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Offener Brief der Literaturübersetzer:innen zur KI-Verordnung der EU

Branchen-News
Sandra Uschtrin
Die literarischen Übersetzer:innen waren vor Künstlicher Intelligenz, die Texte erstellt, und setzen sich für deren Regulierung ein

In einem Offenen Brief warnen die literarischen Übersetzer:innen vor Künstlicher Intelligenz, die Texte erstellt. Die KI bedrohe nicht nur ihre Existenz, sondern auch die Demokratie. Es sei dringend notwendig, textgenerierende KI zu regulieren.

Die Literaturübersetzer:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben am 27. Februar 2024 einen Offenen Brief zur KI-Verordnung der EU veröffentlicht. Dieser kann auch als Petition unterschrieben werden. Der vier Seiten lange Brief enthält unter anderem ein »Manifest für menschliche Sprache«, siehe unten.

Der Offene Brief richtet sich an die »Repräsentant:innen Deutschlands und Österreichs in der EU« und an alle, die ihn lesen möchten. Hier Auszüge davon.

Auszüge aus dem Offenen Brief der Literaturübersetzer:innen

»Wir betrachten textgenerierende Künstliche Intelligenz als Technologie mit systemischem Risiko und halten eine starke Regulierung für unbedingt notwendig.« Denn: »Künstliche Intelligenz ist keine Intelligenz, denn zu dieser gehört auch emotionale, moralische, soziale, ästhetische Intelligenz, praktische Vernunft und die Erfahrung, die sich aus Körperlichkeit und Bewegung speist. Insofern ist die technische Entwicklung von Sprachbots auch nicht als „Fortschritt“ zu bezeichnen. Gleichzeitig ist mit dieser die größte Konzentration an Daten, Kapital und Macht der
Menschheitsgeschichte entstanden, eine nicht nur politisch hochproblematische Situation. Auch der Energiehunger der KI-Systeme ist enorm. So stellt sich in vielerlei Hinsicht die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Systeme.« [...]

»Wenn nicht mehr der Mensch, sondern die Technik im Mittelpunkt steht, werden wir zu Zuarbeiter:innen von Maschinen degradiert. Die Kosten für Sprachverfall und soziale Verwerfungen tragen wir und die Gesellschaft, während KI-Konzerne die Gewinne einfahren. Damit könnte nicht nur der Beruf des Literaturübersetzens unattraktiver werden. Wir würden eine Kulturtechnik aufgeben, die darauf beruht, dass Menschen aus allen Nuancen der Sprache schöpfen und sich über Texte begegnen und erfahren. Förderstrukturen und Ausbildungswege würden gefährdet, das Wissen der Übersetzenden würde gar nicht erst erworben werden können. Netzwerke und Institutionen könnten ihre Funktion verlieren, Übersetzende als intime Kenner:innen der Literaturszenen ausfallen – gerade bei kleineren Sprachen wäre das fatal.«

»Menschliche Sprache ist ein fragiles, leicht zu missbrauchendes Gut. Simulieren Maschinen menschliche Sprache, werden sie nicht nur als denkende Wesen fehlinterpretiert, sondern auch aktiv für Manipulation in Politik und Weltgeschehen eingesetzt. Ein Weltbild, das davon ausgeht, man könne den Menschen als Maschine nachbilden, birgt zudem die Gefahr, dass man Menschen auch wie Maschinen behandelt.«

Forderungen der Literaturübersetzer:innen in Sachen KI

Die Literaturübersetzer:innen fordern in dem Offenen Brief konkret:

1. die Regulierung von generativer KI

  • Keine Sprachautomation ohne Offenlegung ihrer Funktionsweise und Trainingsdaten.
  • KI-Anbieter müssen klar angeben, welche urheberrechtlich geschützten Werke sie beim Training verwendet haben.

