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Audible: Exklusive Einblicke in die Arbeit für den rasant wachsenden Audioverlag

Federwelt
Anke Gasch
Kopfhörer

Der Markt für Hörformate wächst seit Jahren. Kontinuierlich. Gleichzeitig geht der Trend ähnlich wie bei Videoinhalten hin zum Streaming und zur digitalen Ausleihe. Das Hören steht heute im Mittelpunkt des Kundeninteresses, nicht mehr das Besitzen der Inhalte.
Das erklärt unter anderem den Erfolg von Audible, Deutschlands größtem Streaminganbieter für Hörgeschichten.

Als kommerzieller Anbieter für Hörbücher zum Herunterladen ging Audible 1995 in den USA und 2004 in Deutschland an den Start. Und seit 2014 entwickelt das Tochterunternehmen von Amazon Hörgeschichten sogar selbst: die „Originals“, Geschichten, für die es keine Verlagsbuch-Vorlage mehr gibt. Das können Hörbücher, Hörspiele oder sogar Podcasts sein – Hauptsache, sie wurden eigens fürs Hören entwickelt.
Der Moderator Ralph Caspers etwa führt im Podcast Meine Welt, deine Welt als Gastgeber durch Gespräche mit Kindern.
Dorothea Martin, Audibles Original-Fiction-Chefin erzählte uns: „Die auf audible.de heruntergeladenen Hörstunden haben sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt, 180 Millionen digitale Hörstunden sind es aktuell jährlich.“
Im selben Zeitraum hörten wir immer häufiger von Buch-Autor*innen, die mit oder für Audible arbeiten. Mit manchen tauschten wir uns im Hintergrund aus: Was reizt an der Zusammenarbeit?
„Das hohe Marketingbudget, mit dem Audible gute Geschichten sichtbar machen und in den Markt treiben kann“, lautete eine Antwort. Eine andere: „Die Freiheit, neue Wege zu gehen. Hier darf ich endlich mal was ausprobieren.“ Und ein paar weitere Antworten liefen auf Folgendes hinaus: „Dass die Geschichte die Chance hat, um die Welt zu gehen, wenn Audible sie auch auf Englisch herausbringt.“
Das war für uns Grund genug, einmal tiefer in die Materie einzusteigen: Wie wird man Audible-(Original-)Autor*in? Wie läuft die Zusammenarbeit? Welche Chancen bringt sie mit sich? Wie funktioniert Storytelling für die Ohren? Wie schneidet Audible im Vergleich mit Buchverlagen ab: finanziell wie vertraglich? Und nach welcher Art Geschichten wird gesucht?
Storytelling-Expertin Christina Maria Schollerer hat dazu drei Personen befragt, die es wissen müssen: Original-Fiction-Programmleiterin Dorothea Martin von Audible, Roman- und neuerdings Hörspiel-Bestsellerautor Kai Meyer und Lektorin Hanka Leo, die seit 2019 als Freie Showrunnerin für Audible tätig ist.
Anke Gasch hat weiterführende Infos in diesen Beitrag eingebunden. Die Idee der beiden Autorinnen: Audible-Know-how aus drei Perspektiven plus weiterführende Infos.
Viele Wege führen nach Rom? Nein, heute heißt es:

„Viele Wege führen zu Audible!“

Dorothea Martin, Audible’s Original-Fiction-Chefin, im Gespräch mit Christina Maria Schollerer

Wie kommt man zu Audible? Nach welchen Geschichten und Autor*innen sucht Dorothea Martin? Wie stellt sie das Originals-Programm zusammen? Und was macht Audioformate so besonders?

Liebe Doro, du warst lange für Buchverlage tätig und hast mit deiner Frau sogar selbst einen Indie-Verlag gegründet. Wie kamst du zu Audible, und was ist dort deine Aufgabe?
Audible kam Ende 2017 auf mich zu. Gerade war das Ende von oolipo, dem Storytelling-Startup, bei dem ich zuvor tätig war, verkündet worden, und ich wollte mich eigentlich mit einer Idee wieder selbstständig machen, aber: Der ganze Bewerbungsprozess hat mich unglaublich neugierig auf Audible gemacht. Und die Leute, die ich im Prozess kennenlernen durfte, haben mich dann überzeugt.
Im Februar 2018 habe ich angefangen, den Bereich der Original Hörbücher aufzubauen, und ihn 2019 um die Serienentwicklung, liebevoll „Fiction Factory“ getauft, erweitert. Inzwischen leite ich das gesamte Original-Fiction-Team und bin für unser Programm verantwortlich.

Wofür steht Original Fiction?
Original Fiction bei Audible umfasst alle fiktionalen Eigenentwicklungen, also alle seriellen Geschichten, die für uns geschrieben werden, und zuerst bei uns erscheinen. Und zwar alle Formate von Hörbuch bis Hörspiel mit sämtlichen Mischformen, etwa einem Hörbuch mit nur einer Erzählstimme, dem aber Soundeffekte beigemischt sind. Auch eigene Adaptionen von Buch- oder TV-Vorlagen definieren wir im Hörspiel als Original.

