
Grundwissen Honorare
Teil 2: Angemessene Lesungshonorare
Teil 1 unserer Serie „Grundwissen Honorare“ (in Heft 118, Juni/Juli 2016) zeigte, dass AutorInnen ein Recht auf angemessene Honorare/Buchtantiemen haben, dass Verhandeln ein Muss ist und der Normvertrag eine gute Grundlage für den Abschluss von Verlagsverträgen. Klar wurde auch: Mit den richtigen Argumenten haben wir fast immer eine Chance, mehr für uns herauszuholen. Auch über die Paragrafen des Normvertrages hinaus.
Diesmal klären wir, wie wir Lesungen akquirieren können, welches Honorar uns dafür zusteht, was wir stattdessen in der Realität oft bekommen, wie sich das ändern lässt, ob Lesungen sich für Buchhandlungen rechnen und vieles mehr.
Und zu guter Letzt, in Teil 3, werden wir Anfang 2017 unsere Verhandlungsmuskeln stärken und uns damit auseinandersetzen, warum viele von uns vor Verhandlungen zurückschrecken.
Künstlerschicksal?
Anfrage
Wir sind ein kleines Restaurant und suchen [...] Musiker, die bei uns spielen wollen, um bekannt zu werden. Wir können zwar keine Gage zahlen, aber wenn die Musik bei unseren Gästen ankommt, können wir auch an den Wochenenden Tanzveranstaltungen anbieten. Wenn Sie also bekannt werden möchten, melden Sie sich bitte bei uns.
Antwort
Wir sind eine Gruppe Musiker, die in einem recht großen Haus wohnt. Wir suchen ein Restaurant, das gelegentlich bei uns Catering macht, um bekannt zu werden. Wir haben zwar kein Geld, aber wenn Ihr Essen schmeckt, können wir das gern regelmäßig machen. Das wäre eine gute Reklame für Ihr Restaurant. Bitte, melden Sie sich bei uns.
Gefunden im Internet, zum Beispiel hier: www.electricbass.ch/artikel/wir-sind-ein-kleines-restaurant-und-suchen-12953
Brotlose Kunst?
Diese schlagfertige Erwiderung auf einen bekannten Versuch, künstlerische Leistungen kostenlos zu erhalten, haben sicherlich viele schon einmal gelesen. Sie kursiert in regelmäßigen Abständen in den sozialen Netzwerken und löst jedes Mal einen Sturm an Zustimmung aus. Man sieht beinahe die am Schreibtisch kämpferisch in die Höhe gereckte Faust. Künstlerkampf!
Auch wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller leben nicht nur von Luft und Liebe (zu unserer Arbeit) allein. Neben den Tantiemen, die wir für unsere Bücher bekommen, sind Lesungshonorare eine wichtige Einnahmequelle.
Einen grundlegenden Artikel zur Angemessenheit und Abrechnung von Lesungshonoraren hat Goetz Buchholz 2009 schon für die Federwelt geschrieben. (1) Vieles davon ist heute noch richtig und wichtig. Hier beschäftige ich mich mit der harten Realität und den neueren Entwicklungen.
(1) Goetz Buchholz, „Lesen ohne Frust – Lesungen richtig abrechnen“. In: Federwelt, Heft 75, April/Mai 2009, Seite 21–23.
Das Regelhonorar und die Realität
Der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) empfiehlt, dass Autorinnen und Autoren „für eine Lesung mit anschließender Diskussion ein Honorar in Höhe von 300 Euro (Regelhonorar) erhalten“. (2)
Bekommen sie dieses Regelhonorar immer? Krimi- und Thrillerautor Daniel Carinsson hat 2013 erstmals Mitglieder der Autorengruppe SYNDIKAT zum Thema Krimilesungen befragt. Dabei hat er herausgefunden, weshalb AutorInnen lesen: aus Spaß und zu Marketingzwecken. Ermittelt hat er auch, dass die „SyndikatsautorInnen“ pro Jahr über 15.000 Lesungen halten, davon 181 gratis. Die Ergebnisse seiner Befragung, die jedes Jahr wieder ergänzend durchgeführt wird, können wohl auch auf andere Genres übertragen werden, da es für den Veranstalter im Endeffekt egal ist, ob die Autorin/der Autor aus einem Krimi oder einem Liebesroman liest.
