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SM - Social Media für AutorInnen

Federwelt

SM – Social Media für AutorInnen

Von Shirley Michaela Seul

Twitter mich! Fester! Facebooke mich ans Fensterkreuz. Ich plus dich google, dass dir Hören und Sehen vergeht!

SM schrieb ich abends in meinen Stundenplan. Zwei Stunden. Ich schreibe jeden Abend auf, wie lange ich an welchem Projekt gearbeitet habe. SM wie Sadomaso, fuhr es mir durch den Kopf. Am nächsten Tag schrieb ich vier Stunden auf, dann sechs und acht und auf einmal hatte ich in einem Monat 140 Stunden SM genossen. Leder, Lack und Likes!

„Hast du sonst nichts anderes zu tun?“

Was für ein Hohn! Ich hatte eine Menge zu tun, und das sollte auch so bleiben.

„Und dafür muss man heute SM praktizieren?“

Es scheint so. Also nahm ich zwei Monate Urlaub von einer der schönsten Sachen der Welt, dem Schreiben, und stieg in den Folterkeller der Social Media.

Feudeln auf Facebook

Bei Facebook war ich natürlich schon längst. Zuerst widerwillig. Mittlerweile immerhin so, wie man das Bad putzt. Wat mutt, dat mutt. Aber genügte das? XYZ hat dich eingeladen, seine Seite mit „Gefällt mir“ zu markieren.

Gerne habe ich dich geliked, magst du mich auch liken?

La, la, trallala, der Like ist da.

„Katzenfotos werden am häufigsten angeklickt auf Facebook“, sagte mir jemand. Jetzt hatte ich dummerweise keine Katze. Und wollte auch keine, weil die beim Rumstromern womöglich überfahren würde. Mal bei KollegInnen gespickt: „Habe heute schon zwei/drei/vier Seiten geschrieben. Mache mir jetzt einen Kaffee.“

Hm. Ob die gern auf Facebook feudelten?

Bei einem Autorentreffen fragte ich mal offen rum. Es gab AutorInnen, die liebten Facebook, andere hassten es, wieder andere nahmen es hin – wie man halt das Bad putzen muss. Worin sich alle einig waren: SM kostet wahnsinnig viel Zeit.

Bücher schreiben auch. Eigentlich hatte ich also keine Zeit. Aber ich würde sie mir aus den Rippen schneiden müssen, denn der Programmleiter eines Konzerns, gleich unter dem Verleger gerankt, sagte mir freundlich lächelnd: „Wir als Verlag sind angewiesen auf die Mitarbeit unserer Autoren bei der Vermarktung. Mit Autoren, die sich da sträuben, schließen wir keine Verträge. Außer sie kommen gleich als Bestsellerautoren zu uns.“

Das passte zu meinen frisch gemachten Erfahrungen: Ich hatte in den letzten zwei Jahren fünf Spitzentitel – ich arbeite auch als Ghostwriterin, einen eigenen und vier für andere. Fleißig beworben wurde davon verlagsseitig nur ein Buch.

Meine Agentin erzählte mir von AutorInnen, die zusätzlich, aus eigener Tasche, Presseleute engagierten, um ihre Bücher zu vermarkten. Da ich nicht nur als Ghostwriterin arbeite, sondern gerade zwei Titel unter meinem Namen herausgebracht hatte, Luna Seelengefährtin und Das Leben ist keine To-do-Liste, beschloss ich, ebenfalls eine Agentur zu beauftragen. Leider wollte mich keine. „Ihre Bücher sind ja schon auf dem Markt. Da können wir nichts mehr machen. Sie müssen sich am besten drei Monate vor Erscheinen bei uns melden. Wir werden ab der Druckfahne aktiv.“

Ich war also ganz allein?

Nein, ich war nicht allein. Da gab es doch noch das Internet. Die Community.

Spring ins Netz und alles wird gut

Eine Bekannte erzählte mir von den Digital Media Women und so kam ich letztlich doch noch zu einer Agentur, zu einer für Web-Strategie, denn ich wollte professionell beginnen und besprechen, wie ich meinen Auftritt im Internet gestalten sollte, um meine Ziele zu erreichen. Das war nicht billig, aber bestimmt würde die Agentur mir nur noch den letzten Schliff verpassen. Ich hatte doch schon eine Homepage und führte einen Hundeblog – meine Antwort auf die Katzenfotos: www.flipper-privat.de. Mit dieser Lösung war ich sehr zufrieden, zumal ich Krimis schreibe, in denen die Spürnase eines Hundes namens Flipper eine wichtige Rolle spielt. Ich glaubte also, ich sei ganz gut aufgestellt. Denkste!

