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Interview mit Bestsellerautor Sebastian Fitzek und seinem Agenten Roman Hocke

Federwelt
Oliver Wenzlaff
Sebastian Fitzek und Roman Hocke im Gespräch mit Oliver Wenzlaff

Bestsellerautor Sebastian Fitzek und sein Agent Roman Hocke (AVA International) sind seit 15 Jahren ein Team. Eines ihrer Erfolgsgeheimnisse ist, immer wieder Fragen zu stellen. Das erfuhr Oliver Wenzlaff während der Frankfurter Buchmesse 2017.

Kurzer Blick zurück: Wie habt ihr euch kennengelernt?
Hocke: Ich habe Sebastian Fitzek kennengelernt, weil er ganz klassisch sein Manuskript bei uns eingeschickt hat. Das war ein Manuskript, das später gar nicht erschienen ist.
Fitzek: Die Geschichte heißt Die Quote und spielt in New York.
Hocke: Und sie hat sich von den Texten, die wir bekommen, und das sind ja viele, sehr deutlich abgehoben. Offensichtlich war da jemand, der eine spannende, originelle Geschichte aufbauen kann, der wirklich gut erzählt. Aber trotzdem war klar: Wir müssen noch mal reden. Also haben wir uns getroffen. Das war in München.
Fitzek: In Berlin. Du warst damals in Berlin. Da haben wir uns das erste Mal getroffen.

War Roman der einzige Agent, dem du das Manuskript geschickt hast?
Fitzek: Das war ja im Jahr 2002. Da wusste ich noch gar nicht, dass es überhaupt so etwas wie Agenten gibt. Also haben erst mal nur Verlage Post von mir bekommen. Ich hatte 15 Adressen rausgesucht, und es kamen sofort 13 Absagen. Die anderen beiden Verlage haben sich bis heute nicht gemeldet. Dann fiel mir ein Artikel in die Hand, ich glaube er war aus der FAZ. Darin stand ziemlich offen, dass Verlage heute kaum noch Manuskripte lesen, die von Autoren kommen. Sie lesen nur noch die, die Literaturagenten einreichen.

Und warum AVA International?
Fitzek: Ich bin ein großer Fan von Michael Ende. Die unendliche Geschichte hat mich maßgeblich beeindruckt und beeinflusst. Also habe ich einfach gegoogelt, wer Michael Ende vertritt, und kam so auf Roman. Ich habe Die Quote aber auch noch an eine zweite Agentur geschickt, wo ich den Eindruck hatte, das könnte ebenso passen.
Hocke: Aber ich habe mich schneller gemeldet. (Er lacht.) Beim Vertrag war ich allerdings nicht ganz so schnell.
Fitzek: Das hat mich gewundert, man ist ja am Anfang oft naiv. Die Verlage hatten meinen Text einfach nur nicht gelesen, aber Roman musste ihn gelesen haben, das war ja sein Job, den er den Verlagen abnahm. Also wird er mir jetzt einen Vertrag anbieten, dachte ich. Stattdessen hat er mir erst mal alle Anfängerfehler aufgezeigt, die man in so einem Erstlingswerk nun mal macht. Aber das war richtig. Ein guter Lektor ist wie eine Hebamme. Er bringt ein Baby behutsam zur Welt, er hat großen Anteil, aber es bleibt das Baby eines anderen. Sein Werkzeug dabei sind Fragen.

Welche waren das in diesem Fall?
Hocke: Ich wollte wissen, warum die Geschichte denn in den USA spielt.
Fitzek: Und meine Antwort war: „Na ja, die meisten Thriller, die ich gelesen habe, spielen halt in den USA.“
Hocke: Die meisten Geschichten spielen da, wo sich der Autor auskennt. Also wollte ich wissen, wo sich Sebastian Fitzek auskennt. Und er sagte: „Berlin.“ Aber er sagte auch, dass das unvorstellbar wäre. Sein Buch könne nicht in Berlin spielen. Ich fand, er solle das doch ruhig mal ausprobieren.
Fitzek: So haben wir uns in mehreren Fassungen an den neuen Handlungsort rangetastet. Irgendwann habe ich dann auch meinen Vertrag mit AVA bekommen – nachdem wir beide gesehen hatten, dass das literarisch und persönlich gut funktioniert mit uns. Wir haben dann noch ein Jahr an dem Manuskript gearbeitet, und am Ende hatten wir eine Version, die tatsächlich von einem Verlag angenommen wurde. Veröffentlicht wurde das Buch aber – wie gesagt – trotzdem nicht.

