
Christliche Belletristik? Wer liest sie? Welche Verlage veröffentlichen sie und welche Chancen bietet sie Autorinnen und Autoren? Diese Fragen und mehr beantwortet unsere Autorin Sandra Binder, Lektorin und Programmleiterin für Belletristik im SCM-Verlag, Holzgerlingen.
In der Badewanne schmökern und weiter nachdenken, auch wenn das Buch längst durchweicht und das Wasser kalt geworden ist. In fremde Welten eintauchen und inspirierende Botschaften für das Diesseits mitnehmen – Romane, die diese beiden Pole zu verbinden suchen, werden im angelsächsischen Bibliothekssystem und bei vielen Händlern wie Amazon unter „Inspirational Fiction“ geführt. Im deutschsprachigen Raum zählt man sie zur „Religiösen Belletristik“, zu einem Genre, das vielfältiger nicht sein könnte und die unterschiedlichsten Literaturformen in sich vereint. Für Autorinnen und Autoren, die sich mit religiösen Inhalten auseinandersetzen möchten, bietet dieses Genre viel Raum zur Entfaltung.
Die Nische der christlichen Belletristik wird besonders von Verlagen mit protestantisch-evangelikalem Profil bedient, darunter Gerth Medien aus Asslar, der Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH (Marburg), der SCM-Verlag (Holzgerlingen), der Brunnen Verlag (Gießen) und der Brendow Verlag (Moers). Sie erreichen mit ihren Titeln traditionell ein Kernpublikum kirchlich engagierter Frauen, vor allem aus den evangelischen Landeskirchen sowie landeskirchlichen Gemeinschaften und Freikirchen wie Baptisten, Freie evangelische Gemeinden und Methodisten.
Diese Zielgruppe schätzt oft Romane mit einem ganz klaren Profil: Keine Sex-Szenen, keine Flüche, keine schwerwiegenden Probleme (unverheiratete Mütter, Drogen, Gewalt); Charaktere, die Bekehrungsszenen erleben, ausführlich die Bibel zitieren und lang anhaltend beten. Ich erhalte immer wieder Anrufe von Leserinnen, die sich beschweren, dass die Heldin in Julie Klassens Roman „Die Lady von Milkweed Manor“ eine junge Frau ist, die sich hat verführen lassen und nun die Konsequenzen tragen muss.
Eine Chance für Autorinnen und Autoren
Doch die Lesegewohnheiten ändern sich. Jüngere Kirchenmitglieder haben weniger Berührungsängste; sie lesen genauso selbstverständlich „Die Tribute von Panem“ wie „Maya und Domenico“ von Susanne Wittpennig, eine der erfolgreichsten christlichen Jugendbuchreihen. Meine Freundinnen lieben Jojo Moyes genauso wie Lynn Austin, eine der größten Erfolgsautorinnen im christlichen Segment. Die Grenzen verschwimmen; ein christliches Belletristik-Programm bewegt sich heute immer in direkter Konkurrenz zum allgemeinen Markt, was neue Herausforderungen, aber auch spannende neue Chancen für Autorinnen und Autoren bietet. – Viele von ihnen, auch Titus Müller, veröffentlichen heute genauso selbstverständlich bei großen Publikumsverlagen wie bei christlich geprägten Verlagshäusern. Häufig ist inzwischen von außen schwer zu erkennen, welches Buch den engen christlichen Moralregeln folgt, welches nur christlich angehaucht ist und welches einfach nur frei von Sex-Szenen.
Das bedeutet aber nicht, dass Romane mit christlicher Botschaft aussterben, im Gegenteil. Die Suche nach Sinn und Bedeutung im Leben ließ sich schon immer perfekt mit Geschichten verbinden, und das hat sich nicht geändert. Wie groß die Sehnsucht nach solchen Geschichten heute ist, lässt sich auch an der Jakobsweg-, Ich-bin-dann-mal-weg-Literatur erkennen, am unzerstörbaren Erfolg Paolo Coelhos und vergleichbarer Autoren. Und was den Sinn des Lebens betrifft, haben Christen jede Menge zu sagen. Die Botschaft, die christliche Belletristik trägt, ist nämlich durch die säkulare Konkurrenz den Leserinnen (und den Programmmachern) nicht weniger wichtig, im Gegenteil. In der Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist und der postmodernen Kultur entsteht oft ein neues Bewusstsein für die eigenen Werte. Christliche Romane werden als wohltuende, bereichernde Abwechslung gesehen, allerdings nur, wenn sie sich der Realität stellen.
