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Schatz, wir müssen reden!

Federwelt
Nina George

Schatz, wir müssen reden! – Oder: Mit wem können AutorInnen alles besprechen, was sie bewegt?

Ist der Text gut genug? Trägt die Idee ein Buch? Was ist, wenn ich verrissen werde, meine Mutter enttäusche? – Autorinnen und Autoren haben sehr oft erhöhten persönlichen wie auch handwerklichen Gesprächsbedarf. Doch mit wem über das reden, was uns bewegt? – Denn „Muggels“ verstehen uns leider eher selten …

 

Als ich als Sechzehnjährige meinem ersten Freund Thomas gestand, ich wolle Schriftstellerin werden, sagte er spöttisch: „Du? Was willst denn ausgerechnet du so Besonderes zu sagen haben?“ Ich fühlte mich beschämt, wütend (wie konnte er mich nur mit so einem Satz bloßstellen – und gleichzeitig hoffen, wir würden je wieder miteinander schlafen?!), doch vor allem fühlte ich mich nach einer Tränennacht entschlossen.

Thomas’ Satz, der verriet, was er von Schriftstellern im Allgemeinen als auch von mir im Besonderen hielt, formte die Wurzel meines Widerstands. Den festen Willen, es trotzdem zu versuchen. Trotz Thomas und trotz der gesellschaftlichen Bedenken, die in den späten Achtzigerjahren Mädchen und Frauen entgegengebracht wurden, die sich für eine selbstständige künstlerische Laufbahn interessierten, anstatt einen dekorativen Beruf wie Sekretärin oder Bürokauffrau zu wählen. Ich würde Schriftstellerin werden – und es garantiert nie wieder jemandem erzählen, so lange, bis das erste Buch erschiene.

Gleichsam spürte ich das Ziehen einer bis dato unbekannten Einsamkeit: Mit wem würde ich je darüber reden können, was in mir geschieht, wenn ich schreibe? Ist das denn eine solche Zumutung – das Schreiben?

Hilfe, meine Frau ist Künstlerin!

Die schlechte Nachricht: ja. Meistens. In allen Beziehungen mit, wie ich sie nenne, „Zivilisten“ oder „Muggels“, mit „nichtmagischen“ Menschen eben – frei nach Rowling –, war ich das einzige kunstschaffende Wesen. Die anderen hatten ordentliche Berufe, von denen sie genau wussten, dass diese sie die nächsten zehn, zwanzig Jahre ernähren konnten. Ich wusste meist nicht mal, was in drei Monaten sein würde.

Für die meisten bestand meine Tätigkeit eh nur aus „tippen“.

„Na, tippst du schon wieder?“

Nein. Ich leide. Ich töte. Ich biege Realitäten. Ich reise in der Zeit vor und zurück, ich erkunde Mordlust und wie es wäre, das Leben von jetzt auf gleich durch eine Seitentür zu verlassen. Ich schreibe mich weit weg von dir. Von euch. Stör mich nicht beim Fühlen! Nimm mich in den Arm, ich halt mich selbst nicht mehr aus ...

Sagen Sie das mal einem Muggel.

Schwierig.

Der Schreibprozess mit all seinen Zweifeln, nächtlichen Schaffensattacken, überraschenden Heularien, radikalen Rückzügen aus jedem sozialen Leben, das brütende Überarbeiten und die komplette Verweigerung, nur von neun bis 17 Uhr nach dem Gral zu suchen, ist einigermaßen störend für eine bequeme übersichtliche Paarlebensgestaltung.

Keiner versteht mich! Außer ...

Auf Lehrgängen und Workshops begegnen mir häufig Frauen. Ich etabliere stets eine Stunde, die ich den „weiblichen Moment“ nenne: Ich bitte die Teilnehmerinnen zu erzählen, wie sie es geschafft haben, sich in ihren Ehen, Familien, in ihrem Alltag, ein schreibendes Leben zu erobern.

