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Melanie Raabe über ihren Thriller Der Schatten

Federwelt
Karla Paul
Bestsellerautorin Melanie Raabe - Foto: Christian Faustus

Bestsellerautorin Melanie Raabe im Gespräch mit Karla Paul. Über ihre Thriller Der Schatten, Die Falle und Die Wahrheit, über die Teamarbeit mit ihrem Verlag und ihrer Literaturagentur copywrite sowie ihren Leben als Schriftstellerin zwischen Recherchereisen und Schreibzeiten. Mit fünf Schreibtipps für junge Autoren.

Wir sitzen im Wiener Hotel Imperial, einem Schauplatz ihres neuen Thrillers Der Schatten. Melanie Raabe gilt als Shootingstar der deutschen Kriminalliteratur und Liebling der BuchhändlerInnen. Ihre vorherigen Bücher Die Falle (2015) sowie Die Wahrheit (2016) standen über Monate auf der Bestsellerliste, wurden international verkauft und auch bereits von Hollywood (TriStar Pictures) optioniert. Gerade kommt sie von einer Recherchereise aus New York, der ganze Herbst ist mit Lesungsterminen und Pressearbeit verplant. Ob ich ihr Erfolgsgeheimnis aufdecke?

Für den Buchhandel ist Der Schatten dein dritter Roman – in der Schublade liegen aber einige mehr. Lass uns ganz von vorne anfangen. Seit wann schreibst du, seit wann hast du dich an Romanen versucht und seit wann am Veröffentlichen selbst?

Das Schreiben begann für mich mit dem Lesen. Ich war ein absoluter Bücherwurm, da war es für mich ganz natürlich, irgendwann auch eigene Geschichten aufzuschreiben. Mit Anfang zwanzig habe ich mich erstmals an einen längeren Text gewagt. Als der Roman lange Zeit später fertig war – wie die meisten Nachwuchsautorinnen schrieb auch ich neben der Arbeit –, habe ich den Fehler begangen, ihn als unverlangt eingesandtes Manuskript direkt an verschiedene Verlage zu schicken. Natürlich kamen nur Absagen zurück. Ich hatte zu dem Zeitpunkt absolut keine Ahnung von der Branche. Also schaffte ich mir dieses Wissen drauf und suchte mir einen Agenten. Denn ich hatte längst eine neue Idee. Dann schrieb ich mit noch mehr Zeit und Herzblut einen weiteren Roman. Als der fertig – und wie üblich x-fach überarbeitet – war, bot mein Agent ihn einigen Verlagen an. Ich denke, wir haben uns von diesem Manuskript beide viel versprochen, aber letztlich wollte kein Verlag es machen. „Tolle Schreibe, aber Thema zu sperrig, das Ganze zu schwer einzuordnen“, war in etwa das Feedback, das ich mitnahm. Ich war ziemlich geknickt, schrieb aber längst an meinem dritten Roman, versuchte mich erstmals an einem Thriller. Zuvor hatte ich den Deutschen Kurzkrimipreis 2011 gewonnen. Eigentlich hatte ich mich bis zu diesem Punkt nicht allzu sehr für Spannung interessiert. Aber tatsächlich habe ich die Geschichte, die später den Preis gewann, in einer halben Stunde aus dem Ärmel geschüttelt und dabei gemerkt, dass die Mittel der Spannung mich interessieren. (Normalerweise schüttele ich Texte nicht einfach aus dem Ärmel. Irgendwie war das ein besonderer, inspirierter Moment, der mich in die richtige Richtung schubste.) Doch der Weg zum Verlag war auch von diesem Punkt aus noch weit.
In der Zwischenzeit hatte ich zudem die Agentur wechseln müssen. Der neue Agent hat es dann zum Glück geschafft, meinen fünften Versuch an meinen Verlag btb zu vermitteln. Mein vierter Roman diente dabei interessanterweise als Türöffner: btb lehnte ihn zwar ab, fand ihn und meine Schreibe aber dennoch so gut, dass ein gewisses Interesse an mir aufkam. Auch scheinbare Misserfolge können ausgesprochen wichtig sein.
Das gilt natürlich nicht nur für die Verlagssuche, das gilt auch in künstlerischer Hinsicht. Irgendwer hat mal gesagt: Good books aren't written, they are rewritten.

Auch nach so viel Erfahrung steht dein Roman also nicht nach dem ersten Durchgang. Wie oft gehst du deine Ideen mit der Lektorin durch, wie viele Lektorats-Durchgänge gibt es? Welchen Einfluss haben darauf noch eventuell weitere TestleserInnen?