Unter dem Label „christliche Belletristik“ tummelt sich traditionell alles, was Unterhaltungsliteratur heißt: Liebesromane, Detektivgeschichten, historische Romane und so weiter. Die wichtigsten Subgenres der letzten Jahre sind:
Historische Romantik ...
... ist die beliebteste Kategorie. Leserinnen, die dieses Subgenre bevorzugen, wollen unterhalten werden und interessieren sich dafür, wie Frauen in anderen Epochen ihren Glauben gelebt haben. Christliche Werte und Themen lassen sich besonders gut in die Vergangenheit verlagern. Die „gute alte Zeit“, als die Menschen noch jeden Sonntag zur Kirche pilgerten und der Pfarrer der wichtigste Mann im Dorf war, muss vielen Christen heute als wahres Arkadien erscheinen. Natürlich spielt Realitätsflucht dabei eine große Rolle. Doch diese Romane haben auch oft Frauen als Hauptfiguren, die sich im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und traditionellem Rollenverständnis bewegen. Die Autorin Janette Oke ist eine der frühesten und berühmtesten Vertreterinnen dieses Genres; zu den deutschen Autorinnen zählt unter anderen Elisabeth Büchle. Auch Stephanie Rapp (siehe Kasten) hat mit ihrem Debüt-Roman eindruckvoll gezeigt, wie sich spätmittelalterliches Leben mit Botschaften verknüpfen lässt, die in das Leben der Jetztzeit wirken.
Einen merkwürdigen Zwitter an der Schnittstelle zwischen historischer und zeitgenössischer Romantik bilden die Amisch-Romane. Sie spielen in der Glaubensgemeinschaft der Amischen, die sich der Moderne mit all ihren Facetten verweigert; die daraus entstehenden Kulturbrüche bieten das Spannungsfeld für die Geschichten. Auch wenn der Hype der „Häubchen-Romane“ in letzter Zeit etwas nachgelassen hat, sind Autorinnen wie Beverly Lewis immer stark gefragt.
Thriller
Christliche Thriller? Warum nicht – wenn Robert Langdon quer durch Rom jagen kann, um den Dreck am Stecken der katholischen Kirche abzukratzen, warum sollten ihm dann nicht andere Helden folgen, um die Abgründe der Glaubensgegner aufzudecken? Exemplarisch macht das der Autor Randy Singer aus dem SCM-Verlag. Er schreibt Justizthriller; in seinen Geschichten werden die großen moralischen Fragen unserer Zeit verhandelt: die Rechte Ungeborener, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Christen und Muslimen, der augenscheinliche Konflikt zwischen Wissenschaft und Glauben, der gesunde Umgang mit Geld. Das bietet jede Menge Spannung und lässt einen oft sehr nachdenklich zurück.
Allegorische Romane
Vor sechs Jahren mischte ein Roman die christliche Nische gründlich auf: „Die Hütte“ von William Paul Young, erschienen im Ullstein-Imprint Allegria, ließ seinen Helden ein Wochenende mit Gott verbringen. Eine Erzählung, die vielen Christen sehr nahe ging und Kirchenferne ins Grübeln brachte. Allegorien bieten eine große Chance für den beschriebenen Grenzübertritt und sind deshalb im Moment eine der spannendsten Spielarten. Auch in den meisterhaften Romanen des Autors Thomas Franke ist das zu beobachten.
Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 17.06.09 über William Paul Youngs „Die Hütte“: „Warum nur gelingt den Kirchen das nicht?“
Kinderbücher
Auch wenn Nacherzählungen biblischer Geschichten wie geschaffen sind für schöne Bilder und besonders gerne verschenkt werden – Eltern kaufen nur eine begrenzte Anzahl von „Arche-Noah“-Variationen. Gesucht werden deshalb für das Kindergartenalter immer wieder traditionell illustrierte Geschichten, gerne mit Tieren, die von Gottes Liebe, Freundschaft oder der Schöpfung erzählen, und für Grundschulkinder spannende Lesegeschichten, die die Lebenswelt der Gemeindekinder widerspiegeln. Fantasy-Elemente sind eher schwierig. Gerade weil in der Kinderliteratur in den letzten Jahren esoterische Elemente vermehrt Einzug gehalten haben, allen voran Hexen und Zauberer, suchen Eltern oft nach Büchern, die frei von solchen Sujets sind und gleichzeitig ohne moralischen Zeigefinger auskommen. Auch christliche Kinderbücher müssen sich mit der allgemeinen Konkurrenz messen, spannend und humorvoll geschrieben sein. Brillant hat das der Autor Harry Voß gemeistert mit seiner Reihe „Der Schlunz“ für Kinder von acht bis zwölf mit inzwischen über 500.000 verkauften Büchern und Filmen.
Überraschend ist, dass christliche Fantasy so gut wie gar keine Rolle spielt. Man sollte meinen, dass Leserinnen und Leser, die in ihrem Leben fest mit dem „Übernatürlichen“ rechnen, die Engel und Teufel als Realität ansehen, besonders gerne Geschichten lesen, die hinter den Kulissen der realen Welt spielen. Das Gegenteil ist der Fall. Wahrscheinlich hängt der Fantasy-Literatur ein zu starker Geruch nach Esoterik und, noch schlimmer, von Okkultismus an. Dabei ist gerade C. S. Lewis’ christlich geprägte Narnia-Reihe das Paradebeispiel für gelungene Fantasy.
Wie in jeder Nische sind bei christlichen Verlagen die Zahl der Titel und die Auflagenhöhe eher klein. Startauflagen liegen meistens so um die 3000 bis 5000 Exemplare, aber auch hier gibt es Bestseller, die fünfstellige Verkaufszahlen erreichen. Die Verkaufspreise christlicher Romane liegen allgemein etwas höher als bei vergleichbaren säkularen Titeln.
Für Autorinnen und Autoren, die sich mit dem christlichen Glauben identifizieren können, bietet die christliche Nische viele Möglichkeiten. Christliche Verlage veröffentlichen für Leserinnen mit sehr hoher Loyalität. Die Bücher werden im Gemeindekreis weiterempfohlen, Leserinnen suchen oft den Kontakt zur Autorin/zum Autor und die Kirchengemeinden bieten einen Rahmen für Lesungen. Und talentierte Schreiber, die ihr Christsein aktiv leben, sind selten – und heiß begehrt.
➢ http://scmedien.de/
➢ http://scmedien.de/fairer-konsum/ (Ein Beispiel, was an Themen möglich ist.)
➢ http://www.scm-haenssler.de/aktion/momente-der-sehnsucht/momente-der-sehnsucht-blog.html (Mit Blogserie: „Wie schreibe ich einen Roman?“
„Der Priester lief umher und rief alle in die Kirche. Du warst auf dem Feld. Ein anderer Mann stand vorne neben Pater Johannes. Er war nicht aus der Gegend und sagte, dass man schon für ganz wenig Geld zwanzig Jahre Straferlass vom Fegefeuer bekommt und für einen halben Gulden eine Seele ganz freikaufen kann.“
„Und da habt Ihr Frauen euch nicht lange bitten lassen“, sagte Lucas. Ärger schwang in seiner Stimme mit.
Lisbeth schloss die Augen.
„Und welche Seele hast du freigekauft?“, fragte er.
Aus „Die Gehilfin des Buchdruckers“ von Stephanie Rapp, SCM Hänssler 2015
Autorin: Sandra Binder
In FEDERWELT, August/September 2015
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