
Lies oder stirb! – Willkommen im Thriller
Au weia! Das wird kein gutes Ende nehmen. Das Böse surft auf einer Erfolgswelle, während die Helden irgendwo in einem schmutzigen Loch an einen Heizkörper gekettet sind oder, fast noch schlimmer, entspannt am Strand liegen und gar nicht wissen, was da mit der Wucht eines Tsunamis auf sie zu rollt. Hilflos verfolgen wir das Geschehen. Keine Ahnung, wie der Held oder die Heldin das Ruder herumreißen soll, aber die Erfahrung sagt uns – es wird auch dieses Mal wieder gut ausgehen.
Willkommen im Thriller, der äußerst erfolgreichen Tochter des Krimis! Wo der Krimi intellektuellen Kitzel erzeugt, fährt uns der Thriller direkt in den Bauch.
Krimi oder Thriller?
Vielen AutorInnen fällt es schwer zu identifizieren, was sie da geschrieben haben – einen Thriller oder einen Krimi. Denn oftmals weisen spannende Romane Elemente beider Genres auf.
Die Definition des Thrillers funktioniert nur in Abgrenzung zum Krimi. Im klassischen Kriminalroman steckt das Wichtigste schon im Titel: Der Held, viel zu selten die Heldin, ist meist ein Ermittler. Im Thriller kann es jeden treffen – meist werden ganz unbedarfte „Normalsterbliche“, die nichts in ihrem Leben weniger wollten, als eine Leiche zu sehen, in haarsträubende Ereignisse hineingezogen und entwickeln darin notgedrungen ihre Heldenqualitäten. Im Krimi heißt es „Räuber gegen Gendarm“ – im Thriller kann es durchaus auch „Räuber gegen Räuber“ heißen. Je persönlicher die Beziehung zwischen Held und Gegenspieler, desto mehr Thriller-Elemente lassen sich verorten. Schon Altmeister Arthur Conan Doyle hat erkannt, wie viel spannender es ist, wenn Sherlock eine persönliche Rechnung mit Moriarty zu begleichen hat, als wenn er einen namen- und belanglosen Verbrecher jagt. Man könnte also behaupten, Doyle hätte schon typische Thriller-Elemente genutzt.
Welchen Ausschnitt der Geschichte erzählen Sie? Haben Sie einen Krimi geschrieben, beginnen Sie vermutlich nach der Tat und legen einen Schwerpunkt auf die Aufklärung. Wenn Ihr Ermittler sich bei der Aufklärung selbst in Gefahr bringt, haben Sie damit ein typisches Thriller-Element verbaut. Ihre Geschichte endet mit der Aufklärung der Tat und der Festnahme des Täters.
Haben Sie einen Thriller geschrieben, sind wir als Leser vielleicht live dabei, wenn das Verbrechen geschieht. Womöglich kennen wir sogar das Opfer und haben das Unheil gesehen, das sich über ihm zusammenbraut – Sie haben hier das Spannungsmittel der „Antizipation“ verwendet. Wir Leser sehen den Tsunami, während der Held noch seine Zehen in den warmen Sand buddelt. Der Spannungshöhepunkt Ihrer Geschichte besteht darin, dass der Held oder die Heldin gerade noch so mit dem Leben davonkommt und die Bedrohung abwendet.
Was die Bedrohung betrifft, können Sie im Thriller so richtig aus dem Vollen schöpfen. Ist der rätselhafte Mord an dem Besitzer einer Großbrauerei eher etwas für den Krimi-Kollegen, können Sie im Thriller weltumspannende Bedrohungen schildern. Nichts ist zu heftig (wenn Sie es nur logisch herleiten): Sie können mit Atomschlägen drohen, Flugzeuge entführen lassen, sogar Aliens ins Boot holen, wenn Ihnen danach ist. Und oft ist es Klaus Müller von nebenan, den das Schicksal in die Mitte der Ereignisse katapultiert. Die Last der Welt liegt auf den Schultern von Klaus, dem Fliesenleger.
Hauptsache Spannung!
Doch nicht nur der Stoff macht den Thriller. Man kann auch die Geschichte einer Flugzeugentführung so schildern, dass den Lesern die Füße einschlafen. Ein Thriller kennzeichnet sich durch den gekonnten Einsatz von Spannungstechniken.
- Antizipation: Die hatten wir weiter oben schon. Der Leser weiß mehr als die handelnden Figuren und sieht ein Unheil, dessen sich die Figuren nicht bewusst sind.
