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Nebenfiguren, die heimlichen Stars Ihres Romans Teil I

Federwelt
Stephan Waldscheidt
Zwei illustrierte Figuren, eine im Vordergrund, eine im HIntergrund

Was macht eine Geschichte mehr als alles andere aus? Es sind die Beziehungen und Konflikte zwischen den Charakteren.

Weil erst Beziehungen zu anderen eine Figur menschlich und interessant machen, braucht jede Hauptfigur Beziehungspartner, ob Verbündete oder Gegner: Nebenfiguren. Jede Nebenfigur kann und sollte etwas Besonderes sein, sei es durch ihre Taten oder auch nur durch ein kleines Detail, das sie herausstechen lässt. Fragen Sie sich: Wenn Ihr Roman ein Film wäre – würde es Sie reizen, diese Nebenfigur zu spielen? Falls Sie nicht sofort heftig nicken und die Gründe für Ihre Begeisterung aufzählen können, hat die Figur Entwicklungsbedarf.

Am meisten profitieren Sie von diesem Artikel, wenn Sie ihn mit einem konkreten Romanprojekt im Hinterkopf lesen. Und wenn Sie nebenbei eine Übersicht erstellen, die zeigt, welche eigenen Ziele Ihre Nebenfiguren verfolgen, was sie als Menschen ausmacht und wie sie zu Ihrer Hauptfigur oder Ihren Hauptfiguren stehen.

Nebenfiguren als Teil des Ensembles
Hauptfiguren sind zentral für den Plot und den Roman und meist auch für sein Finale. Ohne Protagonisten und Antagonisten gäbe es den Roman nicht.
Auch Nebenfiguren sind unersetzlich, denn sie wirken auf die Hauptfiguren ein: Sie hindern oder unterstützen sie, leisten Aufgaben als Mentor oder schlechtes Gewissen, sie vertiefen Protagonisten und Antagonisten, verbinden sie mit dem Thema und bringen sie uns dadurch beim Lesen näher. Dafür steht Ihnen beim Schreiben sehr viel weniger Raum zur Verfügung als für Ihre Hauptfiguren. In den meisten Fällen verzichten Sie auf einen eigenen Handlungsstrang und eine eigene Erzählperspektive für die Nebenakteure. Umso wichtiger ist es, dass Sie diese wenigen Sätze und Seiten so ausdrucksstark wie möglich gestalten.

Ist das hier eine Randfigur oder schon eine Nebenfigur?
Als Faustregel gilt:
Ändert sich der Plot, wenn ich dieser Figur einen (anderen) Wesenszug mitgebe? Nein? Dann handelt es sich bei der Figur um einen austauschbaren Charakter, um eine Figur ohne Persönlichkeit, die auf ihre Funktion beschränkt bleibt: eine Randfigur.

Daneben wird Ihr Roman von Randfiguren bevölkert. Sie haben kleine Sprechrollen und tragen ein wenig zur Handlung bei. Häufig tauchen sie nur in einer einzigen Szene auf. Im Wesentlichen aber interessiert nicht ihre Beziehung zu den Hauptfiguren, sondern die zur Handlung und zum Setting. In vielen Fällen bleiben sie namenlos. Und wenn ihre Namen erwähnt werden, dann ebenfalls nur zur Ausgestaltung von Plot, Schauplatz und Welt.
Diese „Platzhalter“ sind meist sogar gesichtslos: „Die Polizisten stürmten das Einfamilienhaus des Serienmörders.“

Was Ihre Nebenfiguren nicht wissen
Sie als Autorin oder Autor wissen, wer welche Rolle zu spielen hat. Ihre Nebenfiguren wissen das nicht. Ja, sie wissen nicht mal, dass sie in einem Roman mitspielen. Für die Figuren ist der Roman das Leben – und sie sind davon überzeugt, der Star zu sein.
Das sollte man beim Lesen spüren: Für den Starauftritt geben Sie Ihren Nebenfiguren eine einzigartige Backstory mit, Besonderheiten im Aussehen oder Benehmen, und lassen sie eigenständig handeln. Auch wichtig: eine Haltung, eine eigene Stimme, eine Agenda.

Ist das hier eine Platzhalterin oder schon eine Randfigur?
Faustregel:
Braucht die Figur einen Namen, ein Gesicht, eine nähere Bezeichnung, um ihre Funktion zu erfüllen? Soll der Leser sie als Individuum wahrnehmen? Nein? Dann handelt es sich bei der Figur um eine Platzhalterin.

