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Bücher einkaufen und verkaufen, der stationäre Buchhandel packt aus

Federwelt
Daniela Nagel
Buchhandelswissen für Autoren

Was AutorInnen über den Buchhandel wissen sollten, verraten ein Buchhändler von »Bücher Pustet« und zwei Buchhändlerinnen von der »Rather Bücherstube« im Gespräch mit Daniela Nagel.

Immer weniger Menschen kaufen Bücher. Wie kommt man als Buchhändlerin da über die Runden? Wie sieht der Alltag eines Buchhändlers aus? Nach welchen Kriterien wählt eine stationäre Buchhandlung ihre Bücher aus? Inwieweit ist der Erfolg eines Buches von seiner Platzierung in den Geschäften abhängig? Lässt sich mit Büchern unter zehn Euro überhaupt noch was verdienen?
All das und mehr hat unsere Autorin Daniela Nagel erfragt. Geantwortet haben: Angelika Jüttner von der Rather Bücherstube und Michael Henkel und Simone Mayrhofer von Bücher Pustet.

Konnten Sie in den letzten Jahren Veränderungen im Buchhandel erleben?

Angelika Jüttner: Seit gut zwei Jahren merken auch wir das veränderte Einkaufsverhalten der Kunden. E-Books und Internethandel spielen eine immer größere Rolle, in unserem Vorort gibt es immer weniger Geschäfte. Die Kundenfrequenz ist seit Jahren rückläufig.
Belletristik kaufen wir mittlerweile in weit geringeren Stückzahlen ein als noch vor ein paar Jahren. Dagegen spielen sogenannte Nonbooks wie Geschenkartikel, Papeterie oder Spiele eine immer größere Rolle. Das ist wahrscheinlich auch der Tatsache geschuldet, dass es im Ort keinen Spielwaren- oder Geschenkeladen mehr gibt.

Was uns außerdem zu schaffen macht, sind die viel zu niedrigen Buchpreise!

Seit der Euro-Einführung sind Gehälter, Mieten, Nebenkosten um 25 bis 29 Prozent gestiegen. Der durchschnittliche Buchpreis ist dagegen um 2,7 Prozent gesunken. Bedenkt man dazu, dass eben auch weniger Bücher verkauft werden, kann man sich ja ausrechnen, dass die Fixkosten nicht mehr gedeckt werden können. Die Verlage haben über fünfzehn Jahre lang die Preiserhöhung verschlafen und sind auch jetzt nur in Ausnahmen bereit, zum Beispiel die Zehn-Euro-Grenze für Taschenbücher zu überschreiten.
Höhere Buchpreise sind letztendlich auch im Interesse von Autorinnen und Übersetzern.

Michael Henkel: Von 2013 bis 2017 ist die Gruppe der Leser laut einer Studie vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels leider um 6,4 Millionen geschrumpft. [...] Gerade bei den Jüngeren ist das Lesen durch Konsum anderer Medien abgelöst worden. Zum Glück gibt es immer noch exzessive Leser, die sich bewusst auch mal aus der Online-Welt ausklinken und sogar noch mehr Geld in Bücher investieren als früher. Aber auch die können die Rückgänge nicht auffangen. Den klassischen Bildungsbürger, der zu Hause eine Handbibliothek pflegt, gibt es ebenfalls kaum noch.
Seit Jahren versuchen wir, den Service noch weiter zu verbessern, noch mehr Veranstaltungen anzubieten, noch mehr Kooperationen zu starten, doch unter dem Strich ist das vergeblich. Andererseits wäre der Rückwärtstrend vielleicht noch stärker gewesen, wenn wir so weitergemacht hätten wie vor zwanzig Jahren.
Auch in unserem Sortiment spiegelt sich eine gesellschaftliche Veränderung wieder. Ich erinnere mich, dass wir in einer Filiale mal dreißig laufende Meter medizinische Fachbücher vorrätig hatten, heute sind es nur noch fünfzig Zentimeter. Hier spielt nicht das Freizeitverhalten eine Rolle, sondern eine veränderte Arbeitswelt. Früher haben zum Beispiel Pharmavertreter den Ärzten teure Fachbücher mitgebracht, so was gibt es heute nicht mehr.
Und wir versuchen natürlich alle, lieber unser Sortiment zu verkleinern als Personal abzubauen. Was bringt es, wenn wenige Buchhändler einer Vielzahl an Büchern gegenüberstehen, die sie gar nicht mehr managen können? Dafür nimmt der Anteil an Geschenkartikeln immer mehr zu.