Was interessiert dich an der Arbeit mit Audioformaten? Und was sind für dich die Besonderheiten des Erzählens fürs Hören?
Faszinierend ist für mich die große emotionale Wirkung, die Geschichten übers Ohr entfalten. Mich erwischen Hörbücher und Podcasts einfach unglaublich intensiv – wie übrigens auch Musik. Ich glaube, dass das mit der besonderen Rezeption und der intimen Hörsituation, der „Stimme im Ohr“, zusammenhängt. Beim Hören muss ich mich komplett auf die mir vorgegebene Erzählweise einlassen. Ich kann nicht wie beim Lesen mein Tempo wählen oder ganz einfach Vor- und Zurückblättern. Aber wie beim Lesen habe ich beim Hören die Möglichkeit, mir alles selbst vorzustellen und auf meine Assoziationen bei Beschreibungen und Klängen zurückzugreifen. Vielleicht wirken Geschichten dadurch auch noch mal eine Spur persönlicher.
Zu viele oder zu ausführliche Beschreibungen hintereinander stören mich in Hörbüchern übrigens – meine Fantasie vergaloppiert sich dann gerne. Das richtige Maß zu finden, um die Fantasie anzuregen und im richtigen Tempo zu erzählen – das ist unglaublich spannend. Überhaupt reizt mich das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente, von Erzähltechniken über Inszenierung und Produktionsentscheidungen, sehr. Und die Art, wie wir entwickeln, ist einfach eine große Freude.

Audible – Was bietet der gefragteste Hörbuchanbieter seinen Kund*innen?

„Hören, was und wo Sie wollen“, verspricht Audible seinen Nutzer*innen. Im ersten Monat kostet einen das im Abo nichts, danach 9,95 Euro pro Monat. Im Programm: 200.000 Titel. Und es werden mehr … 
Ein One-Klick-Download-Kauf der Audible-Produkte ist allerdings auch möglich.

Wie werde ich Audible-Autor*in?
Viele Wege führen zu Audible! Wir haben zum Beispiel mit Der Übergangsmanager von Karen Elste im Herbst 2020 eine Hörbuchserie gestartet und groß beworben, die über unsere Call-for-Papers-Seite eingereicht wurde. Natürlich sind wir zudem auf Branchenevents unterwegs, veranstalten konkrete Ausschreibungen oder sprechen Autor*innen gezielt an. Wir stehen aber auch in engem Austausch mit Literatur- und Drehbuchagenturen, mit Buch- und Audioverlagen und anderen Medienpartnern. Und das betrifft nicht nur den Bereich der Eigenentwicklungen, also der Originals. Audible vertreibt ja auch Hörbücher anderer Verlage und hat einen Hörbuchverlag, Audible Studios, für den wir Lizenzen, etwa von Buchverlagen, erwerben und dann auch produzieren.

Worauf sollten sich Autor*innen bei einer Zusammenarbeit einstellen?
In unserer Serienschmiede arbeiten wir mit Writers’ Rooms und entwickeln Serien basierend auf ziemlich konkreten Briefings. Aber auch abseits unserer „Fiction Factory“ ist das Schreiben fürs Hören ein phasenweise stark kollaborativer Prozess.
Wir stecken da vielleicht mehr ab oder geben mehr vor als andere. Ich glaube allerdings, dass Kreativität sich gerne an einer Form von Begrenzung, also innerhalb eines Rahmens, entzündet. Natürlich haben wir auch ganz andere Fälle, wir kreieren einfach nur sehr viele Serien und das sehr gezielt.
Wir versuchen, dabei immer transparent zu kommunizieren. Das betrifft auch alle anderen Aspekte der Zusammenarbeit.

Was ist ein Writers’ Room?

Der Writers’ Room ist ein realer und virtueller Raum für das Autor*innenteam einer Serie. Das Prinzip, das sich inzwischen auch in Deutschland etabliert hat, kommt aus der US-Serienproduktion: Writers’ Rooms größerer TV-Serien wie CSI oder Supernatural bestehen aus etwa zehn Autor*innen, vom „baby writer“ bis hin zum „head writer“, wobei junge Autor*innen angelernt werden und aufsteigen können. Geleitet wird der Writers’ Room von einem oder einer Showrunner*in.
Bei Audible arbeiten in einem Writers’ Room meist drei Autor*innen plus Showrunner*in/Development Producer*in, die gemeinsam unter Sammelpseudonymen veröffentlichen. Weitere Infos:
www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/televizion/27_2014-1/Weiss_Goessler-Kreativitaetsindustrie.pdf

Wonach sucht Audible bezüglich Stoffen und Autor*innen?
Wir suchen überwiegend Geschichten, die von den Charakteren angetrieben werden und sich aus ihren Konflikten entwickeln. Die Arena und das Figurenpersonal sollten dabei groß genug sein, dass mehrere Staffeln möglich sind und die Spannung beziehungsweise die Emotionalität immer gleich hoch ist. Identifikation mit den Figuren ist mir dabei gar nicht so wichtig, aber ihre Handlungen und ihre Motivation müssen nachvollziehbar sein, dann wird es richtig interessant. Da wir viel im Writers’ Room oder in Teams entwickeln und immer in Serie denken, sind die Grundlagen serieller Dramaturgie, die Arbeit mit Beats sowie Team- und Kritikfähigkeit absolut entscheidend.

Wie stellst du das Programm zusammen? Sind alle Genres willkommen, soll jede Nische bedient werden? Oder gibt es bestimmte Genres, die willkommener sind als andere?
Geschichten müssen gut sein und sie müssen unterhalten – das sind die beiden Hauptkriterien. Wir denken dabei in verschiedenen Hörbedürfnissen – von involvierender, intelligenter Spannung oder Science Fiction bis hin zur Unterhaltung zum Nebenbei-Hören.
Spannung, Fantasy, Science Fiction, historische Stoffe, Drama, Dramedy/Comedy und auch Stoffe für Kids – also die Mainstream-Genres, aber gerne mit einem Twist versehen – sind unsere Hauptfelder.

