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DrehbuchautorInnen - Deutschland versus Amerika

Federwelt
Ron Kellermann
DrehbuchautorInnen - Deutschland versus Amerika

Deutsche DrehbuchautorInnen sind nicht so gut wie ihre amerikanischen KollegInnen, weil die USA kein Fußballweltmeister werden.

Breaking Bad, House of Cards, The Wire und die vielen anderen Top-Serien des amerikanischen Fernsehens: 50, 60, 70 oder mehr Stunden für eine Geschichte. Dramaturgische Schwächen? Wenn überhaupt, dann nur zwischendurch, eher ein kurzes Luftholen der Erzählkunst.
Zweifellos gibt es auch bei uns sehr gute Drehbuchautorinnen und -autoren: Annette Hess (Weissensee), Holger Karsten Schmidt (Tatort – Am Ende geht man nackt), Orkun Ertener (KDD – Kriminaldauerdienst, Die Chefin) und so weiter. Aber an die Qualität von Vince Gilligan (Breaking Bad, Better Call Saul), Beau Willimon (House of Cards), David Simon (The Wire) reichen auch sie nicht heran. Und wird vermutlich nie eineR von uns tun. Gewiss, die eingangs genannten Beispiele sind Serien, und die Stoffentwicklung von Serien in Deutschland ist mit der in den USA überhaupt nicht vergleichbar. Da gibt es Writers Rooms, Showrunner, festangestellte Autorinnen und Autoren, ungleich höhere Honorare, um nur die wichtigsten Unterschiede zu nennen. Aber was die dramaturgische Qualität angeht, sieht es bei Spielfilmen ja nicht anders aus.
Meine Meinung lautet deshalb: In der Spitze des filmischen Erzählens können deutsche Autorinnen und Autoren die dramaturgische Qualität ihrer amerikanischen Kolleginnen und Kollegen nicht – vielleicht sogar niemals – erreichen.

Die Gründe
Die Gründe dafür sind: 1. Unsere Ausbildung ist nicht gut genug. 2. Unsere Nachwuchsförderung funktioniert nicht. 3. Wir haben (noch) keine vergleichbare Erzähl- und Schreibkultur wie in den USA.
Erstens: Die Drehbuchausbildung an deutschen Filmhochschulen wird einem künstlerischen Beruf nicht gerecht. Warum? Weil Kunst in erster Linie auf der Beherrschung des Handwerks aufbaut. Oder, wie Walter Gropius gesagt hat: „Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers.“ Um diese Steigerung zu erreichen, muss man das Handwerk beherrschen und um es zu beherrschen, muss man Erfahrungen sammeln und scheitern dürfen. Entwicklungs- und Schreiberfahrungen sammeln die Studierenden in Deutschland jedoch zu wenig.
Weshalb? Etwa, weil das Drehbuchstudium als Bachelor-Studiengang konzipiert ist, in dem die Studierenden zu viele Fächer belegen müssen, die mit Stoffentwicklung und Schreiben nichts zu tun haben; die sie vom dramaturgischen Arbeiten und Schreiben abhalten. Am Ende ihres Studiums kommen nur wenige über den Status einer blutigen Anfängerin, eines blutigen Anfängers hinaus, vielleicht nicht mehr ganz so stark blutend, aber immer noch blutend.
Nach einem meiner Dramaturgie-Einführungsseminare kam einmal ein Teilnehmer zu mir und sagte, dass er sich ein solches Seminar in seinem Regie-Aufbaustudium an einer Kunsthochschule gewünscht hätte. Gut, er hat Regie und nicht Drehbuch studiert. Aber Regisseurinnen und Regisseure sollten über ein ebenso fundiertes dramaturgisches Wissen verfügen, wie Autorinnen und Autoren wissen sollten, wie Regie funktioniert – und Schnitt, vor allem Schnitt, aber auch Sound, Szenenbild, Kostümbild ... Ein Drehbuchstudium wurde an dieser Kunsthochschule zu dieser Zeit ohnehin erst gar nicht angeboten. Ich fragte ihn, was sie denn so an dramaturgischen Seminaren gehabt hätten. Er antwortete: „Keins.“ Denn die Kunsthochschule lege den Schwerpunkt auf „Kunst“ und Dramaturgie gelte dort als Handwerk und Handwerk sei bäh.

