Die Masse des Volkes war arm, sogar bettelarm an materiellen Dingen, dafür aberreich an ideellen Werten. Die Not schweißte die Familie zusammen zu einem Hort der Geborgenheit. Moral, Charakter und persönliche Entfaltung dominierten vor Egoismus. Der Gemeinschaftsgeist war so ausgeprägt, dass das gesamte Dorfetwas beisteuerte, wenn eine Familie in Not geriet. Brannte zum Beispiel ein Bauernhaus nieder, sammelten die Nachbarn nicht nur im eigenen Ort, sondern in allen umliegenden Dörfern Lebensmittel und Futtervorräte für die Geschädigten. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass jede Familie tagelange Frondienste leistete, um das abgebrannte Gebäude wieder aufzubauen. Wenn eine altersschwache Kate abbrannte, lästerten Spötter oft: Die ist nicht ab-, sondern aufgebrannt!
Nur der Gemeinschaftsgeist hielt ein Dorf zusammen, es war autark. Es verwaltete sich selbst, somit kamen auch keine dirigistischen Einflüsse von außen. Die Familie war eine gesunde Zelle, das Dorf ein gesunder Zellhaufen im Staat. Diese Gesellschaftsform hatte alle Krisenzeiten in Jahrhunderten überstanden.
Der Versailler Vertrag und das Versagen der Weimarer Republik führten zu einem Chaos. Aus diesem Substrat entstand die nationalsozialistische Bewegung. Hunger, Not und Verzweiflung gaben dem Millionenheer von Arbeitslosen keine Zukunft. Die arbeitswillige Jugend klammerte sich an jeden Strohhalm, selbst wenn es nur leere Versprechungen politischer Kräfte waren. Unbeschreiblich war die Not in den Industriestädten. Mir läuft es heute noch kalt über den Rücken, wenn ich an die blassen, ausgehungerten Kinder des Ruhrgebiets denke.
Meine Aversion gegen skrupellose Macht hat mir das Leben immer schwer gemacht. Damit eckte ich an allen Enden an. Sobald ich einem Potentaten den Spiegel vor das Gesicht halte, habe ich ihn zum Todfeind. Dies ist der „rote Faden“, der sich durch alle Teile dieser Erzählung zieht. Ich bin auch rücksichtslos gegen mich. Meine Aufzeichnungen stellen keine Autobiographie im engeren Sinne dar. Die persönlichen Erlebnisse geben nur den Rahmen, der durch den zeitlichen Ablauf geordnet ist. Ich möchte einfach nur erzählen, wobei die einzelnen unbehauenen Typen die Würze in den Geschichten geben. Gerade weil wir uns von der Natur so weit entfernt haben, flechte ich immer wieder biologische Vergleiche ein. Ich will auch nicht belehren, sondern nur all denen Mut und Hoffnung machen, die im Wellental des Lebens der Verzweiflung nahe sind.