In Sachen Honorar zeigte sich 2013, dass die Durchschnittsgage „unter der Hälfte des [vom VS; Anmerkung der Redaktion] empfohlenen Richtwerts lag“ (3). Carinsson empfahl daher, Lesungen abzulehnen, die als „super Werbung“ kostenlos gehalten werden sollen.
2014 wurde dann tatsächlich etwas weniger gelesen als 2013 – im Mittel fanden neun statt zehn Lesungen pro Jahr statt – und die Durchschnittsgagen stiegen „um rund 5 Prozent [...] auf 188,24 Euro je Lesung.“ (4) Am häufigsten wurde für 200 Euro gelesen. Der Trend geht also in die richtige Richtung, ist aber immer noch meilenweit vom empfohlenen Richtwert entfernt.
„Wenig Änderung hingegen ist bei der unterschiedlichen Bezahlung der Damen und Herren zu verzeichnen. Letztere gehen [...] von den meisten Lesungen mit 224 Euro Gage nach Hause, während sich die Kolleginnen mit 187,50 Euro begnügen.“ (5)
„Nach wie vor ist erstaunlich, dass die Autorinnen dabei mit den besseren, weil höheren Gagenforderungen starten, nämlich im Median mit 300 Euro. Die Herren bescheiden sich dagegen mit Forderungen in Höhe von 250 Euro.“ (6)
Daniel Carinsson endet mit der Empfehlung, ein Seminar „Verhandeln für Frauen“ (7) zu initiieren, damit sie ihre Forderungen in Zukunft auch durchsetzen können.
(2) https://vs.verdi.de/service/fragen-antworten/++co++a76f24c0-c5cd-11e2-9d5a-52540059119e
(3) TAT-Zeuge – Das SYNDIKATs-Dossier 2015, Gmeiner Verlag, S. 88
(4) bis (7) Ebenda; S. 89, S. 90
Neue Möglichkeiten der Akquise – die Lesungsagentur
Im Secret Service, dem Jahrbuch des SYNDIKATS für 2015, ging Carinsson auf die Akquise von Lesungen ein. „Die Mehrheit der Autoren (Median) gibt an, dass sie 68 % aller Leseauftritte selbst organisieren.“ (8) 28 Prozent kämen von den Verlagen. Allerdings engagieren sich die Verlage vermutlich nur bei den schon sehr erfolgreichen Autorinnen und Autoren so stark. Das „Fußvolk“ muss sich allein um seine Auftritte kümmern.
Weiter schreibt er: „[…] ein sonstiges Vermittler-Business, das beispielsweise im Musikbereich von jeher üblich ist, gibt es im Grunde nicht. Warum eigentlich nicht, könnte man fragen. Nun die ausgesprochen spärlichen Gagen sehen auf den ersten Blick natürlich nicht nach einem vielversprechenden Businessmodell aus. Andererseits, es gäbe durchaus einiges an Professionalisierungspotenzial. Mit einer Bookingagentur, die sich beispielsweise auch aktiv in die Bewerbung von Leseveranstaltungen einbringt, ließe sich vermutlich für alle Beteiligten noch einiges mehr erreichen.“ (9)
Carinsson legt diese Geschäftsidee Buchhändlern oder Verlegerinnen ans Herz, um sich in diesen schwierigen Zeiten ein zusätzliches Standbein aufzubauen.
Aber gibt es tatsächlich keine Lesungsagenturen, die Autorinnen und Autoren beim Verhandeln um höhere Gagen unterstützen könnten?
Doch! [Siehe den Beitrag von Daniela Alge ab Seite xx.]
Gudrun Todeskino vertritt seit über zehn Jahren „einen kleinen Kreis ausgewählter KünstlerInnen“: www.textundton-kulturbuero.de.