Warum nicht?
Fitzek: Die meisten Menschen negieren den Faktor, der beim Erfolg die Hauptrolle spielt. Und zwar den Faktor Glück. Die Quote ist ein Buch, das sich unter anderem mit Wahlmanipulation beschäftigt. Und der Verlag hat gesagt: „2006 haben wir das große Wahljahr. Schröder gegen Merkel. Da bringen wir das raus.“ Dann hat aber Schröder schon ein Jahr vorher gesagt, er wolle Neuwahlen. Der Verlag meinte: „So schnell kriegen wir das jetzt nicht veröffentlicht, und 2006 geht jetzt nicht mehr, dann fehlt uns der Aufhänger.“
Hocke: Aber es gab noch eine Chance. Dem Verlag war von Anfang an wichtig, dass er keine Eintagsfliege bekommt. Sebastian sollte sehr früh mit einem zweiten Buch zeigen, dass er noch mehr gute Stoffe liefern kann.
Fitzek: Mein zweites Manuskript war Die Therapie. Das haben sie dann vorgezogen. Und ich weiß noch, dass ich damals unsicher war, ob das der richtige Schritt ist, aber alle meinten, Die Therapie sei zeitloser. Und es war genau die richtige Entscheidung. Aber keine bewusste, strategische. – So gesehen verdanke ich Gerhard Schröder meine Karriere.

Und inwiefern Roman Hocke?
Hocke: Nun, einen Thriller, der in Deutschland angesiedelt ist, gab es damals so ja noch gar nicht. Aber ich war überzeugt davon, dass es die Spannung erhöht, wenn die Handlung in einer Welt spielt, die der Leser kennt. Weil das einfach authentischer ist. Der Leser spürt die Gefahr noch mehr. Ich dachte: Wenn das in Amerika oder in Schweden mit den jeweils heimischen Autoren funktioniert, warum soll das nicht auch bei uns funktionieren?
Fitzek: Die Verlage haben trotzdem alle abgesagt.
Hocke: Ja. Es hieß: „Herr Hocke, was soll ich mit einem deutschen Thriller? Bringen Sie mir einen englischen oder meinetwegen einen aus Skandinavien, aber keinen deutschen.“
Fitzek: Er hat sich die Arbeit selbst schwer gemacht. Erst fragt er mich, warum das nicht in Deutschland spielt, und dann kamen die Absagen genau deshalb. (lacht)
Hocke: Aber dann kam das Wahljahr 2006, und wir waren drin.
Fitzek: Das wäre ohne die AVA nie passiert. Nie. So weit wäre ich alleine nicht gekommen.
Hocke: Und dann war das alles genau richtig. Auch in der Kombination mit dem neuen Manuskript. Da haben wir uns wieder sehr oft getroffen.
Fitzek: In München, in Köln, überall, wo er war, zehnmal vielleicht. Wir haben stundenlang Vorstellungen ausgetauscht. Und das ist der Unterschied zwischen einer Vermittlungsagentur und einer literarischen Agentur. Über Literaturagenten geistert ja immer die Vorstellung herum, dass sie die Kontakte haben und die Verträge besorgen. Am Ende ist es natürlich auch das. Aber ein Literaturagent arbeitet eben auch literarisch.
Hocke: Das heißt extrem intensive Arbeit am Werk.
Fitzek: Er ist der erste wichtige Lektor. Und da trennt sich die Spreu vom Weizen. Man darf ein Werk dabei nicht so verbiegen, dass es für den Markt passt, den ja sowieso keiner kennt, und der Autor nicht mehr dahintersteht. Der Literaturagent muss rausfinden, inwiefern die Geschichte schon in einem drin ist, und das hat bei uns perfekt geklappt. Hebamme wie gesagt.

Arbeit am Werk plus Verträge besorgen — haben sich die Leistungsbilder der Agenturen denn seit 2002 geändert?
Hocke: Ich komme ja vom Lektorat, ich war vorher Programmmacher, und das habe ich immer am liebsten gemacht. Ideen optimiert und positioniert, sodass ein Buch die größten Chancen hat. Und als ich auf die Agenturseite gegangen bin, wollte ich das weitermachen. Also habe ich das Lektorat auch aus Eigeninteresse eingeführt. Nicht, weil ich auf den Markt geguckt habe und meinte, hier fehlt den Agenturen etwas. Sondern weil ich neugierig war und bin auf die Autoren, die immer wieder neue Welten schaffen. Da will ich richtig eintauchen und gucken, wo ich helfen kann. Aber jede Agentur ist anders gelagert. Das Leistungsangebot im Literaturbetrieb ist sehr abhängig von den jeweiligen Personen.
 
