Wie mit dieser ungewohnten Situation umgehen, in der lange geplante und sonst verlässliche Veranstaltungen und Aktionen der Corona-Pandemie zum Opfer fallen? Myriam Kuntze gibt einen Überblick über Alternativen und neue Möglichkeiten.
Die Ist-Situation
Zuerst wurde viel zu kurzfristig die Leipziger Buchmesse abgesagt, kurz darauf mussten die Buchhandlungen bis zum 18. April schließen. In der Zwischenzeit versendete Amazon Bücher plötzlich mit deutlich längeren Lieferzeiten. Gleich drei Hiobsbotschaften im neuen Jahr, von dem sich die Branche doch eine Erholung der Situation gewünscht hat. Denn bereits 2019 gab es mit der KNV-Insolvenz, der Libri-Auslistung und der allmählichen Abschaffung der Büchersendung (Siehe: www.autorenwelt.de/blog/branchen-news/boersenverein-reicht-beschwerde-gegen-die-deutsche-post-beim-bundeskartellamt-ein) tiefe Einschnitte. Besonders für die kleinen und mittleren Verlage.
Verlage haben teils hohe Umsatzrückgänge
Gerade auf die Leipziger Buchmesse setzten viele große Hoffnungen, da der seit 2020 freigegebene Verkauf dort mehr Umsatz in die leeren Kassen spülen sollte. Stattdessen blieben die Austeller auf etlichen Kosten sitzen. Hotelbuchungen konnten nicht mehr kostenfrei storniert und gedruckte Werbematerialen nicht retourniert werden.
Viele der spontan aus der Not geborenen Online-Aktionen wie das Leipziger Buchfieber (#LBF20) oder das #Bücherhamstern hatten leider keine große Reichweite. Damit fehlte es an Sichtbarkeit und die erhofften Effekte blieben aus.
Um es mit den Worten eines befreundeten Verlegers zu sagen: „Ich habe das Gefühl, dass die ganze Branche lethargisch ist und dass nichts mehr geht.“
In die Digitalisierung investieren
Zur Existenzsicherung muss die ganze Branche in die Digitalisierung investieren. Aber so einfach ist es dann doch nicht. Denn das Nicht-Wollen wird von dem finanziellen Nicht-Können auf der Seite der kleinen Verlage um ein Vielfaches übertroffen. Eine Verlagshomepage mit einfacher Shop-Funktion haben zwar die meisten, aber aus Kostengründen werden die Inhalte dort größtenteils nur in Form von gedruckten Büchern verwertet. E-Books sind im Verlagspageverkauf nicht mehr so selten, aber Hörbücher oder Apps sind sehr, sehr selten. Die Kosten dafür übersteigen bei Weitem das Budget der Verlage.
Außerdem fehlen nicht selten Geld und vor allem Zeit, um überhaupt das Grundlegendste, das gedruckte Buch, zu vermarkten. Als Bloggerin weiß ich, dass nur 20 Prozent meiner Zeit auf das Schreiben meiner Reiseberichte entfallen sollten und ich die restlichen 80 Prozent in die Vermarktung und Bekanntmachung des Blogs investieren sollte. Das ist praktisch unmöglich.
Was heißt das alles nun für Sie, die Autorinnen und Autoren?
Das Wichtigste: Kontakt zur Leserschaft halten
Höchstwahrscheinlich werden Sie auch mit Online-Lesungen und Aktionen auf Ihren Social-Media-Kanälen nicht die Buchwelt retten können. Aber: Sie halten Kontakt zu Ihrer Leserschaft und können die Zeit nutzen, um sich mit BuchhändlerInnen zu vernetzen, sich eine (größere) Online-Community aufzubauen oder für Ihren neuen Instagram-Kanal einen Redaktionsplan zu erarbeiten.
Den Kontakt zu Fans, zur Bestandskundschaft halten – warum ist das wichtig?
Anke Gasch: „Kenne ich eine Autorin und mich begeistert, was sie schreibt, bin ich meist schnell bereit, ihr neuestes Werk zu kaufen. Ist die Autorin mit mir vernetzt, erfahre ich automatisch davon. Ist das, was sie rund ums neue Buch oder ihr Leben postet, spannend, erzähle ich es eventuell auch noch weiter und werde zur lebenden unbezahlten Werbung.