Während klassische Buchhändler früher Glitzerkulis und Spülschwämme mit spitzen Fingern angefasst hätten, machen auch bei uns Nonbooks heute fast denselben Umsatz wie Taschenbücher.

Wir müssen die Ladenfläche schließlich füllen, einen gewissen Warendruck erzeugen. Leere Verkaufsflächen schrecken den Kunden ab. Aber wir versuchen immer eine Brücke zwischen den Geschenkartikeln und den Büchern zu bauen, etwa mit einem Nudelsieb bei den Kochbüchern. Wir tun alles, um die Notfalllösung, die Fläche zu verkleinern, zu vermeiden.

Simone Mayrhofer: Leider verändert sich auch die Kundschaft in den letzten Jahren sehr. Zum einen sterben viele ältere, literaturbegeisterte und kauffreudige Kunden traurigerweise weg, zum anderen wächst unter den jungen Leuten weniger Kundschaft nach.

Die Leute zwischen 17 und 25 lassen sich auch durch Bücher über YouTuber nicht in die Buchhandlung locken.

Dennoch geben wir nicht auf und machen Schul- oder Kindergartenführungen, die sehr gut ankommen. Der eine oder andere kommt dann tatsächlich später alleine wieder.

Wie suchen Sie die Bücher aus, die Sie auslegen? Und wie oft tauschen Sie die Auswahl? Gibt es verschiedene Rhythmen, etwa im Schaufenster, in den Regalen, auf den Tischen? Welche Rolle spielt die Backlist?

Angelika Jüttner: Wir haben uns die Bereiche aufgeteilt, das heißt Frau Wagner kauft Kinder-, Jugend- und Kochbücher ein sowie Geschenkartikel für Kinder. Ich betreue Romane, Sachbücher, Köln-Titel und die Nonbooks für die Erwachsenen.
Tische und Schaufenster werden zu aktuellen Anlässen wie Weihnachten oder Schulanfang dekoriert. Deshalb sind die Rhythmen eher flexibel, zwei bis vier Wochen sind es in der Regel. Wenn wir eine Lesung veranstalten, bekommen der Autor und sein Buch natürlich auch ein Schaufenster und einen Büchertisch.

Auf den Tischen legen wir neben den Neuerscheinungen auch immer unsere „Lieblinge“ aus: Bücher, die wir immer wieder gerne empfehlen und deshalb immer vorrätig haben.

Die Backlist spielt also schon eine wichtige Rolle bei uns; auch im Kinderbuch, wo Klassiker von Otfried Preußler oder Astrid Lindgren halt einfach dazugehören.

Simone Mayrhofer: Wenn ein Titel in der Vorschau schon über vier Seiten als Kampagnentitel beworben wird oder gerade bei Sachbüchern zu erwarten ist, dass die Autorin in Talkshows auftritt, bestellen wir mehr, weil wir von mehr Werbemaßnahmen seitens des Verlages ausgehen können.
Auch auf die Meinung der Vertreter verlassen wir uns, weil diese in der Regel die Bücher, die sie uns vorstellen, gelesen haben. Wenn ein Verlag mehrere Titel auf eine Seite quetscht, vermittelt er uns das Gefühl, dass diese Titel ihm nicht sonderlich wichtig sind.
Der Rhythmus richtet sich auch nach den Besuchen der Vertreter, aber ich bemühe mich um eine möglichst lange „Lebensdauer“ der Bücher bei uns und schicke sie nicht immer konsequent nach hundertachtzig Tagen zurück.

Wie viel Einfluss hat Ihr persönlicher Geschmack bei der Auswahl? Lesen Sie zumindest in alle Bücher rein, die Sie auslegen?

