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Drehbücher schreiben #1 DrehbuchautorIn werden

Federwelt
Christine Drews
Teilweise abgerollte Filmspule

Die Entscheidung, DrehbuchautorIn zu werden, kann man heute schon direkt nach dem Abitur treffen: Indem man sich für einen der Studiengänge „Drehbuch“ einschreibt, die beispielsweise von der Filmuni Babelsberg (Potsdam) oder von der Hochschule für Fernsehen und Film (München) angeboten werden.

Das Leben als Geschichtenfundus

Die meisten DrehbuchautorInnen, die ich kenne, haben diese Studiengänge aber nicht besucht. Zum einen gab es die bis vor ein paar Jahren noch gar nicht, zum anderen ist es durchaus hilfreich, das Leben mal richtig kennenzulernen, bevor man eine große Öffentlichkeit mit Geschichten unterhalten will.
Schließlich muss man ja auch irgendetwas zu erzählen haben. Unter meinen Kolleginnen und Kollegen finden sich daher viele, die vorher beispielsweise als Krankenpfleger oder Kellnerin gearbeitet haben oder auch im Medienbereich tätig waren, ohne zu schreiben. Ich selbst habe als Redakteurin für eine große Talkshow gearbeitet, bevor ich zum Schreiben kam. Und ein Quereinstieg ist bis heute möglich – vor allem, wenn man sich die Techniken und handwerklichen Voraussetzungen vorher aneignet. Die Auswahl an Wochenendseminaren ist groß, man kann sich auch eine Menge selbst beibringen.

Kino, Fernsehfilm oder Serie?

Träumen Sie davon, die Grundlage für einen großen Kinofilm zu schreiben?
Thomas Jahn, damals Taxifahrer, hat Til Schweiger in einer Kölner Buchhandlung getroffen, sprach ihn auf eine seiner Rollen an, erwähnte, dass er selbst auch Drehbücher schreibe und durfte Schweiger daraufhin eines schicken. Mit dem zweiten Buch, Knockin’ on Heaven’s Door, kamen sie zusammen. Es wurde der erfolgreichste deutsche Film 1997. Aber machen wir uns nichts vor: So ein Fall ist die Ausnahme. Auch wenn man den Traum vom großen Kinofilm niemals begraben sollte, ist es empfehlenswert, sich ein Format zu suchen, in dem man Erfahrungen sammeln kann und gleichzeitig Geld verdient. Denn was viele vergessen: Ein Film dauert. Sowohl im Fernsehen als auch im Kino. Locker zwei Jahren und mehr können vergehen von der Einreichung des Plots bis zum Beginn der Dreharbeiten und der damit verbundenen Auszahlung der letzten Rate des Drehbuchhonorars. Und in all dieser Zeit gibt es KEINE Garantie, dass der Film wirklich gemacht wird. Nicht wenige Projekte wurden kurz vorm Ziel noch abgesagt – und brachten den Autor so um die Hälfte seines fest eingeplanten Honorars.
Ein Honorar von 65.000 Euro, das für einen 90-Minüter auch für eine unbekannte Autorin durchaus drin sein kann, klingt erst mal toll – relativiert sich aber schnell, wenn man mehrere Jahre davon leben muss. Ich kenne Kollegen, die über zwei Jahre an einer Tatortfolge arbeiten. Wenn man dann nicht noch woanders seinen Fuß in der Tür hat, muss man ganz schön rechnen, um über die Runden zu kommen. Viele AutorInnen versuchen deshalb, bei einer Serie Fuß zu fassen, die regelmäßig, wöchentlich oder gar täglich läuft.

