Zusammengekrümmt wimmert der Nachbar seitwärts liegend auf den glänzenden Marmorplatten. Die Knie angewinkelt. Dem Weinen nahe. Aus den Augenwinkeln schielt er zu ihr hoch. Das Gesicht ist gerötet. Das bunte Kurzarmhemd und der lila Seidenschal um den Hals kleben zerknittert an ihm.
«Endlich!», murmelt er. «Mir ist so übel und es wird mir sofort schwarz vor den Augen, mein Herz rast.»
Der 75-jährige Fred bricht in seiner Wohnung zusammen. Seine Nachbarin Nicole und ihr Sohn Leo finden ihn und alarmieren den Notarzt. Dieser verordnet dem Alleinstehenden Bettruhe, und Nicole übernimmt widerwillig die Aufgabe, regelmäßig nach ihm zu schauen. Fred nutzt die Gelegenheit, sein Gewissen zu erleichtern. Doch Nicole hat mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen. Nach und nach realisiert sie, dass ihre traumatische Kindheit auf verhängnisvolle Weise mit Freds Vergangenheit verknüpft ist.
Mit ihrem fesselnden Kammerspiel gibt die Autorin all jenen eine Stimme, die Opfer schwerster Gewalt wurden und werden, ohne darüber reden zu können.
Der Roman basiert auf wahren Begebenheiten. Die konstruierte Handlung ist jedoch frei erfunden. Franziska Streun verbindet in «unlebbar» Nachrecherchen zu ihrem 2013 erschienenen Buch «Mordfall Gyger – eine Spurensuche» über das Tötungsdelikt am 14-jährigen Beat Gyger im Jahr 1973 mit dem Schicksal einer Frau, die als Kind wenige Jahre davor von Männern auch aus demselben Kreis missbraucht wurde und ihr ihre Geschichte erzählt hat.