
Der öffentlich-rechtlichen Rundfunk streicht immer mehr Literatursendeplätze. Wie jetzt bekannt wurde, soll es beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) ab März 2021 auf dem Kultursender WDR 3 unter der Woche keine festen Programmplätze für Literaturthemen mehr geben. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der PEN protestieren dagegen. Wer möchte, kann sich an einer Petition der Literaturkritikerin Insa Wilke beteiligen und gegen die Streichungen protestieren.
Wie die Literaturkritikerin Insa Wilke in ihrer Petition, siehe unten, erklärt, werden allein durch den Wegfall der Sendung „WDR3 Mosaik“ im Jahr um die 250 Bücher weniger besprochen. In der Petition heißt es: »Wer die Möglichkeiten der Vermittlung einschränkt, schadet der ganzen Branche.« Der WDR predige Diversität und kulturelles Engagement, sein Handeln aber spreche eine andere Sprache.
Der Börsenverein fordert, es dürfe keinen Sendeschluss für Bücher geben
Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, erklärt: „Nicht erst während der Coronakrise hat sich gezeigt, wie wichtig Bücher für die Menschen sind: Sie vermitteln Wissen, regen Debatten an, geben Halt und Orientierung. Die Buchbranche bringt mit großem Engagement Bücher zu den Menschen. Die Menschen brauchen unbedingt das öffentliche Gespräch über Literatur, um Anregung und Orientierung zu finden – und das zählt zum genuinen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“
Bereits 2020 strich der WDR den „Literaturmarathon“ auf WDR 5 aus dem Programm. Zuvor entschied der Norddeutsche Rundfunk im Mai 2020, die Literatursendung „Bücherjournal“ einzustellen. Öffentlich-rechtliche Sendeplätze für Buchthemen gingen in den vergangenen Jahren auch durch die Streichungen anderer ARD-Anstalten wie dem BR Fernsehen („Lesezeichen“, „Lido“, „Südlicht“, „Gottschalk liest“) und dem SWR Fernsehen („Lesenswert Sachbuch“) verloren.
Auch der deutsche PEN zeigt sich entsetzt
Um die Vielfalt der Literatur und deren Rezeption weiterhin zu gewährleisten, sei es nach Meinung des PEN vielmehr dringend geboten, die Literaturberichterstattung auszubauen.
„Der Rückgang der Lesekultur wird inzwischen vielfach beklagt. Diesen Trend nicht nur zu stoppen, sondern Leselust zu wecken, ist eine wichtige Aufgabe für die öffentlich-rechtlichen Sender. Ich bitte den WDR zu erklären, wie er diesen Verlust an Kultur ausgleichen wird“, so PEN-Generalsekretär Heinrich Peuckmann.
Die Literaturkritikerin Insa Wilke hat am 22. Januar 2021 eine Petition an WDR gestartet. Dort heißt es [hier der Wortlaut]:
Petition an den WDR von Literaturkritikerin Insa Wilke
»Literaturkürzung im WDR stoppen
Sehr geehrter Tom Buhrow, sehr geehrte Valerie Weber, sehr geehrter Matthias Kremin,
als es im März 2020 zum ersten Lockdown kam, dachte WDR3 an seine freien Autor*innen. Aufträge wurden nicht abgesagt, sondern konnten von Zuhause aus produziert werden. Im WDR wurde ein Krisenstab eingerichtet, der seine Hilfsangebote ausdrücklich auch an die freien Mitarbeitenden richtete. – Eine solche Solidarität erlebt man als Freiberuflerin selten.
Wir „Freien“ wiederum unterstützten den WDR. Wir rüsteten auf eigene Kosten technisch auf und zeigten uns flexibel, um den Sendebetrieb mit aufrecht zu halten.
Es scheint, als habe die Solidarität des WDR jetzt auch ihre Grenzen erreicht – wie es bei anderen Sendern schon längst der Fall ist. Am vergangenen Freitag wurden wir von der Literaturredaktion – nicht von den Entscheidungsträgern – davon in Kenntnis gesetzt, dass die tägliche Buchrezension ersatzlos gestrichen werde. Neue Aufträge seien nicht zu erwarten, die Literatur werde bei WDR3 zwar noch eine Rolle spielen, aber in geringerem Umfang. Neue Formate wurden nur vage in Aussicht gestellt.