Nach- und Vorteile der Arbeit an Serien

Eine Serie mit – sagen wir mal – fünfundzwanzig Episoden pro Jahr bedeutet einen enormen Arbeitsaufwand für die Produktionen. Bei einer Serie, die täglich ausgestrahlt wird, ist es noch massiver. Ohne den Schaffensprozess rund um eine „Daily“ herabwürdigen zu wollen: Gewisse Ähnlichkeiten mit Fließbandarbeit sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Drehbücher müssen geschrieben und überarbeitet werden, Schauspielerinnen müssen ihre Texte lernen, Regisseure dann alles inszenieren und eine Postproduktion gibt es schließlich auch noch. Der enge Zeitrahmen fordert, dass viele Arbeitsvorgänge zeitgleich stattfinden. Manche Drehbücher werden noch geschrieben, während andere gerade gefilmt werden. Aus diesem Grund haben die Daily Soaps häufig ein Team von festen AutorInnen, die täglich vor Ort arbeiten und die Serie in- und auswendig kennen. Diese Festangestellten verdienen zwar gutes Geld, begeben sich aber in einen stressigen Arbeitsalltag, der oft erst spät endet. 
Wer als EinsteigerIn die Möglichkeit bekommt, bei so einer Serienproduktion Erfahrungen zu sammeln, der sollte es trotzdem tun, wenn es sein restliches Leben zulässt. Diese Arbeitsphasen sind sicherlich nichts für junge Eltern, aber sie bieten die Chance, die Produktion einer Serie wirklich von A bis Z kennenzulernen. Für einen Drehbuchautor ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Denn bei einer Serie, nicht nur bei einer Daily, auch bei einer Weekly, muss die Autorin in einem relativ strengen Korsett arbeiten. Die Figuren gibt es womöglich schon seit Jahren: Man muss wissen, wie die Figur denkt und handelt, mit wem sie schon liiert war und welche Fehler ihr passiert sind. Außerdem ist es hilfreich, die Kulissen zu kennen. Bei einer Krankenhausserie etwa, ist es wichtig zu wissen, wo der OP-Raum liegt, ob die Patientenzimmer ein Bad haben oder nicht und wo die Pflegekräfte ihre Kaffeepause machen. Klingt banal, ist es aber nicht. Denn es sind Orte, an denen Handlung vorkommen kann oder soll. So wurden die AutorInnen von der Serie Bettys Diagnose, für die ich seit Jahren schreibe, alle durchs Set geführt.
Natürlich kann man diese Erfahrungen auch als freie Autorin sammeln, so wie es bei mir mit Bettys Diagnose der Fall war. Fast alle Produktionen arbeiten mit einer ganzen Anzahl freier Drehbuchautoren zusammen, da die fest angestellten die große Menge an Drehbüchern gar nicht schreiben könnte.
Häufig gibt es nur einen fest angestellten Headautor, bei dem die Fäden zusammenlaufen, während alle Bücher von Freien geschrieben werden. Gerade bei den Dailys gibt es dann auch die reinen Dialog-Bücher. Das bedeutet, die fest angestellten AutorInnen erstellen die Storyline, also den Plot, und die DialogautorInnen lassen die Figuren nur noch sprechen. Das ist deutlich weniger Arbeit, als ein komplettes Drehbuch zu schreiben, wird aber natürlich auch schlechter bezahlt.

Wie komme ich an meinen ersten Auftrag?

In der Regel entscheiden Produzenten oder Headautorinnen, wen sie als freien Autor, als freie Autorin mit ins Boot nehmen. Viele von uns haben heute eine Agentur, die dann Probearbeiten einreicht. Das können komplette Drehbücher sein, die man ohne Auftrag geschrieben hat, und in denen man zeigt, dass man das Handwerk beherrscht. Genauso läuft es auch ohne Agentur, wobei sich empfiehlt,  ein Gespräch mit Headautor oder Producerin zu führen, bevor man etwas einreicht.
Beim Film läuft es ähnlich, nur dass man hier durchaus mit einer eigenen Idee an die Produzenten herantreten kann und häufig erst mal einen Pitch (ein Exposé) einreicht, um das grundsätzliche Interesse an dem Stoff abzuklären. Dabei ist es natürlich wichtig, sich vorher über den Produzenten zu informieren: Realisiert er in erster Linie historische Stoffe? Oder Komödien? Liebesfilme? Passt meine Filmidee zu seinem Portfolio? Bei Interesse folgt meistens ein Entwicklungsauftrag, bei dem das Treatment erstellt wird. Erst dann kommt es zum eigentlichen Drehbuchauftrag.

Achtung, Falle!

Beim Film kommt es übrigens vor, dass die Produzentin dem Autor die Rechte an dem Pitch/Exposé für ein- bis zweitausend Euro abkaufen möchte. Auch wenn man sich als Autor freut, dass der Stoff so gut gefällt, ist bei dieser Praxis Vorsicht geboten. Hat der Autor die Rechte verkauft, kann er den Stoff nicht mehr woanders anbieten – egal ob die Produzentin ihn verfilmt oder nicht. Auch kommt es gar nicht so selten vor, dass eine Sendeanstalt wie das ZDF, die ARD oder RTL einen Lieblingsautor für das jeweilige Genre hat – und dann schreibt plötzlich eine andere Autorin den Film, dessen Grundgeschichte man sich doch selbst ausgedacht hatte.

