Plotten wie die Profis
Poppy J. Anderson hat in gut drei Jahren rund dreißig Titel veröffentlicht. Petra Schier meint, unter vier Romanen im Jahr könnten sich Autoren nicht finanzieren, und ergänzt ihre Verlagstitel mit selbst verlegten Büchern. Vier Bücher pro Jahr? Sogar mehr? Autorinnen und Autoren, die am Anfang ihrer Karriere stehen, halten einen so hohen Output für unmöglich. Mit viel Routine und den richtigen Techniken lässt sich jedoch die Produktivität erhöhen, ohne dass die Qualität leidet.
Zu diesen Techniken gehört das Plotten. Dem an Effizienz orientierten Autor stehen vier Werkzeuge zur Verfügung, mit denen er seine Arbeit beschleunigen – und auch qualitativ verbessern kann: Ausarbeitung der Grundidee, Figurenübersicht, Exposé und Treatment.
Grundidee
Jede Autorin, jeder Autor kennt die Grundidee. Sie bringt uns zum Schreiben. Ein Gedanke, ein Bild, eine Sehnsucht – was auch immer am Anfang eines Romanmanuskripts steht. Das Potenzial einer Grundidee zu erkennen und sie effizient und zielgerichtet in einen Roman zu verwandeln, unterscheidet den Selfpublisher mit umfangreicher Backlist vom Hobbyautor. Wichtig ist zu lernen, wie aus der Grundidee ein spannender Plot entsteht, der in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einem Roman werden kann.
Figurenübersicht
Der Plot entwickelt sich aus den Handlungen der Figuren. Ganz gleich, wie die Grundidee aussieht – effiziente Autoren fragen sich so schnell wie möglich: Wer ist der Held, der das mysteriöse Rätsel lösen soll, das die Grundidee des Romans ist? Wer kann ihm beim Lösen des Rätsels helfen? Wer ist der Schurke, der sich das Rätsel ausgedacht hat oder den Helden daran hindern will, es zu lösen? Wer hilft dem Schurken dabei, seinen finsteren Plan umzusetzen?
Arbeiten Sie auf diese Weise an Ihrer Grundidee, entstehen beim Entwickeln der Figuren Ideen für den Plot, die Sie am besten auf Notizzetteln oder in einem Notizbuch festhalten. Wenn die Figurenübersicht fertig ist, haben Sie wertvolles Material gesammelt, in dem sich der Plot für den Roman versteckt. Diese Skizzen sind in der Regel sehr ungeordnet. Die Fragmente in eine strukturierte Handlung zu übersetzen, ist Plotten.
Exposé
Beim Strukturieren kann ein Exposé helfen. Vor allem, wenn Sie es verfassen, bevor Sie den Roman schreiben. Ein Exposé enthält unter anderem eine komprimierte und geordnete Übersicht des Plots. Wer handelt wie mit welchem Ziel und wie geht das Ganze aus? Es kann beim Plotten helfen, die ersten Ideen auf ein bis zwei Seiten aufzuschreiben, sie damit zu ordnen, zu entwickeln und das geeignete Material von ungeeignetem zu trennen.
Treatment
Während das Exposé eine grobe Struktur der Handlung mit wenigen Figuren wiedergibt, ist das Treatment eine detaillierte Übersicht des Romans – Kapitel für Kapitel. Ähnlich wie bei einem Klappentext entsteht dabei eine Beschreibung jedes Kapitels in fünf bis zehn Sätzen.
Mit einem solchen Treatment lässt sich nicht nur überprüfen, ob die Handlung des Romans funktioniert – bevor Sie vierhundert Seiten oder mehr Manuskript produziert haben –, sondern Sie können damit die Handlung des Romans entwickeln, ordnen, vertiefen und im Detail verbessern.
Aber wie entsteht aus dem Chaos von Einfällen, die sich im Notizbuch befinden, eine zusammenhängende Geschichte? Dabei können Handlungsstrukturen eine Hilfe sein. Sie sind das Skelett einer Story.
Das Sieben-Punkte-System
Stellvertretend für andere Plotstrukturen erläutere ich das Sieben-Punkte-System des amerikanischen Autors Dan Wells, weil ich es für das praktischste halte, das sich für eine Vielzahl von möglichen Geschichten eignet. Andere bekannte Handlungsstrukturen sind das Drei- oder Fünf-Akte-Schema. Diese sind aber recht grob.
