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Abenteuer Praktikum - Was bringt es AutorInnen, Praktika anzubieten?

Federwelt
Katja Brandis
Foto von der ehemaligen Praktikantin "Ulla Scheler", copyright Sylvia Englert

Abenteuer Praktikum
Was bringt es AutorInnen, Praktika anzubieten?

Von Sylvia Englert
Der spannendste Moment ist immer, wenn es am ersten Tag an der Tür klingelt, ich öffne und das Mädchen sehe, das zwei Wochen lang meine Behausung teilen wird. (Fast immer sind es Mädchen, die sich bei mir bewerben.)

Vorher haben wir meist nur gemailt, und jetzt nehme ich in wenigen Sekunden enorm viele Eindrücke auf, während Name und reale fremde Person miteinander verschmelzen. Ah, so sieht sie also aus, hätte ich sie mir so vorgestellt? Wie steht sie da? Schaut sie mir in die Augen? Lächelt sie, und auf welche Art? Wirkt sie schüchtern, selbstsicher, fröhlich, hellwach oder eher ein bisschen matt? Worauf legt sie bei ihrem Kleidungsstil und ihrer Wirkung Wert?

Seit zehn Jahren biete ich – eine hauptberufliche Autorin mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendbuch – Praktikumsplätze an und bin damit Anlaufstelle für schreibbegeisterte Jugendliche im ganzen Bundesgebiet. Einundzwanzig Praktikantinnen und einen Praktikanten habe ich bisher gehabt, früher waren es zwei pro Jahr, inzwischen sind es drei, denn es bewerben sich so tolle junge Leute, dass ich manchmal einfach nicht Nein sagen mag.

Der (mühsame) Anfang

Angefangen hat das alles, als ich die Mail einer Mutter bekam, ihre Tochter suche einen einwöchigen Praktikumsplatz, wolle furchtbar gerne Autorin werden und möge meine Katja-Brandis-Romane. Ob ich Praktikanten nehmen würde?

Ich stutzte. Praktikanten? Äh, nö, aber wieso eigentlich nicht? Ich hatte zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung als Lektorin absolviert, arbeitete als Journalistin in einem Redaktionsbüro und hatte nebenbei schon einige Bücher veröffentlicht. Schon immer hatte es mir Spaß gemacht, andere zu fördern und auszubilden. Also fragte ich meine Kollegen, ob es okay sei, wenn ich das Mädchen an einen freien Schreibtisch in meinem Büro setzen würde. Kein Problem.

Gespannt wartete ich am ersten Tag auf meine Praktikantin, ich hatte schon eine Liste von Aufgaben zusammengestellt, die sie für mich übernehmen konnte, und wollte mit ihr die Ziele für ihr eigenes Romanprojekt besprechen. Das Mädchen kam mit seiner Mutter, und Liebe auf den ersten Blick war es bei mir nicht gerade. Schon bald war ich froh, dass sie nur eine Woche lang bleiben sollte. Sie führte beim Schreiben Selbstgespräche und spielte lustige Jingles auf ihrem Handy ab. Ziemlich nervig, wenn man am Tisch nebenan an seinem Artikel feilt. Aber ich litt schweigend.

Zwar schrieb sie für ihr Alter gut und war sehr motiviert, was ihren eigenen Roman anging, aber sie war nicht interessiert und auch nicht fähig, Aufgaben zu erfüllen, die von außen an sie herangetragen wurden. Irgendwann gab ich sie auf. „Nie wieder!“ wäre nach diesem Flop die logische Reaktion gewesen. Aber mir gefiel die Idee, Praktika anzubieten, immer noch – nur würde ich das nächste Mal nicht die gleichen Fehler machen. Ich beschloss, nie wieder eine von Eltern verschickte Bewerbung anzunehmen, die neue Praktikantin vorher zu treffen, wenn sie in der Nähe wohnte, und einfach zu sagen, wenn mich etwas an ihrem Verhalten störte!