Der Kniff besteht darin, den Nebenfiguren gerade genug Besonderheiten mitzugeben. So viel also, dass sie den Hauptfiguren nie dauerhaft die Show stehlen. Lassen Sie den Leser, die Leserin diese Arbeit erledigen, indem Sie das Genannte anreißen, ohne es zu vertiefen. So könnten Sie die Nebenfigur in einem Dialog beiläufig erwähnen lassen, dass sie wegen eines Skandals beim BND ausscheiden musste, mehr könne sie nicht sagen, weil: alles streng geheim. Die Leser machen sich ihre Gedanken und stellen Spekulationen an, ohne dass mehr offenbart wird.

Ist das hier eine Nebenfigur oder schon eine Hauptfigur?
Faustregel:
Spielt die Figur im Finale eine entscheidende Rolle? Macht sie eine Entwicklung oder einen Lernprozess durch? Hat sie eine eigene Erzählperspektive? Werden Thema oder Prämisse an ihr durchgespielt? Ja? Dann handelt es sich bei der Figur um eine Hauptfigur.

Funktionen von Nebenfiguren
Wie alles in Ihrem Roman haben auch Ihre Charaktere eine Funktion zu erfüllen. Das kann das Hereinziehen des Lesers in den Roman sein, Unterhaltung oder Wissensvermittlung. Die wichtigste Funktion jedes Charakters ergibt sich aus der Rolle, die er für die zentrale Handlung spielt. Und da der Plot aus Protagonist und Antagonist entspringt, lässt sich die Rolle jedes Charakters durch seine Beziehung zu den Hauptfiguren definieren.
Eine grobe Einteilung wäre die in Verbündete und Gegner. Denken Sie an Doktor Watson als Verbündeten von Sherlock Holmes.

Nebenfiguren erfüllen vor allem folgende „Zwecke“:

  • Sie unterstützen oder behindern die Protagonistin bei der Erreichung ihrer Ziele (Handlungsebene)
  • Sie unterstützen oder behindern den Protagonisten bei seiner (notwendigen) Veränderung oder dem Lernprozess (Wandlungsebene)
  • Sie beleuchten die Werte und Themen, die der Roman diskutiert, aus mehr als nur den polar entgegengesetzten Positionen von Held und Gegenspieler (Sinnebene)
  • Sie machen die Welt des Romans vielschichtiger, lebendiger und glaubhafter (Weltebene)
  • Sie unterhalten – Nebenfiguren dürfen und sollen Spaß machen und ihren Beitrag zur emotionalen Reise des Lesers durch den Roman leisten (Unterhaltungsebene).
  • Sie informieren die Leserin – Nebenfiguren dienen der Wissensvermittlung, wenn sie etwa Zusammenhänge erklären. Denken Sie an den unverzichtbaren Wissenschaftler in Katastrophenfilmen (Wissensebene).

>> Da Ihr Roman einzigartig ist, dürfen und sollten Sie auch weitere Funktionen für Ihre Nebenfiguren vergeben.

Entwickeln können Sie die Rollen auf verschiedene Weise:

  • Nebenfigur → Rolle
    Sie haben Ideen für eine Figur. Welche Rollen passen zu diesem Charakter? Welche weiteren Rollen sind zu besetzen?
  • Plot → Rolle → Nebenfigur
    Sie wissen grob, was in Ihrem Roman passieren soll. Welche Nebenrollen erfordert dieser Plot, um zu funktionieren? Wie könnte ein Charakter beschaffen sein, damit er eine diese Rollen gut und zugleich auf besondere Weise ausfüllt?
  • Protagonist → Rolle/Nebenfigur
    Sie kennen Ihre Protagonistin. Welche Personen passen in ihr Umfeld? Womit würde eine solche Protagonistin in Konflikt geraten? Wie würde eine Personifizierung dieser Konfliktherde aussehen? Welche Verbündeten und Gegner ergeben sich aus der Persönlichkeit, dem Leben, den Zielen der Protagonistin?
  • Antagonist → Rolle/Nebenfigur
    Siehe Protagonist.
  • Welt/Setting → Rolle/Nebenfigur
    Sie kennen die Welt Ihres Romans: den Schauplatz, die Epoche, die Gesellschaft. Welche Figuren passen in diese Welt? Welche Rollen sind typisch oder sehr untypisch? Welche Art von Mensch reibt sich an den Verhältnissen? Welche Rolle fällt aus der Zeit? Denken Sie an einen Mix aus passenden und kontrastierenden Eigenschaften und kreieren Sie daraus einen Menschen.
  • Thema/Prämisse → Rolle/Nebenfigur
    Was für eine Art Nebenfigur personifiziert einen Teilaspekt des Themas? Welche Rollen ergeben sich aus der Prämisse?

 

Autor: Stephan Waldscheidt | www.schriftzeit.de
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 146, Februar 2021
Blogbild: Carola Vogt

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 146, Februar 2021: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-12021
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