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Einen Roman schreiben: Der ideale, zeitgemäße Anfang

Federwelt
Cally Stronk
Illustration eines Buches

Aller Anfang ist schwer. Oder doch nicht? Welche Möglichkeiten gibt es, die Leser*innen sofort in eine Geschichte zu ziehen? Was ist wichtig? Was geht gar nicht? Und was können wir von Netflix-Inhalten und anderen innovativen Formaten lernen? Cally Stronk hat Profis aus der Literatur- und Filmbranche befragt, was sie beindruckt hat und was sie schon zu oft gelesen oder gesehen haben.

Ähm, ja, geht gleich los … einen Moment noch … ich mach mir grad noch ein paar Gedanken, wie man einen Artikel beginnen sollte, in dem es um Anfänge geht. Um gute Anfänge, um zeitgemäße Anfänge … ja sogar um den idealen Anfang. Bei diesen Ansprüchen kann man nur scheitern, oder?
Als Autorin hab ich die Erfahrung gemacht, dass der ideale Anfang nicht unbedingt der erste ist, den man schreibt. Oft wird mir erst am Ende einer Geschichte klar, welchen Einstieg sie braucht. Und dann wird umgeschrieben, gefeilt, ein Bogen nach hinten gesponnen und wiederum eine Menge gekürzt. Ich persönlich mag es, wenn gleich etwas passiert, wir mitten in einer Szene sind und die Figuren dadurch kennenlernen. Obwohl ich in meinem neuen Buch, das im Mai erscheint, etwas anders gearbeitet habe. Da hab ich auch lange rumprobiert, bis ich zufrieden war. Da habe auch ich gegrübelt: Wie finde ich den idealen Anfang für meine konkrete Geschichte? Einen Anfang, den es so noch nicht gab, der aber alle Ansprüche an einen guten Anfang erfüllt. Und was sind überhaupt diese Ansprüche?

In zahlreichen Schreibkursen habe ich gelernt, dass ein idealer Anfang

  • das Genre der Geschichte widerspiegelt, also komisch, spannend, romantisch oder grausam ist, so wie auch der restliche Text;
  • uns mit der Hauptfigur/den Hauptfiguren vertraut macht,
  • uns in die Welt der Geschichte einführt,
  • einen Ausgangspunkt für eine Entwicklung bietet,
  • neugierig macht,
  • fesselt
  • und Lust auf mehr weckt.

Man soll Fragen aufwerfen, heißt es. Doch ich habe schon oft Anfängertexte gelesen, die zu viele Fragen offen lassen und einen beim  Lesen überfordern. Es reicht meist, eine einzige Frage aufzuwerfen.
Sind all diese Regeln wirklich bindend? Unter welchen Umständen können wir sie brechen?

Was sagen Autor*innen und Schreibcoaches dazu?
„Mein idealer Anfang ist meist der zweite Satz. Einfach den ersten Satz wegstreichen, das geht häufiger, als man denkt", rät Frank Sorge. Er ist selbst Autor und gibt Seminare zum Thema Anfänge.
Zeitgemäß ist für ihn ein Anfang, der knapp und direkt ist. „Ich stelle es mir wie bei Gussformen vor, wo man später den Knubbel vom Eingießen wegfeilt. Wir haben doch alle keine Zeit. Verschwurbelte, neblige Anfänge sind altbacken. Wer zu lange rumlabert, wird weggelegt.“
Für die Lesebühne rät Frank, immer mit einem Witz loszulegen. „Wenn man keinen guten gefunden hat für den Anfang, muss man vorher einen erzählen.“
Und in der Literatur? Frank überlegt: „Vielleicht muss der Anfang nur zeigen, womit man alles rechnen muss, wenn man weiterliest. Modern ist womöglich, wer pitcht, wie man das gerade auch überall sonst lernt.“
Zeitgemäß ist für Frank also, seiner eigenen Geschichte eine Art inhaltlichen Kurztrailer voranzustellen. So viel zu den Netflix-Parallelen ;-) 
Lustigerweise hab ich genau das in meinem neuen Buch getan. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch den Anfang anschauen unter: www.callystronk.blogspot.com
Was für Frank allerdings nicht geht sind „bedeutungsschwere Rufe aus dem Nichts“.

