
Warum mögen Händler, AutorInnen und potenzielle BuchkäuferInnen Bestseller-Regale und Verkaufscharts? Welche Faktoren beeinflussen die Ranking-Mechanismen bei Amazon? – Und wie platzieren Sie Ihr Buch oder E-Book dort optimal?
Bei fast jedem Buchhändler gibt es ein Regal, das immer gleich aussieht. „Bestseller“ steht darüber, dazu meist das Logo eines Nachrichtenmagazins und in den Fächern findet der Kunde eine Auswahl der Bücher, die sich in der letzten Woche gut verkauft haben. Auf den ersten Blick profitieren alle davon: Die KäuferInnen, weil sie am liebsten das kaufen, was andere gut fanden. Die Händler, weil das Bestseller-Regal eine sichere Bank ist – und auch Verlage und AutorInnen, weil allein die Präsenz in diesem Regal die allerbeste Werbung überhaupt darstellt.
Der Kampf um die Platzierung
Allerdings haben all die Titel nichts davon, die es nicht mindestens auf Platz 20 der Charts geschafft haben. Das sind etwa 99,9 Prozent aller in Deutschland erscheinenden Bücher, wenn man grob schätzt, dass es pro Jahr 120.000 Neuerscheinungen aus Verlagen und von Selfpublishern gibt und es eine niedrige, dreistellige Zahl jeweils in die Buch-Bestsellerlisten schafft. Das erklärt, warum der Kampf um eine solche Platzierung so intensiv geführt wird: mit Werbekosten-Zuschüssen etwa, die Buchhändler dazu bewegen, einen Titel besonders prominent im Laden auszustellen, oder mit Werbung in Branchen- und Publikumsmedien.
Als AutorIn, egal ob beim Verlag oder als Selfpublisher unterwegs, kann man da nur staunend zusehen. Dass etwa Hanni Münzer im Frühsommer erstmals mit einem zunächst im Selfpublishing veröffentlichten Roman die SPIEGEL-Bestsellerliste erklomm, hat sie kaum seinem Erfolg bei Amazon zu verdanken, sondern vielmehr dem (durchaus teuren) Engagement des Verlages (Piper), bei dem ihr Werk im Januar als E-Book erschienen ist und im April als Taschenbuch. Ihr „Honigtot“ könnte unabhängigen AutorInnen neue Wege geöffnet haben – deutlich leichter ist der Weg in das Chart-Regal dadurch aber auch nicht geworden.
In Indie-Hand: die Amazon-Top-Charts
Dafür haben unabhängige AutorInnen ein anderes Bestseller-Regal fest in der Hand, in dem Verlage längst eine Minderheiten-Rolle spielen: die E-Book-Charts von Amazon. Es gehört zu den Erfolgsrezepten der US-Firma, Verkaufs-Hitlisten ohne Ansehen der Person zu führen. Während vor allem deutschen Online-Händlern lange der potenziell mit einem Buch zu erzielende Umsatz genügte, um es in der Bestseller-Rubrik zu platzieren (diese Listen nannte man dann beschönigend „kuratiert“, also persönlich ausgewählt), zählte bei Amazon von Anfang an nur eines: der tatsächliche Verkauf. Ganz egal, ob der Händler an einem Titel 50 Cent oder 10 Euro verdient.
Das führt auf den ersten Blick dazu, dass die Plattform Umsatz verliert – mit 20 verkauften „Verlagsbüchern“ zu je 12,99 Euro auf den ersten Rängen würde Amazon mehr verdienen als mit 20 Indie-Werken für im Mittel drei Euro. Es nutzt aber den KäuferInnen, den Kunden. – Eine Betrachtungsweise, der sich inzwischen auch die meisten deutschen E-Book-Shops angeschlossen haben. (Wenn auch nicht immer konsequent, bei manchen tauchen nach wie vor keine Selfpublishing-Titel als „Empfehlungen“ auf.)
