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Initiative Fair Lesen gegen unfaires E-Lending der Onleihe

Branchen-News
Sandra Uschtrin
Initiative Fair Lesen gegen unfaires E-Lending der Onleihe

Im Oktober veröffentlichte die neu gegründete »Inititative Fair Lesen« einen Offenen Brief. Hunderte Autorinnen und Übersetzer, Verlegerinnen und Buchhändler haben ihn seither unterzeichnet. Damit wehren sie sich gegen die Forderung der Bibliotheken, auch aktuelle Bestseller sofort nach Erscheinen als E-Books über die Onleihe verleihen zu dürfen und gegen die drohende Zwangslizenzierung von E-Books. Denn würde das geschehen, drohe der Buchmarkt zu kollabieren.

Schon länger gibt es diesen Streit:

Die Bibliotheken möchten, dass sie jedes Buch sofort nach Erscheinen auch als E-Book per Onleihe verleihen dürfen. Und zwar besonders die aktuellen Titel, die gerade auf den Bestsellerlisten stehen. Für die dafür nötigen Lizenzen möchten sie möglichst wenig Geld ausgeben.

Dagegen wehren sich Autorinnen und Übersetzer, Verlegerinnen und Buchhändler. Denn dann verdienen sie (noch) weniger (als ohnehin schon).

Früher haben sich die beiden Parteien zum Thema E-Lending beziehungsweise Onleihe halbwegs gesittet miteinander ausgetauscht. Kürzlich ist der Deutsche Bibliotheksverbands vorgeprescht, um möglichst viele Politiker*innen auf seine Seite zu ziehen. Die »Initiative Fair Lesen« ist darauf die Reaktion.

Hier der Offene Brief der Autor*innen, Übersetzer*innen, Verleger*innen und Buchhändler*innen von der Initiative Fair Lesen:

Schreiben ist nicht umsonst
Gegen die Zwangslizenzierung. Für Vielfalt und Meinungsfreiheit.

»Vielfalt, Mut zu Neuem und die Freiheit des Denkens – das sind die Triebfedern der Literatur in einer offenen Gesellschaft. Wir, die Gemeinschaft von Autorinnen und Autoren, Verlagen und Buchhandel, stoßen Debatten an. Unsere Romane und Geschichten, Gedichte und Dramen, Sachbücher, Ratgeber, Fachbücher, Lehrbücher, Essays und Kinderbücher eröffnen Lesenden neue Welten und Sichtweisen. Heute sind wir in Sorge, dass die Politik unsere Arbeitsgrundlage aufs Spiel setzt – durch Bestrebungen, mit dem Zugang zu Literatur zugleich digitale Ausleihe zu Niedrigpreisen zu erzwingen. Der Weg dorthin soll über die öffentlichen Bibliotheken führen. Doch dieser Weg wäre fatal. Selbstverständlich schätzen wir das Konzept der Bibliotheken, Menschen unabhängig von ihrer finanziellen Lage die Möglichkeit zum Lesen von Büchern zu geben. Gleichzeitig müssen sich Autorinnen und Autoren auf gerechte Vergütung verlassen können – und frei in ihren Entscheidungen bleiben. Dafür sorgt der Buchmarkt, der zugleich Grundvoraussetzung für literarische Vielfalt ist.

Wenn aber aufgrund politischer Entscheidungen neue Werke ab dem Tag ihres Erscheinens in allen Bibliotheken in der nahezu kostenlosen Online-Ausleihe verfügbar gemacht werden müssen, gefährdet das einen seit Jahrzehnten funktionierenden Markt und damit die Existenzgrundlage von Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzern, Verlagen und Buchhandlungen. Mit anderen Worten: Die erzwungene Online-Ausleihe zu Niedrigpreis- Bedingungen – insbesondere für Neuerscheinungen – wäre ein wirtschaftliches Desaster für alle, die vom Kulturgut Buch leben. Wer die Onleihe für E-Books nahe am Nulltarif fordert, der bedroht die literarische Freiheit in unserem Land. Deshalb fordern wir: Lesen muss fair bleiben – denn Schreiben ist nicht umsonst. Die Initiative Fair Lesen engagiert sich für Vielfalt und Meinungsfreiheit in der Literatur und für das Fortbestehen eines funktionierenden Marktes, der ein breites Spektrum an Sichtweisen, Perspektiven, Stimmen und Meinungen fördert.«

In einer Pressemeldung vom 22. Oktober 2021 erklärt die Initiative Fair Lesen die Hintergründe:

Fair lesen – fair leihen: Nachhaltige Konzepte brauchen gerechte Debatten

»Das Thema digitale Leihe in öffentlichen Bibliotheken bewegt die Frankfurter Buchmesse 2021. Die Initiatoren und Initiatorinnen der Initiative Fair Lesen begrüßen ausdrücklich die öffentliche und kritische Debatte, die im Zuge der nahenden Koalitionsverhandlungen um die Herausforderungen des sogenannten E-Lendings entsteht. Die Frage, wie das Gemeinwohl, der Zugang zu Literatur und Fachwissen sowie der Funktionsauftrag der Bibliotheken einerseits gestützt werden können, ohne dass gleichzeitig die Buchschaffenden, die Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzer und ihre Verlage einseitig belastet und in ihren Handlungsmöglichkeiten durch eine Angebotspflicht stark beschränkt werden, gehört mit zu den großen Herausforderungen der kommenden Regierung im Bereich der digitalen Transformation im Kultur- und Bildungsbereich.
 
