
Burn-out bei AutorInnen
Die Branche in der Depression?
Von Sandra Henke
Ich musste erst überlegen, ob ich diesen Artikel schreiben möchte. Mit einigen Autorenfreunden und LeserInnen hatte ich zwar schon über das Thema gesprochen, doch ein offizieller Erfahrungsbericht wäre eine ganz andere Hausnummer. Ich würde in einer Leistungsgesellschaft Schwäche eingestehen. LeserInnen und KollegInnen würden mich in einem völlig neuen Licht sehen.
Warum ich mich dazu entschieden habe, den Schritt zu wagen?
Eben weil ich offen darüber sprechen kann, denn ich bin mit Krankheit aufgewachsen. Weil dieser Artikel ein Teil meiner Therapie ist. Aber vor allen Dingen, weil ich durch vertrauliche Gespräche mit befreundeten AutorInnen erfahren habe, dass es ihnen ähnlich geht. Erschreckend viele Bekannte aus der Branche vertrauten mir an, sie seien ausgebrannt und litten unter Existenzängsten. Sie gaben zu, dass die ständige Selbstdarstellung sie ermüdet.
Mir ging es also nicht alleine schlecht. Allein das zu wissen, machte mir ein wenig Mut.
Inszenierung – Image – Marketing
Schaut man sich in den Sozialen Netzwerken, auf Buchmessen und Lesungen um, meint man, dass das Business blüht. Alle AutorInnen strahlen um die Wette, inszenieren sich wie Popstars, behaupten gut im Geschäft zu sein und einen noch höchstgeheimen Kracher in petto zu haben. Wieder eine Neuerscheinung, wieder ein vermeintlicher Bestseller, es geht Schlag auf Schlag, besonders seit immer mehr Kurzromane in Form von E-Books auf den Markt strömen. Schreibt man dagegen 400-Seiten-Romane, an denen man naturgemäß länger arbeitet, meint man ständig hinterherzuhinken.
Unterhält man sich jedoch hinter den Kulissen unter vier Augen, bleibt vom Glamour nicht viel übrig. Die AutorInnen sind nur halb so erfolgreich, wie sie sich darstellen, es ist alles eine Frage des Images, man muss sich eben verkaufen. Es herrscht Unsicherheit, was den Markt betrifft. Die Verlage schrumpfen ihr Programm gesund, was weniger Verträge für VerlagsautorInnen bedeutet, und die Indie-AutorInnen merken, dass es unglaublich schwer ist, sich bei der Masse an Selfpublishern durchzusetzen.
Hinzu kommt der generelle Druck der Freiberuflichkeit. Immer funktionieren zu müssen, mithalten zu müssen – dranbleiben und das bedeutet rennen, rennen, rennen.
Unglücklich trotz Erfolg
Bei mir lief es in den letzten Jahren sehr gut. Ich kann keinen Weltbestseller vorweisen wie Nina George, die ich bewundere. Aber während andere AutorInnen die Angst zusetzte, keinen nächsten Vertrag zu ergattern, hatte ich drei Verträge, die ich noch erfüllen musste, und erteilte Verlagen sogar Absagen.
In mir wuchs die Angst, mein Pensum nicht schaffen zu können. Ich bin so erzogen worden, stets korrekt und verlässlich zu sein.
Hatte ich früher immer weit vor dem Abgabetermin abgegeben, so musste ich mich in den letzten Jahren zwingen, ihn einzuhalten oder wenigstens einen Monat später abzugeben. Als Folge bereitete mir das Schreiben immer weniger Freude. Ich konnte mich schwerer auf den Text einlassen, weil ich stets im Hinterkopf hatte, dass mir die Zeit davonlief. Trotz allem wollte ich gute Romane abliefern und konnte nicht einfach schnell etwas herunterschreiben.
Die Schattenseite der Freiberuflichkeit
Das Leben meinte es beruflich gut mit mir, warf mir aber gleichzeitig privat Stöcke zwischen die Beine.
Während ich mit meinen erotischen Liebesromanen und Whodunit-Krimis immer erfolgreicher und als Autorin bekannter wurde, gab es zeitgleich eine Serie von schweren Krankheiten in meiner Familie. Mein Mann war über viele Monate hinweg ständig in Krankenhäusern oder in Rehas. Einmal lag zur selben Zeit seine Mutter auf der Intensivstation, dann wurde bei meiner Mutter ein Eingriff am Herzen durchgeführt.
