
Die Textehexe beantwortet Sandras Fragen aus dem Literaturgeschäft. Lässt sich aus einem Liebesroman für Heterosexuelle nicht leicht ein Liebesroman für Homosexuelle stricken? Und somit die Zielgruppe erhöhen?
Hallo Textehexe!
Ich frage mich gerade, ob das ginge:
Es gibt doch diese Liebesromane „von der Stange“: Sie liebt ihn, er aber nicht sie, sondern niemanden oder eine andere. Und am Ende finden sie doch zusammen. Alles in der Heteroszene angesiedelt.
Könnten Autor*innen nicht relativ einfach Lesbenromane daraus stricken?
Aus Mario wird Maria. Per Suchen-Ersetzen wird aus „er“ „sie“ und aus „ihm“ „ihr“ etc. Das markante Gesicht könnte so bleiben. Ein cooler Sportwagen wäre weder für Mario noch für Maria ein Problem. So viel müsste man also gar nicht ändern (oder doch?). Und schwupps könnte man mit wenig Aufwand eine neue Zielgruppe bedienen.
Wie siehst du das?
Oder ist das längst schon gängige Praxis?
Und ob das auch für ein schwules Publikum möglich wäre? Das wäre dann gleich eine zusätzliche Zielgruppe.
Als Selfpublisher dürfte man damit rechtlich keine Probleme bekommen.
Was sagt die Fachfrau?
Liebe Grüße, Sandra
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Liebesromane für alle Gender?
Hallo Sandra,
interessante Idee, die allerdings irgendwie immer weniger praktikabel wird, je länger ich drüber nachdenke ...
Auf der literarischen Ebene wäre das natürlich sozusagen ein „Ausverkauf“ der Einzigartigkeit einer Figur. Gender, Geschlecht, sexuelle und romantische Orientierung, Lebenseinstellung und Temperament bilden ja im Idealfall eine komplexe Einheit, und nur wenige Figuren sind tatsächlich so androgyn, dass sie problemlos als Mario oder Maria funktionieren könnten. Ich spreche hier explizit nicht von nicht-binären Figuren – die wären ja von vorneherein jenseits der üblichen Genderspielräume angelegt und tauchen eh im klassischen Genreroman kaum jemals auf. (Höre mein Seufzen an dieser Stelle.)
Auf der technischen Ebene: Gerade im Genre Liebesroman haben wir es ja mit Texten zu tun, die einer bestimmten Dramaturgie folgen sollen. Die wiederum ist bestimmt durch ein eher traditionelles Verständnis von Geschlechterrollen. Es gibt da ein paar sehr beliebte Handlungsbausteine („Tropes“): Sie begegnen sich und hassen sich, kommen aber zum Schluss doch zueinander, wäre einer davon. Oder: Sie finden sich toll, aber er hat ein dunkles Geheimnis und lässt sie deshalb nicht an sich ran. Immer ist es so, dass die weibliche Hauptfigur eher Durchschnitt ist – normaler Job, normales Äußeres, harmlos-tollpatschig –, um der Leserin eine gute Identifikation zu ermöglichen, während die männliche Hauptfigur „larger than life“ ist – attraktiv, markant, reich, selbstbewusst. Und die Quintessenz ist, dass sie „aufgewertet“ wird, indem er sie zur Partnerin erwählt.
Viele Leserinnen sind mit solchen eher vorhersehbaren Stoffen glücklich, und es gibt sehr gute Autor*innen, die Spaß daran haben, solche Geschichten zu schreiben.
Im Bereich Gay Romance gibt es eine mindestens genauso fest gefügte Erwartungshaltung, die aber anders gelagert ist. Hier sind andere Tropes verbreitet: Gute Freunde, deren Beziehung langsam in Liebe kippt, wäre einer davon. Oder: Figur A definiert sich als hetero, entwickelt aber trotzdem Gefühle für Figur B. Auch Romanzen mit einem großen Altersunterschied, im Englischen bekannt unter „May – December“, sind verbreitet und beliebt. Alles Erzähldynamiken, die sich mit einer Hetero-Besetzung nicht eins zu eins nachspielen lassen, zumindest nicht, ohne die Erwartungshaltung der Leser*innen zu enttäuschen.
Was lesbische Romance betrifft – die ist als Genre praktisch nicht existent. Als Genre kann man es ja erst bezeichnen, wenn es eine gewisse Masse davon gibt, und lesbische Romance ist eine Nische. Die Mehrheit der Leserinnen ist hetero orientiert, die lesen gerne Hetero-Romanzen oder Gay Romance („zwei heiße Männer zum Preis von einem“). Und Männer lesen ohnehin kaum Romance. Was natürlich nicht heißt, dass es keine Liebesromane mit lesbischen Protagonistinnen gibt – die gibt es, die sind aber sehr individuell und unterschiedlich und weniger von diesen „Strickmustern“ geprägt – einfach, weil’s kein Massenmarkt ist.
Ich hoffe, ich hab dir jetzt keine Geschäftsidee kaputt analysiert :)
Liebe Grüße, Susanne
Autorin: Juri Susanne Pavlovic | www.textehexe.com | [email protected]
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