Top statt Flop

Bei einem einwöchigen Ferien-Schreibworkshop, den ich leitete, lernte ich Katharina Mevissen kennen, ein sehr talentiertes und noch dazu sehr nettes Mädchen. Kurz darauf stand sie als Praktikantin vor meiner Tür. Inzwischen war ich hauptberuflich Buchautorin, und während ich in meinem Arbeitszimmer durch Fantasiewelten streifte, jonglierte sie nebenan am Esstisch mit Metaphern oder klopfte ihren Plot auf Schwächen ab. Zwischendurch diskutierten wir ihre neuen Passagen, ich half ihr beim Brainstorming, wenn es bei der Handlung hakte, und sie erledigte die Aufgaben für mich voller Schwung und Fantasie. Es war eine richtig schöne Zeit, und seither ist das Praktikum für mich das, was es noch heute ist – eine Bereicherung. Denn man werkelt als Autorin ja sehr oft allein am Schreibtisch, da ist es toll, zwei Wochen lang Gesellschaft und einen interessanten Austausch zu haben.

Viele Bewerbungen bekomme ich inzwischen von Schülern und Schülerinnen, die von dem Praktikum bei mir durchs Internet erfahren haben und mich sofort enthusiastisch anschreiben; leider oft, ohne vorher auf meine Homepage zu schauen oder mal in eins meiner Bücher reinzulesen. Etwa eine von acht Bewerberinnen und Bewerbern kann mich überzeugen und ist terminlich flexibel genug. Entgegen meinen guten Vorsätzen kann ich die meisten vorher nicht kennenlernen, denn sie kommen von überall her. So versuche ich, mich auf mein Bauchgefühl zu verlassen – verrät die Textprobe Talent und gefällt sie mir? Will die Bewerberin Autorin werden oder schreibt sie nur hin und wieder was? Könnte es von der Selbstbeschreibung und vom Literaturgeschmack her „passen“ mit uns? Dabei bin ich gnadenlos subjektiv. Zum Beispiel habe ich zurzeit keine Lust auf sehr schüchterne oder wortkarge Praktikantinnen, selbst wenn sie genial gut schreiben. Es ist einfach netter, wenn man beim gemeinsamen Mittagessen angeregt plaudern kann. Und nein, die Praktikanten wohnen nicht bei mir, das wäre mir doch etwas zu viel Nähe. Es ist ein Teil der Herausforderung für die Bewerberinnen und Bewerber, sich eine Unterkunft zu suchen, wobei ich ihnen natürlich vorher Adressen von Hostels und günstigen Pensionen schicke.

Von der Praktikantin zur veröffentlichten Autorin?

Lina Oppermann war ein Jahr vor ihrem Abi bei mir. Sie hatte mir mit einer Frage zum Thema Schreiben gemailt, ich hatte geantwortet, wir tauschten uns immer öfter aus. Schließlich wurde sie Testleserin für eins meiner Jugendbuch-Manuskripte und machte das so fantastisch, dass ich ihr sofort ein Praktikum anbot. Im Sommer 2015 war sie dann bei mir. Lina wird es sicher noch weit bringen als Autorin und Filmemacherin. Eine andere meiner Ex-Praktikantinnen, Ulla Scheler, hat es bereits geschafft: Mein Agent war sofort begeistert von ihrer Arbeit, und nun erscheint ihr Roman Es ist gefährlich, bei Sturm zu schwimmen im Herbst bei Heyne.

Was machen die Praktikantinnen?

Fast jedes Mal, wenn ich von meinen Praktikantinnen erzähle, kommt die gleiche Frage: „Aber was machen die Praktikanten denn in dieser Zeit, können sie dir überhaupt helfen?“