Die Agentur schickte mir eine seitenlange Mängelliste zu meinem Internetauftritt. Nicht nur, dass in meinem WordPress-Blog alle Tore für Hacker offen standen, er lief zu langsam, weil die Fotos zu groß waren, ich hatte versäumt, Häkchen an bedeutenden Stellen zu setzen, meine Suchmaschinenoptimierung konnte auch mit der Lupe nicht gefunden werden und und und.

„Ich bin Schriftstellerin“, sagte ich. „Kein Computerfreak.“

„Deshalb gibt es ja mich“, säuselte die Web-Strategin.

Ich überprüfte ihr Angebot, sprach mit Leuten, die etwas davon verstanden, und merkte schließlich, dass es sehr teuer werden kann, wenn man am falschen Ende spart. Denn die Bekannte, die mir den Blog und meinen Internetauftritt seinerzeit eingerichtet hatte, kannte sich eben nicht gut mit WordPress aus, wie ich nun merkte. Aber wie hätte ich das auch wissen sollen. Ich bin Schriftstellerin. Ich will schreiben. Die schönste Sache der Welt ... und sie rückte in die Ferne und noch ein Stückchen weiter weg. Denn entweder ich würde die neue Agentur beauftragen, alles zu reparieren, also händisch jeden einzelnen Blogbeitrag aufzurufen und Korrekturen auszuführen, Adressen von anderen Hundeblogs zu suchen, um mich zu verlinken, auf Facebook nach Gleichgesinnten zu suchen, Buchblogger anzuschreiben – die To-do-Liste war lang und der Stundensatz der Agentur hoch. Oder ich würde das selbst leisten. Ich entschied, mich um den Inhalt und einen Teil der Vernetzung zu kümmern, alles Technische wollte ich der Agentur überlassen.

Fifty Shades of Häkchen

Wenn ich ins Bett ging, fingen meine Träume so an: Ich öffnete per Mausklick ein Traumfeld. Ich träumte. Dann war das Feld voll. Ich verlinkte und hashtagte es und klickte mich zum nächsten Feld ... Das ist jetzt kein Witz, das war meine Realität in der sozialen Folter. Denn meine Agentur mailte mir ständig neue Hausaufgaben:

  • Twitter-Profil erstellen
  • Facebook-Box einbinden
  • Rezensionen auf Blogs aufgreifen, in Homepage integrieren
  • Verknüpfen der Beiträge mit Social-Sharing-Plugins
  • YouTube-Videos entsprechend platzieren, empfehlenswert: Widget in Sidebar
  • Autorenprofile auf allen wichtigen Plattformen wie Lovelybooks
  • ...

So kamen im ersten Monat 140 Stunden zusammen. Meine Laune: im Keller. Was schreiben wir heute Schönes?, fragte ich mich morgens. Nichts. Wir foltern uns. Ich setzte Häkchen, die sich mir ins Fleisch bohrten, ich klickte mich durch bis auf die Knochen, ich robbte durch die Kommentare und rief heiser die Namen meiner Bücher durch das Netz. Hörte mich überhaupt jemand da draußen, da drinnen?

Brachte das irgendwas? Zumal ich ja noch immer nicht twitterte, wozu mir die Agentur dringend geraten hatte. Aber erst mal sollte ich meinen Blog in Ordnung bringen, Kontakte knüpfen – und, ach ja, einen Kreis bei Google + ziehen. Instagram wär auch ein wichtiges Thema. „Und außerdem wäre es schön, wenn Sie einen zweiten Blog führen könnten. Mehr aus AutorInnensicht. Und Sie sollten so oft wie möglich etwas posten, damit Google merkt, dass das eine aktive Seite ist. So kommen Sie im Ranking höher ...“

War das Leben mal irgendwann schön gewesen?

Nachdem ich alles brav erledigt hatte, was mir empfohlen worden war, wollte ich mehr wissen: Was bedeutete es, wenn ich ein Häkchen hier setzte und warum konnte es nicht dorthin? Ich kaufte mir ein Buch zu WordPress. 700 Seiten. Ich arbeitete es durch und öffnete ein paar Türen im Folterkeller, die ich noch gar nicht gesehen hatte. Erstaunt stellte ich fest, dass die Foltergeräte hier nicht grausamer waren. Ich entdeckte einen Whirlpool. Traute mich aber nicht rein. Das war bestimmt eine Falle. Ich kaufte mir noch zwei Fachbücher. Setzte mich dann auch mal in den Pool und entdeckte die Saunalandschaft ... Aha. Man musste erst durch den Folterkeller hindurch, um das zu finden. Wie im Leben außerhalb des Netzes eben. Vielleicht war das gar nicht so unterschiedlich? Real Life und Readers Life.