Mit Twist meinst du …
... das, was eine Genre-Erzählung besonders macht. Wir haben beim Hören ja Erwartungen, die bis zu einem gewissen Grad erfüllt werden wollen. Aber ohne die kleinen, intelligenten Brüche wird es schnell langweilig, der zehnten Variante des immer gleichen Krimifalls zuzuhören. Eine Prise Verwunderung gehört dazu, um die Spannung hochzuhalten: Es gilt Momente des „Wie kommt sie da denn jetzt wieder raus?“ zu erzeugen. Und zwar nicht aufgrund von handwerklichen Fehlern, sondern bewusst, durch starke Figuren mit schier unlösbaren Konflikten. Oder durch originelle, aber trotzdem glaubhafte Ideen.

Hintergrundwissen zu Audible

  • Audible, 1995 vom Journalisten und Autor Don Katz in den USA gegründet, entwickelte bereits Jahre vor der Verbreitung von MP3-Playern das erste handliche digitale Abspielgerät.
  • Nach Deutschland kam Audible als Joint Venture zwischen der Audible Incorporated sowie den Verlagsgruppen Holtzbrinck und Random House, heute Penguin Random House. Der ursprüngliche Unternehmenssitz war München.
  • „2008 entschieden wir uns zum Umzug nach Berlin“, erzählt Dorothea Martin. Im selben Jahr übernahm Amazon Audible in den USA, 2009 dann „auch die verbleibenden Anteile der anderen Partner des deutschen Joint Ventures“. Inzwischen verantwortet Audible von Berlin aus auch das Geschäft in Frankreich, Italien und Spanien. „Insgesamt sind über 20 Nationalitäten in unserem Team.“
  • In Deutschland arbeitet Audible mit mehr als 500 Verlagen zusammen.
  • Von den Audible-Studio-Eigenproduktionen (aktuell rund 1.600 Titel) haben bereits mehrere die Goldene Schallplatte gewonnen.

Wovon produziert ihr mehr – und warum: Hörbücher oder Hörspiele, Serien-Staffeln oder Einzeltitel?
Wir produzieren vor allem Serien beziehungsweise Reihen. Ob eine Geschichte als Hörbuch mit einem Erzähler, als volldramatisiertes Hörspiel oder in einem Zwischenformat aufgenommen wird, das entscheiden wir gerne abhängig von der Geschichte: In welchem Format und mit welcher Erzählweise hat sie das größte Potenzial auf Erfolg bei unseren Hörer*innen? Das ist für uns am Wichtigsten.

Was macht einen Stoff zum Serienstoff?

Nach 20 Romanen ist Tanja Kinkel auf ein Thema gestoßen, das „den üblichen Rahmen eines Romans sprengte und damit ideal fürs Streaming war“. Welches Thema das war, wo es „herkam“ und warum es sich besonders fürs Streaming eignet, erzählt sie hier:
„Vor sechs Jahren las ich von der Aussage eines Richters, dass nach seiner Schätzung jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil sei. Ich wollte mehr wissen und erfuhr, was der Zustand unseres Gefängnissystems mit den Wachbeamten, Ärzten und Psychologen macht. Daraus entstand folgende Geschichte: In der fränkischen Kleinstadt, in die Dani Peters, meine Protagonistin, ihrem (Ex-)Mann nach zehn erfolgreichen Jahren als Bundeswehr-Ärztin folgte, scheint ihr nichts zu gelingen, bis im örtlichen Gefängnis, durch den Selbstmord des Arztes, eine Stelle frei wird. Danis erster Tag dort läuft auf ein Fiasko hinaus, dennoch bekommt sie den Job. Nun muss sie beweisen, dass Frau es schafft, Kerle wieder zusammenzuflicken, die danach wieder töten werden.
Zunächst will sich die Gefängnisärztin der Frage nach Schuld oder Unschuld der Gefangenen nicht stellen. Doch sie muss entdecken, dass genau diese Frage sich selten ganz verdrängen lässt.
Ideal fürs Streaming ist das Setting, weil zwangsläufig ein Teil der Figuren episodisch kommt und geht und es viele kleine Geschichten zu erzählen gibt. Natürlich gibt es Figuren, die über die ganze Strecke vorkommen, allerdings behandle ich in jeder Folge ein spezifisches Schicksal, und Figuren, die ich nur als Nebenfiguren erwähne, können in der nächsten Folge im Zentrum stehen. 50 so angedachte einstündige Folgen passten nicht in einen Roman.“

Wenn ich eine Serie für Audible schreibe, kann ich sie später noch einem Buchverlag anbieten?
Ein Audible Original erscheint auf alle Fälle zuerst bei uns – audio first. Aber wie bei Kai Meyers Imperator oder Anna Baseners Die juten Sitten freuen wir uns für die Autor*innen, wenn ihre Ideen auch in anderen Medien ankommen – und damit ja vielleicht auch wieder neue Hörer*innen gewinnen. Es ist spannend zu sehen, wie wir Verwertungsketten von guten Geschichten neu denken, wenn die Audio-Version den Auftakt macht.

Ihr schreibt auf eurer Website: „Audible Originals sind Geschichten, die es nur bei Audible gibt. Geschrieben von ausgewählten Autoren, erzählt von eindrucksvollen Stimmen und mit viel Liebe von Audible produziert.“ – Was bedeutet „mit viel Liebe“?
Für mich bedeutet es, dass wir alle unser Bestes geben für unsere Inhalte – ob für Originals oder die Hörbücher von anderen.

Wonach sucht die Hörerschaft?

Oliver Daniel, Deutschlandchef von Audible, sagte in einer Pressemeldung im Oktober 2020, „dass der Bedarf an nicht fiktionalen Sach-Inhalten während der Corona-Zeit stark gestiegen ist, während andere Genres in dieser Phase weniger gehört wurden. Ein Trend, den wir auch vorher schon ausgemacht haben, hat sich hier verstärkt und beschleunigt. So nutzte jeder dritte Hörer (32 Prozent) in dieser Zeit mehr Hörbücher und Podcasts aus dem Bereich Bildung und Wissen als vor Corona.“ Mehr Unterhaltung durch Thriller und Krimis oder „Comedy-Inhalte“ suchte „etwa jeder Achte“.

