Herzchirurg Privatdozent Dr. med. Reinhard Friedl im Gespräch mit unserer Autorin Shirley Michaela Seul, die an seinem Buch mitgearbeitet hat
Bitte die LeserInnen nicht überfordern. Bitte keine Fachtermini. Bitte nicht zu umfangreich. Bitte auch für Laien verständlich. Humorvoll sein! Authentisch erzählen! Bitte nicht zu viele Quellen. Gern Persönliches einflechten.
Solche „Hygienevorschriften“ von Verlagen bringen Wissenschaftler, die ihr Thema einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen wollen, in die Bredouille. Wie sollen sie heiter über Krebsprophylaxe schreiben? Ganz einfach: mit Charme.
Nein, einfach ist das natürlich nicht, und so gibt mancher Chirurg das Besteck dann wieder ab, oder es wird ihm die Zusammenarbeit mit einer Ghostwriterin vorgeschlagen. Was gelegentlich als Affront aufgefasst wird, denn natürlich kann ein renommierter Wissenschaftler Texte verfassen. Meistens hat er eine lange Publikationsliste vorzuweisen, zu der auch Fachbücher gehören. Er ist hier schließlich die Koryphäe, da soll er seinen Forschungsgegenstand irgendeinem Schreiberling anvertrauen?
Die Angst, verflacht zu werden
Spätestens seit Darm mit Charme setzen die Verlage auch im Sachbuch vor allem auf Unterhaltung: Aber haben sie damit nicht Recht? Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Und derzeit kämpfen wir um jede Leserin, jeden Leser. Doch diese Hürde bringt manche Wissenschaftsautoren von ihrem Vorhaben ab, bei einem Publikumsverlag zu veröffentlichen. Sie haben Angst, verflacht zu werden. Zumal sie ja damit rechnen müssen, von KollegInnen misstrauisch beäugt zu werden, vielleicht sogar Ansehen zu verlieren – nach dem Motto: Hat er, hat sie das nötig? Dahinter steckt nicht selten Neid. Der oder die hat es aus der Wissenschaftsecke herausgeschafft, in der sich andere so wohl fühlen, dass sie nicht im Traum daran denken, sie zu verlassen. Und von wegen Ecke: Die Wissenschaft ist ein Universum! Aber Menschen sind so verschieden wie Bücher. Und manche, die von ihrem Thema begeistert sind, möchten es anderen gern nahebringen – das gelingt am besten, wenn sie sich ihrer Zielgruppe annähern. Nur wie?
Priv.-Doz. Dr. Reinhard Friedl, der im September seinen Erstling als Sachbuchautor bei Goldmann vorgelegt hat, sprach mit mir über den Spagat zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und zu Herzen gehender Unterhaltung. Der erfahrene Herzchirurg setzt sich intensiv mit den Ergebnissen der aktuellen Neuro- und Psychokardiologie auseinander, die immer mehr Geheimnisse der komplexen Verbindung zwischen Herz, Gehirn und Seele zutage fördern. Heute therapiert er das „ganze Herz“ in seiner Privatpraxis für Herzzeit. (herzzeit.de)
Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Buch für ein breites Publikum?
Das Herz wird in der Schulmedizin gemeinhin als Pumpe angesehen. Gleichzeitig ist es für die meisten Menschen das Organ, dem sie Liebe, Mitgefühl, Weisheit zusprechen – überall auf der Welt, in allen Sprachen. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungsarten haben mich zunehmend fasziniert. Es interessierte mich, weshalb wir einer Pumpe diese Eigenschaften ... andichten? Oder ist da was dran? In Tausenden von Herzoperationen habe ich keine Zelle gefunden, die sich als Liebe zu erkennen gab. Nirgendwo sickerte Mitgefühl heraus, keine Weisheit offenbarte sich. Woher also stammen diese Metaphern, oder sind es gar keine? Haben die Neurowissenschaften dem Herzen die Geheimisse der Liebe gestohlen, oder ist auch das Herz ein Sinnesorgan, das Bewusstsein beeinflussen, vielleicht sogar erzeugen kann? So habe ich mich auf die Suche nach dem ganzen Herzen gemacht, und es war klar, dass das nicht nur ein Thema für Herzspezialisten ist, sondern für jeden Menschen.
Dieser „Zielgruppen-Spagat“ ist Ihnen hervorragend gelungen. Man lernt sehr viel.
