Der Lyrikband «in wellen dunkler zuversicht» von der Autorin Joanna Lisiak umfasst Gedichte, die sich mit Trauer und ihrem Prozess auseinandersetzen. Obschon die Trauer jeden der Texte durchdringt, so ist diese Lyrik nicht allein auf die Trauer zu reduzieren, welche sich im Singular allzu schwerfällig darstellt und nicht zur auch hier vorliegenden und der Autorin typischen Lebens-Zugewandtheit passen würde. Denn vielmehr beinhaltet die Trauer und was mit ihr zusammenhängt, die ganz elementaren Dinge des Lebens, die hier nicht fehlen: Liebe, Verlust, Wehmut, nostalgische Melancholie, persönliche Entwicklung, Beobachtung der Gesellschaft mit ihren Tabus und eigener Ohnmacht, das verletzte Selbst. Kurz: Es geht am Ende um nicht weniger, als um die Auseinandersetzung mit den ganz grossen Sinn- und Fragen, die hier aus vermeintlich leichtfüssigen Zeilen betrachtet werden, die die Verletzlichkeit wie auch die Offenheit möglicher Antworten zulassen.
Was einerseits höchst persönlich und subjektiv beschrieben, angespielt oder teils bitterlich analysiert wird, verbindet sich gleichwohl mit der Kraft des universell Geltenden. Die Autorin verzichtet dabei nicht auf Verwischungen und Übergänge, die ebenso benannt werden dürfen und ihre Berechtigung sich zu entfalten haben, so wie sie auch konkrete, teils komische Erlebnisse stehen und wirken lassen kann. Sie erlaubt sich zeitweilig im Prozess kraft- und orientierungslos zu sein, aber unweit nimmt die Lyrikerin bereits die beobachtende Rolle ein, die einen Perspektivenwechsel erlaubt.
Wie der Titel schon sagt, sind die Wellen als Konstante zugegen, aber sie kommen und gehen. Ebenso ist die tiefsitzende Kraft einer dunklen Zuversicht vorhanden, die mal mehr, mal weniger präsent ist. Dieses uneindeutige und doch unbedingte Vertrauen tröstet beim Lesen bereits, derweil noch die Wunden Zeile um Zeile aufgerissen werden. Joanna Lisiak sucht dabei die Sprache für das Unsagbare auf, um in ihr Widersprüche, die Ironie, aber auch neue und überraschende Hinweise zu finden, um zu beschreiben, für das es letztlich keine Worte gibt. «Spielräume des Staunens» wurde Lisiaks Lyrik schon beschrieben und so lesen sich auch die vorliegenden Gedichte, trotz des herben Hintergrunds. Mit dichtem Fokus auf den eigenen Radius, den die Trauer, die hier auch mal als «klösterliche atmosphäre», mal als «kanzlei für lethargie / selbstauskunftsbüro / rückzugsort des stillstands / behöre zur erforschung von wehmut» bezeichnet wird, zieht die Autorin immer wieder ganz entfernte Themen heran, streift sie, schleift sie mitunter durch ihren eigenen inneren Prozess.
Sie gibt zu, dass sie ohne Haftung steht, aus dem blinden Fleck heraus ins Nichts fasst, wobei sie meint: «was nicht bedeutet / dass ich etwa schwebe». Aber sie weist auch auf die anderen hin, die noch Lebenden sozusagen. Sie nennt sie «vorüberziehende, schnuppernde, staub aufwirbelnde zweibeiner». Sie bemerkt, dass «wir alle unmerklich gestempelt werden» und dass man nicht ordentlich am 31.12. physisch geht «das testament versiegelt / das mobiliar verhökert», sondern, dass die Zeit, die lineare Zeit sowieso, eine Illusion und sie in der Trauer ohnehin ausgehebelt ist. Sie konstatiert gekränkt: «wer aufrichtig liebt / der hat gefälligst / auch das leid zu ertragen». In einem anderen Text fügt sie hinzu: «ich würde es wieder tun». Die Trauer unterteilt nicht nur das innere und äussere Empfinden, sie teilt die Menschen, in zwei Gruppen. Während ihr eigenes Leben «auf den kopf gestellt ist», ist «die welt eine grinsende mühle».
«Der Unterhaltungswert des Lesens ist überschätzt und die Heilkraft des Lesens unterschätzt», sagte einst der Autor Daniel Kehlmann. Das ist bei Büchern, die einen besonders innerlichen Charakter zugrunde haben, da sie aus dieser eigenen, subjektiven Erfahrung schöpfen und die sich aufs Leser-Du übertragen lassen, besonders deutlich. Dieses Buch gehört zu einer solchen Buch-Art, obschon es sich keineswegs um sog. «Trauer-Literatur», sondern um zeitgenössische, eigenständige Lyrik handelt, die die inneren Räume für die Trauer geöffnet hat und Schicht für Schicht erkundet.