Simone Mayrhofer: Natürlich spielen Geschmack und Bauchgefühl eine Rolle. Aber wir müssen uns auch nach Trends richten oder schauen, wie gut sich der vorherige Titel eines Autors verkauft hat. Wobei das auch kein Garant für den Erfolg ist ... Leider können wir nur zurückhaltend auswählen, weil es einfach sehr viele Neuerscheinungen gibt.

Angelika Jüttner: Beim Einkauf haben wir erst einmal unsere Kunden im Blick. Schließlich leben wir davon, dass wir Bücher verkaufen. Aber natürlich haben wir auch unsere Vorlieben, im Idealfall decken die sich mit dem Geschmack der KundInnen.
Bei neuen Autoren versuchen wir schon, einen Eindruck von Sprache und Stil zu bekommen; der siebenundzwanzigste Commissario Brunetti von Donna Leon hingegen wird wahrscheinlich nicht anders sein als die ersten. Wir fünf Kolleginnen lesen alle viel und teils auch Unterschiedliches. Darüber tauschen wir uns aus, sodass wir viele Bereiche abdecken. Was bei uns eher vernachlässigt wird, sind Fantasy und historische Schmöker. Da suchen wir schon mal Testleser aus der Kundschaft.

Stimmt das Gerücht, dass Verlage gute Plätze in großen Buchhandlungen auch kaufen?

Simone Mayrhofer: Uns hat tatsächlich schon einmal ein großer Verlag gefragt, ob er ein paar Regalmeter kaufen könnte, aber darauf lassen wir uns nicht ein. Möglich aber, dass manche Buchhandelsketten das tun.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Verlagsvertretern? Hat sich die im Laufe der Jahre verändert?

Angelika Jüttner: Wir empfangen mittlerweile viel weniger Vertreter als noch vor ein paar Jahren. Wir kaufen gezielter ein und weniger Exemplare, deshalb lohnen sich die Vertreterbesuche teils nicht mehr. Bei einigen Verlagen wickeln wir den Einkauf komplett über das Barsortiment ab, das heißt, wir bestellen über Nacht und immer nur in der Stückzahl, die gerade gebraucht wird. So wird ein zu großer Lagerwert vermieden.
Bei den Vertretern, die wir noch empfangen, erwarten wir neben der Buchvorstellung auch noch Hintergrundinfos zu den Autoren oder auch Werbematerial.

Simone Mayrhofer: Die Verlagsvertreter nehmen eine wichtige Mittlerfunktion zwischen Buchhandel und Verlag ein. Wir vertrauen ihrem Urteil, gleichzeitig sagen wir ihnen auch, wenn wir uns Dinge anders wünschen.

Michael Henkel: Umso schlimmer ist es, dass immer weniger Buchhandlungen die Vertreter als Sprachrohr in beide Richtungen nutzen.
Die Verlage müssen andere Kanäle finden, um zum Beispiel Feedback von Endkunden zu erhalten, wenn das nicht mehr über die VertreterInnen und BuchhändlerInnen läuft. Soziale Medien sind eine Möglichkeit, allerdings trägt diese Brücke sogar bei reinem Marketing nur bedingt. Irgendwann wird es einfach inflationär, zum hundertsten Mal den fulminantesten Roman angeboten zu bekommen.

In welchem Zusammenhang stehen Ihrer Meinung nach der Erfolg eines Buches und seine Platzierung im Buchhandel?

Angelika Jüttner: Die Verlage versuchen, mit großen Werbeetats Titel und Autoren zu pushen, aber das funktioniert nur bedingt und dann eher für eine kurze Zeit. Longseller wie Dörte Hansens Altes Land oder Mariana Lekys Was man von hier aus sehen kann etablieren sich nur durch die Unterstützung des Buchhandels.

Die Verlage haben ja auch mittlerweile die Probleme, dass die Absätze pro Titel sinken, dass es viel zu viele ähnliche, austauschbare Bücher eines Genres gibt, dass die Buchhandelsflächen schrumpfen. Deshalb können Verkaufserfolge nicht so geplant werden, wie sich das mancher wünscht.

