
Was sollte ein Klappentext leisten? Was muss rein und was nicht? Was ist die optimale Länge und was unterscheidet ihn von einem Pitch? Fragen, die Anne Weiss im Interview mit Hans Peter Roentgen beantwortet.
Was sollte deiner Meinung nach ein Klappentext leisten?
Der Klappentext ist ein Verstärker für Titel und Cover, ein Werbeinstrument. Der Sinn des Klappentextes ist nicht, die Handlung möglichst detailgetreu nachzuerzählen, sondern: Bock aufs Buch zu machen. Jede Info muss sitzen, da darf nix Überflüssiges rein – weniger ist mehr. Verführen, statt verwirren. Der Text muss mir als Leserin klar machen, warum ich das Buch unbedingt lesen sollte. In Deutschland erscheinen pro Jahr rund 80000 Neuerscheinungen allein in Verlagen(1) – da muss man alles tun, um sich aus der Masse abzuheben.
Du hast zahlreiche Bücher veröffentlicht. Wie sind die Klappentexte dazu entstanden? Hast du sie selbst entworfen, hast du andere beauftragt oder wurden sie vom Verlag geschrieben?
Da mein Co-Autor und ich selbst lange im Verlagslektorat gearbeitet haben, schreiben wir die Werbetexte – Klappentext, Vorschautext et cetera – selbst. Wir kennen das Buch ja auch am besten. Solche Werbetexte sind trotzdem eine Gemeinschaftsleistung – wir sind immer sehr dankbar für die Meinung unserer Lektorin, der Kolleginnen und Kollegen aus Marketing, Presse oder Vertrieb. Schließlich ist uns daran gelegen, dass der Text möglichst rund wird, um die Zielgruppe genau zu treffen. Wir möchten ja, dass das Buch viele Leserinnen und Leser findet. Unsere persönlichen Befindlichkeiten und Geschmäcker sind zweitrangig, die beste Formulierung zählt.
Anne Weiss hat bei Eichborn und Kiepenheuer & Witsch gearbeitet, war Lektorin bei Bastei Lübbe und Ullstein. 2012 übernahm sie gemeinsam mit Jan F. Wielpütz die Leitung der Bastei Lübbe Academy. Heute führen beide ein Textbüro in Köln. Zusammen mit Stefan Bonner veröffentlichte sie 2008 das Sachbuch Generation Doof, das zwei Jahre lang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand.
> http://bonnerweiss.de/
Was muss deiner Meinung nach ein Klappentext auf jeden Fall enthalten? Welche Informationen gehören hinein, welche nicht?
Das kommt natürlich ganz stark auf das jeweilige Buch an. Als Autorin muss ich mich beim Werbetexten fragen: Warum sollten die Leute da draußen ausgerechnet mein Buch kaufen? Wen will ich erreichen? Was macht meinen Text unverwechselbar? Bei Sachbüchern auch: Warum ist mein Thema gerade jetzt aktuell? Ein guter Werbetext beantwortet all diese Fragen.(2) Inhaltlich gesehen muss mir der Klappentext den Hauptkonflikt erzählen. Und, da Menschen sich immer von menschlichen Schicksalen angesprochen fühlen, muss mir der Text die Hauptfiguren nahe bringen – zum Beispiel die Ermittlerfigur oder die Heldin einer Liebesgeschichte. Nur: Bitte, bitte nicht zu viele Personen im Klappentext auftauchen lassen! Je mehr Namen und verzwickte Figurenkonstellationen (womöglich noch mit lauter Nebenfiguren!), desto verwirrender der Text. Bei mehr als zwei, drei Namen schaltet man automatisch ab.
Wie viel vom Buch darf ein Klappentext verraten?