Alle, die ich nicht kenne, müssen dagegen erst mal dafür sorgen, dass ich sie und ihr Werk sehe. Diese Autorinnen und Autoren kostet es also deutlich mehr Zeit und oft auch Geld, mich zum Kauf zu verführen. – In #4/2020 vom Digital Publishing Report sagt Aljoscha Walser, der Verlage und andere Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse berät: ‚Für viele Buchverlage sind aktuell die Buchhandlungen die Vertriebskunden – und nicht die Leser. Und ich bin persönlich ziemlich sicher, dass sich hier Perspektiven verschieben werden, dass sich Buchverlage stärker in der Endkundenbeziehung engagieren werden – [...].‘ Auch die Verlage erkennen demnach mehr und mehr, was für ein Schatz im Kontakt zu Fans liegt. Als ich mit Walser kurz über das Thema sprach, betonte er, dass das absolut kein Trend sei, sondern generell die Zukunft. Was Auswirkungen habe: ‚Ich glaube, dass Leser gegenüber ihren Autoren viel treuer sind als gegenüber den Verlagen. Was bedeutet, dass die Autoren zukünftig genauso sehr zu Kunden der Verlage werden, wie sie ihre Lieferanten sind. Darin sehe ich eine Riesenherausforderung für das Selbstverständnis vieler Verlage.‘“
- Der Digital Publishing Report (dpr) als Web-Magazin: https://magazin.digital-publishing-report.de/de/4-2020/willkommen
Zurzeit wissen wir nicht, wie lange uns Corona noch beschäftigen wird. Aber wir alle träumen von der nächsten Buchmesse, der nächsten Lesung. Nutzen wir dies und schmieden jetzt Pläne und Ideen für die Zukunft.
Erstellen Sie beispielsweise eine Liste mit Buchhandlungen in Ihrer Nähe. Dann rufen Sie dort in Absprache mit Ihrem Verlag an und fragen, ob es generell möglich wäre, dort eine Lesung zu halten. Nehmen Sie Ihren Verlag ruhig in die Verantwortung und fragen direkt, ob Sie Autogrammkarten bekommen können, auf denen Ihre Social-Media-Kontaktdaten stehen oder ob er Kontakte zum Buchhandel hat, von denen Sie profitieren können.
Vorbereitende Fragen
Filialisten planen übrigens bis zu neun Monate im Voraus. Rufen Sie also auch schon an, wenn das Buch noch nicht gedruckt oder lektoriert wurde. Haben Sie ein originelles Konzept parat und erfragen Sie bei Interesse die Kriterien der Buchhandlung für eine Lesung: Welches Honorar kann gezahlt werden, wie werden die Bücher zur Lesung eingekauft, welche Formate werden am häufigsten besucht, wie viele ZuhörerInnen kommen pro Lesung, wie viel Vorlauf braucht die Buchhandlung? Fragen Sie am Telefon auch ruhig, ob Interesse an Online-(Ersatz)-Veranstaltungen besteht.
Sie könnten die Thalia-Buchhandlungen auch über Instagram anschreiben und sich so direkt vernetzen. Ich habe damit im letzten Jahr sehr gute Erfahrungen gemacht.
Sie sind bereits in den sozialen Medien? Erwähnen Sie Buchhandlungen, die Ihre Bücher im Sortiment haben. Fragen Sie bei Ihrem Verlag nach, ob Ihre Titel von Libri ausgelistet wurden, und klären Sie anschließend, ob die von Ihnen ins Auge gefassten Buchhandlungen Ihre Bücher auch tatsächlich weiter beschaffen können. Diesen Tipp habe ich von einer befreundeten Verlegerin erhalten, die von der Libri-Auslistung betroffen ist und daher bei ihren Kundenanfragen eher zu den Filialisten rät, da diese von mehreren Zwischenbuchhandlungen (Barsortimenten) beliefert werden.
Die Social-Media-Präsenz ausbauen
Falls Sie noch keinen Twitter-, Facebook- oder Instagram-Account haben, ist jetzt die Zeit, damit zu starten.
Auf allen Social-Media-Kanälen müssen Sie drei Regeln befolgen, um Reichweite aufzubauen:
1. Laden Sie regelmäßig Fotos oder Videos hoch.
2. Haben Sie einen Wiedererkennungswert, etwa eine eigene Bildsprache.
3. Interagieren Sie, indem Sie liken, teilen und kommentieren. Und zwar mehrmals pro Woche.
Nutzen Sie dabei passende Hashtags und nehmen Sie an Challenges teil. Das alles hilft Ihnen, sich eine eigene Community aufzubauen.
