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Buchmessen aus Agentensicht

Federwelt
Daniela Nagel
Detailaufnahme Buchmessestand LitAg

Michaela und Klaus Gröner von der Literaturagentur erzähl:perspektive (www.erzaehlperspektive.de) im Gespräch mit Daniela Nagel

Als ich eine frischgebackene Verlagsautorin war, schlenderte ich an den Fachbesuchertagen der Frankfurter Buchmesse über den Stand „meines“ Verlages. Ich hatte Zeit und nur einen Termin, also sprach ich eine Frau mit Namensschildchen an, ob sie Lektorin bei eben diesem Verlag sei. Ich könnte heute noch beschwören, dass so etwas wie Panik in ihren Augen aufblitzte, während sie „Ja, wieso?“ antwortete. Und dass die Panik von Erleichterung abgelöst wurde, als ich nichts weiter von ihr wollte, als zu erzählen, dass ich demnächst auch ein Buch hier veröffentlichen würde. Heute denke ich, sie befürchtete, ich würde einen dicken Manuskriptstapel aus der Tasche holen und ihr in den Arm drücken.

Ist an dieser Einschätzung was dran?
Früher kam es tatsächlich häufiger vor, dass AutorInnen mal eben so vor Ort ihr Projekt pitchen und ihre Manuskripte übergeben wollten, was einerseits verständlich ist, andererseits aber natürlich nicht der richtige Rahmen. Inzwischen wissen die meisten, dass eine höfliche, personalisierte Mailanfrage oder – noch besser! – der Weg über eine Agentur erfolgversprechender ist.

Was macht eine Literaturagentur?
Hauptaufgabe einer Agentur ist es, Manuskripte an Verlage zu vermitteln. Dabei vertritt sie die Interessen von Autorinnen und Autoren und handelt Verlagsverträge für sie aus, mit dem Ziel, die bestmöglichen Konditionen zu erwirken. Verlage bevorzugen die Angebote von Agenturen in der Regel, da diese schon eine Vorauswahl unter den unverlangt eingesandten Projekten getroffen und diese gegebenenfalls auch schon mit den AutorInnen überarbeitet haben. Außerdem kennen die Agenturen die Wünsche und Programme der jeweiligen Verlage und können so effektiver arbeiten.

Welche Rolle spielt die Frankfurter Buchmesse für eure Vermittlungsarbeit?
Die Frankfurter Buchmesse ist für uns tatsächlich das wichtigste Branchentreffen des Jahres. Hier sehen wir die meisten unserer Geschäftspartner, pitchen und bahnen neue Projekte an, essen, lachen und feiern gemeinsam. Viele unserer Partner treffen wir als Münchner Agentur bereits in den Wochen davor – das hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen –, und natürlich auch im Messenachfeld, wenn zum Beispiel Termine nicht mehr geklappt haben, weil unser Kalender schon voll war. Aber damit das hier nicht falsch rüberkommt: Natürlich arbeiten wir auch unterm Jahr. Nach Frankfurt geht’s also gleich heiter weiter, damit die Vorbereitungszeit für Leipzig, London und Bologna nicht zu knapp wird.

Wer spontan über die Messe flaniert und nur hier und da an den Verlagsständen Leute nett miteinander Kaffeetrinken sieht, weiß oft gar nicht, wie durchgetaktet die Messetage sind. Erzählt doch mal, wie so ein Messetag in Frankfurt für euch aussieht.
Ein typischer Messetag sieht etwa so aus: 6 Uhr Hotelwecker, Frühstück et cetera, nebenbei noch mal den Tag im Geiste vorbereiten. 9 Uhr: erster Termin im Agentencenter (von der Messe selbst „Literary Agents & Scouts Centre“, kurz „LitAg“, genannt und von Agentinnen oder Lektoren mehrheitlich „Agents Centre“). Bis 18 Uhr Termine mit LektorInnen im Halbstundenrhythmus; mittags eine halbe Stunde Pause, um eine Kleinigkeit zu essen und den Tinnitus aus den Ohren zu klopfen. Abends dann jeden Tag ein anderes Geschäftsessen mit AutorInnen, Verlagspartnern, Co-AgentInnen. Nachts die eine oder andere Party und dreieinhalb Stunden Schlaf, wenn’s gut geht.
Am Dienstag vor der Messe hüpfen wir zwischen Frankfurter Hof und Agentencenter hin und her. Das kommt noch aus der Zeit, als das Agentencenter dienstags nicht geöffnet hatte. Und Freitag am späteren Nachmittag haben wir uns Zeit reserviert, um bei uns am Tisch mit unseren AutorInnen ein Gläschen auf die Zusammenarbeit zu trinken.

