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Was schaffe ich denn schon groß?

Federwelt
Mascha Vassena

Was schaffe ich denn schon groß?
Autorin Mascha Vassena denkt nach: über das glanzvolle Leben der vielen „erfolgreichen“ KollegInnen und das eigene Schaffen.

 

„Sag mal, wie schaffst du das nur alles?“, fragte Federwelt-Chefredakteurin Anke mich beim Skypen über einen geplanten Artikel. Ich verstand erst gar nicht, was sie meinte. Was schaffe ich denn schon groß? Ich schreibe einen Roman im Jahr, blogge ab und zu, betreue ein paar AutorInnen in meinen Plotkursen, arbeite ein bisschen in meinem Erstberuf als Grafikerin und übersetze gelegentlich kürzere Texte aus dem Italienischen. Im Allgemeinen fühle ich mich wie ein Faultier, das den ganzen Tag am selben Ast hängt und Blätter kaut. Und nicht mal das ordentlich hinkriegt, weil es alle fünf Minuten seine Facebook-Timeline checkt. Da posten nämlich die Leute, die wirklich was auf die Reihe kriegen. Die ständig Lesungen halten, drei, vier Bücher im Jahr veröffentlichen, im Fernsehen interviewt werden, auf Konferenzen sprechen und auch noch entzückende Haustiere haben, mit denen sie stundenlang im Wald spazieren gehen oder über die Felder galoppieren.

Facebook: eine glitzernde Fassade

Erst durch Ankes Frage wurde mir klar, dass es diesen AutorInnen wahrscheinlich auch nicht anders geht als mir. Dass sie nicht dazu kommen, die Wäsche zu waschen, dass sie den Kindern mittags Fertignudeln servieren, die Fensterbretter einstauben lassen und ihr Schlafpensum kürzen, um all das zu tun, was sie auf Facebook posten. Dass sie genauso kämpfen wie ich, all das, was sie erledigen müssen oder wollen, in die Tage hineinzuquetschen. Davon bekommt man meistens nur nichts mit. Facebook ist ein Ort, an dem man üblicherweise die Glanzlichter des Lebens postet, und diese Glanzlichter der anderen ballen sich in der eigenen Timeline zusammen und erwecken den Eindruck, alle außer einem selbst bekämen unheimlich viel geschafft, eilten von Erfolg zu Erfolg und hätten auch sonst das perfekte Leben. – Wer postet schon, dass er eine Schreibblockade hat oder vom Verlag fallen gelassen wurde? Die Wenigsten. Gepostet wird, wenn man gerade einen Vertrag abgeschlossen oder eine tolle Rezension bekommen hat, wenn man mit dem aktuellen Roman fertig ist oder die lokale Buchhandlung endlich bereit, eine Lesung zu organisieren (natürlich ohne Honorar, aber das lässt man diskret unter den Tisch fallen). Wir sind alle gut darin geworden, eine glitzernde Fassade zu errichten.

Perfektion? Ohne Magie unmöglich!

Wenn man das, was man auf Facebook zu sehen bekommt, für das echte Leben hält, kommt einem alles, was man selbst schafft, natürlich erbärmlich vor. Dazu kommt, dass vor allem wir Autorinnen dazu neigen, nur zu sehen, was wir NICHT schaffen. Ist das bei Männern auch so? Irgendwie habe ich den Verdacht, dass sie dieses Problem nicht kennen. Falls doch, beziehe ich sie gerne ein: Ihr könnt stolz auf das sein, was ihr geschafft habt, auch wenn andere erfolgreicher, aktiver und selbstsicherer erscheinen.

Werdet euch bewusst, dass ihr sehr viel leistet und es in Ordnung ist, nicht der oder die beste, erfolgreichste und schönste AutorIn zu sein. Es ist normal, dass für alles, was wir anpacken, etwas anderes liegen bleibt. Eine gute Autorin und gleichzeitig eine perfekte Hausfrau und Mutter zu sein, ist ohne den Einsatz von Magie unmöglich. Dasselbe gilt natürlich auch für Väter.

Aber was soll’s! Die Kinder finden es super, wenn es zweimal in der Woche Asia-Nudeln aus der Packung gibt, der Knitterlook ist cool und die Katze spielt gerne mit den Staubmäusen unterm Bett. Wer die Menschheit mit großer Kunst beglücken will, muss eben Prioritäten setzen.

Und ganz wichtig: Lasst euch nicht von Facebook blenden! Die anderen kämpfen genauso wie ihr, sitzen im Chaos und wundern sich, wenn sie eure Chronik lesen, wie ihr das nur alles auf die Reihe kriegt.

Autorin: Mascha Vassena | http://maschavassena.blogspot.de | http://autorendienst.net
In: Federwelt, Heft 118, Juni 2016