 

Vom Roman-Bestsellerautor zum Hörspiel-Star mit zwei eigenen Audible-Original-Serien

Kai Meyer im Gespräch mit Christina Maria Schollerer

Wie kam der Fantastikautor zu Audible? Was reizt ihn an der Zusammenarbeit? Wie schneidet Audible im Vergleich mit Buchverlagen ab? Und was unterscheidet die Arbeit an einer Hörspiel- von einer Buchreihe?

Lieber Kai, als Bestsellerautor fantastischer Literatur hast du bereits mehr als 60 Bücher veröffentlicht, die in mehr als 30 Sprachen weltweit übersetzt wurden. Nun schreibst du sehr erfolgreich für Audible, sogar gleich zwei eigene Serien. Wie kam es dazu?
Audible hat mich aus heiterem Himmel angesprochen, 2017, beim PAN-Treffen in Berlin. Aber weil ich da gerade mitten in zwei Buchreihen steckte – in Die Seiten der Welt und Die Krone der Sterne – war ich noch ein wenig zögerlich. Ich hatte große Lust auf ein Originalhörspiel, doch mir fehlte schlichtweg die Zeit dafür.
Mir war klar, dass ich mich nur an so ein Projekt setzen würde, wenn ich mit genau derselben Ruhe und Zeit daran arbeiten könnte wie an einem neuen Roman. Torsten Surberg von Audible und ich verabredeten uns ein halbes Jahr später zu einem zweiten Treffen auf der Buchmesse in Frankfurt, und dort einigten wir uns schließlich darauf, das Ganze anzugehen.

Die Aufgabe von Torsten Surberg, Head of Program Development – Audible, wird im audible magazin so beschrieben: „Torsten ist bei Audible dafür zuständig, dass die Kunden Hörbücher finden, die sie nie gesucht hätten, aber trotzdem gerne hören würden.“

Ein paar Wochen später saß ich mit Mitgliedern der Audible-Originals-Redaktion in Berlin, um konkreter zu werden. Ich hatte noch kein Konzept, wollte erst einmal hören, wie genau die Arbeitsweise aussieht und wie man sich bei Audible das ideale Hörspiel vorstellt. Zum Glück waren wir in allen Punkten einer Meinung, zum Beispiel, was den starken Erzählereinsatz angeht, der mir wichtig war. Was mich vor allem überzeugt hat, war die Ansage: „Wir wollen eine anspruchsvolle HBO- oder Netflix-Serie, nur eben als Hörspiel.“
Genau das hatte mir im Kopf herumgespukt: weg von den üblichen Konzepten der Hörspiel-CDs, weg vom Episodischen, weg von den nostalgischen Nachwehen der alten Kinderhörspiele.
Daraufhin intensivierte ich meine Recherchen zum Thema Rom in den Sechzigern und schrieb einen klassischen Serien-Pitch, genau wie für eine Fernsehserie: Ort und Zeit und Hintergrund, Vorstellung der Protagonisten und Antagonisten, ein grober Überblick über die ersten drei Staffeln. Alles in allem acht Seiten.

Viele deiner Geschichten wurden als Comics adaptiert, und im ZDF lief im Dezember dein erster Märchenfilm.
Was reizt dich besonders am Format Hörspiel/Hörspielserie?

Als das Label Europa begann, Hörspiele auf vergleichsweise preiswerten Schallplatten herauszubringen, war ich genau im richtigen Alter. Ich habe die ganzen Abenteuerklassiker herauf- und heruntergehört, dann Fünf Freunde und all die anderen Enid-Blyton-Adaptionen, die ersten Drei-Fragezeichen-Folgen und Burg Schreckenstein. Auch die Europa-Gruselserie musste man in einem bestimmten Alter einfach hören, das war so eine Mischung aus Initiation und Mutprobe. Wir haben die mit zwei, drei Freunden regelmäßig im Stockdunklen gehört. Oft waren die Hörspiele damals ein Film-Ersatz, weil es noch keine Videorecorder gab. Die entsprechenden Filme durften wir oft noch gar nicht sehen, aber das Hören der Schallplatten war für die meisten Eltern okay.
Das alles hat mich geprägt. Dazu kommt, dass ich mich nie ausschließlich als Romanautor gesehen habe. Ich will meine Geschichten erzählen, und das Medium ist dabei eigentlich zweitrangig. Roman, Hörspiel, Comic, Film – ganz egal. Hauptsache, die Geschichte erreicht die Leute.
Ich habe mich schon sehr früh um Hörspiel-Adaptionen bemüht, habe Produzenten angesprochen und mit Radioredaktionen gesprochen. Als ich 1993 Die Geisterseher schrieb, habe ich mir bereits gewünscht, es würde das Buch einmal als Hörspiel geben – einfach, weil die Geschichte so nah an den klassischen Abenteuerstoffen ist, die ich als Kind so toll fand. Es hat dann noch mal 17 Jahre gedauert, bis eine sehr schöne Hörspieladaption des Romans herauskam. Alles in allem sind mittlerweile 26 meiner Bücher als Hörspiele umgesetzt worden, also beinahe die Hälfte.
Mitte der 2000er fragte mich der WDR, ob ich nicht ein Originalhörspiel schreiben wolle, als Weihnachtsevent im Kinderprogramm. Also schrieb ich ein Prequel-Hörspiel zu meiner Merle-Trilogie mit dem Titel Der Brennende Schatten. Der Zweiteiler lief an den Weihnachtstagen, und weil er gut genug ankam, bekam ich die Möglichkeit, im selben Format eine Vorgeschichte zu meiner Wellenläufer-Trilogie zu gestalten.
Aufgrund dessen wusste ich also, dass ich grundsätzlich Hörspiele schreiben kann.