Wichtig: die Sichtbarkeit
Der Fokus auf das Verkaufs-Ranking führt aber auch dazu, dass dieses für unabhängige AutorInnen einen ganz wesentlichen Maßstab darstellt. – Zumindest, wenn sie veröffentlichen, um damit Geld zu verdienen. Ein bei Amazon hochgeladenes Buch wird für seine LeserInnen nicht von allein sichtbar. Es wird nicht gefunden und dadurch nicht gekauft, so lange es nicht in den einzelnen Rankings vertreten ist. Aufgabe der AutorInnen ist es deshalb, dem eigenen Buch Sichtbarkeit zu verschaffen. – Das gilt für VerlagsautorInnen übrigens ebenso wie für Selfpublisher.
Das Verkaufsranking
Dieser Auftrag wird dadurch verkompliziert, dass Amazon mehrere Bestenlisten führt. Auf die erste stößt man, wenn man die Produkt-Informationen zu einem beliebigen E-Book betrachtet. „Amazon Bestseller-Rang: # X Bezahlt in Kindle-Shop“ steht dann dort, wobei das X hier den Verkaufsrang repräsentiert, der von eins bis über eine Million reichen kann. Die E-Books, bei denen das X maximal 100 beträgt, listet Amazon in einem eigenen Bereich:
www.amazon.de/gp/bestsellers/digital-text/ref=pd_dp_ts_kinc_1
Dieser Bereich ist unter anderem auch von der Homepage des Kindle-Shops direkt erreichbar (www.amazon.de/ebooks-kindle-buecher/b/ref=nav_shopall_kbo4?ie=UTF8&node=... → „Kindle eBook Bestseller“) und genießt deshalb eine hohe Aufmerksamkeit durch die KäuferInnen. Entsprechend hervorragend sind die dort zu erzielenden Verkaufszahlen. Wer den ersten Platz belegt, kann mit bis zu 2000 verkauften E-Books pro Tag rechnen, auf dem 20. Platz noch mit 500 und mehr und selbst auf dem 100. sind es noch über 100 Verkäufe am Tag.
Die weiteren Plätze führt Amazon selbst nur auf den Detailseiten auf. Sie können sie aber hier abrufen: www.selfpublisherbibel.de/amazon-top-1000/.
Die Verkaufszahlen gehorchen dabei einer Exponentialkurve, die sich langsam der Null annähert. Aber wirklich langsam. – Auf Platz 1000 können Sie am Tag immer noch über 20 E-Books verkaufen. Das wären im Jahr 7200 und damit lägen Sie bei den Verkaufszahlen eines Midlist-Buches.
Aufsteigen! Aber wie?
Wie erreichen Sie dieses Ranking? Die kurze Antwort: durch Verkäufe. Die lange Antwort ist komplizierter: Wer exklusiv bei Amazon veröffentlicht, kann sein Buch nicht nur verkaufen, sondern auch im Rahmen der KindleUnlimited-Flatrate („KU“) und der Leihbibliothek für Kindle-Besitzer („KOLL“) verleihen. Jeder einzelne Verleih zählt, was das Ranking betrifft, genau wie ein Verkauf, und zwar im Moment des Ausleihvorgangs. Bezahlt wird der Verleih aber nach gelesenen Seiten. Und nur diese Angabe ist für den Autor überhaupt sichtbar. Deshalb kann es passieren, dass Ihr E-Book unerklärliche Ranking-Sprünge mitmacht, obwohl Sie keine Verkäufe angezeigt bekommen.
Noch unübersichtlicher wird die Situation, weil es eine gewisse zeitliche Verzögerung gibt: zwischen dem Moment des Kaufs (oder der Leihe) und dem Moment, in dem das Ranking angepasst wird. Je weiter hinten ein Buch in den Charts steht, desto seltener aktualisiert Amazon die Daten. Wenn ein E-Book ganz neu ist, also noch nie ein Ranking hatte, kann es nach seinem ersten Verkauf auch mal 48 Stunden dauern, bis zum ersten Mal ein Verkaufsrang zu sehen ist.