Wie viele Durchläufe es mit der Lektorin gibt, ist bei jedem Buch anders. Als ich Die Falle schrieb, habe ich schon die ersten Entwürfe gezeigt. Denn meine Lektorin hatte das Buch auf Basis von Exposé und Leseprobe eingekauft, und ich wollte ihr frühzeitig zeigen, was genau ich mit dem Stoff anstelle. Die ersten Entwürfe für Der Schatten habe ich viel länger im Inkubator gelassen und viele Änderungen zunächst mit mir selbst ausgemacht.
Noch immer ist die Arbeit meiner Lektorin ausgesprochen wichtig für mich. Wir setzen uns, nachdem sie gelesen hat, zusammen, sprechen den Text durch, und dann kehre ich mit all ihren Anmerkungen im Kopf zurück an den Schreibtisch. Später folgt das Feinlektorat.
Ich habe Erstleser, aber keine tatsächlichen Testleser. Ich bin eine glühende Verfechterin der These, dass zu viele Köche den Brei verderben. Oder besser: ihn verwässern, ihn auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen und ihn so immer herkömmlicher und langweiliger machen. Erstleserinnen oder Erstleser sind wichtig, um einen ersten Eindruck zu gewinnen, wie das Buch wirkt, hätten bei mir aber nur konkreten Einfluss auf das Werk, wenn sie grobe Fehler entdecken würden, die vor ihnen keiner gesehen hat. Davon, mit möglichst vielen Tests an Leserinnen und Lesern herauszufinden, was der Markt gerade will und den Stoff darauf zuzuschneiden, halte ich nichts. Ich schreibe, was mich packt, anrührt, aufregt, interessiert.

 

Wie groß ist eigentlich das gesamte Team hinter der Marke „Melanie Raabe“?

Ich selbst sehe mich nicht als Marke. Ich rede und agiere, wenn ich mit Menschen aus der Branche zu tun habe, genau so, wie ich privat rede und agiere. Aber natürlich braucht es viele, viele Menschen, um ein Buch erfolgreich zu machen. Mein wunderbarer Agent – Georg Simader von copywrite – bildet die Schnittstelle zwischen mir und dem Verlag, er verhandelt meine Verträge, ist mein erster Ansprechpartner, wenn ich Fragen habe. Er und sein Team erfahren neben meiner Lektorin als Erste, was ich als Nächstes plane. Wir besprechen stets gemeinsam die nächsten Schritte, wobei ich das Künstlerische stets mit meiner Lektorin ausmache. Außerdem arbeite ich eng mit allen zusammen, die sich um meine Pressearbeit kümmern. Die Pressearbeit findet zum einen direkt im Verlag statt, und zudem unterstützt uns Julia Strack mit ihrem Team der Agentur mondello. Dann gibt es den Vertrieb, dazu all die Verlagsvertreter, die dafür sorgen, dass alle im Buchhandel wissen, dass etwas Neues von mir kommt … und es idealerweise auch auslegen. An der Gestaltung und Verbreitung des fertigen Buches wirken zudem mit: Produktmanager. Das Team, das sich um die Veräußerung von Auslandslizenzen und Filmrechten kümmert. Das Team beim Hörverlag, das die Veröffentlichung des Hörbuchs verantwortet. Und natürlich – für mich ebenfalls sehr wichtig – die Mitarbeiterin im Verlag, die meine Lesereise koordiniert.

 

So ein großes Team, so viele AnsprechpartnerInnen. – Wie viel Zeit verbringst du inzwischen mit dem Schreiben und wie viel mit der Organisation? Wie planst du alle Bereiche – inklusive Veranstaltungen, neuen Recherchen, Reisezeit –, um allen und allem gerecht zu werden und dennoch Luft für neue Ideen zu schaffen?