Die Chance: ein Probebuch schreiben

Zurück zur Serie. Gefällt die Arbeitsprobe, bekommt man in der Regel eine Folge als Probebuch zugewiesen. Soll der neue Kollege zum Beispiel die Folge 45 einer etablierten Krimiserie schreiben, dann erfährt er nun die „Private Lines“ der Hauptprotagonisten, also welche Kommissarin sich in der Folge davor von ihrem Mann getrennt hat. Außerdem erfährt er, welche Kriminalfälle in den letzten Staffeln schon gezeigt wurden, um Doppelungen zu verhindern. Der Autor reicht dann zunächst einen Pitch zu dieser Folge ein, in dem er die Private Lines mit dem jeweiligen Fall der Folge verbindet. Manche ProduzentInnen mögen es, wenn die Kriminalfälle die Private Lines spiegeln, wenn also im Fall der geschiedenen Kommissarin ihre Mordverdächtige auch gerade Eheprobleme hat.
Überzeugt der Pitch nicht, darf man häufig noch einen zweiten einreichen, aber fällt der wieder durch, ist man meist erst mal raus. Gefällt der Pitch, darf der Autor ein Treatment schreiben, also eine genaue Szenenabfolge der Serie, wobei er jede Szene nur in ein paar Zeilen zusammenfasst.

Folgeaufträge? Sicher ist nichts

Auch dann kann er immer noch rausgeschmissen werden, wahrscheinlicher ist allerdings, dass man dem Autor mit konstruktiver Kritik begegnet und ihn eine zweite Fassung schreiben lässt. Danach geht es in die eigentliche Drehbucharbeit, die auch aus mehreren Fassungen besteht. Je nachdem, wie gut dieses Probebuch ankommt und wie reibungslos die Zusammenarbeit verlief, ist mit Folgeaufträgen zu rechnen.
Dennoch: Theoretisch kann man an unzähligen Stellen, auch bei Folgeaufträgen, aus der Produktion fliegen – nach dem Pitch, nach dem Treatment und in der Drehbuchphase. Eine Sicherheit gibt es für freie AutorInnen nicht. Andererseits brauchen die ProduzentInnen dringend die Drehbücher. Bei einer Daily oder Weekly besteht großer Zeitdruck, keine Produktion kann es sich leisten, dauernd ihre AutorInnen rauszuschmeißen.
Das Schwierigste an der ganzen Autorenkarriere ist in der Regel der erste Auftrag. Danach findet sich meistens alles.

Drehbücher schreiben: Fernsehen, Amazon und Netflix als Lehrmeister

Die große Fülle an Serien und Filmen bietet einer angehenden Autorin einen schier unerschöpflichen Fundus an Lehrmaterial. Ich empfehle, sich möglichst viele Serien oder Filme des Genres anzuschauen, für das man gerne schreiben möchte. Wer sich die besten Ausstrahlungen anschaut und fachgerecht analysiert, lernt sehr viel. Vielleicht setzen Sie sich in Zukunft mit Bleistift und Papier vor Fernseher oder Tablet und notieren, wo eine Szene spielt und was der Kernpunkt ihrer Handlung ist. (Eine neue Szene beginnt, nachdem Zeit vergangen ist oder wenn der Handlungsort wechselt.)
Welche Figuren sind in welcher Szene beteiligt? An welcher Stelle endet der erste Akt? Wenn die Folge zu Ende ist, sollte man zunächst auf sein Bauchgefühl hören und sie bewerten: Hat die Geschichte funktioniert? Was waren die Stärken und Schwächen? In der Regel lässt sich eine Folge oder ein Film nach drei Kriterien beurteilen: Charakterisierung, Story und Struktur.

Starke Figuren und Konflikte?