Also reden wir hier eher von einer individuellen Entwicklung, das ist kein Trend über die Jahre, der viele erfasst hat?
Hocke: Doch, sicher. Die inhaltliche Arbeit ist heute verbreiteter als früher. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Agenten ursprünglich zu einem großen Anteil Lizenzrechte vermittelt haben. Sie haben also ausländische Titel nach Deutschland verkauft. Heute vertreten sie mehr Originalautoren, sind also direkt an der Quelle und können hier anders mitwirken. Mohrbooks ist ein Beispiel: Eine Agentur, die weiter im Lizenzgeschäft tätig ist, aber ihr Leistungsprofil erweitert hat. Heute vertritt Mohrbooks auch Originalautoren und setzt sich sehr für deutschsprachige Stoffe ein. AVA zählt auf jeden Fall zu den ersten Agenturen, die Originalautoren wollten. Mein Vorgänger bei der AVA, Herr Stecher, hat das Unternehmen sehr früh in diese Richtung gelenkt.

Wie eng ist die Autorenbetreuung bei AVA – darf Sebastian Fitzek um drei Uhr morgens bei Roman Hocke anrufen?
Hocke: Immer. (Er bleibt ernst.)
Fitzek: Ja, darf ich. Zumindest habe ich das Gefühl, dass ich es dürfte. Musste ich aber noch nie.

Und wenn der Anruf kommt, muss es dann um literarische Fragen gehen oder darf es auch die private Krise sein?
Fitzek: Ich dürfte mit allen Problemen kommen, denke ich. AVA hat ja ihre neue Website gelauncht, und ich wollte schon schreiben: „Das einzige, was mich stört, sind die vielen Autorennamen, die da auftauchen.“ Roman hat es immer geschafft, dass ich dachte, ich wäre der einzige Autor, den die AVA betreut. (lacht) Und das sagt jeder einzelne Autor, nicht nur ich. Ich weiß nicht, wie er das hinbekommt, aber es ist so.

Und doch gibt es Verlagsautoren und -autorinnen, die wollen selbst dann keinen Agenten …
Fitzek: Klar, ich habe auch heute wieder Autoren getroffen, die sagen: „Das mit den Verträgen mache ich selbst.“ Vielleicht sind es Juristen oder sie nehmen sich einen Anwalt. Aber Anwälte sind im Normalfall keine Berater und keine Stütze im kreativen Prozess. Keine Hilfe im Dialog mit den Verlagen. Wenn man drei Ideen gleichzeitig hat, mit welcher sollte man sich zuerst beschäftigen? Wie ist die Editionsstrategie? Und Juristen wissen in der Regel auch nicht, ob zum Beispiel die Covergestaltung in Polen eine andere ist als hierzulande. Das sind nur einige von ganz vielen Aufgaben, die oft übersehen werden.
Hocke: Wir hatten gerade ein Treffen mit dem polnischen Verlag, der Sebastians Bücher rausbringt. AVA hält meist über Co-Agenten den Kontakt in das jeweilige Land, aber wir wollen auch den direkten Draht. Wir brauchen den Erfahrungsaustausch, dann können wir viel besser länderübergreifend vergleichen und Fragen stellen: „Warum läuft eine bestimme Sache bei euch anders als in vielen anderen Ländern?“
Fitzek: Wenn der kreative Teil abgeschlossen ist, beginnt ein riesiger Verwaltungsprozess.
Hocke: Dabei geht es dann auch immer wieder um grundlegende Fragen. Wie geht man mit neuen Entwicklungen in dieser sich schnell drehenden Welt um? Mit Streaming zum Beispiel. Da gehört Sebastian für mich zu den Orientierungsautoren, mit denen wir uns abstimmen und versuchen, eine gemeinsame und nachvollziehbare Position zu entwickeln, die dann auch von anderen getragen werden kann. Wobei wir – wie gesagt – niemanden verbiegen, der Einzelne darf natürlich einen anderen Weg gehen und gehört trotzdem zur Gemeinschaft.