Warum Audible? Was kann dir Audible bieten, das dir ein Buchverlag (derzeit) nicht bietet?
Audible hat mich sicherlich auch deshalb angesprochen, weil sie Erfahrungswerte mit all meinen Hörbüchern und Hörspielen hatten. Sie hatten schon eine lange Liste mit meinen Titeln im Programm, konnten sich die Zahlen ansehen und nachvollziehen, was gut läuft und was weniger. Dabei hat mich erst einmal gefreut, dass sie nicht versucht haben, mich sofort in die – in meinem Fall – erfolgreichere Young-Adult-Schiene zu stecken, sondern einfach nur Interesse an mir als Autor hatten.
Grundsätzlich ist Audible natürlich die populärste Plattform für Hörbücher und Hörspiele, hat durch die Verbindung zu Amazon die größte Reichweite, solide Budgets und eine entsprechend professionelle Redaktion. Ein Kritikpunkt, den ich immer an den Hörspielproduzenten für den CD-Markt hatte, ist der, dass meist keinerlei Lektorat stattfindet. Sprachlich ist vieles dort oft schluderig, weil schlichtweg niemand da ist, der sich um die Textredaktion kümmert. Bei Audible hingegen gibt es Redakteurinnen und Redakteure, die sich die Manuskripte genau ansehen. Der Schwerpunkt scheint mir – wie bei Film und Fernsehen – ein dramaturgischer zu sein, aber es werden eben auch mal sprachliche Holprigkeiten aufgespürt oder inhaltliche Fehler angemerkt. Damit hat die kommerzielle Hörspielproduktion qualitativ einen großen Sprung nach vorn gemacht und nähert sich der Arbeit beim Radio an.

Wie sieht es generell mit den Konditionen und Honoraren aus? Sind die Vergütungsmodelle bei Audible vergleichbar mit jenen der Verlage? Verhandelt dein Literaturagent deine Verträge oder hast du dafür eine separate Agentur?
Die Konditionen sind bei Audible deutlich besser als anderswo auf dem Hörspielmarkt. Sie liegen unter meinen Roman-Honoraren, aber über denen beim Radio, ganz zu schwiegen von denen bei den kleineren Produktionsfirmen. Es gibt Garantiehonorare und, wenn die Vorschüsse eingespielt sind, Tantiemen – also alles wie beim Verlag.
Die Verträge hat meine Literaturagentur ausgehandelt, die für alle meine Audioprojekte zuständig ist. Grundsätzlich kann das aber im Fall reiner Drehbuchautor*innen sicher auch eine Filmagentur. Audible ist bestimmt kein einfacher Verhandlungspartner – da spielen Amazon und das amerikanische Vertragssystem hinein –, von daher kann eine Agentur nicht schaden. Mir sind sie in einigen Dingen entgegengekommen, ich bin also zufrieden.

Hintergrundwissen Hörbuchverträge

Wolfgang Lent schreibt im „Studienbuch“ Urheberrecht für Buchwissenschaftler: „Typische Rechte an einem Hörbuch sind z.B. das Urheberrecht des Autors am zugrundeliegenden Text. […] Hörbuchverträge sind keine Verlagsverträge […]. Für die Einräumung der Nutzungsrechte gelten regelmäßig die allgemeinen Regelungen des UrhG.“

Wie unterscheidet sich die Zusammenarbeit mit Audible von der Arbeit mit Buchverlagen?
Wie zum Beispiel sah der Entstehungsprozess einer Audible-Serie wie Imperator aus? Und wie deine Rolle darin?

Ich liefere einen Pitch für die Serie, dann ein Exposé für die jeweilige Staffel, schließlich die Manuskripte für je acht Episoden. Jeder dieser drei Schritte wird von Audible abgesegnet. Das entspricht meiner Arbeitsweise bei den Verlagen, denen ich auch ein Kurzkonzept vorschlage, ehe sie ein ausführliches Exposé und schließlich den Roman bekommen.
Der größte Unterschied ist natürlich die Produktion – da gibt es eben eine zusätzliche künstlerische Ebene, die bei den Büchern fehlt: Regie und Schauspieler. In meinem Fall sind das Simon Bertling und Christian Hagitte vom Studio STIL, die produzieren, inszenieren und die Musik komponieren. Das Casting der größeren Rollen geschieht in Absprache mit Audible und mir. Kleinere Rollen besetzen Simon und Christian direkt.
Eine erste Version jeder fertigen Folge geht an die Redaktion und an mich, wir geben unser Feedback – oft sehr kleinteilig, angefangen bei Aussprachen und Betonungen über den Musikeinsatz bis hin zu dem nachträglichen Ausmerzen von Wortwiederholungen. Das ist für die Regie bestimmt nicht immer die helle Freude, aber letztlich wollen wir alle die bestmögliche Qualität erreichen.