Das alles zerrte an meinen Nerven und meinen Kräften und dennoch arbeitete ich weiter. Weil ich Verträge zu erfüllen hatte, weil ich befürchtete, nach einer Pause „draußen zu sein“, weil ich meine StammleserInnen nicht verlieren und meine Geschäftspartner nicht enttäuschen wollte und weil ich glaubte, die Liebe zum Schreiben wäre mein Anker.
In Wahrheit steuerte ich auf meine eigene Krise zu.
„Ihr Akku ist fast leer.“
Ich übersah die Warnsignale und merkte erst, dass etwas nicht stimmte, als das Schreiben zur Qual wurde. Erst nahm ich es als Holpern wahr, ich stotterte die Sätze heraus. Schließlich glich es eher einem Pressen und ich erlag dem Trugschluss, dass ich irgendwann schon wieder von selbst zur alten Form zurückfinden würde. Ich empfand die Arbeit zunehmend als Zwang. Während ich in der Öffentlichkeit strahlte, wurde es in mir immer dunkler. Aber ganz konnte ich meine wachsende Erschöpfung nicht verbergen, denn meine Antworten auf Leserfragen klangen immer öfter niedergeschlagen.
Schwere Zeiten hin oder her, ich liebe meinen Job noch immer! Als ich 2009 meine Anstellung aufgab, um hauptberuflich zu schreiben, wurde ein Traum wahr. Doch plötzlich verspürte ich den Wunsch, alles hinzuschmeißen und wieder in ein Angestelltenverhältnis zu treten.
Was hatte sich geändert?
Im freien Fall
Zunehmend litt ich an Symptomen, die durch Stress ausgelöst wurden. Frustrierend. Mein Körper zeigte mir Grenzen auf, die meine Psyche ignoriert hatte.
Nach einer andauernden Phase der Quälerei und des Kämpfens, gestand ich mir ein, an Burn-out zu leiden. Ein langer Prozess, denn ich hielt mich immer für eine starke Frau und das tue ich immer noch. Es war schwer, mir selbst gegenüber Schwäche einzugestehen. Außerdem hat mir die Gesellschaft oft zu verstehen gegeben, funktionieren zu müssen. Ich rechnete daher nicht mit Verständnis und wurde überrascht.
Mehr als einmal hatte ich gehofft, dass meine berufliche Existenz zusammenbrechen würde, damit der Leistungsdruck verschwindet und ich wieder frei durchatmen konnte. Doch dafür lief es viel zu gut bei mir. Niemand zieht die Reißleine, außer du selbst tust es.
Als gar nichts mehr ging und ich mich nicht mehr dazu zwingen konnte zu schreiben, kapitulierte ich endgültig und beschloss schweren Herzens, erst einmal eine dreimonatige Auszeit zu nehmen. Ich zog meinen Agenten ins Vertrauen, der mir viel Verständnis entgegenbrachte und mich beruhigte. Er sprach mit meinen Verlagen und sie kamen mir entgegen.
Alles lief viel leichter und unkomplizierter ab, als ich befürchtet hatte. Ich hatte meine Aufträge noch und sogar Zeit nachzudenken, was ich als nächstes tun wollte und sei es auch nur, die Hände in den Schoß zu legen, denn eins hatte ich mir zu wenig gegönnt: Erholung.
Die Frage, die mich am meisten beschäftigte, war: Wie kann etwas, das meine Leidenschaft ist, mich derart fertig machen?
Selbstanalyse
Ich schaffte es nicht, drei Monate nichts zu tun, denn gewisse Dinge wie Lektorate liefen weiter. Zudem komme ich mir unnütz vor, wenn ich „faul“ bin. Ein Ergebnis meiner Erziehung.
Mir ist bewusst geworden, dass ich ein schlechter Arbeitgeber für mich selbst bin.
Ich neige zur Selbstausbeutung. Als Angestellte hatte ich dreißig Urlaubstage, als Berufsautorin erlaubte ich mir einen Bruchteil davon, arbeitete aber weitaus mehr Stunden als früher. Viele Jahre lang habe ich an den Wochenenden Interviewfragen beantwortet, an Exposés getüftelt und Artikel verfasst, um an Wochentagen keine Zeit daran zu verlieren. Arbeiten bedeutete für mich, mit dem Manuskript voranzukommen. Alles andere waren Kleinigkeiten, die „schnell nebenher“ zu erledigen waren. Ein Denkfehler, wie ich erkannte. Zudem hatten sich diese Sonderaufgaben durch meinen Erfolg unbemerkt vervielfacht. Diese Zeit geht jedoch von der Hauptaufgabe, dem Schreiben am Roman, ab.
Ich musste umdenken und mein Arbeiten neu strukturieren.