Hinzu kommt, dass Amazon alle Verkäufe mit der Zeit abwertet. Das ist sinnvoll, denn anderenfalls wäre es ja fast unmöglich, einen Bestseller vom Thron zu stürzen. Die Firma macht dazu keine Angaben, aber anhand von Experimenten lässt sich schätzen, dass Verkäufe alle 24 Stunden die Hälfte ihres Wertes für das Ranking verlieren. Ein Buch, das sich gestern 50 Mal verkauft hat, wäre heute also auf einem Platz, der 25 Verkäufen entspricht und morgen auf einem Rang, der 12 oder 13 verkauften Exemplaren gleichkommt. Allerdings nur, wenn dieses Buch sich heute nicht mehr verkauft hat. – Was bei einem guten Platz in der Bestenliste sehr unwahrscheinlich ist.
Dieser Algorithmus hat für E-Books bei Amazon zwei Folgen, die miteinander zusammenhängen – eine positive und eine negative. Zum einen stabilisiert er die Platzierungen. Wenn Sie vorvorgestern, vorgestern, gestern und heute je 100 Exemplare verkauft haben, dann zählen 100 + 50 + 25 + 12,5 Exemplare für das Ranking. Wenn man diese Folge nicht addiert, sondern nach Carl Friedrich Gauß „mathematisch“ summiert, kommt man auf 200 Exemplare (unter der Annahme, dass die Verkäufe konstant waren). Für Ihr Buch zählt also das Doppelte der heutigen Verkäufe. Das ist gut, weil ein Konkurrent Sie so schlechter überholen kann. Das ist schlecht, falls Sie dieser Konkurrent sind: Sie müssen heute im Grunde doppelt so viel verkaufen wie die Autorin des Buches auf dem Platz, den Sie selbst einnehmen wollen.
In der Praxis hat Ihr E-Book allerdings auch immer Vortages-Verkäufe, sodass Sie vielleicht nur 50 Prozent mehr verkaufen müssen. Wie groß Ihre Anstrengung insgesamt sein muss, hängt daher auch davon ab, woher Sie mit Ihrem Buch kommen. Ein Sprung von Rang 10.000 auf 100 dürfte fast unmöglich sein, aber von 120 auf 100 ist ein machbares Vorhaben. Dies müssen Sie in Ihrer Marketing-Strategie berücksichtigen.
Zum Sprung ansetzen
Das Mittel der Wahl, um solche Sprünge einzuleiten, ist heute die Preisaktion, also ein E-Book für kurze Zeit günstiger anzubieten. Solche Aktionen funktionieren nur, wenn Sie bei der Zielgruppe (den Schnäppchenkäufern) kräftig die Werbetrommel rühren. Verschießen Sie jedoch nicht Ihr gesamtes Pulver am ersten Tag! Zunächst sollten Sie dort werben, wo weniger Resonanz zu erwarten ist, und sich die erfolgreichsten Portale für den letzten, entscheidenden Schritt aufheben. Eine Liste der Werbemöglichkeiten finden Sie hier: www.selfpublisherbibel.de/marketing-tipp-wo-sie-auf-preisaktionen-aufmer....
So läuft die Werbeaktion
Was den Ablauf einer Werbeaktion betrifft, sollten Sie bedenken, dass diese verpufft, wenn Ihr Werk noch nicht rezensiert wurde. Starten Sie die Aktion also nicht gleich nach Erscheinen, sondern schieben Sie erst noch eine Leserunde ein.
So könnte demnach eine sinnvolle Werbeaktion aussehen:
• 1. Tag: Ihr Buch wurde freigeschaltet. Sie kaufen es selbst. Sie kündigen eine Leserunde an. Sie melden bei den Marketing-Seiten Ihre Werbeaktion an → siehe den Link oben.
• 2.-3. Tag: Das Buch hat ein Ranking bekommen.