Auch in neuerer Zeit sind findige Menschen auf die Idee gekommen, Autorinnen und Autoren zu überstützen. Eine davon ist Silke Jäckle, Diplomkulturwirtin, Messe- und Eventmanagerin sowie Freie Lektorin. Sie hat den „Kreativraum für Veranstaltungsorganisation“ gegründet: www.buero83.com. Aufgrund ihrer Ausbildungen hat sie ihre Liebe zum Buch auf eine professionelle Ebene gestellt und sich das Knowhow angeeignet, um erfolgreich Kontakte zu knüpfen. Sie ist der „Meinung, dass Autoren und ihre Bücher ebenso gute PR- und Marketing-Maßnahmen verdienen wie auch andere Unternehmen und ihre Produkte. Die Lesung ist die beste Möglichkeit, um eine persönliche Bindung zwischen Leser und Autor herzustellen und ein Gefühl für die Handlung und deren Protagonisten zu transportieren. Das Produkt Buch wird somit greifbar und die Lesung selbst zu einem positiven persönlichen Erlebnis, an das sich die Leser noch lange erinnern.“
Für die Vermittlung einer Lesung, die auch zustande kommt, verlangt Jäckle 10 bis 15 Prozent Provision – und hat dadurch auch ein Interesse daran, dass der Veranstalter den vom VS empfohlenen Richtwert bezahlt. Der Vorteil einer Lesungsagentur ist außerdem, dass die Akquise auf ein sachliches und geschäftsmäßiges Niveau gehoben wird. Autorin oder Autor treten nicht mehr als Bittsteller auf.
(8)/(9) Secret Service 2015: Jahrbuch 2015, Gmeiner Verlag, S. 143
Erfahrungsschätze der Kolleginnen und Kollegen
„Einmal las ich in einer Bücherei und vor Beginn der Veranstaltung fragte mich die Leiterin beim Ausfüllen des Vertrags: ‚Welches Honorar hatten wir noch abgemacht?‘
‚Fünfzig Euro‘, erwiderte ich.
‚Ach ja, Sie waren das, die für so wenig lesen wollte.‘“
Die Kollegin Daniela Alge hat mir diese wunderbar lehrreiche Episode geschickt. Sie und viele andere schilderten mir ihre Erfahrungen. Waren sie zum Thema „Forderungen an den Verlag“ zurückhaltend mit ihren Antworten, so sprudelten Anekdoten wie Ratschläge in Sachen Lesungen zu Hauf.
Man war sich einig, dass kostenlose Lesungen nur bei Benefizveranstaltungen in Ordnung sind.
Als absolutes Honorarminimum für eine Einzellesung wurden 150 Euro angegeben, mit dem Ziel, die vom VS empfohlenen 300 Euro zu erreichen. Als wichtig erachten alle, die im Vorhinein vereinbarten Konditionen schriftlich zu fixieren. Andernfalls kann es einem so ergehen wie Anja Marshall, heute Vizepräsidentin der Mörderischen Schwestern e.V.: „Einmal hatte ich eine Lesung vereinbart. Für 150 Euro Honorar, am Telefon so abgesprochen. Ich las, bekam zwei halbe Brötchen mit welliger Wurst und ein Mineralwasser ohne Mineral, und dann meinte die Chefin: ‚Honorar?‘ – Das hätte ich aber nicht mit ihr vereinbart, sondern mit ihrer Assistentin. Nein, Honorar zahle man grundsätzlich nicht. Außerdem kenne sie den einen oder anderen Autor persönlich und wüsste, dass Honorare nicht üblich seien. Man würde ja bei ihr auch seine Bücher kaufen können. Ich war Anfängerin. Ich war jung und brauchte das Geld, also habe ich ganz böse geguckt. Bin dann mit 50 (!) Euro nach Hause gegangen und schwor mir, niemals wieder eine Lesung zu vereinbaren, ohne eine schriftliche Bestätigung in Händen zu haben, wo und wann ich zu welchem Honorar lese.“
Rebecca Michéle, die seit 2000 hauptberuflich schreibt, erzählt von ihrer ersten Zeit: „Ich bin von Buchhandlung zu Buchhandlung getingelt, habe mich und mein Buch vorgestellt und nach einer Lesung und/oder Signierstunde gefragt. Zu über 90 Prozent wurde ich als Bittstellerin abgefertigt, durfte zwar meine Visitenkarte und meinen Flyer hinterlassen – hörte aber nie wieder von dieser Buchhandlung.“
Auch Mara Laue lebt vom Schreiben. Ihre Einstellung spiegelt sich in folgender Anekdote wider: „Einmal war eine Lesung so unglücklich gelegt worden, [...] dass gleichzeitig ein beliebtes Lokalevent stattfand und im Fernsehen das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft übertragen wurde. Zuhörerzahl bei der Lesung: ein älterer Herr, dem man die Vorfreude auf die Lesung ansah, ebenso die zunehmende Besorgnis, dass sie ausfallen könnte, weil nur er sie besuchte. Der Veranstalter wollte die Lesung tatsächlich absagen, weil sie sich für einen Zuhörer seiner Meinung nach nicht lohnte. Ich habe protestiert und trotzdem gelesen [...]. Er war so begeistert davon, eine ganz persönliche Lesung nur für sich allein zu bekommen, dass er mir heute noch jedes Jahr zu Weihnachten eine Karte schreibt und einer meiner treuesten Fans ist. Und die anschließende ‚Gesprächsrunde‘ mit ihm habe ich in allerbester Erinnerung.