Gibt es besonders gute oder schlechte Erscheinungstermine? Ist da was dran an den berühmten Vorweihnachtstiteln?

Angelika Jüttner: Zum Teil wird der Takt der Neuerscheinungen noch durch die Frühjahrsmesse in Leipzig und die Herbstmesse in Frankfurt vorgegeben. Taschenbücher erscheinen monatlich, was eine kurze Verweildauer in der Auslage bedeutet. Was dann nicht vom Stapel verkauft wurde, wandert ins Regal, um den nächsten Neuerscheinungen Platz zu machen.
Im Herbst Richtung Weihnachten drängeln sich oft die wichtigen Titel, während im Frühjahr und Sommer einzelne Bücher mehr Aufmerksamkeit erregen können.

Wodurch lassen sich unentschlossene Kunden am besten zum Kauf eines Buches bewegen? Wie viele Bücher, die ausliegen, werden tatsächlich gekauft, wie viele zurückgeschickt?

Simone Mayrhofer: Wenn mich ein Titel selbst begeistert hat, dann schaffe ich es auch oft, Titel im Kundengespräch oder durch die Positionierung im Laden zu pushen, die im Marketing untergegangen sind. Es ist schon auffällig, dass wir Titel, die wir selbst gern gelesen haben, viel besser verkaufen.
Allerdings ist die Remissionsquote in den letzten Jahren gestiegen, gerade in der Belletristik. Früher konnten wir bei Toptiteln viel mehr verkaufen. Jetzt machen uns Bestsellerregale in Tankstellen und Supermärkten Konkurrenz, aber auch gebrauchte und damit billigere Bücher aus dem Internet. Und gerade anspruchsvollere Bücher von eher unbekannten Autoren tun sich zunehmend schwerer.

Angelika Jüttner: Wenn ein Kunde bei einem Geschenk unentschlossen ist, gibt es immer die Möglichkeit eines Umtausches. Ansonsten hängt viel davon ab, ob wir das Buch kennen und empfehlen können. Da wir hauptsächlich Stammkunden haben, kennen wir ja auch ihre Vorlieben und können gezielt beraten, ganz ohne Algorithmen. Wir versuchen möglichst wenig zurückzuschicken, da dies auch wieder Kosten verursacht.

Sie bieten ja – wie die meisten Buchhandlungen – denselben Service wie Amazon an: Wird der Onlinekauf genauso angenommen wie der im Laden? Und wenn ja, nur von Ihrer Stammkundschaft oder auch von KundInnen, für die der Standort keine Rolle spielt?

Angelika Jüttner: Unseren Onlineshop müssen wir eindeutig noch bekannter machen, selbst viele Stammkunden haben ihn noch nicht wahrgenommen. Ansonsten wird das Angebot tatsächlich in erster Linie von den Kunden vor Ort genutzt: zum Download von E-Books oder um im Shop zu bestellen und die Titel dann bei uns in der Buchhandlung abzuholen. Das ist eindeutig die beliebteste Variante. Gerade an Wochenenden oder Feiertagen merken wir einen Anstieg der Shop-Bestellungen.

Michael Henkel: Einen Onlineshop für aktuell 8,6 Millionen Titel – eine Million davon sofort lieferbar – (die fremdsprachigen Angebote eingerechnet) zu betreiben, wäre extrem zeit- und kostenintensiv, sodass unser Onlineshop nicht nur filialübergreifend organisiert ist, sondern wir – wie fast alle Buchhandlungen – auch auf ein Barsortiment zurückgreifen, in unserem Fall Libri. Nur die Homepage ist je nach Wunsch und Investition individuell gestaltet, dahinter steckt aber immer derselbe sogenannte White-Label-Shop. Und nur, wenn der Kunde das Buch bei uns abholt, verdienen wir etwas daran. Das passiert bei rund der Hälfte aller Onlinebestellungen. Bei Downloads oder Bestellungen, die direkt vom Barsortiment zum Kunden geschickt werden, werden wir nur mit einem winzigen Anteil beteiligt. Selbst wenn unser Logo auf der Rechnung steht, sind die Kontodaten die von Libri. Dennoch bietet uns die Onlinepräsenz Vorteile, etwa die Werbung für unsere Veranstaltungen oder auch einfach, unseren Kunden denselben Service wie Amazon bieten zu können. Das Allermeiste wird zum Glück im Laden gekauft, während der Onlinehandel unter fünf Prozent ausmacht.

