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    Beigetreten: 03.06.2015
    Neue Formen für Lesungen?

    Ich versuche immer so viele Lesungen wie möglich zu machen, und das läuft auch ganz gut; bei mir kümmert sich glücklicherweise auch der Verlag mit um Lesungen. Eigentlich finde ich es ganz toll, dass man da einfach nur sein Buch und seine Stimme braucht und die Menschen einem zuhören. Doch in letzter Zeit erlebe ich immer öfter bei (vor allem jüngeren) Kollegen, dass sie diverse Medien einsetzen (Musik selbstgemacht oder vom Band, Powerpoint, Diashows), um ihre Lesungen aufzupeppen, und höre, dass für das Publikum eine "normale" Lesung inzwischen zu langweilig sei und man neue Formen finden müsse.

    Was habt ihr da für Erfahrungen gemacht? Ist es vielleicht tatsächlich so, dass man die jungen Leute "nur" mit lesen nicht mehr bekommt? Bei mir sitzen hauptsächlich ältere Menschen, geht euch das auch so?

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      Beigetreten: 16.07.2014
      RE: Neue Formen für Lesungen?
      Di, 23.06.2015 07:55

      Hallo Cornelius.

      Mit 34 bin ich vermutlich keiner mehr von diesen jungen Leuten ^^ Ich war bisher auch nur auf einer einzigen Lesung, von Wolfgang Hohlbein. Ich muss gestehen, dass es schon ziemlich anstrengend war. Wenn der Vorleser jetzt nicht das Talent hat, jeder Figur, der er auf den Seiten Leben eingehaucht hat, auch bei einer Lesung vor mir auferstehen zu lassen, wird so eine einfache Lesung schnell dröge. Damit will ich keinesfalls hier jemanden vor den Kopf stoßen, also bitte nicht falsch verstehen.

      Ich kann mir vorstellen, dass die jungen Leute heute eher einfach nur das Buch lesen und das war es dann. Zur Lesung des Autors zu gehen ist vielleicht nicht cool genug? Nicht aufregend genug ("Was soll ich mich dahin setzen und jemandem beim Vorlesen zu hören. Lesen kann ich selber, bin ja keine fünf Jahre mehr.") Ob man dem jetzt mit Powerpoint, Musik und Pyrotechnik abhelfen kann, wage ich zu bezweifeln. Ich würde da, glaube ich, eher Augenmerk auf die Zuhörer legen, die da sind, und bei denen nachhorchen, wie es ihnen gefallen hat, was sie dazu gebracht hat überhaupt herzukommen und was sie von derlei Zusatzmedien wie Musik etc. halten.

      Wobei ich mir auch sicher bin, dass man aus so einer Lesung ein tolles Event machen kann. Bei einem historischen Roman beispielsweise die Lesung abends halten in einem Burghof bei einem großen Lagerfeuer. Wo die Leute nicht als Publikum sitzen, sondern im Kreis direkt beim Vorleser. Als wäre er der Räuberhauptmann und die Zuhörer seine Truppe. Zum Beispiel.

      Federgruß

      Nina

      Gelöschter Nutzer
      RE: Neue Formen für Lesungen?
      Di, 23.06.2015 08:49

      Guten Morgen zusammen, 

      ich war schon auf den verschiendsten Lesungen und meine Erfahrung lautet ganz klar: Der Stil der Lesung sollte zum Inhalt des Buches UND zum Autor passen. Einer, der das sehr gut macht für meinen Geschmack, ist Sebastian Fitzek. Er erzählt viel "drumherum", vom Schreibprozess, vom Recherchieren, von der Arbeit mit dem Verlag, aber auch von kleinen Anekdoten rund um die Entstehung der Idee usw. Erst wenn man seine Lesung verlässt, wird einem klar, dass er aus dem Buch selbst nur ganz wenig vorgelesen hat. Ich glaube, meistens sind es nur zwei kurze Textstellen, nicht mehr als zehn Minuten. Und Publikumsfragen beantwortet er auch sehr gern. Dieser Aufbau seiner Lesungen hat m.E. zwei Vorteile: Der Besucher, der das Buch schon kennt, langweilt sich nicht und erfährt etwas über den Autor. Der Besucher, der das Buch noch nicht kennt, wird hinterher so neugierig sein, dass er es mit großer Wahrscheinlichkeit auch kauft. Dazu muss man allerdings auch wissen, dass Sebastian es liebt, auf der Bühne zu agieren. Agieren im Sinne von stehen, laufen, gestikulieren, seinerseits Fragen stellen usw. Ich habe ihn noch nie in einem Sessel oder an einem Tisch sitzend erlebt. 

      Eine zweite Möglichkeit, die mir auch sehr gut gefällt, praktizierte Andreas Wilhelm, als er Lesungen mit seiner Projekte-Trilogie hielt. (Projekt Atlantis, Projekt Babylon, Projekt Sakkara; Abenteuerromane im Stil von Indianer Jones, allerdings der heutigen Zeit angepasst). Er produziert zu seinen Lesungen kurze Trailer, wie man sie vom Kino kennt. Tolle Bilder, Musik und kurz und knackig. Auch er liest relativ wenige aber aktionreiche Szenen vor, und dazwischen transporiert er populärwissenschaftliche Informationen so unterhaltsam, dass man direkt noch was lernt. So erfährt man beispielsweise, was die Erforschung der Tiefsee so aufwendig und teuer macht. Oder was es mit den ägyptischen Hieroglyphen auf sich hat. Es gibt sogar eine kurze Lektion in dieser Bild-Schrift. 