Mein persönliches Motto ist: Solange ich nicht draufzahlen muss, lese ich auch für geringes Honorar und auch nur für eine einzige Person, wenn es sich so ergibt. Und kostenlos für Benefizveranstaltungen.
Die Gewerkschaft fordert immer (zu Recht!), dass wir nicht unter 300–350 Euro pro Lesung plus Spesen [...] fordern sollen. Bei ‚betuchten‘ Veranstaltern folge ich der Empfehlung. Aber kleinere [...] Geschäfte [...] können sich solche Beträge [...] meistens nicht leisten. In solchen Fällen passe ich meine Honorarforderung [...] dem Geldbeutel des Veranstalters an. Und zwar aus ganz pragmatischen Gründen: Wenn ich auf der gewerkschaftskonformen Forderung bestehe, sagen fast alle Veranstalter mangels Geld ab. Ich habe keine Lesung und entsprechend null Euro Einnahmen und das vielleicht das ganze Jahr über. Lasse ich mich auf die Gage ein, die sich die Veranstalter leisten können, habe ich zwar nicht den Verdienst, den ich bekommen könnte, wenn alle die 300 Euro zahlen würden, aber ich habe überhaupt [ein] Einkommen statt gar keins. Da ich vom Schreiben lebe, ziehe ich geringeren (‚suboptimalen‘) Verdienst dem Nullverdienst natürlich vor. Das beliebte Argument, dass die Veranstalter ihre Kosten [...] durch Eintrittspreise erwirtschaften können, ist nach meiner Erfahrung etwas blauäugig. [...]
In diesem Zusammenhang möchte ich eines ganz klar sagen: Ich finde es ziemlich unkollegial und auch anmaßend, wenn sich einige (gar nicht mal so wenige) KollegInnen bemüßigt fühlen, AutorInnen, die in ihren Honorarforderungen unterhalb der gewerkschaftlichen Empfehlung bleiben, zu tadeln und als ‚Preisverderber‘ oder Schlimmeres zu beschimpfen. Wer durch seine Tantiemen oder einen anderen Brotberuf [...] genug Einkommen erzielt, um auf hundert Euro Verdienst verzichten zu können, kann es sich leisten, auf einem gewerkschaftskonformen Honorar zu bestehen und ‚ganz oder gar nicht‘ zu fordern. Wer diesen Luxus nicht genießt und auf jeden Cent angewiesen ist, hat nicht nur deshalb, sondern grundsätzlich das Recht, die Höhe seiner Honorarforderungen nach eigenem Ermessen festzulegen. Gerade KollegInnen sollten das respektieren.“
Die Verhandlungspartner
Wie sehen nun die Veranstalter unsere Honorarforderungen? Dazu hat mir Michael Henkel, Geschäftsführer der Buchhandlung Bücher Pustet in Passau umfangreich Auskunft gegeben. Von Bücher Pustet gibt es zehn Filialen in Bayern, Passau ist eine davon. Einkauf, Werbung et cetera werden nicht zentral bestimmt; jeder Filialleiter fungiert als selbständiger Buchhändler. Das Geschäft in Passau hat 50 Angestellte und 1.500 Quadratmeter Geschäftsfläche auf zwei Etagen, auf denen 90.000 Bücher untergebracht sind. Es liegt mitten in der Innenstadt und etwa 1.000 Kunden pro Tag kaufen dort etwas.