Wie unterscheidet sich deine Arbeit als Autor bei einem originären Hörserienstoff wie Imperator von der Arbeit an einer deiner Romanreihen? Gehst du anders an die Stoffe heran als sonst?
Ein Unterschied ist das Serienformat, also die Einteilung in acht Episoden pro Staffel. Da ich aber auch in meinen Romanen intensiv mit Cliffhangern am Ende von Kapiteln arbeite, war das keine große Umstellung.
Ich habe schon immer am liebsten Dialoge geschrieben, das kommt mir beim Hörspiel jetzt zugute. Ich habe an Dialogen nicht nur den größten Spaß, sondern schreibe sie auch schneller als die klassischen Erzähl- und Beschreibungspassagen, weil ich die Figuren in meinem Kopf letztlich nur reden lassen muss. Im Gegensatz zum Filmdrehbuch, in dem man sehr ökonomisch mit dem Platz umgehen muss, kann ich die Figuren im Hörspiel so ausgiebig und natürlich miteinander sprechen lassen wie im Roman.
Was den Plot angeht, so habe ich anfangs unterschätzt, wie viel Handlung man für so eine Staffel von acht bis zehn Stunden generieren muss. Und ich sage ganz bewusst „generieren“, weil es darauf ja hinausläuft. Hier sieht man bei Fernsehserien sehr schnell die Qualitätsunterschiede: Man merkt, wenn Elemente nur eingeführt werden, um die Laufzeit zu strecken, oder Entwicklungen planlos aus dem Ärmel geschüttelt werden. Die Gefahr ist dabei immer, zu episodisch zu werden. Horizontales Erzählen im Serienformat erfordert Planung bis in die Details. Und das ist etwas, das ich auch bei Büchern schon immer betrieben habe. Meine Romanexposés haben meist vierzig bis fünfzig Seiten und sind in Szenen gegliedert wie ein Filmtreatment.
Was das reine Plotvolumen angeht, so entspricht eine Acht-Episoden-Staffel bei mir ziemlich genau einem 500-Seiten-Roman. Das ist also eine ganze Menge Stoff bei zwei parallel laufenden Serien.

Imperator ist ein Audible-Original-Titel, der demnächst auch als Roman bei einem Verlag erscheint. Wie kam es dazu und wie ging es dir damit, deinen Audiostoff nun von einer anderen Autorin als Roman adaptiert zu sehen?
Ich hatte das nicht von Anfang an geplant. Tatsächlich habe ich den Imperator-Stoff Audible vorgeschlagen, weil sich gezeigt hat, dass die Buchverlage immer häufiger auf Nummer sicher gehen und von mir lieber All-Age-Titel veröffentlichen als Erwachsenenstoffe wie etwa Die Alchimistin.
Der Buchmarkt ist derzeit in ziemlichem Aufruhr. Alle suchen nach Rezepten gegen den Leserschwund, tun das aber nicht durch inhaltlichen Wagemut, sondern eher in dem sie versuchen, Risiken aus dem Weg zu gehen und mehr von dem zu produzieren, was traditionell gut läuft. Audible hat mit Imperator eine Menge Mut zum Nischenthema bewiesen, gerade weil sie noch experimentieren und sich an der Themenvielfalt von HBO und anderen Streamingdiensten orientieren.
Dass Droemer Knaur im Mai eine Romanfassung von Imperator veröffentlichen wird – und 2022 einen zweiten Band –, ist nur möglich, weil ich dafür eine Co-Autorin ins Boot holen konnte. Lisanne Surborg hat meine Manuskripte der ersten Staffel ganz großartig in Romanform umgearbeitet. Zuletzt bin ich auch noch mal über den Text gegangen; so haben wir nun ein Buch, das sich stilistisch nicht von meinen übrigen unterscheidet.
Dass es überhaupt dazu kam, war mehr oder minder Zufall. Ich hatte Lisannes Novelle Xoa gelesen, wusste also, wie gut sie ist. Zudem hatte ich den Eindruck, dass sie neben dem nötigen Ehrgeiz auch Disziplin und Zuverlässigkeit mitbringt. Daraufhin habe ich sie gefragt, ob sie 50 Probeseiten schreiben mag, um das Projekt einem Verlag anzubieten. Für mich war das Ganze also ein Versuchsballon, und das habe ich Lisanne auch offen gesagt. Die Qualität der ersten Kapitel war jedoch so überzeugend, dass meiner Agentur innerhalb einer Woche mehrere Angebote vorlagen. Natalja Schmidt, Programmleiterin Belletristik von Droemer Knaur, hat den Zuschlag bekommen, weil sie sich mit großem Enthusiasmus für das Projekt interessiert hat.

Deine Kinder-Horror-Reihe Sieben Siegel habe ich damals in meiner Schulbibliothek ausgeliehen und verschlungen. Jetzt, 20 Jahre später, hast du die Bücher als Hörspielserie für Audible adaptiert, deine zweite Serie, parallel zu Imperator. Wie kam es dazu?
Sieben Siegel ist ein Reboot, keine Adaption. Ich habe die Hauptfiguren und den Schauplatz der Romane übernommen, erzähle aber eine komplett neue Origin-Story über acht Episoden hinweg.
Audible hatte nach Imperator Interesse an einer zweiten Serie, und ursprünglich war bewusst ein jüngeres Thema angedacht. Ich habe Sieben Siegel vorgeschlagen, weil ich unbedingt einmal Coming-of-Age-Horror schreiben wollte und die Reihe das Potenzial dazu hatte. Zudem erinnern sich viele noch an die Bücher oder an die Hörspieladaptionen, die es Anfang der 2000er gab. Ich wollte diesmal aber anders an die Geschichte herangehen: komplexer, erwachsener erzählt, dazu auch düsterer. Eher im Stil von Stephen Kings Es. Zugleich hatte ich die tollen All-Age-Horrorfilme der Achtziger im Kopf, Monster Squad und Gremlins, aber auch Filme wie Stand by Me. Die alte Sieben-Siegel-Reihe war ja bewusst sehr zeitlos gehalten. Es gibt darin keine Computer und Handys. Ich wollte damals etwas schreiben, das ich als Kind gern gelesen hätte. Also bin ich jetzt noch konsequenter vorgegangen und habe die neue Serie explizit 1983 angesiedelt: in dem Jahr, in dem ich selbst vierzehn war, genauso alt wie die Protagonist*innen.