Wie viel Geduld können Agenturen für neue Autorinnen und Autoren aufbringen in dieser Gemengelage und bei dem Anspruch, dass sich jedeR fühlen soll wie der oder die einzige, um den man sich kümmert?
Hocke: Die Geduld wächst immer in Relation zum Talent. (lacht) Also wenn man glaubt, dass jemand wirklich ein Talent ist, dann nimmt man sich die Zeit. Es geht ja gerade am Anfang nicht nur um die Arbeit am Manuskript. Wir bereiten Autoren darauf vor, dass sie die Verhältnisse in den Verlagen kennen. Sie sollen beim ersten Besuch nicht überall anecken und die falschen Fragen und vor allem: die falschen Forderungen stellen. Auch das kostet Zeit. Aber irgendwo setzt Geduld natürlich auch mal aus, das ist klar.

Wenn ein Autor Deadlines reißt zum Beispiel?
Hocke: Ich kenne wenige Verlagsautoren, die hier Druck von ihren Agenten brauchen. Sie leben ja vom Schreiben. Deshalb wissen sie, wie wichtig es ist, dass ein Manuskript pünktlich auf die Tische kommt. Da sind Anzeigen gebucht, und die kann man dann nicht einfach für ein anderes Buch nehmen. Das ist alles sehr individuell geplant, und nicht jedes Buch passt in die Brigitte. Wenn man Teil einer großen Marketingmaschinerie ist und viel bewegt, sind Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit absolute Voraussetzung. Bei AVA zählt das zu den wichtigsten Kriterien. Nur dann kann sich ein Autor etwas aufbauen, nur dann hat er Zukunft.

Selbst wenn man den Druck von außen nicht braucht, bleibt die Gefahr von Schreibkrisen …
Hocke: Das kann man durch ein langes Telefonat lösen, indem man viele, viele Fragen zu Handlung und Charakteren stellt, und durch die vielen Antworten sieht der Autor dann wieder Wege, wie es weitergeht. Manchmal ist es auch nötig, dass ich persönlich zu den Autoren nach Hause komme. Zwei Tage, drei Tage lang. Dann gehen wir noch tiefer in die Geschichte. Die Zahl der Fragen muss einfach so groß sein, dass der Stoff wieder lebendig wird. Ein Stoff wird immer lebendig durch Fragen.
Fitzek: Peter Prange hat mal zu mir gesagt, und da kommen wir wieder auf die Drei-Uhr-morgens-Frage, dass ich Roman hin und wieder nachts anrufen müsse. „Und dann sagst du erst mal gar nichts. Du sollst einfach ein paar Sekunden schluchzen. Und dann sagst du schließlich, es tue dir leid, du hättest es dir anders überlegt, du könntest doch nicht darüber reden, und legst wieder auf. Das bringt Roman wieder ein bisschen in Schwung.“ (lacht)
Hocke: Man muss sich als Autor eben gut positionieren. (Er lacht mit.)
Fitzek: Aber es stimmt schon. Fragen, fragen, fragen, das ist der beste Weg aus einer Krise.

Oder doch mal ein gemeinsamer Bier-Exzess oder vielleicht eine Woche auf einer Pferderanch, damit man Abstand gewinnt?
Hocke: Das wäre eher etwas, wenn es um Erfolge geht. Dass wir Erfolge gemeinsam feiern, ist klar. Aber der Schreibprozess ist sehr diszipliniert. Geschichten tun sowieso immer, was sie wollen. Wenn man sie dann nicht im Griff hat …

Wie viele Agenten würdet ihr guten Gewissens empfehlen?
Fitzek: Wie viele gibt es überhaupt in Deutschland? Ist die Zahl bekannt?
Hocke: Ich weiß nicht, ob es die Zahl gibt. Aber die etablierten Kollegen machen alle einen guten Job. Wie viele werden das sein? Vielleicht 20 oder 25. Sie sind alle irgendwie anders spezialisiert. Wir haben ja auch Kooperationen untereinander, zum Beispiel, wenn es um Vertragsfragen geht. Das ist wichtig, damit wir uns nicht in irgendeine Sackgasse hineinbewegen mit Vorstellungen, die komplett anders sind als bei den anderen. Wenn ich etwas für meine Autoren fordere, sagen die Verlage sowieso immer wieder, dass ich hier der einzige am Markt sei, alle anderen forderten das nicht.

