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Aus "33 Bogen und ein Teehaus - Reise einer Pilgerin aus Isfahan"
Mehrnousch Zaeri-Esfahani - Agentur Susanne Koppe, Hamburg
Mein Vater sprach auf seine schüchterne und tapfere Art sein erstes Wort in Deutschland aus: „Hotel?“
Der Taxifahrer verstand ihn sofort. Er nickte. Er war abwesend und konzentriert zugleich. Sein Radio lief. Es musste was Wichtiges sein. Vielleicht eine Meldung über die gefährlichen winterlichen Straßenverhältnisse in Berlin oder über irgendwelche wichtigen Fußballergebnisse. Er sprach etwas in seinen Funk und fing sofort an, wortlos unsere Koffer in den Kofferraum zu drücken.
Und wir fingen an, unsere zitternden Körper in das warme Taxi zu quetschen.
Routiniert setzte sich mein älterer Bruder hinein und nahm unsere kleine Schwester auf den Schoß. Mein anderer Bruder saß auch schon im Taxi und gerade als ich mich auf seinen Schoß setzen wollte, hörten wir zum ersten Mal ein deutsches „Nein!“. Ich war äußerst erstaunt, weil zum ersten Mal jemand mit uns Deutsch
gesprochen hatte. Der häusliche Unterricht hatte gefruchtet und wir wussten sofort, was es bedeutete.
Doch dann erfuhr ich, welche Folgen dieses Nein für uns haben würde. Er war nicht bereit, uns alle zusammen in seinem Taxi zum Hotel zu fahren. Für seinen geräumigen cremefarbenen Mercedes-Benz waren wir angeblich zu viele. Er hatte schon ein zweites Taxi gerufen. Doch wir wollten uns um keinen Preis trennen lassen. In dieser unbekannten Welt und ohne ein Wort Deutsch. Was, wenn wir uns verlören. Wir wussten nicht, wo wir uns hätten verabreden können, falls wir uns verlieren würden. Vor ein paar Minuten hatten wir uns noch gefragt, ob wir überhaupt in West-Berlin waren. Ich beschloss, auf diesen dummen Taxifahrer sehr sauer zu sein.
Ich schaute ihn an.
Der große Ring an seinem kleinen Finger erinnerte mich an Hassan, unseren geliebten Taxifahrer in Isfahan. Morgen für Morgen war ich von Hassan, dessen Nachnamen ich nie erfuhr, in seinem eigenen kleinen engen und kaputten Peykan, dem iranischen Mittelklasse-Wagen für den Kleinen Mann, abgeholt und in die Schule gefahren worden, zusammen mit acht anderen Kindern. Da hatten wir uns
immer abwechselnd auf dem Schoß gesessen. Einmal war ein Kollege von Hassan ausgefallen und wir hatten noch ein paar seiner Kinder mitgenommen. Wir Kinder hatten uns gezählt und waren auf unseren gemeinsamen Rekord stolz gewesen. Vierzehn Kinder hatten in ein normales Taxi gepasst und wir hatten nur ein paar blaue Flecken davon getragen.
Wieso durfte ich in diesem Luxus-Taxi nicht auf dem Schoß meines Bruders sitzen? Ich ärgerte mich noch mehr über diesen Taxifahrer und war insgeheim sehr stolz auf meinen Vater, der inzwischen sehr laut geworden war. Eine Weile flogen persische Flüche wie angriffslustige stinkende Wanzen durch die Luft und deutsche flatterten ihnen wie zarte Zitronenfalter entgegen. Doch endlich fanden die Männer einen Kompromiss und wir wurden alle zusammen in einem Großraum-Taxi in ein Hotel gefahren.