Das Sieben-Punkte-System ist einerseits so detailliert, dass Ideen sinnvoll strukturiert werden können. Andererseits ist es nicht so ausführlich, dass kein kreativer Spielraum bliebe.
Eine Tabelle zum Sieben-Punkte-System von Dan Wells finden Sie in der Printausgabe des »selpublishers«, Heft 3, September 2016.
Handlungsstrukturen wie das Sieben-Punkte-System sind nicht jedermanns Sache. Manche Autoren gewinnen den Eindruck, dass sie ihre Kreativität einengen würden. Doch das muss nicht heißen, dass sie ganz ohne Hilfsmittel arbeiten müssen, die ihren Schreibprozess effizienter gestalten.
Die „Ja, aber …“- und „Nein, und …“-Methode
Diese einfache Plothilfe, die den Schreibprozess effizienter gestaltet, ohne dass Sie das Geschehen minutiös vorausplanen müssten, funktioniert ungefähr folgendermaßen:
1. Die Ausgangssituation
In der ersten Szene muss es eine Frage geben oder ein Ziel, das die Perspektivfigur erreichen will. Außerdem muss es ein Hindernis geben, das sie überwinden muss, um ihr Ziel zu erreichen.
Nehmen wir an, unsere Hauptfigur, das schüchterne Mauerblümchen Priscilla, hat im Büro ihren Traummann Jonah erspäht. Zu ihrem Unglück nimmt Jonah keinerlei Notiz von ihr. Aber Priscilla ist entschlossen, ihren Märchenprinzen zu erobern. Sie überwindet ihre Schüchternheit und fragt Jonah, ob er mit ihr einen Kaffee trinken gehen will.
2. „Ja, aber …“
Spannend wird es, wenn die grundlegende Frage einer Szene nicht nur mit Ja oder Nein beantwortet wird. Die Dramatik eines Romans lebt von Komplikationen. Die entstehen, wenn die zentrale Frage der Szene zum Beispiel mit „Ja, aber …“ beantwortet wird.
Ja – Jonah möchte liebend gerne mit Priscilla einen Kaffee trinken gehen, aber – als sie ihm im Café gegenübersitzt, entdeckt sie erstmals den Ring an seinem Finger. Wie geht es weiter? Ist Jonah verheiratet oder nicht? Falls ja – ist Priscilla bereit dazu, seine Geliebte zu werden? Falls nicht – warum trägt er dann den Ring? Ist er Witwer? Oder nur verlobt? Mysteriöser?
Oder: Ja – Jonah sagt zu, aber – er erscheint nicht zur Verabredung. Was hat ihn aufgehalten? Wie verhält sich Priscilla?
3. „Nein, und …“
Andere Möglichkeit: Nein – Jonah möchte nicht mit Priscilla ins Café gehen. Damit wäre die Geschichte vorbei. Es muss noch etwas anderes geschehen. Und – er deutet an, dass er Priscilla sympathisch findet, zurzeit aber keinen Kopf für eine neue Beziehung hat, weil er gerade eine Trennung hinter sich hat.
4. Ein nicht endender Kreislauf
Priscilla lässt nicht locker. Sie backt zu Hause Kekse, weil sie weiß, dass Jonah am nächsten Tag Geburtstag hat. Am nächsten Morgen überrascht sie ihn damit – Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Wird Jonah diese Geste zu schätzen wissen und seinen Panzer ablegen?
Ja – er freut sich so sehr über diese Aufmerksamkeit, dass er breit grinsend in den ersten Keks beißt, aber – er schwillt kurz darauf rot an. Erdnusscookies? Wie kann sie ihm das antun! Er ist doch allergisch! Will sie ihn umbringen?
Nein – Jonah lehnt die Aufmerksamkeit höflich, aber bestimmt ab. Er will Priscilla keine Hoffnungen machen. Und – sie lässt sich etwas Neues einfallen. Sie weiß, dass er abends eine Party schmeißt und setzt alles daran, sich auf die Gästeliste zu schmuggeln. Wird ihr das gelingen? Ja, aber ... oder nein, und?
Schnell entwickelt sich auf diese Weise ein Plot voller Hindernisse und Wendungen. Der Schreibprozess wird ständig vorangetrieben, schneller und effizienter gestaltet, ohne dass Sie im Vorfeld viel planen müssen.
Autor: Marcus Johanus | www.marcus-johanus.de
In: der selfpublisher, Heft 3, September 2016