Zum ersten Teil der Frage: Etwa die Hälfte der Arbeitszeit zwischen 9 und 15 Uhr arbeiten die jungen Kolleginnen und Kollegen an ihren eigenen Projekten – im Gästezimmer neben meinem Arbeitszimmer. Meist haben sie einen zum Teil fertigen Roman dabei, wenn nicht, helfe ich ihnen, einen Wettbewerb auszusuchen, für den sie eine Kurzgeschichte schreiben könnten. Am ersten Tag legen wir Ziele fest und besprechen, was gerade „dran“ ist und was ihr Roman brauchen könnte. Zum Beispiel ordentlich charakterisierte Figuren oder einen Handlungsplan. Ich lektoriere ihnen einen Teil ihres bisherigen Werks, um ein Gefühl für ihr Projekt zu bekommen, und diskutiere während des Praktikums neu entstandene Szenen, das Exposé, den Klappentext oder Figurencharakterisierungen mit ihnen. Wenn ich dabei merke, dass mein neuer Schützling in einem bestimmten Bereich handwerkliche Defizite hat, etwa beim Thema Beschreibung und Atmosphäre, dann gibt es zwischendurch die eine oder andere Schreibübung. Dieses intensive Coaching ist zwar aufwendig, aber nur dadurch entsteht ein Austausch, bei dem man das Gefühl hat: „Hey, das macht Spaß, hier geht was voran.“

Die andere Hälfte der Zeit unterstützen die Praktikanten mich, und das gleicht den Betreuungsaufwand aus. Jedenfalls bei den 16- bis 25-Jährigen, die ich nehme, jüngere Praktikanten sind einfach nicht so nützlich. Ich bereite eine Aufgabenliste vor – wann sie was erledigen, bleibt ihnen überlassen. Da mein Beruf ja nicht nur aus dem reinen Schreiben besteht, gibt es genug zu tun. Ich lasse die Praktikantinnen Nebenfiguren für meinen derzeit aktuellen Roman entwickeln und Ideen für meine Fantasykulturen beitragen (dafür würdige ich sie natürlich in der Danksagung), Auszüge aus Rezensionen aufbereiten, Flyer entwerfen, Bildvorlagen suchen oder Listen von Buchbloggern erstellen ... oder auch einfach mit einem Stapel Briefe zur Post gehen. Einmal hat mir eine Praktikantin eine Ballade geschrieben, die ich für meinen Roman Winterdrachen brauchte. Ihr Einwand „Ich kann aber nicht besonders gut dichten“ kam mir genau recht. Es sollte nämlich eine schlechte Ballade sein, weil ich sie einem unfähigen Barden in den Mund legen wollte. Das hat prima geklappt!

Sehr beliebt sind die gemeinsamen Brainstormings oder Figuren-Interviews, wenn ich mal in eine Figur nicht reinkomme. Leises Stöhnen war dagegen aus dem Praktikantenzimmer zu hören, als Wiebke die Aufgabe bekam, einen Turm alter Manuskripte zu schreddern. Sehr tapfer stellte sich Henrik der Aufgabe, Adressen von Literaturzeitschriften für einen meiner Autorenratgeber zu aktualisieren. Ich achte natürlich darauf, attraktive und weniger spaßige Aufgaben zu mischen und Tätigkeiten, die drinnen stattfinden, mit „Auswärtsjobs“ wie kleinen Vor-Ort-Recherchen an Romanschauplätzen oder in der Bibliothek.

Oft begleiten mich Praktikanten zu Lesungen in der Region, zu Rechercheterminen oder zu Treffen mit Agenten und Lektoren. Was ansteht, hängt davon ab, in welcher Phase der Buchentstehung ich gerade bin. Zum Beispiel war Lisette beim Interview mit einem Kriminalhauptkommissar und bei der Halbtagestour durch ein Gefängnis dabei, beides Recherche für meinen Thriller Und keiner wird dich kennen.

Geheimhaltung macht keinen Sinn

Natürlich bekommen die Praktikanten in der Zeit bei mir eine Menge davon mit, wie eine Autorin arbeitet und wie ein Buch entsteht. Ich zeige ihnen Druckfahnen und Probe-Illus, erkläre ihnen, was für Aufgaben ich am jeweiligen Tag anpacken werde, und erzähle, was ich noch mit meinem Agenten besprechen muss. Sie bekommen live mit, wie ich mich über einen missglückten Cover-Entwurf aufrege oder über einen neuen Buchvertrag freue, den ich ihnen natürlich zeige und erkläre. Geheimhaltung macht keinen Sinn. Ich gebe den jungen Kolleginnen nicht nur den Hausschlüssel, sondern auch neue Exposés zum Testlesen, ich spreche mit ihnen offen über Honorare und über Probleme mit Lektoren. Aber aus dem Praktikumsbericht lasse ich meine jungen Kolleginnen das rausnehmen, was zu viel über zukünftige Projekte verraten würde. Und in meinen Schreibphasen schotte ich mich nach der Morgenbesprechung ab, dann schließe ich die Tür, damit ich ganz in meinen Roman abtauchen kann. Erst beim Mittagessen tauschen wir uns wieder aus und schaue ich mir Ergebnisse an. Bin ich gerade nicht in einer Schreibphase, können die Praktikanten jederzeit zu mir kommen.