„Verhandlungen über Lesehonorare finden quasi nicht statt“, meinte Michael Henkel gleich zu Beginn unseres Gesprächs. „Normalerweise vereinbaren wir Honorare im Bereich von 300 bis 500 Euro. Eine Forderung unter 300 Euro ist ja schon fast lächerlich.“
Bei diesem Statement blieb mir der Mund offen stehen, und ich habe mir gedanklich die Notiz gemacht, nie wieder unter 300 Euro zu fordern.
Henkel sieht sehr wohl, wieviel Arbeit in der Vorbereitung einer Lesung steckt: das Aussuchen der passenden Stellen, das Üben des Vortrags – eventuell mit einer Sprechtrainerin –, die Fahrt zum Veranstaltungsort, das Warten auf den Auftritt und so weiter. All dies rechtfertigt aus seiner Sicht ein Honorar von mindestens 300 Euro.
Bevor sich jetzt alle Leserinnen und Leser dieses Artikels bei Bücher Pustet in Passau um einen Lesetermin bemühen: Es gibt noch ein dickes Aber.
Aber Bücher Pustet in Passau – wie auch die meisten anderen Buchhandlungen – zieht sich aus dem Lesungsgeschäft zurück. Selbst eine gut aufgestellte Buchhandlung könne es sich nicht mehr leisten, mehrmals im Jahr Lesungen zu organisieren, erklärt Henkel. Die Umsatzeinbußen aufgrund von Internethandel und E-Book-Verbreitung seien kein Märchen. Die Einnahmen schrumpften jährlich. Der Slogan „Wer weiter denkt, kauft näher ein“ hätte sich noch nicht in den Köpfen aller Kunden verfestigt. Jede „buy-local“-Aktion sei ein Schritt in die richtige Richtung.
„Lesungen sind keine Einnahmequelle [für Buchhändler, Anmerkung der Redaktion]“, betont Michael Henkel, „sondern Werbung und Kulturarbeit. Und zwar sehr teuer erkaufte.“ Dabei seien die Autorenhonorare nicht der größte Rechnungsposten. Zur Illustration seiner Behauptung listet er die Fixkosten einer Veranstaltung in seinem Haus auf: Für Personal muss er 400 Euro zusätzliches Gehalt (ohne Lohnnebenkosten) veranschlagen. Hinzu kommen Werbemaßnahmen wie eine Zeitungsanzeige für 300 Euro, das Drucken von Flyern, Plakaten und das Porto für den Verteiler per Post an 800 Personen. In der Summe muss Henkel Fixkosten in Höhe von 1.500 Euro für einen Abend einkalkulieren.
In diesem Betrag sind noch nicht die Bewirtungskosten für Getränke und einen Imbiss enthalten sowie das Autorenhonorar samt Spesen und Hotelübernachtung.
Diesen Ausgaben stehen die Einnahmen aus dem Verkauf der Eintrittskarten gegenüber. Die Passauer Pustet-Filiale hat maximal für 120 Zuhörerinnen und Zuhörer Platz, die Karte kostet acht Euro, es gibt Ermäßigungen, sodass überschlägig von 800 Euro Einnahmen ausgegangen werden kann, wenn tatsächlich 120 Leute kommen. – Das ist bei der Vielzahl an Parallelveranstaltungen nicht immer gegeben.
Legt man diese Zahlen zugrunde, so bedeutet jede Veranstaltung einen Verlust von bis zu 2.000 Euro. Um dieses Defizit auszugleichen, muss man eine Menge Bücher verkaufen. Das kann nicht bei der Lesung gelingen, denn hier kaufen durchschnittlich nur 10 Prozent der Anwesenden auch das Buch.