Überlegen Sie sich, was Ihre Leserschaft interessieren könnte. Ich folge auf Instagram Kate Morton (@katemortonauthor), weil sie Fotos von Orten postet, die ihr als Inspiration dienen und sie ein tolles Auge für schöne Landschaftsfotos hat. Simona Ahrnstedt (@simonaahrnstedt) folge ich, weil sie einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben gewährt. Ich kenne ihre Katzen, ihre Lieblingssüßigkeiten, ihre Ansichten zum Feminismus, ihre Kinder, weiß, dass sie kürzlich umgezogen ist und kenne den Ort, an dem sie meine Lieblingsromane verfasst. Und das Beste: Wenn ich unter einem Foto kommentiere, antwortet sie auch.
Wenn Sie durch Ihren Brotjob Expertise in einem Bereich haben, der aktuell relevant ist, teilen Sie Ihren Standpunkt, nicht Ihre Kaffeetasse. Natürlich können Sie sich auch mit Fachkenntnissen in anderen Bereichen positionieren.
Möglichkeiten, sich mit MultiplikatorInnen zu vernetzen
Als Unwissende vermutete ich, dass Lesekreise längst der Vergangenheit angehören. Aber das FiDiPub(Fit-for-Digital-Publishing)-Webinar mit dem Berliner Buchhändler Ludwig Lohmann (@ocelotberlin) belehrte mich eines Besseren. Lesekreise gibt es auch online. Auf Instagram zeigte er mir @mariaslesekreis, auf Facebook fand ich „Bücherkabinett“, „Der Leseclub“ oder @MeinLiteraturkreis. Empfehlenswert ist außerdem, sich mit BloggerInnen zu vernetzen: @nachtundtag.blog, @alex_coffee_books, @literaturreich @bookupwithjakob, @BettinaSchnerr, @buzzaldrinsblog ...
Die Zeit auf Facebook sinnvoll verbringen: Netzwerken mit Redaktionen und anderen Multiplikatoren
Anke Gasch im Gespräch mit David RöllekeDavid Rölleke ist PR-Manager. Bücher vermarktet er seit 2020 nicht mehr. „Weil eine gute Buch-PR für einen PR-Manager fast schon ein Vollzeitjob ist.“ Und weil es bei den Redaktionen im Moment gut ankomme, wenn die Autorinnen und Autoren sich selbst meldeten. Als Coach steht er, der sich nun als Krisenmanager positioniert, Interessierten aber gern zur Verfügung: [email protected].
Herr Rölleke, warum lautet einer Ihrer Ratschläge „Finger weg von Facebook und Co.“?
Ich sage das so, weil die meisten auf Facebook komplett den falschen Fokus setzen. Sie befassen sich von der Zeit her im Monat vielleicht 40 Stunden damit und verkaufen kein einziges Buch. Da rate ich: Investieren Sie die Zeit doch lieber in Suchmaschinen: Wer könnte Rezensionen bringen zu meinem Buch? Wo könnte ich mich als Interviewpartner ins Spiel bringen? Suchen Sie die Medien und Menschen heraus, die über Bücher schreiben und berichten. Das geht auch auf Facebook. Googeln Sie zum Beispiel auch „WDR-Sendungen von A–Z“. Dann gucken Sie: Welchen Mehrwert kann ich für welche Sendung mit meiner Vita und meinem Buch bieten? Anschließend schreiben Sie die zuständigen Redakteure persönlich an, sehr respektvoll, und schildern, wer Sie sind, welchen Mehrwert Ihr Buch hat, welche persönlichen Geschichten Sie eventuell liefern könnten, zu welchen gesellschaftlich aktuellen Themen Sie als Experte ansprechbar wären und welchen Vorteil Ihr Ansprechpartner davon hat. Über ein Thema, das aktuell wird, bringen Sie auch Bücher wieder ins Spiel, die schon älter sind.
