang zwanzig, die sensationell gut aussieht und ein unbeschriebenes Blatt ist. Da wollen die Verlage alle die Zwanzigjährige. Die kann man nämlich aufbauen, aus der kann man noch was machen. Vielleicht hat sie auch noch eine interessante Biografie? Von einem Lama gestillt, später auf dem Handwagen durch Rumänien, einen Flugzeugabsturz überlebt und als Hobby: Apnoetauchen. Das interessiert die Medien. Das Buch läuft dann so nebenbei mit.

Als ich Anfang zwanzig war, hieß es: Du bist noch zu jung, du musst was erleben, bevor du eine Autorin wirst, die etwas zu sagen hat.

Heute bin ich fünfzig und es heißt: Du bist zu alt.

Aber das kenne ich schon. Ich war zu jung für die Hippies und zu alt für den Punk und jetzt vereinbare ich mal einen Termin beim Friseur, zum Haare färben, und das hat nichts mit dem Alter zu tun, das haben die Punker seinerzeit auch gemacht. Kotzgrün zum Beispiel.

 

Autorin: Michaela Seul | www.Shirley-Michaela-Seul.de
In: Federwelt, Heft 117, April 2016
Illustration: Carola Vogt