Alles, was ich wissen muss, um weiterlesen zu wollen – und er muss mich mit interessanten Details packen. Viele (schlechte) Klappentexte enden mit einem Cliffhanger, der nicht genug erzählt und damit beliebig ist. Beispiel: „Der Kommissar entdeckte eine Spur. Doch dann passierte etwas, womit niemand gerechnet hatte …“ Das hat man so oft gelesen, dass es keine Spannung erzeugt, im Gegenteil. Präzisere Angaben machen den Text und damit das Buch unverwechselbarer. Ich möchte wissen: Was genau war die Spur? Was passierte? Wem passiert es? Natürlich darf der Klappentext nicht die Auflösung eines Rätsels verraten – wer der Mörder ist, zum Beispiel.(3) Aber der Text muss mich für die Taten des Killers interessieren, für den Zwiespalt des Kommissars, für den Sachverhalt eines Sachbuchs oder für das, was das Drama einer Liebesgeschichte genau ausmacht.
Wie lang sollte ein Klappentext sein?
Käufer/innen entscheiden sich im Laden innerhalb weniger Sekunden, ob sie ein Buch in die Hand nehmen und umdrehen. Wer durchs Cover getriggert ist, will sich auf der Rückseite nicht durch eine Bleiwüste quälen. Also: Auf gar keinen Fall zu lang! Gerade Erstlingsautor/innen sind oft enttäuscht, wenn der Klappentext kurz oder eine Nebenfigur nicht erwähnt ist. Aber niemand hat die Zeit, so viel Text zu lesen – wir sind den ganzen Tag von Informationen aller Art umgeben. Alte Marketingregel: Keep it simple! Verlage texten meist zwischen 350 bis 500 Zeichen (inklusive Leerzeichen). Aber darüber hinaus kann man sich als Faustregel am besten notieren: Je kürzer ich meinen Pitch fassen kann, desto besser. Ich habe schon Klappentexte gesehen, die bestanden nur aus einem Satz. Und haben mich total neugierig gemacht.
Wenn im Klappentext eine Vita der Autorin, des Autors steht, was gehört da hinein? Was auf keinen Fall?
Bei Taschenbüchern steht die Vita meist auf Seite 2 im Innenteil. Wenn das Buch ein Paperback oder Hardcover ist, steht sie auf der U3(4). Man schreibt in die Vita grundsätzlich das hinein, was mit dem Buch zu tun hat. Wenn es ein Roman ist, der auf Kuba spielt, dann macht es mich als Autorin glaubwürdig, wenn ich dort mal gewesen bin. Ist es ein Sachbuch über Autopsien, wäre es zum Beispiel wichtig zu erfahren, dass ich in der Rechtsmedizin arbeite. Bei einem Familienroman ergibt es Sinn, wenn in der Vita steht, dass ich selbst vier quirlige Kinder habe. Bei einem Thriller über die Mafia eher nicht. Dazu gehören Eckdaten über den/die Autor/in hinein: Wohnort und Alter sind oft Standard. Und auch Preise, langjährige Arbeit als Journalist/in, als Autor/in oder im Verlag können interessante Informationen für die Leser/innen sein, sie zeigen die Kompetenz. Last but not least kann man die Info unterbringen, ob der/die Autor/in schon mehrere Bestseller veröffentlicht hat oder ob es der Debütroman ist. Und auf die eigene Website hinweisen (wenn sie mit dem Buch zu tun hat).
Autorenfoto auf den Klappentext? Ja oder Nein?
Nicht auf die U4, aber auf der U3 ist es schön, eins zu haben. Ein Muss ist es sicher nicht, aber ich als Leserin freu mich immer darüber. Wenn jemand ein geschlossenes Pseudonym hat, muss man natürlich kein Bild verwenden, aber sonst gern. Leser/innen sind neugierig und wollen wissen, wie die Person aussieht, die den Text geschrieben hat ...
Manche Klappentexte enthalten Zitate aus dem Buch. Was hältst du davon?