Thomas R. Köhler, Autor von Sachbüchern zu Digitalisierung und Cybersicherheit: „Nennenswerte Ausschläge bei den Verkaufszahlen stelle ich immer nur fest, wenn ich als Experte im Fernsehen oder in großen Tageszeitungen bin.“
Gemeinsam stark
Aktuelle Online-Lese-Aktionen dienen meist dazu, in Erinnerung zu bleiben. Haben Sie hier noch keine große Vorarbeit geleistet haben, fahren Sie am besten, wenn Sie sich mit anderen zusammentun. Überlegen Sie sich beispielsweise vier Autoren und Autorinnen, die Sie bereits kennen und mit denen Sie sich eine Online-Lesung vorstellen können. Fragen Sie diese, ob Interesse besteht. Im zweiten Schritt überlegen Sie, wie Sie die Lesung durchführen wollen: per Livestream in den sozialen Medien, per Podcast oder als Video? Ist die technische Umsetzung geklärt, gilt es, das Format „Lesung online“ möglichst kurzweilig gestalten.
Was geht noch?
- Stellen Sie auf Facebook, auf Ihrem Blog und/oder in Ihrem Newsletter Tageszeitungen oder regionale Unternehmen vor und zeigen Sie, wie diese mit der Krise umgehen. Vielleicht können Sie oder Ihr Verlag dies auch geschickt für die Pressearbeit nutzen?
- Welche Influencer könnten für Sie relevant sein? Viele stellen ebenfalls Unternehmen und Einzelpersonen vor, die innovative Ideen oder unkonventionelle Lieferangebote haben: Bringen Sie sich und/oder Ihren Verlag ins Spiel.
Die Tipps im Überblick
- Eignen Sie sich jetzt Wissen im Bereich Digitalisierung, Social Media, Live-Lesungen, eigene Website et cetera an.
- Netzwerken Sie mit Buchhandlungen, Autorinnen und Autoren, Journalistinnen, Redakteuren, Verlagen.
- Bauen Sie eine stabile Online-Community auf.
- Planen Sie strategisch für die Lese-Zeit nach Corona und rufen Sie aktiv Buchhandlungen an.
- Überdenken Sie mit Ihrem Verlag die Programmplanung: Müssen es immer Veröffentlichungen im Frühjahr und Herbst zu den Messen sein? Könnte der Strandkrimi im Kleinverlag nicht perfekt das Sommerloch in der Lokalpresse füllen? Zu wann braucht die Presse den Gartentitel, um ihn überhaupt präsentieren zu können? Etwa sechs bis acht Wochen Vorlauf sollten Sie auf jeden Fall einplanen.
- Präsentieren Sie auch ältere Titel, die zu aktuell gefragten Themen passen: gegenüber der Presse und auf Ihren Kanälen.
- Viele Buchhandlungen bestellen nur bei Libri. Ist Ihr Titel dort ausgelistet: Suchen Sie nach lokalen Buchhandlungen, etwa auf shopdaheim.de, die mit anderen Zwischenbuchhändlern arbeiten und überlegen Sie sich Kooperationen zum gegenseitigen Gewinn.
Linktipps:
- www.boersenblatt.net/2020-03-20-artikel-_der_verkauf_gedruckter_buecher_ist_de_facto_fuer_viele_verlage_nicht_mehr_moeglich_-amazon_setzt_beim_einkauf_andere_prioritaeten.1833523.html
- www.boersenblatt.net/2020-03-28-artikel-_dann_kam_die_zweite_luft_-mein_lockdown-tagebuch__6___buchhaendler_joachim_steiger_ueber_einen_stimmungswandel.1838861.html
- www.boersenblatt.net/bookbytes/2020-03-30-artikel-corona_als_treiber_des_digitalen_hoerbuchs-.1840094.html
- www.namida-magazin.de/2020/03/nach-absage-leipziger-buchmesse-wie-verlage-helfen.html
- https://literaturkontor-bremen.de/category/wo-1-anna-lott/
- www.boersenblatt.net/2020-03-31-artikel-titelverschiebungen__kurzarbeit_und_eine_portion_optimismus-umsatzeinbruch_bei_verlagen_um_bis_zu_80_prozent.1840504.html
Autorin: Myriam Kuntze | [email protected] | www.namida-magazin.de
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Illustration: Carola Vogt
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- buecher: https://www.buecher.de/shop/ebooks/federwelt-142-03-2020-juni-2020-ebook-pdf/hillebrand-diana-rossi-michael-kleen-heike-weber-martina-schollerer/products_products/detail/prod_id/59517594/
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