- Cliffhanger: Der böse Weltherrschaftsaspirant hat Klaus, den Fliesenleger, gerade über den Rand der Klippe geschubst. Klaus hält sich an einer dünnen Wurzel, unter seinen Füßen nichts als Luft und die Aussicht auf einen harten Aufprall. Und Sie lassen Klaus buchstäblich hängen und spinnen erst mal einen parallelen Handlungsfaden weiter.
- Gleichzeitigkeit von erzählter Zeit und Erzählzeit: Klingt langweilig, ist aber ein nicht zu unterschätzendes Spannungsmittel. Viele Thriller sind so konzipiert, dass für den Leser während des Lesens in etwa die gleiche Zeit vergeht wie für die handelnden Figuren. Wir als Leser sind damit hautnah an den Figuren dran, sind jeden Schritt bei ihnen. Das muss man allerdings können – schließlich wollen Leser ihre Figuren nicht aufs Klo begleiten.
Und was ist mit Gewalt?
Gewalt kann, muss aber nicht stattfinden. Und schon gar nicht ist sie ein Spannungsmittel. Sie dient höchstens dazu, die Grausamkeit oder Skrupellosigkeit eines Bösewichtes zu illustrieren. Denken Sie an den Film „Das Schweigen der Lämmer“: Spannung ist nicht, wenn das Blut spritzt. Spannung ist, wenn das Gesicht der FBI-Agentin, die den Psychopathen befragen soll, unsere eigenen Urängste spiegelt. Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, die Unberechenbarkeit des Gegners – daher kommt die Spannung. Mit ausgedehnten Gewaltorgien befriedigen Sie höchstens die Sensationslust Ihrer Leser – auch das ist völlig legitim, muss aber im Rahmen eines Thrillers nicht stattfinden. Es sei denn, Sie hätten einen Horrorthriller geschrieben.
Spielarten der Spannung:
- Horrorthriller
Es fließt Blut. Gedärme quellen aus aufgerissenen Bauchdecken. Tote sind nicht tot, sondern Zombies, und Fliesenleger Klaus ist mittendrin.
Vertreter: Clive Barker, Joe Hill, Brian Keene, Stephen King, Dean Koontz, Vincent Voss- Politthriller
Klaus, der Fliesenleger, kommt einer weltumspannenden Verschwörung der Regierungen auf die Spur. Und niemand will ihm glauben.Vertreter: John le Carré, Clive Cussler, Robert Harris, Stieg Larsson, Alex Berg
- Psychothriller
Fliesenleger Klaus muss sich seinen tiefsten Urängsten, seinen inneren Dämonen stellen und diese besiegen, um zu überleben und seine Mitmenschen zu retten.Vertreter: Tess Gerritsen, John Katzenbach, Cody McFadyen, Michael Robotham, Karin Slaughter, Minette Walters, Sebastian Fitzek
- Katastrophenthriller
Ein Meteorit rast auf die Erde zu. Oer-Erkenschwick im Ausnahmezustand. Fliesenleger Klaus versucht, sich und seine Familie in Sicherheit zu bringen, doch es gibt keine Sicherheit. Nirgends.
Vertreter: Karl Olsberg, Tibor Rode, Frank Schätzing- Wissenschaftssthriller
Eine Gruppe hochbegabter junger Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen wird entführt und gezwungen, eine neuartige Hosentaschen-Atombombe zu entwickeln. Klaus ist keiner davon, aber er hat das Labor gefliest und weiß jetzt mehr, als gut für ihn ist.
Vertreter: Michael Crichton, Patrick Lee, Daniel Suarez, Marc Elsberg- Verschwörungssthriller
Die Illuminaten. Es gibt sie wirklich, und sie stehen kurz vor der Übernahme der Weltherrschaft. Und Klaus hatte sich schon gewundert, wo plötzlich all die dreieckigen Fliesen herkommen.Vertreter: Dan Brown, Thomas Gifford, Raymond Khoury, Andreas Eschbach
- Erotikthriller
Klaus, der Fliesenleger, entdeckt, dass seine attraktive Praktikantin heimlich über seinen Betrieb Geldwäsche betreibt, und ... na, für den Rest haben Sie sicher genug Fantasie.
Vertreter: Sandra Brown, Mark Franley, Shannon McKenna
Autorin: Susanne Pavlovic | www.textehexe.com
In: der selfpublisher, Heft 3, September 2016