Der Abschied

Beim Abschiedsessen, bei dem die Praktikantin auch meine Familie besser kennenlernen kann, besprechen wir, wie es insgesamt gelaufen ist. Das bietet Gelegenheit für finale Kurskorrekturen: Als Lina sagte, sie hätte gerne noch mehr über Kreativitätstechniken erfahren, zeigte ich ihr am letzten Tag schnell noch ein paar.

Dann heißt es Abschied nehmen. Es gibt keine Entlohnung, sondern eine offizielle Praktikumsbestätigung und ein Abschiedsgeschenk. Während der Zeit bei mir beobachte ich die Praktikanten genau, danach weiß ich, was für ein Geschenk passt. Meine Autorenratgeber gibt es zusätzlich und natürlich ganz nach Wahl ein paar meiner Romane. Wir versprechen uns, voneinander hören zu lassen. Und immer mal wieder kommt tatsächlich eine Mail von einer ehemaligen Praktikantin, die mir erzählt, dass sie gerade als Schäferin in Island arbeitet (Céline), eine Ausbildung zur Texterin macht (Caroline) oder mal wieder ein Romanmanuskript fertig hat (Katha). Einfach schön!

 

Meine Kinderbücher und Autorenratgeber: www.sylvia-englert.de

Meine Romane für Jugendliche: www.katja-brandis.de

Meine Fantasyromane für Erwachsene: www.siri-lindberg.de

Wie für ein Praktikum bewerben? ® www.katja-brandis.de/kategorie/fundgrube/deine-praktikumsbewerbung

Praktikumsberichte: www.katja-brandis.de/kategorie/fundgrube/praktikumsberichte

 

Was bedenken, wenn Sie Praktikanten aufnehmen wollen?

  • Arbeiten Sie hauptberuflich als Autor oder Autorin und haben Sie genug Zeit, dem Praktikanten Feedback zu seiner Arbeit zu geben?
  • Können Sie arbeiten, wenn eine andere Person anwesend ist?
  • Sind die Texte, die Sie schreiben, interessant für junge Praktikanten, und gefällt Ihnen die Textprobe der Bewerberin? Gegenseitige Wertschätzung ist wichtig!
  • Haben Sie genug Platz? Es muss kein Arbeitszimmer vorhanden sein, aber mindestens ein freier Tisch und ein halbwegs ergonomischer Stuhl.
  • Bewerbungstipps auf der Homepage sind sehr nützlich, um vorab zu „filtern“.
  • Klären Sie vorab den Termin genau, beschreiben Sie die Rahmenbedingungen des Praktikums (Arbeitszeiten et cetera) und vergessen Sie die Anfahrtsbeschreibung nicht.
  • Manchmal müssen Sie vorab eine Praktikumsbestätigung für die Schule schreiben, einen Bewertungsbogen ausfüllen oder sich mit dem betreuenden Lehrer austauschen.
  • Klären Sie, ob der Praktikant selbst einen Laptop mitbringen kann. (Ich empfehle zusätzlich einen Player mit Musik und Kopfhörer oder Ohrstöpsel.)
  • Vermitteln Sie klare Regeln („Tür zu heißt Bitte nicht stören“) und setzen Sie wenn nötig Grenzen.

 

Autorin: Sylvia Englert | www.sylvia-englert.de
In: Federwelt, Heft 119, August 2016
Foto: von Ulla Scheler (ehemalige Praktikantin) copyright Sylvia Englert