Das ändert sich bei mir permanent. Es gibt Zeiten, in denen ich daheim bin und einfach Tag für Tag an meinem nächsten Buch arbeite. Es gibt Zeiten, in denen ich zusätzlich im deutschsprachigen Raum auf Lesereise bin, und es gibt Zeiten, da reise ich weiter – kämpfe vielleicht sogar mit Zeitverschiebung oder allgemeiner Erschöpfung, die ausgedehntes Reisen ja manchmal mit sich bringt.
Auch der Rhythmus der Buchveröffentlichung bringt ganz unterschiedliche Phasen mit sich, in denen jeweils andere Ansprüche an mich gestellt werden. Das klingt kompliziert und fühlte sich für mich am Anfang auch ein wenig überwältigend an. Aber dann habe ich begriffen, dass es im Grunde alles ganz einfach ist, wenn man seine eigenen Prioritäten klar vor Augen hat. Meine Priorität ist das Schreiben und alles, was damit zu tun hat. Die Idee finden, mit der Idee im Kopf herumlaufen, die Recherche, das Plotten, das Skizzieren, das Schreiben, das Wegwerfen, das Neu-Schreiben ... Das ist der Kern meines Schaffens. Wenn ich das richtig gut mache, muss ich mir um den ganzen Rest ganz automatisch viel weniger Gedanken machen. Also gehört der Textarbeit in jeder Phase die meiste Zeit. Und ich achte stets darauf, morgens als Erstes am Text zu arbeiten. Bevor ich mich mit Social Media befasse, bevor ich Flüge buche, Rechnungen schreibe, Interviews gebe ... Als Erstes zu schreiben, halte ich für absolut essenziell. Sonst passiert es leicht, dass Mails und Anrufe den ganzen Tag auffressen. Das ganze Drumherum ist wichtig. Aber es ist nicht so wichtig, wie das Schreiben. Denn wenn ich nächstes oder übernächstes Jahr kein tolles neues Manuskript habe, dann hat sich das ganze Drumherum ohnehin erledigt. Dann habe ich gar nichts. Ich bin Schriftstellerin, weil ich schreibe – nicht, weil ich mich so nenne.
Das heißt am besten aller Tage: Ich bin früh auf, arbeite am Text, kümmere mich nachmittags so lange wie nötig um alles andere und setze mich, sofern ich keine Lesungen oder andere Termine habe, abends noch einmal ans Manuskript. Ich versuche, da eine gewisse Kontinuität zu erreichen, bin allerdings nicht verbissen. Pausen sind wichtig. Durchatmen. Den Brunnen wieder auffüllen, aus dem Worte und Bilder kommen.
Zur – nennen wir es mal – künstlerischen Gesundheit gehört auch, Energievampire zu erkennen und sie zu meiden. Ich lese nur die allerwichtigsten Kritiken – etwa die aus den wichtigsten Zeitungen und Magazinen, die mein Verlag mir zuschickt. Amazon-Rezensionen und Ähnliches schaue ich mir grundsätzlich nicht an. Das tue ich übrigens nicht nur, um negative Einflüsse zu vermeiden. Ich finde es künstlerisch ebenso schädlich, sich zu viele positive Kritiken reinzuziehen.
Und dann gibt es natürlich noch das weite Feld der Zeitfressmaschine Social Media. Früher hatte ich feste Zeiten dafür. Aktuell versuche ich eher, mich um meine Kanäle zu kümmern, wenn ich „zwischendrin“ Zeit habe. Lange Schlange an der Postfiliale? Zeit für Facebook! S-Bahnfahrt und kein Buch dabei? Zeit für Twitter! Kaffeepause? Ab auf Instagram!
Zudem habe ich eine Regel, die ich leider nicht immer aber doch meistens einhalte: Ich mache das Handy nach dem Abendessen aus und schalte es am nächsten Vormittag erst wieder ein, wenn ich bereits geschrieben habe. Es lenkt sonst einfach zu sehr ab.

 

Welche fünf Ratschläge würde die internationale Bestsellerautorin Melanie Raabe 2018 ihrem unveröffentlichten Ich aus dem Jahr 2008 mit auf den Weg geben, was vielleicht auch anderen?

Anderen? Das ist schwierig. Was für den einen richtig ist, ist für die andere genau falsch. Daher sollte man immer, wenn einem jemand etwas rät, sehr genau überlegen, es hinterfragen und im Zweifel ausprobieren. Mir hat früh in meiner ersten Karriere als Journalistin mal eine Redakteurin folgende sehr präzise Empfehlung gegeben: So viel wie möglich lesen, so viel wie möglich schreiben. That’s it. Ich glaube, es ist ausgesprochen schwer, selbst gut zu schreiben, wenn man nicht genügend gelesen hat. Deswegen ist das so wichtig. Jede Lektüre lehrt uns etwas. Und je mehr wir schreiben, am Text arbeiten, desto besser begreifen wir uns und unser Tun, finden heraus, was uns liegt, beherrschen unser Handwerk besser.
Und dann: Texte nicht zu früh anderen zeigen. Dieser Tipp unterscheidet sich von vielem, was einem oft geraten wird, aber für mich war das damals goldrichtig. Ich glaube, wenn wir gerade erst begonnen haben, uns mit einer Kunstform wie dem Schreiben auseinanderzusetzen, haben wir uns, unsere Themen und unseren Stil noch nicht gefunden. Dass jemand einen solchen frühen Text nicht mag, heißt nicht unbedingt, dass wir nichts taugen. Es heißt entweder, dass wir noch lernen und schleifen müssen – oder dass wir den Text der falschen Person gegeben haben. Aber wenn wir uns das Wissen darüber, wer wir sind und was wir literarisch wollen erschrieben haben, können wir Kritik vernünftig einordnen und sie entweder annehmen oder verwerfen.
Punkt vier habe ich bereits indirekt erwähnt: rewrite, rewrite, rewrite. 
Punkt fünf ist der vermutlich wichtigste: Sei auf dem Papier du selbst. Wir müssen unser Bestes tun, nach uns selbst und nach niemandem sonst zu klingen. Finde ich generationenübergreifende Familiengeschichten, großartig? Ja! Mag ich lange, gedrechselte Sätze? Natürlich! Aber ich bin ich. Ich schreibe psychologische Spannungsromane mit unbequemen Heldinnen; und zwar in kurzen, geschliffenen Sätzen, versehen mit aufgeladenen Metaphern. Wir suchen uns nicht unbedingt aus, wie wir klingen und was uns interessiert oder anzieht. Aber wir tun gut daran, es so früh wie möglich zu akzeptieren. Geh dahin, wo es dich sowieso hinzieht: Da liegt die Magie!

Autorin: Karla Paul | www.buchkolumne.de
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 131, August 2018
Foto: Christian Faustus
 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 131, August 2018: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-42018
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