Wie stark nimmt Audible Einfluss auf die Handlung?
Als einziger Autor bin ich bei beiden Serien im Grunde der Showrunner, jedenfalls auf der inhaltlichen Ebene, nicht auf der produktionstechnischen. Die Redaktion gibt mir lediglich dramaturgische Anmerkungen, genau wie ein gutes Buchlektorat.

Was beachtest du aus handwerklicher Sicht besonders beim Schreiben fürs Hören und die Serien?
Wann immer es geht, arbeite ich mit akustischen Elementen. Im Fall einer Horrorserie wie Sieben Siegel also mit Bedrohungen und Stimmungen, die sich akustisch vermitteln lassen. Das muss subtil bleiben, also nicht zum Selbstzweck werden. Andererseits schreibe ich auch längere Erzählerpassagen, wenn eine reine Inszenierung über Audioeffekte nicht funktionieren würde.
Ich war immer der Überzeugung, dass es in den meisten Hörspielen ein Fehler ist, keine Erzähler*innen einzusetzen. Es gab und gibt in der Szene endlose Diskussionen darüber. Gerade beim Radiohörspiel war es mal regelrecht verpönt, jenseits von Kinderhörspielen mit Erzählerpassagen zu arbeiten. Ich halte das für elitären Blödsinn, an dem vielleicht ein paar Puristen Spaß haben, aber nicht die normalen Zuhörer. Von daher: An erster Stelle muss immer stehen, dass die Hörer*innen verstehen, was gerade passiert. Und wie beim Film gilt auch hier: Es schadet nicht, wichtige Informationen zwei bis drei Mal zu liefern, weil beim Hören auch mal der Paketbote klingelt oder jemand im nächsten Auto hupt.

Was würdest du Autoren und Autorinnen raten, die auch gerne für Audible schreiben würden?
Ehrlich gesagt, weiß ich zu wenig darüber, nach welchen Kriterien bei Audible über neue Stoffe entschieden wird. Grundsätzlich gilt aber dasselbe wie überall: Man muss den Mut haben, selbst den verrücktesten Stoff anzubieten. Ich habe kürzlich ein Genre vorgeschlagen, das sofort rundheraus abgelehnt wurde. Ich verstehe die Reaktion und habe damit gerechnet, aber versuchen musste ich es trotzdem. Ansonsten wäre auch Imperator nie in Produktion gegangen: Rom in den Sechzigern, Dolce Vita und Via Veneto, Nachkriegsgeschichte und italienische Politik, das sind alles keine Trendthemen. Ich habe sie trotzdem vorgeschlagen, und in genau diesem Moment war die Zeit dafür eben günstig.
Sieben Siegel mag da deutlich kommerzieller klingen – die Achtziger und Young-Adult-Horror erleben gerade (zumindest im Film) einen Boom –, aber letztlich war das eine zwanzig Jahre alte Buchserie, deren Bände nicht mal mehr auf dem Markt sind. Eine Menge sprach dafür, manches auch dagegen. Solange man es gut und professionell präsentiert, bekommt vermutlich fast alles eine faire Chance. Und wenn es schiefgeht, sollte man gleich eine Alternative bereithalten.

 

Einblicke in den Writers’s’ Room
Oder: „Nach dem Lektorat ist erst Halbzeit“

Hanka Leo (www.lektographem.de), Freie Lektorin und neuerdings Audible-Showrunnerin, im Gespräch mit Christina Maria Schollerer

Buchlektorat versus Hörbuchlektorat: Was ist anders? Wie läuft die Arbeit im Writers’ Room? Welche Arbeitseinstellung sollten Autor*innen mitbringen? Was sind die Vor- und Nachteile der Arbeit für Audible?

Liebe Hanka, seit zehn Jahren bist du als Freie Lektorin von Bestsellerautor*innen wie Markus Heitz, Kai Meyer und Theresa Hannig erfolgreich. Seit zwei Jahren arbeitest du nun auch für Audible. Wie kam es dazu?
Das Gründungsquartett von Audible Originals bemühte damals seine Netzwerke, um Freiberufler*innen aus allerlei sprachaffinen Berufen zu akquirieren. Ich war ein Beifang in diesem Netz und angetan von der Möglichkeit, nach acht Jahren im Printbereich meine Arbeit in den Dienst eines für mich neuen Mediums zu stellen. Man gab mir zunächst einen kleinen Auftrag und – nach ausreichend Quengelei und Fürsprache von erfahreneren Kolleginnen – dann den allerersten Writers’ Room. Mittlerweile betreue ich drei Serien.

Was unterscheidet deine Arbeit bei Audible von deiner Arbeit für Buchverlage und Selfpublisher*innen? Wie hat sich deine Rolle als Lektorin verändert?
Meine Rolle ist mit den Anforderungen gewachsen und sie tut es weiter. In der klassischen Verlagsarbeit bekomme ich Skripte, lektoriere sie in Hinblick auf Dramaturgie und Stil, halte Rücksprache mit den Autor*innen, die das letzte Wort haben, und sende die fertigen Geschichten an die Verlage. Nach mir arbeiten lediglich der Satz und das Korrektorat noch am Text, bevor er gedruckt wird.
Bei Audible folgt auf die Textarbeit das Tonstudio. Dort passiert der zweite kreative Prozess am Werk: die Interpretation durch die Sprecher*innen und die Tonregie. Ich beachte beim Lektorat also zusätzlich Fragen wie: Ist das gut aussprechbar? Braucht es eine Anmerkung mit Lautschrift? Wie erleichtere ich den Sprecher*innen die Orientierung im Text? Welche Dinge können unerwähnt bleiben, weil sie beim Vorlesen redundant werden? (Ein Beispiel wären Dialogbeisätze wie „sagte sie langsam“ oder „schrie er“.)
Hinzu kommen Überlegungen, wie die Texte konsumiert werden. Schachtelsätze, die sich über zehn Zeilen ziehen und mehrmals gelesen werden wollen, bis sie sich erschließen, sind für das Hören eher ungeeignet. Auch kann ich als Zuhörerin nicht auf optische Hilfsmittel wie Karten oder gezeichnete Stammbäume zurückgreifen. Die Beschreibungen im Text sollten ohne buchtypische Gimmicks verständlich sein.