Bei der Charakterisierung beurteilt man die Figuren. Waren die Charaktere glaubhaft angelegt? Ergibt die Figurenkonstellation Sinn? Das Herzstück jedes Dramas und jeder Komödie ist der Konflikt, da macht eine Serie keine Ausnahme. Waren die Konflikte ausreichend etabliert?
Warum genau funktionieren die einzelnen Beziehungen und Konflikte zwischen den Figuren oder nicht?
Wichtig ist außerdem, ob die Hauptfigur den Plot dominiert. Idealerweise tut sie das bei Serie oder Film. Haben Serien schwache Hauptprotagonisten, neigen sie dazu, starke Episodenfiguren einzuführen. In solchen Fällen taucht praktisch in jeder Folge irgendeine Nachbarin, ein Bote oder Verwandter auf, der die Geschichte an sich reißt. In guten Plots dagegen fungieren Episodenfiguren (oder im Film: die NebendarstellerInnen) eher als Katalysatoren, die die Handlung der Hauptfiguren in Gang bringen.

Beispiel für eine Konflikt-Szene

STATION/VOR AUFZUG – INNEN/TAG 
Betty gesteht Oliver den Kuss, der geht auf Stern los. 
BETTY und OLIVER stehen bei den Fahrstühlen. Im Hintergrund sehen wir TALULA und HANNA am Empfang arbeiten, Unterlagen und Arztbriefe sortieren. Hanna macht ein verärgertes, trauriges Gesicht, Talula notiert sich die Daten einer neuen Patientin.

OLIVER Jetzt sag schon, was los ist. Ich hab Feierabend, will nach Hause. Ist irgendwas mit Hanna? Habt ihr Stress?

Betty atmet hörbar durch. Man sieht ihr an, dass sie ihren Mut zusammennehmen muss.
BETTY (seufzend) Ja. Sie ist sauer auf mich. 
OLIVER Warum? 
BETTY Weil ... Weil Stern mich geküsst hat ... 
Olivers Augen weiten sich. Er macht ein geschocktes Gesicht.

OLIVER Wie bitte? 
Betty bemüht sich um Schadensbegrenzung. 
BETTY Oliver, das hatte überhaupt nichts zu bedeuten! Es hätte auch die Puhl sein können...  
OLIVER (fassungslos) Ihr habt rumgeknutscht?! 
BETTY (stotternd) Äh ... nein! Es war ein kurzer, völlig überflüssiger Kuss, ohne jede Bedeutung. 
OLIVER (tonlos) Wann ist das passiert? 
BETTY Vor ein paar Wochen ... Am Abend vor der Jubiläumsfeier. 
OLIVER (wütend) Und warum erzählst du mir das erst jetzt? 

In Oliver brodelt es immer mehr. Betty gerät wieder ins Stottern. 
BETTY Ich wollte es dir längst erzählen, aber ... irgendwie […] 
Während Betty spricht, sieht Oliver, wie die Aufzugstür aufgeht und DR. STERN erscheint. Bevor der den Aufzug verlassen kann, stürmt Oliver auf ihn los, er holt aus und wir sehen Sterns entsetztes Gesicht.

Drama, Humor, Originalität

Wenn man sich die Story oder den Plot genauer anschaut, sollte man sich folgende Fragen zur Grundgeschichte der Episode oder des Films stellen: Ist die Geschichte logisch? Hat sie genug Humor beziehungsweise Dramatik? Bei einer Serie ist außerdem wichtig: Entspricht der Plot den Figuren, so wie sie bisher etabliert wurden? Ist die Geschichte wenigstens halbwegs originell? Oder wird eine Story aufgewärmt, die schon zigmal erzählt wurde?
Abschließend gilt es, einen Blick auf die Struktur des Films oder der Serie zu werfen: Zeigt die erste Szene, wovon die Geschichte im Wesentlichen handeln wird? Treibt jede folgende Szene die Handlung voran? Gibt es etwa in der Mitte des zweiten Aktes einen Punkt, an dem die Geschichte zu ihrem Höhepunkt gelangt? Oder verharrt sie während des ganzen zweiten Aktes auf einem konstanten Konfliktniveau? Und: Wird der eine Konflikt klar aufgelöst?
Solche Analysen sind übrigens auch Teil eines professionellen Drehbuchsstudiums und fester Bestandteil in Wochenendseminaren.
In der nächsten Folge geht es um die Frage, wie man einen guten Plot entwickelt. Wer Zeit und Lust hat, kann ja bis dahin schon mal ein paar Filme oder Serien analysieren!

Autorin: Christine Drews | www.christinedrews.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 147, April 2021
Blogbild: Denise Jans auf Unsplash

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 147, April 2021: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-22021
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