Das klingt jetzt so, als wäre mir das leicht gefallen. Das ist es aber nicht. Ich habe über ein Jahr gebraucht, bis ich mich mit dem Gedanken angefreundet und dann versöhnt habe, diesen Schritt in die Öffentlichkeit zu tun. Es war mir sehr bewusst, dass ich meinen guten Ruf als Herzchirurg riskieren konnte, wenn ich den Elfenbeinturm der Medizin verlasse.
Sie befürchteten eine Art Kompetenzverlust in der Wahrnehmung, wenn Sie sich in die Niederungen der Populärwissenschaft begeben?
Niederungen, genau, das trifft es. Heute weiß ich, dass es diese Hierarchie so nicht gibt. Denn ist es nicht wunderbar – und auch sehr wichtig, gerade in der Medizin –, so viele Menschen wie möglich zu erreichen?
Damit das gelingt, haben Sie einen Publikumsverlag für Ihr Buch gesucht? Sie hätten es ja auch einem Wissenschaftsverlag anbieten können.
Ursprünglich wollte ich gar kein Buch schreiben, ich habe auch keinen Verlag gesucht. Ich wurde gefunden. Ein Journalist hatte in der ZEIT über den Herzchirurgen berichtet, der sich auf die Suche nach dem verlorenen Herzen begeben hatte. Daraufhin meldeten sich mehrere Verlage bei mir und fragten, ob ich Lust hätte, ein Buch zu schreiben.
Was für eine Traumlage!
Die mich sehr überrascht hat und gefreut, sicher. Aber als ich mich dann näher damit befasste, merkte ich, dass das eine gewaltige Herausforderung ist. Wie sollte ich Herzmedizin für Laien verständlich beschreiben ... und mich gleichzeitig von den Büchern am Markt abgrenzen, das war mir wichtig. Vor allem aber ging es mir um die neuesten Forschungserkenntnisse über das Herz, die so noch nie formuliert wurden. – Wie bringe ich das alles unter einen Hut, in ein Buch? Den Menschen eine neue Sicht auf das Herz zu vermitteln, ihnen in gewisser Weise ihr gestohlenes Herz zurückzugeben.
Das klingt wirklich nach einer großen Herausforderung. Aber als Herzchirurg haben Sie sicher gute Nerven ...
Im OP, ohne Frage. Am Schreibtisch musste ich das erst mal lernen.
Was hat Ihnen das meiste Herzklopfen verursacht?
Bis dato hatte ich ausschließlich wissenschaftlich publiziert und diesbezüglich nach einem starren Schema gearbeitet, das immer gleich aussieht:
- die Fragestellung beschreiben und die Methode, die man angewandt hat, um die Frage zu beantworten, die Hypothese zu bestätigen;
- die Ergebnisse darstellen, die man erzielt hat und die Diskussion der Ergebnisse und
- zum Schluss kommt der Vergleich mit bestehenden wissenschaftlichen Aussagen.
Also nicht gerade der Stoff, aus dem spannende Bücher sind.
Genau. Also habe ich das gemacht, was ich im OP täglich getan habe. Ich habe mein Thema wie ein stolperndes Herz behandelt, ihm einen Elektroschock verpasst und es zum kraftvollen Schlagen gebracht.
Wie können wir uns das vorstellen?
Ich habe den Mut gefasst, von mir persönlich zu erzählen. Das ist durchaus mit einem kleinen Schock zu vergleichen. Ich glaube, dass es für die LeserInnen wichtig ist, den Autor in einem Buch zu spüren. Seine Persönlichkeit scheint ja zwischen den Zeilen auf. Irgendwann war es mir egal, was meine wissenschaftliche Community dazu sagen würde. Ich habe mit einigen Menschen, die mir wichtig sind, über das Buch gesprochen und sehr viel Unterstützung von ihnen erfahren. Was hier jetzt aber so locker-flockig klingt, war in Wirklichkeit ein Prozess, der mich viele schlaflose Nächte gekostet hat und insgesamt über ein Jahr dauerte. Also die reine Schreibzeit. Ich habe unzählig viele Seiten geschrieben und wieder verworfen ... Und so komme ich schon zum nächsten Problem.
Und das wäre?