2. den Schutz von Urheberrechten

  • Kein KI-Training mit unseren Werken gegen unseren Willen.
  • Kein KI-Training mit unserer Arbeit ohne angemessene Bezahlung.

3. Transparenz und Mitbestimmung

  • KI-generierte Buchinhalte nur in Absprache zwischen Verlag, Autor:innen und Übersetzer:innen.
  • Kennzeichnungspflicht von reinen KI-Inhalten.

4. gezielte Förderung von Kulturarbeit

  • Literaturförderung nur für Menschen und ihre Werke.
  • Technikförderung darf nicht auf das Ersetzen von menschlicher Kreativität abzielen, sondern auf ihre Unterstützung.
  • Die Kulturtechnik des literarischen Übersetzens muss bewahrt und gestärkt werden, damit Weltliteratur nachhaltig geschaffen werden kann.

5. Rahmenbedingungen für eine mündige Leser:innenschaft

  • Kennzeichnung durch Namen auf dem Buchcover: Menschliche Übersetzer:innen müssen auf den ersten Blick erkennbar sein.
  • Die Politik und die Zivilgesellschaft sind in der Pflicht, kritische Technik- und Sprachkompetenz zu fördern.

6. einen schonenden Umgang mit Ressourcen

  • Der ökologische Fußabdruck von KI-Software darf nicht ignoriert werden.

7. gerechte Arbeitsbedingungen in der digitalen Welt

  • Alle Menschen, die an und mit KI arbeiten, brauchen dafür ethisch vertretbare Bedingungen und eine angemessene Vergütung.

Manifest für menschliche Sprache

  1. Menschliche Kreativität, sinnliche Erfahrung, Individualität, Weltwissen und das Bedürfnis nach Austausch sind für die Lebendigkeit von Sprache essenziell und erschöpfen sich nicht in zerlegbaren und berechenbaren Prozessen.
     
  2. Textgenerierende KI strebt die Ununterscheidbarkeit von Menschen- und Maschinensprache an und ist deshalb nicht als Werkzeug konzipiert, sondern als Ersatz für menschliche Kompetenz.
     
  3. Botsprache reproduziert immer nur den Status quo. Sie vervielfältigt Vorurteile, hemmt die Kreativität, die dynamische Weiterentwicklung von Sprachen und den Erwerb von Sprachfähigkeiten.
     
  4. Maschinelle Übersetzungssysteme beruhen unter anderem auf der nicht autorisierten, nicht honorierten und nicht gekennzeichneten Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken, das heißt auf geistigem Eigentum und menschlichen Fähigkeiten, die in jahrelangen Lebens- und Ausbildungszeiten erworben wurden.
     
  5. Maschinensprache täuscht die Leser:innenschaft über Autorschaft und Wahrheitsanspruch. Die Bezeichnung „Übersetzung“ wird im Kontext von KI-Systemen für eine Maschinensprache verwendet, hinter der keine Person steht und die nichts mit der genauen, reflektierten und verantwortungsvollen Arbeit einer menschengemachten Literaturübersetzung gemein hat.
     
  6. Damit wird u.a. das Ökosystem des Literaturbetriebs geschädigt, in und von dem Sprachschöpfende leben, Ausbildung und Austausch organisieren und das Wissen und die Wissenschaft vom Übersetzen entwickeln. Damit wird die Produktion von Weltliteratur gefährdet – denn diese wird von Übersetzenden gemacht.

Verbände der Literaturübersetzer:innen im deutschsprachigen Raum

Verfasst wurde der Offene Brief von diesen drei Verbänden, die im deutschsprachen Raum für literarische Übersetzerinnen und Übersetzer aktiv sind:

  • A*dS – Autorinnen und Autoren der Schweiz
  • IGÜ – Interessengemeinschaft von Übersetzerinnen und Übersetzern literarischer und wissenschaftlicher Werke (Österreich)
  • VdÜ – Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke (Deutschland)

Blogbild: Gerd Altmann,Pixabay