      Wenn ich selbst Lesungen halte, dann am liebsten Gemeinschaftslesungen mit anderen Autoren zusammen. Bewährt hat sich da ein guter Genre-Mix. Also mein Gegenwartsroman, dazu einen Krimi und einen historischen Roman. Dadurch spricht man ein breiteres Publikum an und mir macht es auch sehr viel Spaß, mit Kollegen zusammen auf der Bühne zu stehen. Wir beschränken uns dann in der Lesezeit auf maximal 15 Minuten pro Nase, wobei jeder Kollege den anderen anmoderiert. Und danach halten wir gemeinsam eine Fragerunde ab, die oft nochmal solange dauert, wie die eigentlich Lesung. Denn es ist ganz oft der Fall, dass die meisten Besucher sich wirklich mehr für den Autor und den Entstehungsprozess des Buches interessieren, als dass sie unbedingt dem Text lauschen wollen. Da bin ich ganz bei Nina, lesen möchten die meisten allein. 

      Fazit: Am schnellsten langweile ich (!) mich, wenn der Autor nach der Anmoderation in einem großen Ohrensessel verschwindet, sich das Buch vor das Gesicht hält und gnadenlos zweimal dreißig Minuten vorliest. Am besten amüsiere ich (!) mich, wenn ich bei der Lesung Dinge erfahre, die nicht im Buch oder irgendwo im Netz zu finden sind. 

       

      VG, Dorit  

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        Beigetreten: 03.06.2015
        RE: Neue Formen für Lesungen?
        Mi, 24.06.2015 07:28

        Das ist spannend, vor allem mit dem Fitzek (literarisch mag ich den ja nicht so, aber schon aus dem Grund sollte man sich mal ansehen, wie der das so macht ...).

        Ich glaube, ich bin noch zu sehr in dem "althergebrachten" Lesungs-Modus: halbe Stunde lesen, Pause, halbe Stunde lesen, F&A. Ich kann zwar gut lesen und lese mit "verschiedenen Stimmen", was immer gut ankommt, aber ganz zeitgemäß scheint das alles wirklich nicht mehr zu sein, das geht ja aus euren Antworten schon sehr schön hervor.

         

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          Beigetreten: 28.03.2014
          RE: Neue Formen für Lesungen?
          Mi, 15.07.2015 08:52

          Ich weiß nicht, ob 'zeitgemäß' so der richtige Begriff ist. Frage ist "Wer kommt zu den Lesungen" und "Warum liest Du". In der Regel die, die sich für den Autoren interessieren oder für das Thema. Das bestimmt auch die Altersstruktur und ob es mehr Frauen oder Männer, Bildungsbürger oder nicht, ... sind. Wenn ich Reisegeschichten lese, setzt sich das Publikum anders zusammen, als wenn ich Walter Mehring lese.

          Und auch eine halbe Stunde nur Lesen kann spannend und interessant sein. Ich glaube es liegt im wesentlichen an den 'Entertainer' Qualitäten des Lesenden. Kann er die Zuhörer fesseln nur mit dem Wort; ist er ein Mensch, der viel erzählen kann; ist er multimedialer Unterhalter.

          Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Sicherlich ändert sich Publikumsverhalten und -ansprüche, aber der Kern wird unverändert bleiben: die Zuhörer mit dem, was man präsentiert zu fesseln. Wenn ich Theater mache, gilt immer der Satz "Der Zuschauer muß spüren, warum ich dieses Stück auf die Bühne bringe". Tut er das nicht, dann schläft er ein oder geht in der Pause nach Hause.

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            Beigetreten: 12.03.2014
            RE: Neue Formen für Lesungen?
            Do, 16.07.2015 11:02

            Ich denke auch, es hängt sowohl von der Persönlichkeit des Autors und dem Genre/ dem Roman ab, wie man sich und sein Werk präsentiert. Andreas Eschbach hält eher klassische Lesungen ab. Begrüßung, kleine Anekdote, 30 Minuten Lesung, Fragerunde, 30 Minuten Lesung und danach Bücher signieren und "sich unters Volk mischen". Er trägt gern Pullover und bequeme Hosen, wirkt "normal". Irgendwie der typische Schriftsteller. Hält seine Lesungen gern in Buchhandlungen ab. Liest aus klassischen Hardcover-Ausgaben seiner Werke. Meine lezte Eschbach-Lesung war "Herr aller Dinge".

            Frank Schätzing veranstaltet Multimedia-Events (Light-Show, selbstkomponierter Soundtrack, Video-Einspielungen) und ist eine charismatische Rampensau. Liest vom E-Book-Reader. Bekommt Hallen voll. Letzte Schätzing-"Lesung": Breaking News".

            Beide sind sehens- bzw. erlebenswert. Und könnten verschiedener nicht sein.

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              Beigetreten: 17.04.2015
              RE: Neue Formen für Lesungen?
              Do, 30.07.2015 12:49

              Oh wow, hat da etwa jemand eines meiner Vorbilder (Wolfgang Hohlbein) gedisst? :-P ;-)

              Naja, Spaß beiseite. Ich habe ein Hörbuch, wo WH selbst eines seiner Bücher spricht, das fand ich prima. Ist aber immer noch was anderes als eine Lesung.

              Neulich war ich bei einer Lyrik-Lesung in Bremen, veranstaltet vom Literaturkontor. Dichterin war Hanna Scotti, die zusammen mit einer Freundin ihre Gedichte vorgetragen hat. Die Freundin war Clownin und hat durch ihr begleitendes Spiel das ganze stark aufgelockert. Hat Spaß gemacht.

              Ich selbst hab mal auf einer Lesung eine Geschichte von mir selbst mit dem Didgeridoo begleitet, jemand anderes hatte dann die Geschichte vorgelesen.