Der Umfang. Der Verlag hatte mir zwar signalisiert, dass ich mehr abgeben dürfte als die vertraglich vereinbarten 250 Seiten, doch 350 sollten es nicht werden oder 500. Anfangs hatte ich das Gefühl, ich bräuchte mindestens 800, um das Wichtigste zu sagen. Hier kam mir mein wissenschaftliches Denken immer wieder in die Quere. Ich wollte meine Kollegen, die das Buch vielleicht lesen würden, von seiner Relevanz überzeugen und beweisen, dass meine Argumentation „wasserdicht“ ist. Also habe ich zuerst viele Studien zitiert, für die sich Laien wohl kaum interessieren. Dann fiel mir auf, dass ich Basics erklären musste, die meinen Kollegen wohlbekannt waren, Laien aber nicht. Also wurde das Buch immer dicker – bis ich mir die Frage stellte, für wen ich eigentlich schreibe. So gelang dann endlich das Kürzen und schließlich Weglassen. Allerdings habe ich Kapitel für Kapitel gemerkt, wie verhaftet ich in der wissenschaftlichen Welt bin und musste Schritt für Schritt lernen, meine mentale Perspektive in Richtung Herz zu erweitern. Das empfand ich manchmal auch als befreiend, weil dadurch immer mehr Raum für das Erzählen entstand. Aber es hat zwischendurch auch ganz schön wehgetan. Doch das profunde Recherchieren hat sich gelohnt, und es geht überhaupt nicht ohne ein solides wissenschaftliches Fundament. Man muss die geistige Hoheit über ein Thema erlangen, um wirklich Neues denken zu können.
Das klingt so, als hätten Sie mit sehr vielen Widerständen zu kämpfen gehabt. Ich habe das schon öfter von Wissenschaftlern gehört, die einerseits geradezu Angst vor einer solchen Veröffentlichung haben, obwohl sie sie andererseits ersehnen. Denn natürlich wird man anders wahrgenommen mit einer solchen Publikation.
Gewiss, aber das war nicht meine Motivation. Ich wollte schlicht und einfach so vielen Menschen wie möglich erzählen, dass die Eigenschaften, die wir dem Herzen zuschreiben, keine kindischen Wünsche sind, sondern überwiegend wissenschaftlich belegt werden können. Das Herz ist nicht nur eine Pumpe. Es ist auch ein Sinnesorgan.
Ja, das haben Sie beeindruckend dargelegt.
Indem ich Kompromisse gemacht habe. Eines Tages ist der Knoten dann wirklich geplatzt, und ich konnte die zwei Seelen in meiner Brust zusammenfügen indem ich mein Thema immer mehr geöffnet und mit anderen, benachbarten Wissenschaften verflochten habe. Die Philosophie und die Physik, die Psychologie und Neurologie – und ich hatte endlich einen roten Faden gefunden in meiner persönlichen Reise zu meinem eigenen Herzen.
Als ich schließlich die Richtung klar vor mir sah – und ich glaube jeder Autor kennt diesen Moment, wenn man merkt, das ist es, das ist der richtige Weg –, lief es immer besser. Was nicht heißt, dass meine Zweifel nie mehr auftauchten. Je nach Tagesform war ich begeistert oder verzweifelt. So aufregend hatte ich mir das nicht vorgestellt. Glücklicherweise hatte ich eine sehr erfahrene Bücher-Architektin für die Struktur des Buches an meiner Seite. (lacht) Man kann ja die wertvollsten Baumaterialien, sprich Inhalte, haben und trotzdem wird das Buch nicht zwangsläufig das Gedankengebäude, welches man sich erträumt hatte. Die Zusammenarbeit mit einem Genre-Profi hat mich sehr unterstützt, die geeigneten Inhalte in die richtigen Proportionen zu schichten und überraschende Perspektiven herauszuarbeiten.
Würden Sie es wieder tun, also: ein Buch schreiben?
Unbedingt! Der Takt des Herzens hat mich auch zu einer kreativen Quelle geführt, die ich nicht mehr missen möchte. Zurzeit sammle ich Stoff für mein zweites Buch. Ich bin gespannt, wie es mir diesmal ergehen wird, denn ich habe gehört, das zweite sei das Schlimmste. Aber auch das wird sich lohnen, denn ich habe unglaublich viel gelernt in dieser ersten Zeit der Zweifel. Eines Tages fiel mir auf, dass mein Ringen um die Wahrheit im Schreibprozess mein Thema spiegelt. Ich wollte zwei scheinbar konträre Sichtweisen verbinden. Und was ist das Herz, genau betrachtet? Ein Organ der Verbindung. Und zeichnet sich ein gutes Buch nicht gerade dadurch aus, dass Inhalt und Stil sich verbinden, eine Einheit bilden? Erst dann beginnt das Herz der Geschichte zu schlagen. Eine Geschichte, die in jeder Brust schlägt. Auch in Ihrer. BuBumm, BuBumm, so beginnt sie ...
Autorin: Shirley Michaela Seul | Shirley-Michaela-Seul.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 139, Dezember 2019
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