Tausend Klicks pro Tag

Und dann kam der Tag, an dem ich zum ersten Mal 1000 Klicks auf meinem Blog hatte. Die Zahl war kontinuierlich geklettert, zweihundert waren es nun so gut wie immer, oft 3, 4, 500. Und nun 1000.

„Sehen Sie!“, sagte meine Web-Strategin.

Ja, ich sah. Aber mit 1000 Klicks hatte ich noch keine 1000 Bücher verkauft. Und wie sollte ich das überprüfen? Um alle Stunden zu vergüten, die ich mit SM zugebracht hatte, müsste ich sehr viele Bücher verkaufen. Von einem Taschenbuch, das im Laden 8,99 kostet, bleiben vielleicht 30 Cent bei der Autorin hängen, vor Steuer.

Hätte ich einen „Brotberuf“ und würde alle ein, zwei Jahre ein Buch veröffentlichen, könnte ich vermutlich mehr Zeit in die Werbung für dieses Buch stecken. Doch ich veröffentliche mehrere Bücher pro Jahr. Schreiben ist mein Brot, meine Luft und Liebe. Und wie sieht es mit den Vitaminen aus?

Je mehr ich mich mit Social Media beschäftigte, desto mehr Früchte erntete ich und lernte auch die Vorteile schätzen. Die Vernetzung der Welt – ein Wunder! Sicher, Fluch und Segen, aber so ist es doch immer. Es liegt an jedem selbst, wie er ein Medium nutzt – und welches er nutzen möchte.

„Für Social Media brauchen Sie einen langen Atem“, sagte meine Web-Strategin.

Ja, und bald ging mir die Luft aus. Nach zwei Monaten Netzarbeit musste ich mal wieder ein Buch schreiben, Geld verdienen. Es kam mir vor wie Urlaub. Aber es war nicht mehr so schön wie früher. Denn ich musste ja weiterhin aktiv bleiben: facebooken, bloggen, twittern.

Autoren als Zwitter: Twitter

Ich begriff, dass ich nicht mehr nur Schriftstellerin sein konnte. Ich musste auch Projektmanagerin meiner Werke sein. Und so wurde ich zum Zwitter und ging auf Twitter.

„Das wird Ihnen gefallen“, meinte meine Web-Strategin. „Und es ist gar nicht zeitaufwendig. Nur 140 Zeichen.“

Klar. Gedichte sind total easy.

Nein, Twittern war Schwerstarbeit. Ich beobachtete die Szene.

Ich mach mir mal einen Kaffee.

Ich schalte jetzt mal ab und twittere erst später wieder.

Hallo in die Runde.

Gleich geht die Sonne unter.

Einen wunderschönen Tag wünsche ich euch.

Und wenn ich was Besonderes reinstellte? Etwas sprachlich Bemerkenswertes? Ich musste etwas finden, das zu mir passte, einen eigenen Stil entwickeln. Ich erinnerte mich: Jahrelang hatte ich als Werbetexterin gearbeitet. CI. Corporate Identity. USP. Unique Selling Point.

Was kann ich, was die anderen nicht können?

Nichts, erkannte ich bald. Denn es gab genügend andere, die tolle Sätze twitterten. Die hatten da nicht auf mich gewartet.

„Sie brauchen einen langen Atem“, erinnerte mich meine Web-Strategin.

Also holte ich tief Luft und twitterte. Es war mir schleierhaft, doch tatsächlich, in meiner WordPress-Statistik konnte ich ja sehen, von wo die Klicks kamen, und es wurden immer mehr von Twitter. Ob meine Twitterei auch hinter den gestiegenen Verkaufszahlen steckt? Ich weiß es nicht. Aber es hat sich was getan.

Nein, ich bin noch immer nicht begeistert. Ich kann mir ein Leben ohne vorstellen. Ohne Twitter und Facebook und alle anderen Spielarten von SM. Ohne Schreiben niemals. Und deshalb verbringe ich Zeit im Folterkeller. Man muss mit der Zeit gehen, um nicht zu gehen mit der Zeit.

Aber manchmal, da überkommt mich diese Sehnsucht. Nach ganz anderen Zeiten: Als es noch keine Computer gab. Als ich hin und wieder ein Buch zur Hand nahm und las. Ein Buch ist so ein viereckiges Ding aus Papier, man kann einzelne Seiten umblättern, darauf befinden sich Buchstaben. Man kann lesen. Natürlich nur wenn man Zeit dafür hat. Aber Zeit wiederum spare ich auch durchs Internet. Heute muss ich für eine Info nicht mehr in die Bibliothek. Klick, klick.

Liebe Federwelt-LeserInnen: Liked mich doch! Lalalala, die Welt ist liky: www.facebook.com/ShirleyMichaelaSeul.

Autorin: Shirley Michaela Seul | www.flipper-privat.de
In: Federwelt, Heft 120, Oktober 2016