Ein Buchzitat kann den Klappentext lebendiger machen. Eine Autorin, die ich kenne, stellt ihren Klappentexten immer ein Zitat ihrer Heldin voran oder setzt einen Dialog in den Klappentext. Das finde ich zu dem, was sie schreibt, sehr passend, weil sie ihren Leser/innen auch immer ein starkes Gefühl davon vermittelt, mit den Figuren verbunden zu sein. Aber das Zitat sollte auch für das stehen, was mich im Buch erwartet: Manchmal frage ich mich, warum jemand ausgerechnet den lahmen Satz ausgewählt hat. Das Zitat muss im Kontext des Klappentextes stehen. Es darf mich also nicht verwirren. Wenn es wörtliche Rede ist, dann sollte beispielsweise klar werden, welche Figur da spricht.(5) Wenn das Zitat den Pitch des Buches enthält, kann man es gut als Headline verwenden.
Im Übrigen baue ich (wie es in den meisten Unterhaltungsverlagen gemacht wird) Klappentexte meist nach einem bestimmten Schema auf: Headline, Textkorpus und – wenn es das gibt – ein Pressezitat oder eine lobende Äußerung eines Kollegen oder einer Journalistin unter dem Text.
Der erste Satz sei entscheidend, ob ein Leser weiterliest, heißt es oft. Stimmt das? Falls ja, wie sollte der erste Satz eines Klappentextes aufgebaut sein, was sollte er enthalten?
Ja, der erste Satz ist entscheidend. Im Buch selbst wie auch auf dem Klappentext. Deswegen stellen viele eine Headline voran, die das Bedürfnis nach Sensation erst mal auffängt. Headline kann alles sein, was herausstechen soll, von „Der neue Bestseller von Pulitzerpreisträger XY“ über das beste Pressezitat „‚Saukomischste Story der Saison‘ BRIGITTE“ (vor allem, wenn der Held ein Schweinchen ist) bis hin zu einer erdachten Pitch-Headline „Die meisten Serienmörder sind Männer – bis eine Frau ihnen zeigt, wo der Hammer hängt“ (just joking, muss natürlich zum Genre passen und darf den Inhalt nicht veralbern, aber es ist hoffentlich klar, was ich meine …) oder eben ein Zitat aus dem Buch. Alles, was neugierig macht und zeigt: Oh, hier habe ich was total Besonderes.
Klappentexte im Allgemeinen, vor allem im Genre, sollten eine möglichst einfache Satzstruktur haben. Die Mühe, sich durch einen Schachtelsatz zu kämpfen, um zu wissen, worum es in dem Buch geht, machen sich die allerwenigsten Menschen. Keep it simple! Das heißt nicht, dass man eine komplexe Geschichte wie für einen Dreijährigen erklären muss. Aber je einfacher ein komplizierter Sachverhalt dargestellt ist, desto besser.
Abgesehen davon ist die Frage, was ein guter erster Satz ist, sehr interessant. Was zieht mich in ein Thema hinein? Was schreckt mich ab? Ich glaube, dass es sehr hilft, sofort eine persönliche Bindung zum Buch herzustellen. Manchmal erreicht man das über eine Beschreibung (der Hauptfigur) oder sogar (meist im Sachbuch) über eine persönliche Anrede der Leserin oder des Lesers). Der erste Satz wie auch der gesamte Klappentext darf nicht klischeehaft sein, sollte nicht zu viele Fragen aufwerfen, sondern mich ins Thema einführen. Nicht schon im ersten Satz alle Personen auftauchen lassen (womöglich noch mit vollem Namen)!
Ich habe als Lektorin oft mehrere Anfänge und Perspektiven ausprobiert, bis ich bei der richtigen angelangt bin und gesehen habe, was funktioniert – was mich am neugierigsten macht. Wenn man feststeckt und nicht mehr weiterweiß, dann hilft das oft sehr: noch mal innerlich einen Schritt vom Text zurücktreten und einfach versuchen, die Geschichte beziehungsweise den Sachverhalt aus der Perspektive einer anderen Figur zu erzählen. Manchmal kommt man schließlich zum ersten Text zurück, weiß dann aber, was man daran noch ändern muss.
Wenn du Klappentext und Pitch vergleichst, was ist der Unterschied? Oder sollte der Klappentext ein Pitch sein?