Während der schwersten Jahre konnte ich nicht einmal mehr entspannen, wenn ich frei hatte. Freude empfand ich zwar, aber sie war oberflächlich und verklang rasch.
Mein Motor lief, er ließ sich nicht mehr abschalten, doch er drohte heiß zu laufen und ganz auszufallen.
Anhalten – Durchatmen – Prioritäten ändern
Ich empfehle jedem, dem es ähnlich geht wie mir, sich therapeutische Hilfe zu holen.
Da ich jedoch offen über meine Krankheit reden kann und wusste, was ich ändern musste, damit es mir wieder besser ging, glaubte ich nicht, dass mir dieser Weg helfen würde. Dennoch behielt ich diese Option als Plan B im Hinterkopf.
Mir fiel auf, dass ich in den vergangenen Jahren nur noch wenig Privatleben hatte. „Schnell“ kam in jedem zweiten Satz von mir vor. Das Arbeiten nahm einen großen Raum ein. Die verbliebene Zeit wurden von den Krankheiten in der Familie aufgefressen. Das führte mir vor Augen, dass ich keinen Zeitpuffer für Notfälle in meinen Schreibplan eingebaut hatte. Ich dachte: Angestellte gehen auch täglich zur Arbeit. Aber Kreativität funktioniert nicht nach „Stempelkarte“.
Ich musste das Arbeiten reduzieren, damit es mir wieder Spaß machte, und wollte wieder mehr Freude in mein Leben bringen. Daher ließ ich einen weiteren Traum wahr werden, den vom eigenen Hund. Außerdem wollte ich mehr raus in die Natur, sie erdet mich, dort fühle ich mich gesund.
Denn eins meiner Probleme ist, dass mein Büro in unser Haus integriert ist. Arbeit und Freizeit sind nicht klar zu trennen. Zuhause bedeutet nicht automatisch Erholung, wie für die meisten Angestellten. Mir fiel es schwer, abzuschalten, selbst wenn ich nicht im Büro saß.
Inzwischen haben wir zwei Herzenshunde, mit denen ich herumtolle und lange Spaziergänge mache. Dabei habe ich das Handyfotografieren für mich entdeckt. Meine Fotos poste ich regelmäßig auf Instagram und Facebook, einfach so zum Spaß.
Ich nehme die Arbeit wieder lockerer, achte mehr auf mich, sage auch mal „nein“, will nicht mehr beruflich alles mitnehmen und habe wieder mehr zu mir selbst gefunden.
Die stressbedingten Krankheiten sind verschwunden. Kein Herzrasen mehr, keine Panikattacken. Aber ich darf nicht in alte Muster zurückfallen, ich bekäme sofort die Quittung.
Ich mache meinen Beruf, so sehr ich ihn liebe, nicht mehr zum Zentrum meines Lebens. Sollen die anderen rennen, ich spaziere lieber. Zumindest versuche ich es, denn der Druck der Freiberuflichkeit bleibt. Wenn man sieht, wie sich das Hamsterrad dreht, meint man aufspringen zu müssen – dabei dreht es sich auf der Stelle.
Buchtipps von Anke Gasch:
- Seul, Shirley: Das Leben ist keine To-do-Liste. Kailash 2015, 14,99 Euro.
Müssen wir funktionieren? Wer bestimmt denn über unser Leben, wenn nicht wir? Was brauchen wir wirklich? Dieses Buch stiftet dazu an, mal wieder Löcher in die Luft zu starren, einfach mal nur zu sein und nicht dauernd von Aufgabe zu Aufgabe zu hetzen. (Noch schnell zum Sport! Und ach, die Tante muss ich auch noch anrufen. Mach ich im Auto, nebenbei ...) Lustig. Ehrlich. Hilfreich.
- Brehl, Jens: Weg aus dem Burnout – Der Stress-Falle entkommen, Lebenskunst entwickeln. Pomaska-Brand 2013, 14,80 Euro.
„Während meines Schaffensrausches wählte ich mein Bankkonto als Erfolgsmesser und erfolgreich war ich. Nur anders, als ich dachte. Ich war zu diesem Zeitpunkt wahnsinnig erfolgreich darin, mich und meinen Körper auszubeuten und meine Gesundheit zu ruinieren“, schreibt Brehl. Ein sehr persönliches Buch, das zeigt: Wir haben es in der Hand, uns neu zu erfinden, unser Leben frisch zu gestalten. Jeden Tag.
Autorin: Sandra Henke | www.sandrahenke.de/www.laurawulfff.de
In: FEDERWELT, HEft 116, Februar 2016