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Andreas Eschbach: Der Autor als Unternehmer

Federwelt
Andreas Eschbach
Balkendiagramm von Andreas Eschbach zu Marketing, Qualität, Geld und "Lästiges Zeug"

Kurz nachdem Andreas Eschbach die zwanzigste Absage eines Verlags für seinen ersten Roman erhielt, bot sich ihm die Möglichkeit, zusammen mit einem Partner eine Firma zu gründen, also das, was man heute ein „IT-Start-up“ nennen würde. Während er noch zögerte, seine Anstellung aufzugeben, trudelte die einundzwanzigste Ablehnung ein, und er dachte: »Hmm, vielleicht will mir das Schicksal etwas damit sagen?« Andreas Eschbach zum Thema "Der Autor als Unternehmer":

So saßen wir im Herbst 1993 beim Notar und vollzogen das Ritual einer GmbH-Gründung.
Nach den üblichen Startschwierigkeiten lief es erstaunlich gut. Aber im Frühjahr 1994 meldete sich noch ein Verlag, diesmal mit der Frage, ob „die Rechte für meinen Roman noch zu haben“ seien. (Wenn’s mal läuft, dann richtig.) Das Buch erschien Ostern 1995 und mein zweiter Roman, den ich geschrieben hatte, um die deprimierende Wirkung der Absagebriefe abzufedern, im Jahr darauf.
Da hatten wir schon zehn Angestellte, und ich sah, dass sich das Veröffentlichen von Romanen nicht mit der Tätigkeit eines GmbH-Geschäftsführers verträgt. Also verließ ich die Firma und schlug mich fortan halbe-halbe durchs Leben: Die eine Hälfte meiner Zeit schrieb ich, die andere Hälfte war ich als „IT-Einzelkämpfer“ unterwegs.
Im Frühjahr 2000 hatte ich meinen ersten Bestseller. 2001 wechselte ich zu Lübbe, wo man meinen ersten Roman gleich als Toptitel platzierte: So endete meine „zweigleisige Existenz“. 

Andreas Eschbach: Was mich meine Zeit als Unternehmer fürs Schriftsteller-Dasein gelehrt hat

1. Ich habe gelernt, mit unregelmäßigem Einkommen zu leben.

Ehe ich Unternehmer wurde, war jeden Monat ein gewisser Betrag auf meinem Konto aufgetaucht (und im Lauf desselben Monats immer auch wieder verschwunden).
Als Unternehmer hatte ich das Geld, das hereinkam, Punkt. Überdies musste ich Rechnungen schreiben, um dafür zu sorgen, dass es kam, und dahinterher sein, dass sie auch bezahlt wurden.
Außerdem musste ich mit einem unregelmäßigen Arbeitsaufkommen leben lernen. Am Jahresanfang lief immer so gut wie nichts, während ich kurz vor Jahresende 40-Stunden-Tage hätte brauchen können. Und wenn ich Rechnungen schrieb, dauerte es mitunter Monate, bis sie beglichen wurden.
Als Unternehmer wie als Schriftsteller ist es für mich unabdingbar, langfristiger zu planen: Wann kann ich wieder mit Zahlungseingängen rechnen? In welcher Höhe? Wie wahrscheinlich ist es, dass das Geld auch kommt? Wann sind große Zahlungen fällig – Steuern vor allem? Ich muss es aushalten, nur einen festen Geldbetrag zu haben, der, je nach Sparsamkeit, eine gewisse Zeit lang reichen wird, und darauf vertrauen, bis dahin neue Einkünfte zu erzielen. Und ich muss langfristige Verläufe im Blick behalten: Wie entwickeln sich die Umsätze mit welchen Kunden, in welchen Bereichen?
Was mir als IT-ler Softwareprojekte waren, sind mir als Autor Buchverträge, nur, dass die noch langfristiger angelegt sind. Wenn ich heute einen Dreibuchvertrag abschließe, kommt dreimal ein Drittel des Vorschusses dieses Jahr, da bei Unterschrift fällig. Nächstes Jahr kommt das zweite Drittel fürs erste Buches, fällig, wenn ich das Manuskript abgebe, und das dritte Drittel im Jahr darauf, wenn das Buch erscheint: Das sind Einkünfte, mit denen ich fest rechnen kann.
Die Tantiemen von Büchern, die ihre Vorschüsse bereits eingespielt haben, sind dagegen immer Überraschungspakete: Mal verkauft sich das eine Buch besser, dann wieder ein anderes – das ist nicht vorhersagbar. Also darf ich damit nur vorsichtig kalkulieren.