Und wie sieht es mit der Vorbereitung aus? Ab wann befüllt ihr den Terminkalender? Wonach entscheidet ihr, welche Projekte ihr mitnehmt? Habt ihr auch so etwas wie einen Messekatalog? Und wann muss ich als Autorin ein neues Projekt spätestens bei euch abgeliefert haben, damit ihr es noch mit zur Messe nehmen könnt?
Terminanfragen von Verlagen erreichen uns für Frankfurt bereits vier Monate davor, der Kalender füllt sich dann recht schnell. Wir versuchen nach Möglichkeit, noch ein, zwei Slots für Spontanes zu reservieren, weil uns manchmal bis kurz vor knapp eilige Projekte erreichen, für die wir schnell einen Sondertermin dazwischenschieben können möchten, auch wenn das die Ausnahme bleiben muss.
Für Frankfurt versuchen wir, für all unsere Projekte Termine auszumachen. Vor Ort arbeiten wir mit eigens erstellten Messekatalogen, aus denen wir für die jeweiligen PartnerInnen gezielt auswählen.
Ausführliche Exposés erweisen sich hier als eher ungünstig, weil alle, mit denen wir sprechen, das Projekt ja schnell erfassen können sollen und ungern allzu viel Papier heimschleppen.
Idealerweise liefern AutorInnen ihr Material also spätestens im Juni oder Juli. Nach diesem Zeitpunkt versuchen wir zwar alles Menschenmögliche, können aber nicht mehr garantieren, dass wir dafür noch Termine zustande kriegen.

Und wie sieht so ein Termin in der Regel aus? Haben die Lektorinnen oder Lektoren euch schon vorab darüber informiert, über welche Projekte sie mehr hören wollen? Wie wichtig sind Small Talk und Beziehungspflege?
Ein Termin dauert in der Regel eine halbe Stunde, allerdings kommt es mitunter zu Verspätungen, wenn die LektorInnen nicht mehr durch die Hallen kommen, und bisweilen zu lustigen kleinen Zusammentreffen, wenn dann auch noch der nächste Termin etwas früher an den Tisch kommt. ;) In aller Regel wissen wir bereits vorab, was die LektorInnen suchen, weil wir ja in kontinuierlichem Kontakt stehen, die Programme lesen und Änderungen der Branchenpresse entnehmen. Vorab ist also nicht unbedingt etwas zu klären.
Beziehungspflege ist enorm wichtig – aber das ist sie ja in jedem anderen zwischenmenschlichen Kontext auch.

Wie empfindet ihr die Arbeit in den heiligen Hallen, im Agentencenter, in das selbst Fachbesucher nur eingelassen werden, wenn sie einen Termin mit einer Agentur haben? Im Gegensatz zu den bunten und teils sehr aufwendig gestalteten Verlagsständen gibt es dort ja nur Tische, Stühle und Wasserspender – dafür, soweit ich das mitbekommen habe, eine sehr konzentrierte Atmosphäre. Trauert ihr der Zeit hinterher, als ihr noch von Verlag zu Verlag gelaufen seid? Oder habt ihr jetzt mehr Zeit fürs Wesentliche?
Klares Ja und ebenso klares Nein. In einer Halle mit etwa vierhundert KollegInnen zu sitzen, hat natürlich bisweilen etwas von einer Legebatterie. Es ist oft gerade zu den Stoßzeiten recht laut. Wie sehr, das merkt man erst abends. Und man kommt nicht mehr mit den Büchern in Berührung, was etwas merkwürdig Abstraktes hat. Andererseits ist es für uns unglaublich effizient: Wir können viel mehr Material präsentieren und sind schneller mal am Tisch unserer Co-Agenturen, wenn es zwischendurch etwas zu besprechen gibt. Und für das „authentische Messefeeling“ mit vielen Büchern, abgelaufenen Hacken und verstopften Gängen haben wir ja immer noch Leipzig. ;)

„Konkurrenz belebt das Geschäft.“ Gilt das auch für Buchprojekte, die auf der Messe vielen Verlagen gleichzeitig vorgestellt werden? Und stimmt das Gerücht, dass die heißen Stoffe schon vor der Messe weg sind, oft kurz nachdem die Messekataloge verschickt worden sind?
Zweifellos ist es wichtig, mit mehreren geeigneten Verlagen gleichzeitig über potenzielle Projekte zu sprechen, um die Publikationschancen zu erhöhen, optimale Angebote zu erzielen und idealerweise Auktionen* anzubahnen, klar. Allerdings gibt es auch Projekte, über die wir aus wichtigen Gründen nur mit einem bestimmten Partner sprechen. So ein Grund kann sein, dass es sich um ein Folgeprojekt handelt oder eine Autorin einen Wunschverlag hat, dem wir das Manuskript dann erst mal exklusiv anbieten.
Die „Messe vor der Messe“ wird tatsächlich immer wichtiger, nur verschicken wir nicht ganze Kataloge, sondern wählen gezielt Projekte aus und stellen unsere Titelliste daraufhin zusammen. Gerüchte um die „richtig heißen, vorab verkauften Titel“ heizen wir ungern an. Wir haben natürlich schon einiges im Vorfeld verkauft, aber genauso erfolgreiche Bestseller auf und nach den Messen vermittelt.