Bücher sind ja zum Glück von den Kosten her ein überschaubarer Luxus – wie viele müssen davon täglich über die Theke gehen, damit eine Buchhandlung Gewinn abwirft?

Angelika Jüttner: Das ist ja schon die falsche Fragestellung. Die Buchpreise müssen steigen, damit endlich mal was überbleibt. Es gibt einen österreichischen Buchhändler, der ausgerechnet hat, dass wir bei jedem Buch für 9,99 Euro draufzahlen. 

Michael Henkel: Glücklicherweise rechnet die Familie Pustet nicht mit kurzfristigen Erfolgen, sondern plant in Jahrzehnten, wenn sie sich für einen Standort entscheidet. Bei Ketten wie Thalia gibt es dagegen ein ganz starkes Controlling: Wenn eine Filiale nach wenigen Jahren – das hängt ja auch immer von der Laufzeit des Mietvertrages ab – keinen Gewinn abwirft, wird erst verkleinert, dann geschlossen. Bei uns werden Durststrecken in der Hoffnung auf bessere Zeiten auch mal ausgesessen. Ich werde nie vergessen, wie Elisabeth Pustet, die Seniorchefin, Mitte 80, als ich ihr meine Sorgen mitteilte, antwortete: „Ach Gottchen, die Währungsreform, da hatten wir Sorgen …“ Das beruhigt. 
Andererseits sind die Kosten allein für Miete und Personal astronomisch hoch. Um noch mal Zahlen zu nennen: Um einen Buchladen in unserer Größe – 1.500 Quadratmeter – halten zu können, müssen schon 1.000 bis 1.500 Artikel täglich über die Ladentheke gehen.
Und zu den Buchpreisen: Es ist wohl oft ein Fehler der Verlage, in einer Art vorauseilendem Gehorsam dem Kunden gegenüber, die Bücher viel zu billig zu verkaufen. Es ist kein Wunder, wenn das Buch dann – oft verstärkt durch 99-Cent-Endungen der Preise – zuweilen wie ein Ramschartikel wirkt.
Die Wirtschaft boomt, wir nähern uns der Vollbeschäftigung, und wenn man sieht, wofür alles Geld ausgegeben wird, dann ist die Bescheidenheit, die es im Buchhandel schon immer gab, kontraproduktiv.
Wie oft passiert es, dass Buchhändler dem Kunden mit dem Hardcover in der Hand den Tipp geben, bis zur Taschenbuchausgabe zu warten? Das liegt natürlich auch daran, dass Buchhändler selbst meist nicht zu den Spitzenverdienern gehören und somit unbewusst die Sparsamkeit auch mal an den Kunden weitergeben. Manchmal ist das auch sinnvoll, aber es gibt genug potenzielle Kunden, die Geld genug haben. Mit diesem Virus der falschen Bescheidenheit ist die ganze Branche infiziert, und es wäre gut, dagegen anzugehen.

Was glauben Sie muss der Buchhandel heute zusätzlich leisten, um KundInnen zu gewinnen und zu halten?

Angelika Jüttner: In Zeiten des Internethandels müssen gerade die kleinen, unabhängigen Buchhandlungen ihre Stärken betonen: Sie kennen ihre Kunden meist, beraten gezielt, es gibt die persönliche Ansprache, man ist auch mal der Kummerkasten. Darüber hinaus gehört eine gute, einladende Atmosphäre im Geschäft einfach dazu: eine Tasse Kaffee, kleine Aufmerksamkeiten für die Kinder ... Ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm spricht unterschiedliche Kundenkreise an, bereichert das kulturelle Leben vor Ort und sorgt für Gesprächsstoff.
Aktionen, wie die bundesweite Woche unabhängiger Buchhandlungen (https://wub-event.de/) im November mit vielen Veranstaltungen und der Wahl des Lieblingsbuches der unabhängigen Buchhandlungen sind zum Beispiel eine tolle Werbung für den engagierten, inhabergeführten Buchhandel.