2. Ich habe gelernt, mich als Lieferant zu verstehen.

Als Unternehmer bin ich ein Lieferant, der ein spezifisches Angebot macht. Ich habe gelernt, diese Rolle von der persönlichen Ebene zu trennen: Wenn jemand mein Produkt nicht kauft, dann heißt das nicht, dass er mich nicht leiden kann oder in sonst einer Weise abwerten will. Er braucht einfach nur was anderes. Umgekehrt werden auch die Produkte ausgesprochener Unsympathen nachgefragt – dann nämlich, wenn es keine Alternativen dazu gibt.
Als Schriftsteller fällt mir diese innerliche Trennung schwerer, da das, was ich anbiete, viel persönlicher ist – und viel schwerer objektiv zu bewerten.
Wenn die Software abstürzt, weiß man, dass man Mist gebaut hat. Doch wann ist ein Roman wirklich „schlecht“?
Als Unternehmer versuche ich, mich in meine Kunden hineinzuversetzen. Wenn ich verstehe, was diese brauchen oder schätzen, kann ich mein Angebot attraktiver gestalten – nicht nur das Produkt selbst, sondern auch alles darum herum: die Beratung, den Service, die Auslieferung …
Als Schriftsteller kann es mir ebenfalls nicht schaden zu verstehen, wie die Abläufe in einem Verlag sind und worauf es den Menschen ankommt, mit denen ich dort zu tun habe. Ich kann Wert darauf legen, mein Manuskript pünktlich abzugeben, um denen, die das Programm, die Erscheinungstermine und die Marketingmaßnahmen planen, das Leben nicht unnötig schwer zu machen.
Ich sehe, dass manche Starallüren entwickeln und damit durchkommen. Aber ich bin überzeugt, dass das nur funktioniert, solange der Umsatz stimmt, und auch dann nur zähneknirschend. Sollte die Nachfrage jemals einbrechen, wird eine „Diva“ die erste Person sein, von der man sich „mit Bedauern“ trennt.

3. Ich habe gelernt, was Kundenbindung bedeutet.

Neue Kunden zu gewinnen – durch Werbung – ist aufwendig und teuer; man hat es wesentlich einfacher, wenn man bestehende Kunden so behandelt, dass sie einem treu bleiben.
Im Buchgeschäft ist das genauso, nur noch wichtiger. Bücher werden Bestseller vor allem durch Mundpropaganda, durch das weitergesagte „Das musst du lesen!“. Doch Mundpropaganda kann man nirgends buchen, sie entwickelt sich oder eben nicht.
Als Unternehmer versucht man, in Zielgruppen zu denken: Mit wem macht man den Löwenanteil seines Umsatzes, und was haben diese Personen gemeinsam? Niemand kann allen alles bieten, nicht einmal der größte Konzern. Für ein kleines Unternehmen ist es am besten, sein Angebot auf kluge Weise so zuzuspitzen, dass man in einem kleinen, aber auskömmlichen Markt eine Alleinstellung erlangt.
Das allerdings lässt sich nicht übertragen: Es ist immer wieder versucht worden, zielgruppengerecht zu schreiben, aber soweit ich das sehe, hat es nie wirklich funktioniert. Man kann nur die Bücher gut schreiben, die man selber vermisst, und nur die werden sie lesen, denen es ebenso geht.
Das Einzige, was ich als Autor tun kann, ist, mir der Wirkung der ersten und der letzten Seiten eines Buches bewusst zu sein. Die erste Seite verkauft das Buch, das jemand im Laden gerade zur Hand genommen hat – und die letzte Seite verkauft ihm das nächste Buch.
Ich nenne das den „Geldbeutelpreis“: Ich bemühe mich, so zu schreiben, dass die Leser sich meinen Namen merken. Den „Geldbeutelpreis“ bekomme ich nämlich in dem Moment, in dem jemand sagt: „Oh, von dem hab ich schon mal was gelesen, das gut war; da kaufe ich das Neue auch“ – und den Geldbeutel zückt. Es ist, ganz im Ernst, der wichtigste Literaturpreis der Welt.

4. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, die eigenen Abläufe zu optimieren.

Wenn ich bestmögliche Qualität bieten will, müssen die Abläufe im eigenen Unternehmen so gut wie möglich funktionieren: Werden Aufträge zügig bearbeitet? Hilferufe umgehend beantwortet? Sind die Arbeitsabläufe so aufeinander abgestimmt, dass es wenig Leerlauf gibt? Ist die Buchhaltung jederzeit aktuell?
Hier würde ich Parallelen zum Dasein als Schriftsteller nur mit Bedacht ziehen. Einen Roman zu schreiben ist keine Tätigkeit, die sich „fließbandmäßig“ organisieren und optimieren lässt.
Doch auch in einer „Romanmanufaktur“ fallen um das eigentliche Schreiben herum eine Menge weiterer Tätigkeiten an. Zwar sind sie notwendig, halten einen aber vom Schreiben ab, und zwar umso mehr, wenn sie chaotisch ablaufen.

In meiner Unternehmerzeit habe ich, wenn es darum ging, unsere Abläufe zu durchdenken, gern auf folgendem Schema aufgebaut:

[In der Printausgabe finden Sie an dieser Stelle eine Dreicks-Grafik, die in der Spitze ein Q beinhaltet, im Mittelteil ein G und ein M und unten in der Breite LZ.]