Welche Vor- und Nachteile bringt die Arbeit bei Audible mit sich?
Audible Originals produziert viele Serien, und Serie bedeutet: Großproduktion! Ich finde es angenehm, mich längere Zeit mit nur einem Stoff und mir vertrauten Autor*innen zu beschäftigen. Ein weiterer Vorteil sind die Fortbildungen. Audible rekrutiert Leute aus angrenzenden Berufsfeldern, aus Print, Drehbuch oder direkt aus der Schreibschule – und bildet sie dann in Workshops und Seminaren fort, um sie mit den Medien Hörbuch und Hörspiel vertraut zu machen. Das kostet uns Freiberufler*innen nichts außer Zeit, und dazu gibt es sogar ein leckeres Catering, selbst in der jetzigen Zeit, in der wir nur digital zusammentreffen.
Ein weiterer, nicht zu verachtender Vorteil: Seit ich regelmäßig für Audible arbeite, gehts auch meinem Konto besser.
Der Nachteil ist ein Nachteil für Leute, die ein Koordinations-, Flexibilitäts- oder Disziplinproblem haben: Die Zeitpläne sind strenger als im Buchverlagswesen. Dort werden meist lange Pufferzeiten eingeplant, die Herstellung ist in Flexibilität geübt, und wenn dann doch mal eine Schreibblockade oder Planungskrise die Fertigstellung des Buches verhindert, wird der Erscheinungstermin verschoben. Das ist nicht schön und nicht erwünscht, aber Buchverlage planen so lange im Voraus, dass sie diesbezüglich einiges möglich machen können. Bei einem Hörbuchverlag wie Audible ist das schwieriger, da ja nach dem Lektorat erst Halbzeit in der Produktion ist. Das Tonstudio muss reserviert und die Sprecher*innen müssen gebucht werden, und was eine Verschiebung des Veröffentlichungstermins um Monate für das durchgetaktete Marketing eines Amazon-Unternehmens bedeutet, mag ich mir nicht ausmalen.

Wie sieht ein Writers’ Room bei Audible aus?
Das ist in erster Linie tatsächlich ein Raum. Mit Wänden für bunte Zettel, auf denen Ideen festgehalten und sortiert werden, mit Stühlen, auf denen mehrere Kreative eben diese Ideen ausbrüten, und mit Tischen, auf denen Obst, Malzeug und ziemlich viel Süßkram liegt. Derzeit arbeiten wir allerdings ausschließlich im digitalen Raum zusammen, per Videokonferenz und Online-Board.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Autor*innen im Writers’ Room aus?
Je nach Zusammensetzung der Charaktere ist da zwischen Abiklausurstimmung und Flohzirkus alles möglich. Ich verstehe mich als vermittelndes, verbindendes, motivierendes Element – arbeite jedoch immer aufseiten der Geschichte. Soll heißen: Das Ergebnis ist mir wichtiger als die Eigenheiten der Schreibenden. Zudem habe ich das Privileg eines Writers’-Room-Leiters, der die Moderation und die Dramaturgie im Room während des Plottens im Blick hat. Anschließend geht’s in die Schreibphase und ich übernehme als Showrunnerin die Diskussion. Bei Uneinigkeiten habe ich das letzte Wort, anders als in der Lektorinnenrolle beim Buchverlag. Das fetzt schon, zugegeben.

Was müssen Autor*innen mitbringen, damit die Zusammenarbeit im Writers’ Room klappt?
Dieselbe Einstellung wie ich in diesem Fall: Die Geschichte steht im Vordergrund. Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht immer. Die Writers’-Room-Serien werden unter Sammelpseudonym veröffentlicht, was bedeutet, dass man sich als Autor*in nicht darauf berufen kann, mit seinem Namen für die eigene Geschichte einzustehen. Werden Ideen verworfen oder Plots umstrukturiert, um ins Gesamtwerk zu passen, sollten die Ideengeber*innen darüber nicht verzweifeln, sondern neue Ideen entwickeln.
Die Arbeit im Writers’ Room ist eine komplett andere als das klassische Schreiben an der eigenen Geschichte für einen Printverlag. Sie verlangt den Willen zur Teamarbeit, das Anerkennen strikter Aufgabenteilung, das Aufgeben persönlicher Eitelkeiten und die Bereitschaft, das Schreiben mehr als Handwerk denn als Genius zu verstehen.
Im Gegenzug erwartet einen ein strukturierter Arbeits- und Zeitplan und die Möglichkeit, mit Kolleg*innen an Stoffen zu arbeiten, deren Umsetzung in professionellen Händen liegt.

Was würdest du Autor*innen empfehlen, die für Audible in einem Writers’ Room schreiben wollen?
Genießt das gemeinsame Weiterentwickeln eurer Einfälle. Staunt, was andere aus euren Ansätzen machen; haltet sie auf, wenn sie sich verrennen. Lernt voneinander. Und schenkt der Geschichte ruhig eure Ideen. Sie wachsen nach.

www.storydesign.studio | [email protected] | @storydesign.studio

 

Autorin: Anke Gasch | www.frohes-schreiben.de[email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 146, Februar 2021
Blogbild: Carola Vogt

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 146, Februar 2021: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-12021
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