Um in dieser  komplexen Lage das Bild aus Sicht der Buchschaffenden und des Buchhandels zu ergänzen, möchten wir auf folgende Fakten aufmerksam machen:

  • Rund 7.200 Verlage lizenzieren heute bereits freiwillig eine halbe Million Titel innerhalb der digitalen Leihe für Bibliotheken wie etwa der „Onleihe“. 75% der Nutzerinnen und Nutzer sind mit dem Titel-Angebot der Onleihe „sehr zufrieden“ bis „zufrieden“, zwei Drittel sind „zufrieden“ mit der Aktualität des Angebots (GfK 2019).
  • Im  Jahr 2020 wurden rund 30,2 Millionen E-Books über Öffentliche Bibliotheken entliehen (buchreport.express 4/2021).
  • Im selben Zeitraum wurden 35,8 Millionen E-Books regulär gekauft. Somit deckte die digitale Leihe mit 30,2 Mio. entliehenen Titeln ca. 46% aller rund 66 Millionen konsumierten E-Books in 2020 ab – fast die Hälfte  aller  in Deutschland gelesenen E-Books werden folglich über Öffentliche Bibliotheken bereitgestellt. Was aber bedeutet das für Buchschaffende?
  • 2020 wurde mit diesen 30,2 Millionen entliehenen E-Books nur ein Erlös von 16,1 Millionen Euro erwirtschaftet. Dies entspricht ca. 6% des gesamten E-Book Marktes (E-Gesamtmarkt in 2020: 253,7 Mio. Euro laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.). Das Missverhältnis zwischen Nutzungszahlen und Erlösen ist unübersehbar.
  • Teilt man die Erlöse i.H.v. 16,1 Millionen Euro durch die 30,2 Millionen entliehenen E-Books, so ergibt sich rein rechnerisch ein Erlös von 0,53 Euro je entliehenes Buch. Der Buchhandel bleibt hierbei außen vor, im Gegensatz zu E-Book-Verkäufen.
  • Aufgrund dieser sehr geringen Erlöse und der wirtschaftlichen Relevanz der neu erscheinenden Titel, bieten Verlage mitunter ihre Novitäten mit einer Verzögerung von sechs bis maximal zwölf Monaten in der digitalen Leihe an. Dieses Zeitfenster, auch „Windowing“ genannt, ist einer der Debattenstreitpunkte, um die es nun politisch geht:
  • Da die Nutzung der Onleihe in Konkurrenz zu den Buchverkäufen steht, wie es aus den Zahlen der GfK-Studie aus dem November 2019 hervorgeht, wonach 45% der Onleihe-Nutzer weniger bzw. gar keine physischen Bücher mehr kaufen und 46% der Onleihe-Nutzer den Kauf von E-Books reduzieren bzw. gänzlich einstellen, und die Erlöse der Leihe (6% der Gesamterlöse) in einem eklatanten Missverhältnis zum Marktanteil konsumierter E-Books steht (46% Marktanteil der Onleihe), sehen die Unterstützer und Unterstützerinnen von „Fair Lesen“ die Forderungen des Deutschen Bibliotheksverbandes nach einer Zwangslizensierung bzw. „Angebotspflicht“ aller E-Books ab Tag des Erscheinens, nachvollziehbar kritisch.

Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzer sowie Verlage tragen seit Jahrzehnten ihren Anteil bei, um die reichhaltige und vielfältige analoge wie digitale Infrastruktur der Bibliotheken zu ermöglichen. Dies möchten sie auch weiterhin tun. Dafür dürfen aber Erlösstrukturen nicht nachhaltig geschädigt werden. Eine gesetzlich verordnete  Angebotspflicht ab Erscheinungstag wäre aus Sicht der Unterstützerinnen und Unterstützer von „Fair Lesen“ jedoch eine nachhaltige Schädigung. Deshalb plädiert die Initiative dafür, dass alle Beteiligten die Möglichkeit haben, miteinander zukunftsfähige Lizenzmodelle zu entwickeln. Dies kann nur ohne gesetzlichen Zwang zu einem gerechten und nachhaltigen Ergebnis führen.«
 
Bisher unterzeichneten über 1500 Autorinnen, Autoren, Übersetzerinnen, Übersetzer, Verlage, Buchhandlungen sowie Literarische Institutionen den Offenen Brief auf www.initiative-fair-lesen.de.

Argumente des Deutschen Bibliotheksverbands

Und wie argumentiert der Deutsche Bibliotheksverband? Eine ausführliche Stellungnahme zur Initiative Fair Lesen finden Sie auf der Website des Verbands. Auch in diesem Papier legt der Deutsche Bibliotheksverband seine Sicht der Dinge dar.

Höhere Ausleihgebühren?

Wie so oft geht es auch bei diesem Streit vorrangig ums liebe Geld. Es ist an der Zeit, dass sich beide Parteien wieder an einen Tisch setzen und einen Kompromiss finden.

Und dass – warum eigentlich nicht? – auch die Bibliotheksgebühren nach oben angepasst werden. In Dresden oder München kostet der Benutzerausweis für Erwachsene (ohne Ermäßigungsanspruch) für die Städtischen Bibliotheken derzeit 20 Euro. Er gilt für ein Jahr. Damit kann man sich beliebig viele Bücher und E-Books ausleihen. Warum diesen Betrag nicht als Sockelbetrag verwenden und für jedes ausgeliehene E-Book 1,00 Euro zusätzlich erheben? Abzüglich der Payment-Gebühren könnte dieses Geld direkt an die VG WORT weitergereicht werden.

Es muss schließlich nicht alles hergeschenkt werden. Und schon gar nicht auf dem Rücken der Autorinnen und Autoren, von denen die meisten zu den Geringverdienenden zählen (siehe dazu die Zahlen der Künstlersozialkasse).

Links: www.initiative-fair-lesen.de/ und mit sehr gutem Zahlenmaterial: www.netzwerk-autorenrechte.de/e-lending-FAQ.html

Blogbild: Logo der Inititative Fair Lesen, #fairlesen