Alles, was man tut, fällt in einen von vier Bereichen, die hier in einer Pyramide angeordnet sind, um zu signalisieren, dass ein Bereich umso wichtiger ist, je weiter oben er sich befindet. Die Bereiche sind folgende:

  • Q wie Qualität: Alles, was dazu dient, das Unternehmen und seine Produkte so gut wie möglich werden zu lassen. Die Kernaufgabe des Unternehmers und der Bereich, um den man sich immer persönlich kümmern muss.
  • G wie Geld: Alle Tätigkeiten, die mit Geld zu tun haben – Rechnungen schreiben, Einnahmen verbuchen, Einkäufe bezahlen … Als Unternehmer muss ich die Buchhaltung nicht selber machen, aber ein Auge auf die Umsätze und die finanziellen Reserven haben.
  • M wie Marketing: Alles, womit man Kunden gewinnt oder hält. Als Unternehmer kümmere ich mich um die wichtigsten Kunden selber, lasse aber möglichst viel der Werbung oder Auftragsverfolgung andere machen.
  • LZ wie Lästiges Zeug: Alle anderen notwendigen Tätigkeiten (Papierkörbe leeren, Toiletten putzen, Formulare ausfüllen …), die erledigt werden müssen, aber nichts zum Erfolg des Unternehmens beitragen: nach Möglichkeit delegieren und/oder rationalisieren.

Davon lässt sich einiges auf meine „Romanmanufaktur“ übertragen:

  • Q – Das eigentliche Schreiben. Darauf will ich so viel Zeit und Energie verwenden wie nur möglich.
  • G – Ich muss die Einnahmen, Ausgaben und die Steuern im Blick behalten – aber ich muss nicht die Buchhaltung selber machen.
  • M – Was das Marketing anbelangt, übernehmen meine Verlage viel. Doch ich beantworte Leserpost, verschicke Newsletter, unterhalte eine Website. Ebenso Interviews, kleine Beiträge hier und da, „Quotes“ für Bücher anderer Autoren: All das dient dem Marketing, der Pflege der „Marke“, denn nichts anderes ist der Name, unter dem man veröffentlicht.
  • LZ – Als Schriftsteller habe ich keine Angestellten mehr, an die ich etwas delegieren könnte, also versuche ich, das „lästige Zeug“ durch Rationalisierung zu minimieren. Das wichtigste Hilfsmittel dabei sind Checklisten, die ich auf Schmierpapier anlege und griffbereit in einer Hängemappe verwahre: Woran muss ich denken, ehe ich auf Lesereise gehe? Welche Unterlagen brauche ich für die Steuererklärung? Wie erledige ich die Meldungen an Versicherungen und Behörden? Wie muss ich welche Reisekosten abrechnen? …
  • Alles, was sich wiederholt, zerlege ich in Schritte und halte sie fest. Die Notizen ergänze ich jedes Mal, sei es, dass mir Verbesserungen einfallen, sei es, dass sich etwas in den Abläufen geändert hat. (Webseiten bleiben ja nie so, wie sie mal funktioniert haben, und Formulare auch nicht.)

Diese vier Bereiche sind natürlich nur eine grobe Einteilung. Aber schon wenn man versucht, ihre Größen anhand des Aufwands einzuschätzen, erkennt man rasch Missverhältnisse. Ich kannte einen Jungautor, der seinen ersten Roman innerhalb von nur drei Wochen herunterschrieb und anschließend drei Jahre und viel Mühe darauf verwendete, ihn bei einem Verlag unterzukriegen. Bei ihm hätte das Diagramm etwa so ausgesehen:

[In der Printausgabe finden Sie an dieser Stelle eine Dreicks-Grafik, die in der Spitze ein Q beinhaltet, im Mittelteil ein kleines G und ein großes M und unten in der Breite LZ.]

Das Buch erschien irgendwann in einem Kleinverlag, verschwand wieder, und man hat von diesem Autor seither nicht wieder gehört: kein Wunder.

Das Ideal sähe etwa so aus:

[In der Printausgabe finden Sie an dieser Stelle eine Dreicks-Grafik, die bis in die Spitze hinein ein großes Q beinhaltet, das etwa drei Viertel des Gesamtinhalts ausfüllt, sowie unten in der Breite ein kleines G und ein kleines M.]

Hieße übersetzt: maximal viel Zeit und Energie fürs Schreiben (Q) haben, ab und zu zufrieden die Kontoauszüge durchblättern (G), gelegentlich mit der Verlegerin essen gehen und beim Verlassen des Restaurants wartenden Fans Autogramme geben (M) – und „lästiges Zeug“ (LZ), was war das noch mal?
Man darf ja noch träumen …

Autor: Andreas Eschbach | www.andreaseschbach.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 148, Juni 2021
Blogbild: Carola Vogt

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 148, Juni 2021: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-32021
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