Auch wenn viele gut sind – beneidet man dich ganz konkret um die AVA?
Fitzek: Ja.
Hocke: Keine Angst, ich gehe gleich, dann kann er offen reden.
Fitzek: Nein, wirklich. (lacht) Roman ist ja auch gerade eben erst gelobt worden. Der polnische Verlag hat gesagt: „Das ist selten, dass jemand die Materialien so gut aufarbeitet.“ Das ist auch so eine Sache. Wer wartet im Ausland schon auf deutsche Thrillerautoren? In einem französischen, polnischen oder meinetwegen auch israelischen Verlag – in welcher Sprache liest man da die Unterlagen am liebsten? Vielleicht gibt es da jemanden, für den man nicht übersetzen müsste. Aber ist das dann auch zufällig der Thrillerexperte? Wann reicht die englische Sprache, wann sollte es die Heimatsprache sein? Unabhängig davon, schon wenn man sich die Liste der betreuten Autoren anguckt und die Erfolge, dann beneidet man uns für diese Gemeinschaft. Andererseits zeigt die Liste aber auch, dass da nicht mehr viel Luft für neue Autoren ist.

Wie meinst du das?
Fitzek: Ich glaube, es ist heute so schwer, einen Agenturvertrag zu bekommen, wie noch vor 20 Jahren einen Verlagsvertrag. Und wenn man einen Agenturvertrag hat, heißt das ja noch nicht, dass man dann automatisch einen Verlagsvertrag bekommt. Aber die Chancen stehen natürlich exponentiell höher. Nicht, weil die Agentur das Unmögliche möglich macht, sondern weil die Agentur schon mal als Beweis gilt, dass du gut bist.
Hocke: Auch für Agenturen wird es immer schwerer, neue Autoren an Verlage zu vermitteln. Aus diesem Grunde spielt Originalität eine herausragende Rolle. Wir suchen deshalb nicht More-of-the-Same, sondern neue Formen, neue Strukturen, neue Geschmacksausrichtungen.

Also lautet die Empfehlung, sich die KollegInnen und Stoffe anzuschauen, die von einer Agentur vertreten werden, und sich bei AVA auf keinen Fall mit dem nächsten deutschen Thriller zu bewerben?
Hocke: Ich würde eher sagen: Wer deutsche Thriller schreibt, der sollte kein zweiter Fitzek sein wollen. Bei einem großen Teil der Manuskripte ist das aber genau so. Da ist ganz klar zu erkennen, welchem Muster oder Vorbild sie folgen. Es sind auch oft Fernsehserien, die wir da wiedererkennen. Wir wollen etwas Neues.
Fitzek: Ich würde grundsätzlich den Rat geben, der so einfach klingt, aber so schwer umzusetzen ist: Jeder muss sein eigenes Ding machen. Wenn ein Stoff und eine Erzählweise aus einem selbst kommen, dann ist das Ergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit auch originell. Auf den Markt zu gucken und sich am Erfolg zu orientieren, das ist nicht originell. Nur, weil es einen Harry Potter gibt, brauchen wir nicht automatisch ein weibliches Pendant. Das ist doch auch im kreativen Prozess nicht sonderlich befriedigend. Den Marktblick sollte man sich so lange wie möglich verkneifen. Den übernehmen irgendwann sowieso andere für einen.
Hocke: Wenn wir ein Manuskript gelesen haben und über eine Zusammenarbeit nachdenken, dann ist es natürlich immer ganz wichtig, den Menschen dahinter zu treffen und kennenzulernen. Ich frage dann immer: „Warum hast du denn einen historischen Roman geschrieben? Warum hast du Science-Fiction gewählt? Ist es tatsächlich das, was du die nächsten zehn Jahre machen willst?“ Einmal hat ein Autor geantwortet, er denke, dass Thema und Genre im Moment gut ankämen. Und beim nächsten Manuskript würde er dann ein völlig neues Genre ausprobieren und dazu ein ganz anderes Thema wählen, von dem er glaube, dass es zu dem Zeitpunkt gerade gut ankomme. Das war die denkbar schlechteste Antwort.

Dann nehmen wir doch mal an, Sebastian Fitzek möchte mit seinem nächsten Roman mal ein völlig neues Genre ausprobieren …
Fitzek: Gut. Lieber Roman, mein nächstes Buch wird kein Thriller. Es geht mir nicht um den Markt, ich muss einfach was Neues machen. Ich möchte jetzt Komödien schreiben. Immer wieder Komödien, zehn Jahre lang. Was sagst du?
Hocke: Tja, was würde ich sagen? Ich glaube: „Sebastian, lass uns mal miteinander reden.“ Und ich würde dir sagen: „Okay, wenn wir das machen, hätte das diese und jene Konsequenzen. Wenn du das akzeptierst und in Ordnung findest, bin ich mit wehenden Fahnen bei dir.“
Fitzek: Das meine ich. Roman lehnt das nicht gleich ab. Er sagt wahrscheinlich sogar: „Schreib doch mal.“ Weil man ja gucken muss, wie es wird, sonst reden wir zu abstrakt über die Sache.