Was könnte von Verlagsseite getan werden, um den Bücherverkauf stärker anzukurbeln? Was läuft gut? Was sehen Sie kritisch?

Angelika Jüttner: Da die Verlage selbst unter Druck stehen, den Bestseller herauszubringen, fokussieren sie sich auf wenige Bücher, die den gesamten Werbeetat bekommen. Oft sind das aber die üblichen, austauschbaren Mainstream-Titel. Nach Girl on the Train, Gone Girl, Girl Unknown und so weiter stellt sich schnell der Überdruss ein.
Es werden von Verlagsseite neue Werbekanäle ausprobiert, Blogger und YouTuber gezielt angesprochen. Diese erreichen aber auch nur einen Teil der Leserschaft, der bei uns eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Wichtig ist, dass das Buch als solches im Gespräch bleibt. Es ist als Medium fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. In der Bahn, am Strand werden E-Books gelesen, wenn überhaupt. In Fernsehserien oder Filmen tauchen keine Leser mehr auf, Buchregale schon gleich gar nicht.
Gerade in Zeiten der Reizüberflutung und der ständigen Erreichbarkeit sollte wieder viel mehr auf die entschleunigende Wirkung des Lesens hingewiesen werden. Das Buch als Lifestyle-Element, das wäre doch mal was! Dazu gehört aber auch eine höhere Wertigkeit ...

Simone Mayrhofer: Wir haben auch beobachtet, dass eine höhere Wertigkeit bei der Ausstattung eines Buches den Kaufanreiz erhöht. Die Kunden greifen lieber zu hochwertig gestalteten Titeln, etwa mit Klappenbroschur, Prägedruck bei den Titeln oder eben Hardcovern. Das Motto „Qualität vor Quantität“ trifft auch auf die Anzahl der Neuerscheinungen zu. Den Vertretern haben wir immer wieder gesagt, dass eine zu große Masse an neuen, ähnlichen Titeln kontraproduktiv ist. Tatsächlich denken die Verlage langsam um, sodass wieder gezielter ausgewählt wird. Dennoch gibt es, sobald ein Thema erfolgreich war, gerade in der Belletristik immer noch eine Schwemme an ähnlichen Büchern mit ähnlichen Covern. Wenn ich einen Tisch mit nahezu identischen Covern habe, sticht das einzelne nicht mehr heraus. Schlimm ist es auch, wenn Cover und Klappentext nicht zum Inhalt des Buches passen und das zur Enttäuschung beim Leser führt.
Aber grundsätzlich sehen wir, dass die Verlage Autoren immer noch aufbauen und auch Newcomern eine Chance geben. Was sie auch müssen, da genau wie bei den Kunden die ältere Generation wegstirbt.

Die deutsche Monopolkommission hat im Mai 2018 ein Sondergutachten vorgelegt und darin für die Abschaffung der Buchpreisbindung plädiert. Was würde es bedeuten, wenn die Buchpreisbindung aufgehoben würde?

Angelika Jüttner: Glücklicherweise hat die Monopolkommission gleich Gegenwind auch aus der Politik bekommen. Eine Buchhandelsdichte wie in Deutschland findet man in keinem anderen Land, das ist ein kulturelles Gut.
Am Beispiel von Großbritannien kann man sehen, wohin es geführt hat, dass dort 1995 der feste Buchpreis aufgehoben wurde: Viele kleine Buchhandlungen mussten schließen. Bücher werden zu Sonderpreisen in Supermärkten und Tankstellen angeboten, die Harry Potter-Serie damals sogar unter dem Einstandspreis, was betriebswirtschaftlich völlig idiotisch ist. Bestseller werden drei zum Preis von zwei angeboten. Als Folge setzt der Verlag den Preis pro Buch hoch, er muss ja noch etwas erwirtschaften. Außerdem werden noch eher bestsellerverdächtige Titel publiziert, Bücher mit schwierigeren Themen oder experimenteller Art sind ein zu hohes Risiko. Somit wird auch das Angebot eingeschränkt.