„Der ideale Anfang für einen neuen Roman ist ein Buchvertrag“ Rüdiger Bertram, Autor

Auch Kirsten Fuchs, Autorin, Kolumnistin für Das Magazin, unter anderem ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, hat Frank Sorges "Anfänge“-Seminar besucht: „Vorher habe ich mir gar nicht so viel Gedanken über Anfänge gemacht. Ich bin am liebsten reingesprungen, also am besten sofort in den Dialog oder die Aktion. Bei Franks Workshop haben wir dann einen spielerischen Zugang geübt. Wir haben Zettel gezogen und anhand der Begriffe versucht, in den ersten Satz eine Figur und zwei Aktivitäten einzubauen. Dabei entstanden Sätze wie: Tante Klaus stand auf dem Spaten und lachte. Das erinnerte an das alte Spiel ‚Onkel Thomas sitzt in der Badewanne ...‘ und das war natürlich albern, aber das System fand ich gut. Also dass man weder Landschaft noch Wetter beschreibt, sondern dass man einfach in die Handlung geht. Ich finde, das gilt aber nur für Kurzgeschichten. Bei Romanen und Theaterstücken stehe ich auf eine Einleitung, sowas wie einen übergeordneten Blick auf alles, oder einen Gedanken, der am Ende der Handlung entsteht und vorn wie ein Aufhänger platziert ist. So fragen sich die Leserinnen: Wie ist es zu diesem Gedanken gekommen? Und dann geht es richtig los. Da steh ich einfach drauf, aber das ist natürlich Geschmackssache.“
Ja, über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Und jeder kann machen, was er will. Allerdings finde ich es immer gut, die Möglichkeiten zu kennen: Wir können mit einer Person anfangen, mit einer Handlung, mit einer Frage, einem übergeordneten Thema, einem Dialog, einem Konflikt ... Aber was ist es nun wirklich, das unseren Anfang gut macht? Vielleicht hilft uns, mehr darüber nachzudenken, wie man nicht anfangen sollte.

Wie man auf keinen Fall anfangen sollte
Hier kommen tolle Tipps von Wolfgang Kirchner, Autor, Schreibcoach und Grimme-Preisträger:

  • Bitte nicht mit allzu ausführlichen Personenbeschreibungen anfangen. Der Leser will sich selbst einen Eindruck verschaffen, will die Person im Konflikt mit anderen Personen beobachten und so einen inneren Kontakt zu ihr aufbauen.
  • Auch das Aufwachen der Heldin ist abgegriffen. Dies ist der langweiligste Moment in ihrem Leben, vor allem, wenn sie einen tiefen und genussreichen Schlaf hatte. Statt mit einem Klischee solltest du mit einem originellen Bild anfangen und in einer spannenden Situation, die den Leser in die Welt und Konflikte der Person hineinzieht.

Was sollten wir noch lassen?

  • Mitten in einer Action-Szene zu beginnen: Noch hatte der Leser keine Chance, sich in die Person einzufühlen, die du von Anfang an in voller Aktion zeigst. Erst wenn du etwas geschehen lässt, das in uns Gefühle für diese Person weckt, Sympathie, Anteilnahme, Sorge, sodass wir uns mit ihr identifizieren, ihr die Daumen drücken, kannst du sie in einer Verfolgungsjagd zeigen.“