Einsparmaßnahmen gibt es keine. „An der Zeitungsanzeige darf man nicht sparen, denn ohne Anzeige kein redaktioneller Beitrag, das heißt: am Leseabend keine Reporterin vor Ort, die über die Lesung berichtet. Außer, es liest eine Person der Zeitgeschichte/ein Politiker, dann wird ein allgemeines Informationsbedürfnis angenommen.“
Auch stellt sich für Henkel das organisatorische Problem, für die Veranstaltungen Freiwillige aus dem Personal zu gewinnen, die an dem Abend „arbeiten wollen“. Manche Buchhandlungsketten zwingen die Mitarbeiter dazu, aber dies ist für Henkel nicht der richtige Weg.
Bei kleineren Buchhandlungen läuft es oft anders. Dort ist der Zusammenhalt größer oder der Inhaber setzt die Familie ein, kann die Veranstaltung allerdings nur im Sinne der Selbstausbeutung realisieren. Auf den sonstigen Kosten bleibt aber auch eine Stadtteilbuchhandlung sitzen. So ist es verständlich, dass viele kleine Buchhandlungen bei Veranstaltungsanfragen abwinken.
Einen anderen Ansatz verfolgt Barbara Weiß von der Online-Buchhandlung libro fantastico: www.libro-fantastico.de. Sie veranstaltet regelmäßig Lesungen in München, meist sind das Premieren von neu erschienen Krimis. Auf die Frage, ob sich der Aufwand mit den Veranstaltungen für sie lohne, antwortete sie: „Ich investiere viel Zeit in die Vorbereitung unserer Lesungen. Es ist für mich zu kurz gegriffen, dabei nur auf die Ausgaben und Einnahmen zu schauen. Die Lesungen sehe ich als Medium der Kundenbindung und Neukundengewinnung. Und da libro fantastico eine Buchhandlung im Internet ist, sind sie eine wunderbare Möglichkeit, unsere Kunden aus München persönlich zu treffen.
Als Buchhändlerin bin ich Literaturvermittlerin, möchte ich Leute für gute Bücher begeistern und für Entdeckungsmöglichkeiten abseits der Bestsellerlisten sorgen. Das funktioniert bei Lesungen, wenn man die AutorInnen und Bücher sorgfältig auswählt und mit dem passenden Publikum zusammenbringt.“
Und wie sieht es mit den Honoraren aus? Dazu Weiß: „Die Autorin, der Autor trägt mit ihrem, seinem Werk und einer professionellen Performance maßgeblich zum Gelingen des Abends bei. Die Wertschätzung dafür sollte sich auch in einem entsprechenden Honorar zeigen.“
Eine herzerwärmende Verhandlungsstrategie verfolgte die Kulturbeauftragte der Stadt Ingolstadt bei einer Ladies Crime Night (LCN) im Oktober 2016. Üblicherweise werden von den Mörderischen Schwestern, die diese Veranstaltungsform entwickelt haben, 100 Euro pro Autorin gefordert. Dabei kommt für den Veranstalter ganz schön was zusammen, da mindestens sechs bis maximal zwölf Frauen lesen. Demzufolge ist es nicht einfach, eine LCN zu organisieren. Anders in Ingolstadt. Carmen Mayer verhandelte für die Mörderischen Schwestern mit dem Kulturreferat. Die zuständige Projektleiterin erhöhte nicht nur von sich aus die vorgeschlagene Autorinnenanzahl von sieben auf neun. Nein, auch das Honorar wurde auf 150 Euro pro Lesender gesteigert. „Aus Gründen der Wertschätzung.“ Das treibt einem doch die Tränen in die Augen!
Kooperationen mit öffentlichen Einrichtungen
Laut Michael Henkel müssen Buchhandlungen aufgrund der Umsatzrückgänge mit öffentlichen Einrichtungen kooperieren, um Veranstaltungen weiter anzubieten. Eine Kooperation kann zum Beispiel so aussehen, dass die öffentliche Einrichtung die Räume und das Personal stellt, einen Teil der Werbung trägt und für Getränke plus Imbiss sorgt. Die Buchhandlung übernimmt den Büchertisch und in der Regel das Honorar für die Autorin oder den Autor.