* Anmerkung der Redaktion: Bei einer Auktion bieten mehrere Verlage auf ein Manuskript.

Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass die Autorinnen und Autoren nach der Messe hibbelig auf Feedback warten. Wie geht es euch mit dem Warten auf die Antworten der Verlage? Wie bereitet ihr die Messe nach? Und habt ihr so was wie eine Quote an Projekten aus dem Messekatalog, die nachher auch verlegt werden?
Man gewöhnt sich mit den Jahren eine gewisse Geduld an. Die Leute haben einfach alle viel zu viel auf dem Tisch, und vom Hupen im Stau wird’s lauter, nicht schneller. Follow-ups sehen so aus, dass wir nach unserer Rückkehr zunächst das angeforderte Material verschicken, alle Projektprotokolle aktualisieren und erst danach die AutorInnen informieren.
Quoten haben wir bislang noch nie evaluiert, das wäre auch schwierig, weil wir ja nicht nur auf den Messen mit den Titeln arbeiten, seriöserweise also nicht sagen können, auf welche Aktivität der Verkauf nun zurückgeht. Aber natürlich schafft es ein Großteil aus unseren Agenturlisten in die Verlagsprogramme – und statt das im Nachgang statistisch auszuwerten und uns auf die Schulter zu klopfen, arbeiten wir lieber mit den anderen daran, dass es beim nächsten Anlauf klappt.

Neben Frankfurt gibt es noch Bologna, Leipzig und im Juni 2020 eine neue Messe im Saarland, die Buchmesse Saar. Inwieweit sind die anderen Messen für euch spannend?
Jede auf ihre Weise. Bologna ist fürs Kinder- und Jugendbuch unverzichtbar und überdies eine unglaublich charmante Stadt. London ist für internationale Stoffe wichtig, Leipzig für die allgemeinen Frühjahrstitel. Die Saarlandmesse ist ebenfalls spannend, liegt für uns allerdings ungünstig zwischen Leipzig und Frankfurt, weil die Zwischenzeit knapp ist, um alles ordentlich aufzubereiten. Hier müssen wir einfach mal schauen, wie wir das hinkriegen. Ganz generell gilt für alle Messen: Das persönliche Treffen ist jedem Mailkontakt und jedem Telefontermin überlegen, immer.

Und was ratet ihr Autorinnen und Autoren? Wie können sie das Beste aus einem Messebesuch machen? Und inwieweit sind Buchmessen überhaupt geeignet, um Kontakte zu den Verlagen zu knüpfen? Was sind absolute Tabus?
Unser Rat: Hingehen, feiern, sich auf das bunte Treiben einlassen, sich mit anderen AutorInnen vernetzen, die vielfältigen Fortbildungsmöglichkeiten nutzen und das Ganze nicht allzu sehr von der Akquise- oder Projektebene aus betrachten. Kontakte sollten idealerweise bereits im Vorfeld geknüpft sein, zumindest digital, und während der Messe „nur“ gepflegt werden.
Tabus: An den Ständen und Tischen Leute zutexten, die ganz offensichtlich einen Termin haben, Papier im großen Stil verteilen (Visitenkarten tun es durchaus für den Erstkontakt), sein Projekt auf eigene Faust wildfremden Verlagen anbieten, obwohl man vertreten wird.

Habt ihr vielleicht noch eine Messeanekdote oder ein paar Wünsche, wie sich die FBM für alle noch angenehmer gestalten ließe?
Messeanekdoten gäbe es in der Tat viele! Vielleicht die: Eine Autorin hatte wenige Tage vor der letzten Messe eine geniale Projektidee, die sie uns Mittwochabend in Frankfurt bei einem Essen vorstellen wollte. Bereits am Mittwochnachmittag trafen wir ihre Lektorin, die uns mit den Worten begrüßte: „Dieses neue Projekt ist übrigens gekauft, brauchen wir gar nicht weiter drüber reden, stellen Sie mir lieber Ihre anderen Titel vor!“ Die beiden waren sich kurz zuvor in der Halle über den Weg gelaufen und offenbar spontan handelseinig. Manchmal geht’s dann eben doch schneller, als man schauen kann – und für alle anderen Fälle gilt: dranbleiben!

Autorin: Daniela Nagel | www.danielanagel.de | www.marieadams.de | www.plotbox-koeln.de
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 137, August 2019
Blogbild: Sandra Uschtrin

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 137, August 2019: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-42019
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