Michael Henkel: Einesteils sind wir froh über die Preisbindung, andererseits sind die Preise für Bücher in den letzten Jahren im Gegensatz zu anderen Dingen kaum gestiegen. Jeder Verlag hätte Angst, dass andere Verlage bei Preissteigerungen nicht mitziehen. Bei zu günstigen Preisen können jedoch viele Buchhandlungen nicht mehr kostendeckend arbeiten und werden in den Ruin getrieben. Gerade bei Taschenbüchern würde es für den Verkauf kaum etwas ausmachen, wenn die durchschnittlichen Preise um fünfzig Cent bis einen Euro angehoben würden.

Angelika Jüttner: „Die goldenen Zeiten des Buchhandles sind lange vorbei, aber es wäre schon schön, wenn man/frau wenigstens davon leben könnte.

Wie viel verdient meine Buchhandlung an einem Buch?
Von Sandra Uschtrin

Zu welchem Ladenpreis ein Buch über die Theke geht, das bestimmen in Deutschland die Verlage. Wenn sie Preise festsetzen und die Konditionen gestalten, müssen sie berücksichtigen, was der verbreitende Buchhandel an Service leistet.
Die Barsortimente, also Unternehmen des Zwischenbuchhandels wie Libri, KNV und Umbreit, bekommen in der Regel 50 Prozent Buchhandelsrabatt.
Der Buchladen vor Ort kauft seine Bücher auf eigene Rechnung entweder direkt beim Verlag oder beim Barsortiment. Sein Buchhandelsrabatt beträgt in der Regel zwischen 25 und 40 Prozent des Ladenpreises; manchmal auch weniger.
Von einem Buch, das im Laden 10 Euro kostet, erhält der Buchhändler also in etwa 3,00 Euro. Von dieser Handelsspanne hat er all seine Kosten zu bestreiten: Miete, Personal, Strom, Lieferkosten ... Steuern zahlen muss er natürlich auch.

Welche Eigenschaften müssen gute BuchhändlerInnen mitbringen?

Angelika Jüttner: BuchhändlerInnen müssen aufgeschlossen und neugierig sein, eine gewisse Empathie mitbringen, eine gute Allgemeinbildung haben und sich auch vor körperlicher Arbeit nicht scheuen. Ein Sinn für die kaufmännische Seite ist auch nicht verkehrt.

Michael Henkel: Ein Buchhändler ist eben viel mehr als ein Kaufmann. Umso trauriger ist es, dass sich unter anderem Thalia vor Jahren dafür eingesetzt hat, den Ausbildungsberuf Buchhändler abzuschaffen, weil ohnehin nur noch Verkäufer benötigt würden. Das ist auch ein Grund, aus dem sich der Buchhandel immer mehr banalisiert. Erst das Hintergrundwissen macht den Buchhändler auch jenseits der Unterhaltung, etwa im Bereich der Geisteswissenschaften, zu einem guten Berater.
Eine Herausforderung ist der Spagat zwischen gutem Wirtschaften, etwa indem wir Bücher anbieten, die uns der Verlag zu guten Konditionen anbietet – meist sind das die aus dem Boulevardsortiment –, und unserem Anspruch, Literatur zu vermitteln.

Und was raten Sie AutorInnen im Umgang mit dem Buchhandel? Gibt es etwas, was sie tun können, um dort präsenter zu werden?

Angelika Jüttner: Es ist immer gut, wenn wir die Autoren vor Ort kennen. Daraus ergeben sich ja oft Aktionen wie Lesungen oder Signierstunden. Außerdem ist die Betonung des Regionalen immer auch ein Verkaufsargument!
Der Vertrieb des Buches sollte allerdings über den Verlag erfolgen, das ist einfach professioneller in der Abwicklung. Da können wir auch noch Werbematerial et cetera bekommen.

Michael Henkel: Persönliche Gespräche und direkte Kontakte zu Autoren nehmen natürlich auch viel Zeit in Anspruch. Wenn Autoren mit ihrem Erstlingswerk, über dessen Qualität man streiten kann, uns eine Stunde in ein Gespräch verwickeln, ist das schwierig. Erfahrene, renommierte Autoren sind da in der Regel unkomplizierter. Sie kommen schneller auf den Punkt und sind mit den Anforderungen und Möglichkeiten des Buchhandels einfach besser vertraut.