Die eine schreibt heimlich, zwei Stunden bevor der Mann aufsteht, in der Küche und versteckt ihre Hefte im Waschmittelkarton, weil er es nicht so gern sieht, wenn sie „ihre Grillen pflegt“. Eine andere gewöhnte sich an, im Pendler-Zug mit altem Laptop auf den Knien zu schreiben. – Es gab daheim kein einziges Zimmer für sie allein. Allerdings besaßen die Kinder eines, der Mann den Hobbyraum und sogar der Pudel hatte eine Hundehütte.

Auf die Frage, mit wem sie darüber reden könnten, was sie bewegt am Schreiben, gaben alle dieselbe Antwort: mit niemandem. Auch Männer müssen die ganze Schreibsache meist irgendwie mit sich selbst aushandeln.

Oder eben: mit anderen Schriftstellerinnen und Autoren!

Nur jene, die bereits Jahre am Schreibtisch verbracht und erlebt haben, wie ihr Manuskript abgelehnt, verrissen, verbogen wurde, können nachvollziehen, wie es sich anfühlt, das erste Mal mit einem Text auf Akquise zu gehen. Nur jene, die veröffentlicht wurden, und das Gefühl von beschämter Dankbarkeit kennen, dass sie endlich einen Verlag haben – nur die können verstehen, warum die Honorarverhandlungen mitunter so schwerfallen und man am liebsten dem Verleger Geld mitbringen will vor Dankbarkeit! Nur jene, die nach Dekaden bei ein und demselben Verlag gleichgültig behandelt werden, beliebigere Cover erhielten und keinerlei Pressekontakte oder Einladungen zu Buchmessen – nur die können nachvollziehen, was einen Profiautor dazu treibt, es auf eigene Faust bei Amazon zu versuchen, um die Kontrolle und gleichermaßen die Würde über das eigene Schaffen zurückzuerlangen.

Autorenvereinigungen

Auch für solche Bedürfnisse, für die Möglichkeit, in den Spiegel der eigenen Seele zu schauen, wurden einst Schriftstellerverbände formiert. Damit Menschen, die sich auf den unberechenbaren Weg des Schreibens begeben, einander gut tun, sich mit dreckigen Witzen aufmuntern oder einander, ohne all die Verzweiflungen noch ausführlich erklären zu müssen, Verständnis, Rat oder sogar mal ein bisschen Vitamin B(eziehung) geben können. Manche, wie der Bundesverband junger Autoren und Autorinnen (BVjA) oder die Mörderischen Schwestern, nehmen auch unveröffentlichte AutorInnen an.

Als Neumitglied von Verbänden, Foren oder Stammtischen ist es so, als ob sich eine Tür zu einem anderen Universum öffnet, das die ganze Zeit direkt nebenan war: dutzende, hunderte Gleichgesinnte! Selbe Zweifel, selbe Hoffnung.

Schreiberpsychen sind anders gestrickt. Von allem ein Tick „zu“. Entsprechend „zu“ verlaufen Tagungen, Festivals, Treffen. Eine gigantische Selbsthilfegruppe! Und wehe, es gibt Alkohol: Man möchte dann am liebsten für immer eine riesige Künstlerinnen-WG gründen. So für drei Tage.

Die Schreibfreundin

Eine andere Möglichkeit, ein Gegenüber für die Schreibseele zu finden, ist es, sich eine reine Schreibfreundin zu suchen, die ebenfalls künstlerisch arbeitet. Es sollte nicht Ihre Mutter sein. Müttern ist in Sachen Kunst nicht zu trauen. Entweder lobhudeln sie, um nicht zu kränken, oder sie urteilen geschmäcklerisch, vorwurfsvoll, hilflos. Oder: Sie reagieren auf alles im Text, was mit ihnen zu tun haben könnte, mit höchst misstrauischer Wachsamkeit. Da reicht schon dieselbe Haarfarbe.