Warum studieren?
Warum soll man das Drehbuchschreiben eigentlich studieren müssen? Wenn es ein „Handwerk plus“ ist, wäre es doch nahliegender, es beispielsweise als duale Ausbildung zu konzipieren wie das Schreinern et cetera. Die angehenden Autorinnen und Autoren wären als „Lehrlinge“ fest bei einer Produktionsfirma angestellt, würden ein oder zwei Tage in der Woche die Berufsschule besuchen, um sich die Theorie anzueignen, und die restliche Zeit praktisch (mit)arbeiten und vor allem: Filme analysieren. Denn nirgendwo kann man mehr über das dramaturgische Funktionieren von Geschichten und filmisches Erzählen lernen. Nach ihrer Ausbildung wären sie zunächst „Gesellinnen“ und „Gesellen“, würden weiter festangestellt arbeiten, sich das „Plus“ aneignen und ein paar Jahre später ihre „Meisterin“ oder ihren „Meister“ machen. Danach könnten sie, wenn sie es denn wollten, in die Freiberuflichkeit wechseln.

Nachwuchs fördern statt verheizen
Stattdessen werden im gegenwärtigen Ausbildungssystem die blutigen Absolventinnen und Absolventen nach drei Jahren Wohlfühl-Biotop in das Haifischbecken der rücksichtslosen Film-und Fernsehbranche geworfen: Seht zu wie ihr als Freie zurechtkommt. Die meisten kommen nicht. Denn es gibt zu viele Filmhochschulen in Deutschland, so dass zu viele Drehbuchautorinnen und -autoren ausgebildet werden, die sich dann auf einem gesättigten Markt durchsetzen sollen, wo sie es mit Profis zu tun kriegen, die verständlicherweise wenig Interesse daran haben, dass Frischlinge ihnen das Brot wegfuttern. Hinzu kommt, damit zusammenhängend, zweitens: Wir haben keine ausreichende Nachwuchsförderung in Deutschland.
Sicher: Es gibt Nachwuchsförderprogramme und -redaktionen wie Das kleine Fernsehspiel des ZDF, die gute Arbeit leisten. Ihr Schwerpunkt liegt jedoch auf dem Filmemachen. Autorinnen und Autoren kommen einfach zu kurz. Auch die Förderinstitutionen haben sich in den letzten Jahren immer mehr von einer Nachwuchs- und Kulturförderung zu einer Wirtschaftsförderung entwickelt.

Besser scheitern
In den Jahren meiner Lehrtätigkeit habe ich einige Schreibende kennengelernt, die ich für äußerst begabt hielt –, die danach aber nie als Autorinnen und Autoren auftauchten, zumindest nicht in meinem Blickfeld. Stattdessen las ich Namen von Mäßig- bis Unbegabten, die dafür die Selbstdarstellung und das Netzwerken – also das Organisieren von Vitamin B – umso besser beherrschten. Auf diese Weise reproduziert sich ein System, das eher Egomanen und Narzissten nach oben spült als kreative Grübler und talentierte Zweifler. Ein System, in dem nicht die Qualität eines Stoffes ausschlaggebend ist, sondern die Qualität der Beziehungen. Dabei hätten die Begabten einfach noch Zeit gebraucht. Und einen gesicherten Raum, in dem sie sich hätten weiterentwickeln können, Erfahrungen sammeln und scheitern. Vor allem: scheitern. Auch wenn dieses Zitat von Samuel Beckett mittlerweile totzitiert wurde, will ich es noch einmal wiederholen, einfach, weil es stimmt: „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“
Wer nicht scheitern darf, kann keine Erfahrungen sammeln, und wer keine Erfahrungen sammelt, lernt nicht, das Handwerk zu beherrschen. Scheitern ist in Deutschland jedoch auch in der Drehbuchbranche ein Makel. Wer nach dem Studium das große – das sehr große – Glück hat, dass das Abschlussbuch produziert wird, der Film dann aber schlecht läuft oder schlechte Kritiken bekommt, die oder der ist erst mal weg vom Fenster.
Ich weiß von einem jungen Filmemacher, dessen Debütbuch Produzenten, Verleihern und Förderern Träume vom internationalen Erfolg bescherte, bis der Film beim Publikum komplett durchfiel. Es dauerte danach Jahre – Jahre! – bis ich seinen Namen als Co-Autor eines Fernsehkrimis wieder las.
Und sollte es doch gelingen, gleich ein erfolgreiches Buch zu schreiben, dann wird erwartet, dass die Autorinnen oder Autoren in wesentlich weniger Zeit als sie für ihr erstes Buch hatten, ein neues, natürlich viel besseres schreiben. Spätestens dann scheitern die meisten und die, die sie vorher noch so gelobt haben, wenden sich enttäuscht von ihnen ab.
Da muss man den Absolventinnen und Absolventen ja geradezu wünschen, dass ihr Abschlussbuch nicht produziert wird; sie irgendeinen Job finden, der sie über Wasser hält und ihnen genug Zeit zum Schreiben lässt; sie das Schreiben nicht aufgeben und sich an das Scheitern gewöhnen, bis sie gut genug geworden sind, um sich zu etablieren. Aber wollen wir, dass unser Nachwuchs so leben muss? Wir sollten ihm stattdessen helfen, scheitern zu dürfen, ihm danach wieder aufhelfen und ihn beim nächsten Scheitern unterstützen. Denn es ist die Erfahrung, die aus Schreibenden gute Autorinnen und Autoren macht. Nicht das Talent. Womit ich zum dritten Punkt komme:

Genie versus Pragmatismus
Drittens: Die Ausbildung, die Nachwuchsförderung und das System an sich ließen sich ändern. Wir könnten mehr Wert auf dramaturgisches Handwerk und vor allem aufs Schreiben legen; wir könnten Autorinnen und Autoren den Raum geben, sich nach ihrer Ausbildung weiterzuentwickeln, so wie das einige Writers Rooms von amerikanischen Serien machen. Sie „ziehen“ ihren Nachwuchs selbst heran, indem sie ihm die Möglichkeiten geben mitzuarbeiten, gegen Bezahlung versteht sich, auch wenn er erst später Drehbücher schreiben darf. Wir könnten unsere Autorinnen und Autoren ihrer schöpferischen Leistung entsprechend entlohnen, sodass sie sich für ihr nächstes Buch alle Zeit nehmen können, die sie dafür brauchen, ohne unter die Armutsgrenze zu fallen. Wir könnten ideale Bedingungen schaffen für die Talente, von denen es in Deutschland fraglos genug gibt. Trotzdem würden sie nicht die Qualität erzielen wie ihre amerikanischen Kolleginnen und Kollegen.
Schuld daran ist dieses Genie-Ding aus dem Sturm und Drang: Autorinnen und Autoren sind Genies. Gott legt ihnen das Genie in die Wiege. Wem er nichts reinlegt, der hat eben Pech gehabt. Es ist keine Frage des Werdens, sondern eine Frage des Seins. Das war damals schon Blödsinn. Umso bemerkenswerter ist, wie sehr dieser Genie-Kult noch immer im Denken vieler, vor allem vieler Verantwortlicher, herumspukt. Nur dass heute niemand mehr von Genie spricht, sondern von Talent. So sagte der Chef der Drehbuchabteilung einer großen Filmhochschule in einem Interview, Talent sei das wichtigste. Wenn dem so ist, dann ist Handwerk nicht so wichtig. Talent ist definitiv kein Nachteil. Viel mehr aber auch nicht. Was bringt das schönste Talent, wenn einem die Leidenschaft und die Disziplin fehlen? Nichts.

Vorteil Fußball
Diese Überzeugung von der Unlehr- und -lernbarkeit des Geschichtenerzählens hat dazu geführt, dass es in Deutschland keine vergleichbare Kultur und Tradition gibt wie in den USA. Wenn es sich nicht lehren und lernen lässt, hat es nichts in der Schule zu suchen und es braucht keine Ausbildung dafür. Wenn ich richtig informiert bin, wurde die erste systematische Ausbildung zum Drehbuchschreiben mit der DrehbuchWerkstatt München 1989 ins Leben gerufen. Dorothea Brandes Schreibratgeber Schriftsteller werden wurde 1934 zum ersten Mal veröffentlicht. Nur zum Vergleich. Uns fehlt also die pragmatische Herangehensweise.
Beim Fußball haben wir sie. Nach dem Debakel der Europameisterschaft 2000 hat der Deutsche Fußballbund ein Netz von 366 Stützpunkten über Deutschland gelegt, um früh die besten Talente zu sichten und gezielt zu fördern. Ein Großteil der Weltmeister von 2016 wurde in diesem Fördersystem entdeckt und ausgebildet. Darin bestünde eine Chance: gezielte Talentsichtung und -förderung bereits in der Schule. So schnell wie im Fußball dürfte es allerdings nicht gehen, vermute ich. Denn Fußball ist ein fester Bestandteil unserer Kultur, woran das neue DFB-Fördersystem anknüpfen konnte. Ein kultureller Bestandteil wie das Schreiben in den USA. Es dürfte also ziemlich lange dauern, bis wir eine ähnliche Kultur aufgebaut haben, die es uns ermöglicht, die gleiche Qualität abzuliefern wie unsere amerikanischen Kolleginnen und Kollegen. Bis dahin können wir uns damit trösten, dass die USA keine vergleichbare Fußballkultur haben und es auf viele Jahre hinaus nicht schaffen werden, Weltmeister zu werden.

Links
•    http://filmschreiben.de/ob-das-was-wird-mit-der-international-erfolgreichen-deutschen-serie/
•    www.bbc.co.uk/writersroom/writers-lab/be-inspired/laura-conway
•    www.dfb.de/spieler/u-12-bis-u-15-spielerin/artikel/tom-so-wurde-ich-stuetzpunktspieler-671/

Autorin: Ron Kellermann | www.ronkellermann.de
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 127, Dezember 2017
Blogbild: Photo by Denise Jans on Unsplash

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