Auch wenn viele Leserinnen und Leser vielleicht enttäuscht sind?
Fitzek: Ab dem zweiten Buch kommt unweigerlich der Gedanke, ob man seine Zielgruppe enttäuscht, schon wenn man Kleinigkeiten anders macht. Ich versuche mich dann immer in das Gefühl zurückzuversetzen, das ich bei meinem ersten Buch hatte: Welche Motivation hatte ich damals? Das war nicht der Wille, eine bestimmte Zielgruppe zu begeistern oder umgekehrt nicht zu enttäuschen. Ich wusste ja noch gar nicht, wer meine Bücher liest. Abgesehen von meiner Mutter kannte ich noch keinen einzigen Leser. Ich wollte einfach ein Buch schreiben, das ich selbst gerne lesen würde. Erst wenn ich fertig bin, kommt die Frage: „Wie kann man dafür sorgen, dass deine Leser nicht enttäuscht sind?“ Aber das ist Aufgabe der Agentur und des Verlags. Wenn du das in vorauseilendem Gehorsam schon beim Schreiben bedenkst, ist das Ergebnis nicht mehr originär, nicht mehr originell, und das spürt der Leser.
Hocke: Die Geschichte wirkt dann einfach verbogen.

Letzte Frage: Big Data, künstliche Intelligenz, Plattformisierung – macht euch die Digitalisierung der Gesellschaft ein bisschen Angst, wenn es um die Zukunft eurer Professionen geht?
Hocke: Ich denke, wir brauchen den Menschen in der Beurteilung und der Vermittlung von Kultur, egal ob Kunst, Literatur oder Theater. Es braucht hier Überzeugungskraft. Sie zu entwickeln und weiterzugeben, ist eine schöpferische Leistung. Zu erfassen, ob ein Buch wirklich gut ist und diese Überzeugung weiterzugeben, das kann nur der Mensch. Einen Text zu lektorieren und noch besser zu machen, auch das kann nur ein Mensch. Vielleicht können Maschinen das alles in 1.000 oder 2.000 Jahren, vielleicht auch früher. Im Moment können sie nur Daten erfassen, analysieren und wiedergeben. Ich denke, wir müssen uns keine großen Sorgen machen, dass Agenten in allzu naher Zukunft durch Bots ersetzt werden.
Fitzek: Für Autoren ist die Digitalisierung natürlich eine Chance. Wir können uns einfacher selbst verwirklichen und die Dinge durch Selfpublishing in die eigene Hand nehmen. Das Internet hat Fifty Shades of Grey groß gemacht, erst später ist ein Verlag aufgesprungen. Aber viele gute Entwicklungen haben auch ihre Schattenseite. Wir erleben gerade, wie stark der stationäre Buchhandel unter der Digitalisierung leidet. Und wenn die großen Plattformen zu einem Sterben der Buchhändler führen, ist das auch wieder für Autoren ein Problem. Vor allem für neue. Der stationäre Buchhandel macht einen neuen Autor sichtbar. Im Netz ist er nur als Briefmarke zu sehen, das kann natürlich trotzdem funktionieren, aber im Handel wird er ganz anders wahrgenommen. Das heißt nicht, dass ich den E-Commerce schlecht finde. Ich finde auch E-Books klasse. Ich lese lieber P-Books, aber manche Bücher habe ich auch doppelt, abends im Bett ist das doch super, wenn hinter den Buchstaben das Display leuchtet. Da kann man das Licht im Schlafzimmer ausmachen, wenn der Partner schon schlafen möchte. Am Ende kommt es einfach darauf an, dass die Menschen weiter Bücher kaufen und lesen. Aber es ist wichtig, dass wir den stationären Buchhändlern nicht komplett das Wasser abgraben.

Autor: Oliver Wenzlaff | https://www.facebook.com/comic.horspiele
Erschienen in: Federwelt, Heft 128, Februar 2018
Blogbild: Roman Hocke und Sebastian Fitzek im Gespräch. Foto: Yvonne Jung Fotografie

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