Wenn die tägliche Buchrezension im „WDR3 Mosaik“ wegfällt, bedeutet das: Es werden im Jahr um die 250 Bücher weniger besprochen. Viele Verlage werden mit ihren Büchern im „Kulturradio“ WDR3 gar nicht mehr vorkommen. Absehbar ist, dass nur noch die wenigen vermeintlich „wichtigen“ Buchtitel besprochen werden. Bücher also, die ohnehin im Gespräch sind. Erfüllt WDR3 so seinen Kulturauftrag? Will man so in der Zukunft als Kultursender bestehen?
Bücher sind kein Luxusgut und die Buchbranche und ihre Konsument*innen keine Nischenbewohner. Die Buchbranche ist ein Wirtschaftszweig, der 2019 über neun Milliarden Euro Umsatz gemacht hat. Dazu tragen Literatur und Sachbuch den Löwenanteil bei. Buch-Lesezeiten steigen in allen Altersgruppen, der Independent-Buchhandel legt zu, das Bedürfnis nach Beratung steigt also. Allein in Buchhandlungen und Verlagen sind mehr als 50.000 Menschen beschäftigt – Leute wie wir (Beschäftigte in Literaturkritik und Literaturvermittlung) also nicht mitgerechnet, von Autorinnen und Autoren ganz zu schweigen. Wer die Möglichkeiten der Vermittlung einschränkt, schadet der ganzen Branche.
Ihre Entscheidung bedeutet die Einschränkung einer demokratischen Öffentlichkeit auf dem Feld der Kultur. Es werden weniger Bücher Aufmerksamkeit bekommen, es werden weniger Perspektiven auf sie sichtbar werden. Der WDR predigt Diversität und kulturelles Engagement, sein Handeln spricht eine andere Sprache.
Es fällt uns schwer, diese Entscheidung in diesen Zeiten nicht als zynisch aufzufassen. Zeiten, in denen die Sendeanstalten mit den von ihnen Abhängigen solidarisch sein sollten. Zeiten, in denen Literatur eines der wenigen kulturellen Erzeugnisse ist, das auch im Lockdown wahrgenommen werden kann, sofern die Vermittlungsformen intakt bleiben.
Bei allem Verständnis für die schwierige finanzielle Situation, in die der Öffentlich-rechtliche Rundfunk durch die Blockade des neuen Rundfunkbeitrags gekommen ist; bei allem Verständnis für die missliche Lage, in die heutige Entscheidungsträger durch die enormen Ausgaben für Renten infolge der aufgeblähten Apparate der 80er Jahre geraten sind: Wir halten die Entscheidung, ausgerechnet die günstig zu produzierenden Literatursendungen zu reduzieren, für falsch.
Was darüber hinaus schmerzt: die Unterschätzung der WDR3-Hörer*innen. Offenkundig gehen die Entscheidungsträger im WDR davon aus, dass das Publikum nicht mehr in der Lage ist, sechs Minuten lang einer schlüssigen Argumentation zu folgen. Oder ist das frühere Kernpublikum des „Kulturradios“ WDR3 gar nicht mehr die Zielgruppe des Senders?
Wenn Sie, liebe Valerie Weber, lieber Tom Buhrow und lieber Matthias Kremin, Ihre Hörer*innen als träge Masse sehen: Sie täuschen sich.
Liebe Kölnerinnen und Kölner, liebe Rheinländerinnen, Westfalen und Bewohner des bundesweiten WDR-Sendegebiets, liebe Kolleginnen und Kollegen und Leser*innen darüber hinaus: Wir bitten Sie, Frau Weber, die beiden Herren sowie den WDR-Verwaltungs- und Rundfunkrat vom Gegenteil zu überzeugen. Die Entscheidung, die Sendeplätze für Literatur und Sachbücher zu reduzieren und die tägliche Rezension zu streichen, muss entweder zurückgenommen werden oder es muss ein schlüssiges Konzept vorgelegt werden, wie weiterhin gewährleistet wird, die Vielfalt der Literatur und ihrer Rezeption abzubilden.
Mit freundlichen Grüßen«
Wer möchte, kann diese Petition hier unterschreiben: www.change.org/p/wdr-literaturkürzung-im-wdr-stoppen
Links:
www.change.org/p/wdr-literaturkürzung-im-wdr-stoppen
www.boersenblatt.net/news/literaturszene/kein-sendeschluss-fuer-buecher-162637
www.pen-deutschland.de/de/2021/01/27/pen-protestiert-gegen-geplante-kuerzung-von-wdr-3-literaturkritiken/
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