Über diesen Ratschlag musste ich mit Wolfgang diskutieren, da ich es ja sehr gerne mag, wenn gleich ordentlich was passiert. Auf Nachfrage relativiert er den Punkt. „Wenn die Szene gut geschrieben ist, dann kann sie actiongeladen, aber trotzdem hochemotional sein, so wie in der ersten Folge der Serie Bodyguard“, so Wolfgang. „Sie fängt extrem spannend an – mit einem Vater, der seine beiden schlafenden Kinder im Zug schützen und gleichzeitig einen Terroristen auf höchst diplomatische Weise daran hindern will, einer Frau einen Sprengstoffgürtel anzulegen. Dieser Autor ist einigen Fehlern, die ich bei meinen No-Gos geißle, sorgfältig aus dem Weg gegangen.“ Wolfgang ist stets die Verbindung zur Hauptfigur, zum Konflikt wichtig. „Es gibt natürlich Radau-Serien mit Radau-Anfängen. Die sehe ich nicht.“
Ich würde den Punkt also umformulieren in: „Keine leere Action!“
Weiter rät Wolfgang, „den Leser nicht gleich mit einer Menge Dialog zu erschlagen“: „Dein Dialog mag noch so witzig sein – der Leser weiß nicht, wovon die Rede ist, da er die Figuren nicht kennt, die hier miteinander sprechen. Besser, du fängst mit einer Dialogzeile an, die eine ganz besondere Stimmung und den Tonfall einer Person vermittelt, um uns dann miterleben zu lassen, in welchem Konflikt und in welcher Spannung sie sich befindet."
Ich finde den Hinweis sehr gut, dass wir immer den Konflikt im Visier haben sollten. Im Konflikt wurzelt die ganze Geschichte, es bietet sich also an, genau dort anzufangen.
Zudem kritisiert Wolfgang es, wie so viele, mit einem Traum anzufangen. „Wenn du den Leser etwas erleben lässt, ohne ihm zu sagen, dass es ein Traum ist, und ihm das erst nach einer Weile verrätst, wird er enttäuscht sein und sich bei allem, was du in der Folge erzählst,  fragen: Ist das etwa auch nur ein Traum …? (Auch solltest du nicht mit allzu vielen Charakteren beginnen und mit allzu viel Backstory…)
Wolfgang rät also von Träumen als Anfang ab. Ich denke nach. Ich selbst habe in Theo und der Mann im Ohr mit einem Albtraum angefangen und dieses Buch wurde von über 300 Kindern 2019 mit dem Preuschof-Preis für Kinderliteratur ausgezeichnet. Allerdings ist der Traum kurz und knackig und symbolisiert genau den Konflikt der Hauptfigur, den es zu bearbeiten gilt.

Anfänge im Vergleich
Oliver Wenzlaff (auch Federwelt-Autor) hat 2017 und 2018 eine sehr interessante Veranstaltungsreihe auf der Leipziger Buchmesse durchgeführt: Die Leipziger Wortmeisterschaft, eine Art literarisches Turnier. Autor*innen konnten mit der ersten Seite ihres Werks teilnehmen –, egal ob der Text schon veröffentlicht oder noch im Entstehen war. Auf der Bühne wurde dann der jeweils erste Satz einer Gruppe vorgelesen ohne Nennung des Titels, des Inhalts oder der Urheber*innen. Die ersten Sätze mit dem größten Publikumsapplaus kamen eine Runde weiter. In der zweiten Runde wurde der zweite Satz vorgelesen, und im Finale haben die Autor*innen persönlich ihre komplette erste Seite vorgelesen. Mich hat interessiert, welche Art von Anfängen bei Olivers Textduell am besten ankamen. „Ich erinnere mich an eine Protagonistin, die rasch über die eigene Schulter blickt, in die Dunkelheit hinein, und es prickelt in ihrem Nacken“, erzählt mir Oliver. „Das Publikum hat es immer honoriert, wenn es sofort um Menschen ging und eine Herausforderung spürbar war. Da schien eine Kraft vorhanden, die einen packen kann, und die eine Weite für den kompletten Roman aufmacht. Eine Autorin hat mir anschließend gesagt, dass ihr die Schwäche ihrer eigenen ersten Zeilen erst durch den direkten Vergleich der vielen Textanfänge klar wurde. Sie hat dann ein anderes Mal wieder mitgemacht und ist viel weiter gekommen.“
Ja, es ist bestimmt hilfreich, sich gute Anfänge von anderen anzuschauen.
„Als Buchkäufer gehe ich so ähnlich vor wie in meinem Wettbewerb“, sagt Oliver. „Ich lese viele Bücher an, ohne den Klappentext gesehen zu haben. Die ersten Zeilen sollen mir sagen, um wen und worum es geht. Und wie sich die Sprache gestaltet natürlich. Ich arbeite gerade an meinem ersten Roman. Da habe ich entsprechend viel mit dem Anfang experimentiert, die Handlungsorte, den Zeitpunkt und die Perspektiven getauscht, Konflikte mal mehr und mal weniger angedeutet. Ich habe sogar verschiedene Anfänge von einem Sprecher vertonen lassen, um den Klang meiner Worte mit einer anderen Stimme zu überprüfen."
Das habe ich jetzt schon öfter gehört, dass Autor*innen ihre eigenen Texte aufnehmen und sich selbst vorspielen. Das ist auf jeden Fall auch mal ein interessantes Werkzeug, um sich mit seinen eigenen Inhalten zu beschäftigen.
Zurück zu den Profis! Ich habe auch mit Lisa Kuppler gesprochen. Lisa ist freie Lektorin, Übersetzerin und Schreibcoach (www.schreibakedemie-nordkolleg.de) unter anderem für Emons, Rowohlt, Klett-Cotta und Rotbuch. Da ich ihre Antworten sehr treffend und lehrreich finde, möchte ich das ganze Interview zeigen:

Liebe Lisa, was ist für dich ein idealer Anfang?
Den einen idealen Romananfang gibt es für mich nicht. Es gibt höchstens den idealen Anfang für einen bestimmten Roman. Oder für eine bestimmte Leserin. Mich kriegt man mit dem Satz: In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit. Und dem gesamten nachfolgenden Absatz, in dem mir Tolkien erzählt, was für ein Loch das nicht ist, in dem dieses seltsame Wesen namens Hobbit lebt.

Was braucht denn ein guter Anfang?
Ken Follett hat einen guten Anfang so beschrieben: Er „reißt ein Fenster auf in die Welt der Geschichte“. Oder ein anderes Bild: Thomas Brussig spricht vom Anfang als dem „Brühwürfel, mit dem die ganze folgende Suppe gekocht wird“.
Ein guter Anfang ist ein Versprechen an die Leser*innen, dass sie eine interessante Geschichte lesen werden. Er kann ein Rätsel sein, eine Lebensweisheit, etwas Seltsames, etwas Unerhörtes, auf jeden Fall etwas, das die Leser*innen neugierig macht. 
Man kann das akademischer auch so ausdrücken: Mit dem Anfang schließt die Autorin einen Vertrag mit den Leser*innen. Die Autorin verspricht: Das ist der Ton dieses Romans – ironisch, humorvoll, ernsthaft ... – in dieser Sprache wird er erzählt, um diese Themen wird es gehen. Die Leserin lässt sich im Gegenzug darauf ein, dass sie an der Romanhandlung – in den Grenzen, die der Anfang setzt – nicht zweifeln wird. 
Der erste Satz von Kafkas' Verwandlung lautet: Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Keine Leserin, kein Leser wird wirklich glauben, dass sich ein Mensch in ein Ungeziefer verwandeln kann. Doch für den Zeitraum des Romans lassen sich die Leser*innen auf diese andere, fiktionale Wirklichkeit ein, und sie bekommen dafür im Gegenzug eine faszinierende literarische Erfahrung.

Und wie gestaltet man einen Anfang zeitgemäß?
Klassischerweise soll ein Anfang zwei oder drei der sogenannte W-Fragen beantworten: Was passiert wem, wann, wo, warum? In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit beantwortet das Wer und Wo.
Doch ich empfinde es heute als zeitgemäßer, wenn Anfänge sich erst mal gar nicht um die W-Fragen kümmern. Gute Anfänge können vielleicht eine kurze Episode erzählen, die erst viel später im Roman wichtig wird. Oder eine Figur erzählt einen Witz, und wir lernen dabei die Figur und ihre Zuhörer*innen kennen. Oder ein kurzer Dialog wird wiedergegeben. Dabei „hören“ die Leser*innen zum ersten Mal die Stimme der Erzählerin, und sie bekommen mit, auf welche Art und Weise die Geschichte vermittelt wird. Und das zieht sie in den Roman hinein und macht sie neugierig auf das, was da kommen wird.

Kannst du Trends beobachten?
Aus meiner Sicht der deutlichste Trend des letzten Jahrzehnts ist ein Prolog als Anfang. Der Trend ist so übermächtig, dass es schon heißt, jeder Roman bräuchte einen Prolog. Was natürlich nicht stimmt: Viele Romane kommen wunderbar ohne Prolog aus. Die neuen, trendigen Prologe erzählen oft eine Miniszene, gerne auktorial geschrieben, die im Buch eine Schlüsselszene ist oder – vor allem im Thriller – eine extrem brutale Gewaltszene. Wie alle Anfänge sollen diese Kurzszenen die Leser*innen neugierig machen auf das Buch. Bei manchen Prologen gelingt dies, bei anderen frage ich mich, warum der Prolog nicht einfach das erste Kapitel des Romans ist.