In letzter Zeit seien so in Passau Veranstaltungen mit der Deutsch-Französischen Gesellschaft, dem Katholischen Deutschen Frauenbund, der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises oder mit der Europa-Bücherei in Passau zustande gekommen. Oft sind die Mitglieder kooperierender Gesellschaften ein buchaffines Publikum, was den Verkauf der Bücher zusätzlich fördert.
Tipp: Wenn das Thema unseres Buches für einen Verein, eine Gesellschaft interessant sein könnte, sollten wir auf diese zugehen und eine Lesung initiieren.
Dr. Aide Rehbaum nutzt diese Möglichkeit schon lange. „Die Lesung meines Sachbuches vor dem Geschichtsverein wurde ordentlich bezahlt. [...] Am stimmungsvollsten war die Lesung der Romanbiografie ‚Äthiopischer Brokat‘ in einem äthiopischen Lokal.“
Letzteres – eine Lesung in einem Lokal – wird immer beliebter. Moni Reinsch lebt in Trier, direkt im Weinanbaugebiet, und kooperiert mit Winzern oder Gastronomen. Das kommt an.
„Wir (ich schreibe gemeinsam mit meinem Sohn) sagen bei jeder Lesung mit Essen, dass wir uns die Diskussionen zu Hause so vorstellen:
Sie: Du, da ist eine Lesung.
Er: Hm.
Sie: Die ist mit Essen.
Er: Ach ja?
Sie: Ich fahre, du kannst trinken.
Er stimmt zu.
Bei der Lesung dann nach ein paar Gläschen sagt er: Du kannst Dir ruhig noch ein Buch kaufen, war ja so schlecht nicht.“
Auch Mara Laue nutzt Kooperationen für die Akquise ihrer Lesungen: „Die meisten Lesungen akquiriere ich selbst. Da ich gerade auch bei meinen Krimis Recherchen vor Ort betreibe und gern lokale Geschäfte oder Restaurants beziehungsweise regionaltypische Spezialitäten mit einfließen lasse (mit Genehmigung der Hersteller, Erfinder, Eigentümer et cetera), biete ich diesen als ‚Gegenleistung‘ für die erteilte Genehmigung, ihre Markennamen und/oder Spezialitäten im Roman erwähnen zu dürfen, die Premierenlesung an. Fast immer wird das dankbar angenommen.
So fand die Lesung zu einem Krimi, der größtenteils auf einem Kreuzfahrtschiff spielt, in dem Reisebüro statt, das meine Recherchereise organisiert hatte. [...] Mein Theaterkrimi feierte seine Premiere in dem Theater, das mich zu der Idee inspiriert hatte. [...] Und meine Schottlandkrimis, bei denen auch immer eine Whiskysorte eine Rolle spielt, durfte ich in etlichen Spirituosenhandlungen lesen oder bei Veranstaltungen, auf denen auch Whiskytasting in den Lesepausen stattfand.
Einige Lesungen, zum Beispiel im Rahmen der Buchmesse [...], werden auch von den Verlagen organisiert, aber die machen nur circa ein Viertel und oft weniger meiner Gesamtlesungszahl aus.“
Tipp: Nicht nur Buchläden sollten Kooperationen eingehen, sondern auch Autorinnen und Autoren.
Wie Kontakt aufnehmen?
Für Michael Henkel von Bücher Pustet ist jeder Weg der Kontaktaufnahme denkbar, allerdings ist eine Anfrage per E-Mail für ihn am praktikabelsten. Auch Verlage wollen manchmal eine Lesung vereinbaren. Nur kommen sie damit meist zu spät, denn Pustet plant ein Jahr im Voraus.
Eine für die Buchhandlung interessante Anbahnung einer Veranstaltung sei, „wenn der Vertreter bei der Frühjahrsreise erzählt, was im Herbstprogramm geplant (aber noch nicht spruchreif) ist.“ Da stimme die Vorlaufzeit und bei einigen Autoren melde sich dann die Buchhandlung selbst beim Verlag und bekunde schon mal Interesse.