• 7. Tag: Auslosung der TeilnehmerInnen für die Leserunde
• 10.-17. Tag: Leserunde. Ergebnis: legitime Rezensionen
• 20. Tag: Preisaktion bei Amazon eintragen
• 21. Tag: erster Tag der Preisaktion. Werbung bei kleineren Seiten.
• 22. Tag: zweiter Tag der Preisaktion. Werbung bei mittleren Seiten.
• 23. Tag: dritter Tag der Preisaktion. Werbung bei großen Seiten, in Ihrem Newsletter und bei Ihren Fans.
Gehen Sie so vor, stehen die Chancen gut, dass Sie Ranking-Regionen nahe der 100 erreichen. Dass Sie es in die Top 100 schaffen, kann Ihnen aber niemand garantieren.
Das Kategorien-Ranking
Zusätzlich zu den allgemeinen Top 100 führt Amazon auch in jeder Unterkategorie ein Ranking. Wo Sie darin platziert sind, erfahren Sie, wenn Sie zum Punkt „Produktinformation“ scrollen.
Hier gelten dieselben Algorithmen wie für das allgemeine Verkaufsranking „in Bücher“. Natürlich ist es einfacher, hier vordere Plätze zu erreichen. Bei sehr beliebten Kategorien kann aber auch das problematisch werden. Meine Tipps dazu:
• Beobachten Sie „Ihr“ Ranking in den Kategorien. Wenn Ihr Buch aus den Top 100 fällt, suchen Sie eine andere (passende!) Kategorie, in der es sichtbar bleibt. Zum Beispiel, indem Sie von „Liebesromane“ zu „Belletristik“ → „Belletristik für Frauen“ wechseln. Mehr Infos: www.selfpublisherbibel.de/autoren-tipp-wie-sie-die-beste-kategorie-bei-a....
• Wenn Sie zum E-Book auch ein Taschenbuch veröffentlichen und dessen Einstufung schlau wählen, kann Ihr Titel in bis zu vier Kategorien sichtbar sein.
• Falls Ihr E-Book in der falschen Kategorie landet, schreiben Sie den KDP-Support an.
Das Beliebtheitsranking
Wenn KäuferInnen sich bei Amazon nicht über die Bestsellerliste zu einem Buch durchklicken, sondern über den Kategorie-Baum, landen sie in einer anderen Form von Ranking: dem Beliebtheitsranking.
Es unterscheidet sich in zwei Aspekten von der Bestenliste: Zum einen zählt Amazon hier auch weiter zurückliegende Daten, die gleichwertig aufgenommen werden. Zum anderen werden auch verschenkte Exemplare einbezogen, vermutlich mit einem Umrechnungsfaktor von 30:1, 30 Gratisexemplare werden also wie ein verkauftes Buch gerechnet.
Das Beliebtheitsranking ist deshalb das einzige, das sich mit einer Gratisaktion erreichen und verändern lässt. Falls Sie Ihr E-Book wirklich verschenken wollen, sollten Sie allerdings nicht vergessen, dass es für diese Zeit aus dem normalen Verkaufsranking ganz heraus fällt. Verschenkaktionen haben deshalb wohl deutlich an Beliebtheit eingebüßt.
Unabhängig von der Art des Rankings sollten Sie bei Preis- oder Verschenkaktionen auch die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten. Angenommen, Ihr E-Book gelänge durch eine Preisreduktion von 2,99 Euro auf 99 Cent von Platz 1000 auf Platz 300. (Vorher verkauften sich also 20 Exemplare am Tag und nun vielleicht 50. Allerdings würde Ihr Verdienst pro Buch von 1,75 Euro auf 35 Cent sinken.) Hat sich die Aktion gelohnt? Das träfe nur zu, wenn sich Ihr Buch zumindest so lange zu 2,99 Euro auf Platz 300 halten würde, bis es die verlorenen Umsätze aufgeholt hat.