Wie sehen Sie die Zukunft: Wie muss sich der Buchhandel entwickeln, um Bestand zu haben?

Michael Henkel: Immer wichtiger wird der soziale Aspekt. Es gibt ein Sprichwort von der Buchhandlung oder der Bibliothek als dritten Ort, an dem man sich nach dem Zuhause und dem Arbeitsplatz am meisten aufhält. Manchmal überbrücken bei uns die Leute einfach die Zeit im Trockenen, bis der Bus kommt. Und hier treffen sie andere, ohne sich vorher verabreden zu müssen. Im Idealfall übernimmt der Buchhandel die Funktion des Tante-Emma-Ladens oder der Kneipe im Ort. Je stärker wir dem Kunden unterschwellig vermitteln, dass wir ein Ort sind, wo man sich außerhalb der eigenen Filterblase austauschen und inspirieren lassen kann, desto besser.
Auch das Café mit rund vierzig Plätzen in unserem Geschäft unterstützt diese sozialen Aspekte und macht den Buchladen zu einem Wohlfühlort.
Und wir hören nicht auf, dem Nachwuchs die Welt der Bücher nahezubringen. Bei unseren Schulführungen erreichen wir zum Beispiel jährlich rund tausend Kinder, in deren Elternhaus Bücher oft keine Rolle mehr spielen. Wir bauen die Schwellenangst ab. Früher hatten Nichtakademiker oft schon Angst, sich im Buchladen unter den strengen Blicken von Buchhändlerinnen umzuschauen, die sie an Fräulein Rottenmeier aus Heidi erinnerten.

Angelika Jüttner: Die größte Gefahr für die Zukunft sehe ich im Nicht-Mehr-Lesen! Die Leute haben keine Zeit und keine Konzentration mehr für ein Buch. Alles ist viel kurzlebiger geworden, die Aufmerksamkeitsspanne lässt nach, elektronische Medien sind Zeitfresser.
Verlage und Handel müssen das Buch wieder aufwerten als Medium zur Unterhaltung, zur Entspannung, zur Weiterbildung, zur Erweiterung des eigenen Horizonts. Es gibt ja schon Imagekampagnen (www.jetzteinbuch.de/kampagnen), die auf humorvolle Art für das Buch werben. Der Buchhandel ist mehr denn je gefragt als Vermittler von Literatur und kulturellen Werten. Leseförderung kann gar nicht früh genug beginnen, deshalb unterstützen wir ja schon Kindergärten und Grundschulen mit Buchempfehlungen oder Lesetüten. Lesen, die Auseinandersetzung mit einem Text, das Kennenlernen anderer Sichtweisen und Kulturen, ist wichtiger denn je.

Michael Henkel: Mit dem Verschwinden von Buchhandlungen verliert das Buch immer mehr an Sichtbarkeit, an Präsentationsfläche, sodass letztendlich die ganze Buchbranche darunter leidet. Hier würde ich mir wünschen, dass auch die Verlage den stationären Buchhandel mehr im Blick haben.
Und natürlich habe ich die Vision, dass der Buchhandel auch in der Zukunft bestehen bleibt: vor allem als Ort des Austausches unter Lesern, zwischen Autoren und Lesern, aber auch als Brücke zwischen Verlagen und Lesern. Die Buchhandlung also als Kontaktbörse in jeder Hinsicht, die durch einen rein digitalen Austausch niemals zu ersetzen wäre.

https://pustet.de
https://rather-buecherstube.buchhandlung.de

Linktipps
www.boersenblatt.net/artikel-hintergrund_des_sondergutachtens___stellungnahme_des_boersenvereins.1474127.html
www.jetzteinbuch.de/ueber-uns

Autorin: Daniela Nagel | www.danielanagel.de | [email protected]
Erschienen in: Federwelt, Heft 132, Oktober 2018
Blogbild: Photo by Yiqun Tang on Unsplash

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