Tipp: Lernt euren Vertreter kennen! Manchmal werden Autorinnen und Autoren zu Vertreterkonferenzen eingeladen. Dort stellen sie ihr neues Projekt vor und können für sich punkten. Okay, meist werden hier nur die sehr erfolgreichen Autorinnen und Autoren dazu gebeten. Aber auch für den normalen Autor gibt es Möglichkeiten, einmal mit dem Vertreter seines Buches zu sprechen, etwa bei geselligen Zusammenkünften im oder mit dem Verlag oder auf den Buchmessen. Der Emons Verlag zum Beispiel lädt seine Autorinnen, Autoren und die Vertreter während der CRIMINALE zu einem Umtrunk ein.
Nina George hat berichtet, dass der Lavendelzimmer-Erfolg auch von der Begeisterung der Vertreter für ihr Buch herrührte.
Welche Autorinnen und Autoren sind der Buchhandlung am angenehmsten?
Michael Henkel hat für sich eine Regel aufgestellt: „Je prominenter der Autor, desto unkomplizierter der Ablauf. Je unbedeutender der Autor, desto ungeübter ist er und desto mehr Sorgen keimen auf.“
Für die Buchhandlung sei natürlich die Autorin oder der Autor am angenehmsten, mit der oder dem sie am wenigsten Arbeit hat. Henkel nennt den verstorbenen Roger Willemsen als Paradebeispiel, der im Vorfeld die Informationen in knappen E-Mails ausgetauscht habe. „Er kam kurz vor der Lesung, wollte ein Glas Wasser und lockerte das Publikum mit ein paar Aufmunterungswitzen auf. Ein Traum von einem Autor für den Veranstalter.“
Andererseits forderte ein nicht so erfolgreicher Autor eine abschließbare, mit seinem Namen beschilderte Künstlergarderobe, die er dann gar nicht benutzte. Oder ein anderer fragte, ob denn endlich das Fernsehen zugesagt hätte. Auch in Sachen Honorarforderungen hat Henkel schon einiges erlebt. Gerade aus der Schauspiel- oder Kabarettszene werde schnell einmal eine Gage von 2.000 Euro für eine Lesung verlangt – von Pustet jedoch nicht bezahlt.
Zuschuss?
In Bayern können Veranstalter von Lesungen einen Zuschuss bei www.bayern-liest.de beantragen. (Etwas Ähnliches könnte es auch für die anderen Bundesländer geben. Informationen dazu und generelle kostenlose Beratung für Autorinnen und Autoren im ganzen Bundesgebiet bietet die Kultur- und Kreativwirtschaft, einer Initiative der Bundesregierung: www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/.)
Eine Bezuschussung ist gerade für kleinere Buchhandlungen oder Büchereien interessant, aber oft nicht bekannt. Der Honorarzuschuss von Bayern liest beträgt für die erste Lesung maximal 110 Euro, zusätzlich können anteilig Fahrtkosten, Übernachtungen und Tagegeld (Spesen) übernommen werden.
Der Kulturfonds Bayern fördert zwar keine Einzellesungen, aber „literarische Festivals“ und „Veranstaltungen für kreatives Schreiben“ sowie „Lesungen, an denen mehrere Autorinnen/Autoren teilnehmen“: www.km.bayern.de/kunst-und-kultur/foerderung/literaturfoerderung.html.
Tipp: Weist eure Buchhandlung auf die Möglichkeit hin, einen Zuschuss zu beantragen.
Fazit: Wir Autorinnen und Autoren fordern noch zu wenig für unsere Lesearbeit. Wir sollten grundsätzlich den vom VS empfohlenen Richtsatz von 300 Euro pro Lesung verlangen, auch wenn die Realität uns dazu zwingt, flexibel zu bleiben.
Autorin: Ingrid Werner | www.werner-ingrid.de
Foto: Bildausschnitt von Volker Klüpfel und Michael Kobr auf einer Lesung der Buchhandlung Pustet
Fotograf: Michael Henkel
In: Federwelt, Heft 121, Dezember 2016
Grundwissen Honorare (Serie in 3 Teilen), Teil 1: Buchtantiemen verhandeln und die Rechte drum herum. In: Federwelt, Heft 118, Juni/Juli 2016, Seite 26–32.