
Das Netzwerk Lyrik begrüßt die Diskussion um die Einrichtung der Position einer Parlamentspoetin im Deutschen Bundestag. Es spricht sich für eine solche Stelle aus. Gleichzeitig plädiert das Netzwerk Lyrik für eine Neuausrichtung der Lyrikförderung.
Zu Beginn des Jahres kam es zu einer öffentlichen Debatte, inwiefern es sinnvoll sei, die Position einer Parlamentspoetin einzurichten. Die Autor*innen Simone Buchholz, Dmitrij Kapitelman und Mithu Sanyal hatten die Schaffung einer solchen Position angeregt.
In einer Pressemitteilung vom 17. Januar 2022 schreibt das Netzwerk Lyrik, es verfolge mit Interesse diese Debatte.
»Mit Freude haben wir die Reaktion von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt aufgenommen, ›mit Poesie einen diskursiven Raum zwischen Parlament & lebendiger Sprache öffnen‹ zu wollen. Und wir freuen uns, im Magazin Der Spiegel lesen zu dürfen: ›Mehr Macht der Lyrik – dem würde wohl niemand widersprechen. Und jede Idee, das zu erreichen, ist erst mal gut.‹ Zudem können wir aus unserer Sicht Katrin Göring-Eckardt nur bestätigen, wenn es in einem Beitrag auf Twitter heißt: ›Wenn Dichter und Denker mitreden, dann wird im besten Fall klarer, tiefer, vielleicht manchmal heiterer oder wütender gesprochen werden.‹
Das Netzwerk Lyrik e.V. unterstützt eine breit geführte Diskussion um die Position einer ›Poet laureate‹, in die unbedingt auch Dichter*innen einbezogen werden sollten. In verschiedensten Ländern – von den USA über Kanada bis Belgien – sind mit unterschiedlichsten Modellen sehr gute Erfahrungen gemacht worden. Dabei gilt es aber aus unserer Sicht von vornherein auf ein rein repräsentatives Verständnis der Position zu verzichten. Aufgabe der Poesie kann in einem demokratischen Staat keine auftragsgemäße ›Übersetzung‹ politischer Inhalte in poetische Sprache sein. Jedoch betreibt die Lyrik – als Kunstform der Sprache – Sprachreflexion und Sprachkritik. Ob digital oder klassisch als Buch, ob als Klangereignis oder Installation, ob vielsprachig-spielerisch oder lakonisch knapp: Die Poesie hält sprachliche Räume für kritisches und freies Denken offen. Damit ermöglicht sie nicht zuletzt eine inter- wie intrakulturelle Verständigung über die Formen tagtäglichen politischen Handelns. In Zeiten der Krise kann sie Raum für emotionalen Respons und kritische Reflexion bieten, wie sie vielleicht gerade heute dringend gebraucht werden.
Bedarf einer Neuausrichtung von Lyrikförderung via Lyrikfonds
Die Idee, eine einzelne Position zu schaffen, darf allerdings nicht gegen den tiefgreifenden Bedarf einer strukturellen Neuausrichtung von Lyrikförderung ausgespielt werden. Diese Neustrukturierung, das haben die Studie zur Einkommenssituation von Dichterinnen in Deutschland und zuletzt die Pandemie gezeigt, muss Vorrang haben. Das Netzwerk Lyrik hat hierfür ein Konzept für einen Lyrikfonds erarbeitet, das der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Claudia Roth, vorliegt (die Studie und das Konzept sind einsehbar unter www.netzwerk-lyrik.org/diskurs). Insbesondere soll der Lyrikfonds dauerhafte, bedarfsgerechte Strukturen für eine zeitgemäße Unterstützung der Lyrikschaffenden gemäß ihrer jeweiligen medialen Tätigkeitsfelder etablieren. Der Lyrikfonds betrachtet außerdem die Stärkung von Distribution und poetischer Öffentlichkeit sowie die weitere Intensivierung des internationalen poetischen Diskurses und der poetischen Bildung auf allen gesellschaftlichen Ebenen als seine Aufgabe. Der Diskussion und der etwaigen Ausgestaltung einer ›Poet laureate‹-Position oder der ebenfalls diskutierten Schaffung eines deutschlandweiten Lyrikpreises kann der Lyrikfonds kompetente Heimat sein.
Wir begrüßen die jetzt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückte Diskussion um den Stellenwert von Lyrik für und in unserer Gesellschaft und laden alle Interessierten ein, sich dem Netzwerk Lyrik anzuschließen, um mit uns gemeinsam die poetische Öffentlichkeit konzeptionell zu gestalten und mit der neuen Bundesbeauftragen für Kultur und Medien die vorgelegten Konzepte und angedachten Programme zu entfalten. Claudia Roth hat gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Erhard Grundl am 23.9.2021 in einem Beitrag für ZEIT Online das Selbstverständnis ihrer Kulturpolitik formuliert: ›Kulturpolitik muss mehr sein als das hohle Pathos eines eben mal aus dem Hut gezauberten, inhaltsleeren ‚Gesellschaftsvertrages für die Kultur‘. Sie muss diejenigen in den Mittelpunkt stellen, die unser kulturelles Leben ausmachen. Sie muss eine verlässliche Partnerin sein an der Seite von Künstler*innen und Kultureinrichtungen und möglich machen, dass Kunst entstehen kann – in Freiheit, in all ihrer Vielfalt und in ihrem Reichtum.‹ Das Netzwerk Lyrik mit seinen so vielfältigen Expertisen auf dem Feld der Lyrik freut sich über Gespräche und Debatten, auch mit dem und im Bundestag.«
Über das Netzwerk Lyrik e.V.
Um die Anliegen der Lyrik in Deutschland zu vertreten und zu koordinieren, haben sich 2017 bundesweit Dichterinnen, Lyrikübersetzer, -publizistinnen, -verleger, -forscherinnen, -veranstalter und Vertreter*innen der poetischen Bildung zum Netzwerk Lyrik zusammengeschlossen. Dem Netzwerk Lyrik e.V. gehören über 130 Personen und Institutionen aus ganz Deutschland an. Im Vorstand des Netzwerks Lyrik e.V. sind: Dr. Thomas Wohlfahrt, Tristan Marquardt, Tim Holland, Angelika Andruchowicz,Carolin Callies, Prof. Dr. Christian Metz, José F.A. Oliver, Dr. Anja Utler.
Blogbild: Alphabet House – Spitalfields, London, Foto: Robert Stump, unsplash