Was sind für dich No-Gos?
Eine der Hauptschwierigkeiten von Romananfängen ist die Vermittlung von Hintergrund- und Vorgeschichte. Ein No-Go ist, dass die Vorgeschichte chronologisch vor der eigentliche Romanhandlung erzählt wird. Ein Roman soll möglichst direkt und mitten in die Handlung einsteigen. Es gibt wundervolle Ausnahmen, die es anders machen, doch eines beachten alle Anfänge: Die Leser*innen interessieren sich erst wirklich für die Vorgeschichte, wenn sie die Figuren, ihre Konflikte und ihre Welt kennengelernt haben.

Inwieweit unterscheiden sich diese Ansprüche je nach Genre?
Eigentlich gelten sie für alle Genres. Allerdings gibt es je nach Genre Aspekte, die man beachten muss und die Auswirkungen auf die Gestaltung des Anfangs haben.
Beim Schreiben von literarischen Welten, die nicht unserer Realität entsprechen – also in der Science-Fiction, Fantasy und im historischen Roman – ist eine Schwierigkeit, dass die Leser*innen die Welt nicht kennen. Die Autorin muss deshalb mehr Aufwand betreiben, die Welt einzuführen, das sogenannte „Worldbuilding“. Für den Anfang gibt es da zwei Möglichkeiten: Der Roman beginnt mit irgendetwas Originellem, das zeigt, wie die Welt funktioniert. Das kann ein Dokument sein, eine auktoriale Passage, in der zum Beispiel eine Reiseroute erklärt wird, eine Legende aus der Fantasywelt oder eine Prophezeiung.
Oder die Autorin steigt mitten ins Geschehen ein, verwendet fremde Bezeichnungen und unbekannte Ortsnamen, und die Leser*innen vertrauen darauf (weil sie diesen Leser-Autor-Vertrag geschlossen haben), dass sie beim Lesen irgendwann mitbekommen werden, was das eigentlich alles bedeutet.
Im Liebesroman wird am Anfang oft die Begegnung der Hauptfigur mit einer Person erzählt, der oder die das ideale Love-Interest sein könnte. In dieser ersten Szene taucht dann eine zweite Person auf, die unhöflich, arrogant, schnippisch oder unattraktiv ist. Es ist Genrekonvention, dass diese zweite Person – die die Hauptfigur erst gar nicht leiden kann – das echte Love Interest wird. Wer in der Romance einen ungewöhnlichen Anfang schreiben will, kann mit dieser Genrekonvention spielen, sie auf den Kopf stellen oder die Figuren ganz anders einführen.

Es gibt also viele Möglichkeiten einen guten Anfang für seine eine Geschichte zu kreieren. Wichtig ist es hierbei, originell zu sein und den Leser, die Leserin nicht zu überfordern. Es bietet sich an, einen scharfen Blick für Anfänge zu entwickeln, Anfänge zu recherchieren und rumzuprobieren.
Anke Thiemann (dtv), eine meiner Lieblingslektorinnen, bringt es für mich auf den Punkt: „Ein guter Anfang hat irgendetwas, woran man hängen bleibt, irgendetwas, das einen neugierig macht.“
Und was zieht sie in ein Buch? „Ich persönlich mag etwas, worüber man zunächst einmal stolpert. Idealerweise stellt sich aber wenig später ein Aha-Effekt ein. In den Zeiten von Social Media und einer sinkenden Aufmerksamkeitsspanne bewährt es sich oft, ohne Umschweife zur Sache zu kommen, und erst später Erklärungen nachzuliefern. Das heißt, man erklärt nicht zuerst Setting und Figuren, sondern startet gleich mit der Action, und wenn man den Leser dann am Haken hat, kann man die nötigen Erklärungen nachliefern.“
Eins ist sicher: Ein guter Anfang funktioniert wie ein Angelhaken. Womit wir unsere Leser*innen ködern, können wir selbst entscheiden. Und ob der Köder schmeckt, entscheiden dann wiederum die Leser*innen.

Linktipps

Autorin: Cally Stronk | https://callystronk.blogspot.com | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 141, April 2020
Blogbild: Carola Vogt

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 141, April 2020: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-22020
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