Der Pitch ist sozusagen die Initialzündung. Viele kennen den Elevatorpitch – man soll das Tolle an seinem Projekt in kürzester Zeit erklären. In der Vorstellung steige ich im Erdgeschoss mit dem Verlagschef in den Fahrstuhl und muss ihm bis zu seiner Etage erklärt haben, warum er auf mein Buch bieten muss. Je neugieriger gleich die Grundidee meines Buches macht, desto schneller habe ich ihn am Haken. Deswegen wird der Pitch im Drehbuchbusiness auch „Hook“ oder „Hookline“ genannt. Ein Satz reicht im besten Falle für den Pitch oder Hook aus – er ist demnach viel kürzer als der Klappentext. Der Pitch ist der Kern der Geschichte und das Hauptverkaufsargument – der Klappentext darf etwas mehr Information oder Ausschmückung enthalten, auch Stimmung erzeugen. Im besten Fall ist die Hookline natürlich so gut, dass sie für die Klappe verwendet werden kann. Es kommt auch hier auf das Projekt an. Zu einem Thriller passt eine knappe, spannungsgeladene Hookline meist besser als zu einem Landschaftsliebesroman à la Rosamunde Pilcher. Es hat was mit dem Stil des Buches zu tun, für das gerade getextet wird.
Gibt es einen Klappentext, der dich besonders begeistert hat, der dazu führte, dass du ein Buch gelesen hast, was du sonst nicht gelesen hättest?
Ich bin ohnehin ein neugieriger Mensch, es ist leicht, mich für Bücher zu begeistern – allerdings nur, wenn sie neben einem spannenden Klappentext auch gut geschrieben sind.(6) Es gibt also ein paar Bücher, bei denen der Klappentext meine Neugier geweckt hat. Und es gibt einen Pitch, der so kurz ist, dass mein Kollege und ich ein Buch dazu geschrieben haben: Generation Doof. Jeder kann sich sofort was drunter vorstellen – ein freches Schlagwort, das erstaunlich wirksam war. Ich nehme sogar an, dass die meisten Leser/innen es wegen des Titels gekauft haben. Natürlich haben wir lange am Klappentext gefeilt. Aber das Beispiel zeigt: Der Klappentext ist nicht alles. Es kommt auf ein stimmiges Gesamtpaket an, das beim Leser, bei der Leserin den Nerv trifft.
Das Interview mit Anne Weiss führte Hans Peter Roentgen.
Über den Autor: Hans Peter Roentgen coacht AutorInnen, lektoriert Texte und interviewt Autor/innen und Lektor/innen. Daraus entstanden mehrere Schreibratgeber: Vier Seiten für ein Halleluja, Drei Seiten für ein Exposé und Klappentext, Pitch und anderes Getier. Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS) und dem Syndikat.
Anmerkungen
(1) Neuerscheinungen, das meint Erstauflagen/Novitäten (rund 71.500) sowie Neuauflagen. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2018. Siehe: www.boersenverein.de/markt-daten/marktforschung/wirtschaftszahlen/buchpr...
(2) Aber das tut beileibe nicht jeder, der gedruckt wird! Es gibt genügend schlechte Klappentexte …
(3) Es sei denn, man weiß das auch im Roman schon auf den ersten Seiten. Jede Regel hat Ausnahmen.
(4) Die U3 ist die dritte Umschlagseite (U) eines Buches. Der Umschlag – oder auch die Klappen – sind im Verlagssprech wie folgt durchnummeriert: Die U1, die erste Umschlagseite, ist die Titelseite, auch Cover genannt. Die U2 ist die Rückseite der U1. Die U3 ist die hintere Innenklappe beziehungsweise die Rückseite der U4. Und die U4 ist die Rückseite des Buches. Ein Umschlag hat also vier Seiten, bestehend aus der U1, der U2, der U3 und der U4.
(5) Und: Es sollte im besten Fall die Hauptfigur sein, nicht irgendein Charakter, der nur einmal kurz auftaucht.
(6) Wenn der Klappentext großartig ist, das Buch aber nicht, fliegt es nach ein paar Kapiteln auf den Stapel der Bücher, die ich niemals mehr lesen werde.
Autor: Hans Peter Roentgen | www.hanspeterroentgen.de
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