Mit einer Schreibfreundin wachsen Sie über sich selbst hinaus. „Zeigst du mir deins, zeig ich dir meins“: Das Sprechen über Ideen, Texte, gelesene Bücher, über Buchkritiken, das Schreiben und Nichtschreiben, stellt eine solche intime Nähe und Verschworenheit her, wie sie nicht mal in Gesprächen über Sex erreicht wird. Sie nehmen sich gegenseitig in erster Linie als Autorin und Autor wahr. Erst in zweiter als Frau und Mann oder Frau und Frau. Und, ja, das ist ein Unterschied: Ich fühlte mich zum Beispiel nie zuvor so anerkannt in meinem tatsächlichen Sein wie von einem Schriftsteller, der mich als Schriftstellerin sah. Und alles, was ich bin und tue, von dieser Basis aus einordnet. Oder, anders gesagt: Mein Mann versteht das, was andere rätselhaft, anstrengend oder egoman finden, als ganz normale Verhaltensweisen.

Ich weiß, dass ich beschenkt bin mit einem Seelenfreund, der mich auch als Frau und Gefährtin liebt. Für uns gibt es keinen Feierabend vom AutorIn-Sein; wir sind es seit elf Jahren gewöhnt, das Schreiben in jeder Sekunde unseres Zusammenseins zu leben. Reisen, recherchieren, Austausch, gegenlesen, redigieren, auf Lesungen begleiten und, das Wichtigste: in den tiefen Tälern der Angst bereitstehen. Am besten mit einem Gin Tonic und einer Anekdote, wie das neulich war bei dem Buchhändler ohne Mikrofon, ohne Ankündigung und mit dem Klo, zu dem man über den Hof musste und bei Müller klingeln ...

Warum ich hier keine Agentin oder Lektorin aufführe? Weil sie Ihre Geschäftspartnerinnen sind. Nicht Ihre Seelenpartner. Und Sie brauchen eine Beziehung, bei der Geld oder Zusammenarbeit keinerlei Rolle spielt.

Kurze Gebrauchsanweisung für Künstler und Künstlerinnen

Reichen Sie diesen Teil des Artikels vielleicht an die Person weiter, die Ihnen am nächsten steht. Es folgt eine kurze Anleitung zur Aufzucht und Pflege einer Schreiberseele:

1) Mehr noch als jeder handelsübliche Mensch sind Künstler ein Rundum-Sorgen-Paket. Alles an ihnen ist extremer – der Zweifel, die Arbeitsmanie, die Freude. Kommentieren Sie das nicht jedes Mal, verlassen Sie den Raum, aber nicht, ohne vorher etwas Liebes zu sagen.

2) Wir brauchen Struktur, aber keinen Zwang: Unsere Abkehr von Nine-to-five-Abläufen macht es schwer, mit uns ein unfallfreies zuverlässiges Leben zu führen. Wir mögen keine Hobbys, sozialen Kontakte und ständiges „was unternehmen“, nur weil die Sonne scheint. Wir leben am Schreibtisch. Bieten Sie uns in manischen Zeiten nur eine zarte unverbindliche Struktur mit regelmäßigem Essen und gelegentlichen Zwangsspaziergängen.

3) Achtung, wichtig: Wenn Sie einen Text zu lesen bekommen, SAGEN SIE AUF KEINEN FALL DAS ERSTE, WAS IHNEN DAZU EINFÄLLT! Solange Sie nicht selbst Schriftsteller sind, schauen Sie als Leser, nicht als Textdoktor auf eine Geschichte. Oder, anders gesagt: Sie können kein konstruktives Urteil abgeben, nur ein subjektives. Das hilft aber nicht beim Überarbeiten. Fragen Sie: „Nach was soll ich schauen: Ob die Figuren überzeugen oder ob es Längen gibt? Oder soll ich sagen, was mir besonders gefällt?“

Fazit: Jene, mit denen wir über das reden, was uns bewegt, sollten wir sorgfältiger auswählen als Ehepartner oder Hausarzt.

 

Autorin: Nina George | www.ninageorge.de
Illustration: Carola Vogt | http://boerboom-vogt.de/
In: Federwelt, Heft 121, Dezember 2016