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Wie Sebastian Fitzek mit seiner Lektorin Regine Weisbrod zusammenarbeitet

Federwelt
Anne Weiss
Sebastian Fitzek und seine Lektorin Regine Weisbrod

Sebastian Fitzek und seine Außenlektorin Regine Weisbrod im Gespräch mit Anne Weiss – über gute Fragen, die dazu führen, dass man am Anfang des Textes die Weichen noch einmal nachjustiert, und vieles mehr. Folge 3 der Interviewreihe »Liebe auf den ersten Satz«.

Was genau macht ein gutes Elternteam fürs Buchbaby aus? Was müssen Autorinnen und Autoren in der Zusammenarbeit mit dem Lektorat beachten – und umgekehrt?

Für die Federwelt habe ich einige Bestsellerautoren befragt – zusammen mit denen, die sonst nie im Rampenlicht stehen: ihren Lektorinnen. Den Auftakt machten in Heft 133 Markus Heitz, der Fantasy und Horror schreibt, und seine Lektorin Hanka Leo – dort findet ihr auch einen längeren Text dazu, was aus meiner Sicht gute Zusammenarbeit im Lektorat ausmacht.

Nach Sabine Städing und ihrer Lektorin Linde Müller-Siepen (Heft 134) geht es diesmal weiter mit Sebastian Fitzek, Deutschlands erfolgreichstem Autor von Psychothrillern. Seit seinem Debüt Die Therapie stehen all seine Romane an den Spitzen der Bestsellerlisten. Inzwischen werden seine Bücher in vierundzwanzig Sprachen übersetzt, die Stoffe international verfilmt und im Theater aufgeführt. Als erster deutscher Autor erhielt Sebastian Fitzek den Europäischen Preis für Kriminalliteratur. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.
Regine Weisbrod arbeitete als Verlagslektorin bei Droemer Knaur, bevor sie sich nach der Elternzeit selbstständig machte. Sie wohnt in Konstanz am Bodensee und begutachtet unter anderem Drehbücher für den Hessischen Rundfunk sowie die Degeto Film GmbH. Für verschiedene Verlage betreut sie namhafte Autoren – einer davon ist seit vielen Jahren Sebastian Fitzek.
Wie beim letzten Mal findet ihr im Randstreifen einen Giftkasten mit Sätzen, die ihr während der Arbeit am Buch lieber nicht aussprecht. Diese sind zu 100 Prozent wahr. In jedem Fall gefährlich. Und in seltenen Fällen sogar tödlich – zumindest für die Zusammenarbeit.

Wie war euer erstes Zusammentreffen, wart ihr euch auf Anhieb sympathisch?

Regine Weisbrod: Bei einem Krimifestival in Neumarkt haben wir uns mal die Hand geschüttelt, da hatte Sebastian gerade Die Therapie veröffentlicht. Bei seinem dritten Roman bin ich dann an Bord gekommen.
Sebastian Fitzek: Meine allererste Lektorin bei Droemer hat mich schnöde im Stich gelassen. (lacht) Nur ein Scherz, sie hatte ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte. Ich bin dann glücklicherweise gleich von zwei Lektorinnen übernommen worden: von Carolin Graehl im Verlag und Regine Weisbrod extern. Das erste Treffen mit Regine fand erst statt, nachdem wir bei dem Projekt sehr viel über Mail korrespondiert hatten.
Regine Weisbrod: Das ist das Spannende, finde ich. Über den intensiven Austausch bei der Textredaktion hatte ich sehr schnell das Gefühl, wir kennen uns bereits.

Wie läuft eure Zusammenarbeit ab?

SF: Das Exposé schicke ich Regine und Carolin im allerfrühesten Stadium. Sie sprechen sich untereinander ab und schildern mir dann gesammelt ihre Eindrücke. Manchmal erkenne ich an den Anmerkungen am Rand, wer was gesagt hat. Ihre Kommentare zeigen mir, wo Probleme auftauchen könnten. Jedes gute Lektorat funktioniert nach einer Art Hebammenmethode: Der Lektor oder die Lektorin sollte sich nicht selbst verwirklichen und auch nicht vorgeben, wie es gemacht werden sollte – sondern Fragen stellen.
RW: Stimmt, ein Lektor sollte die Rolle des Autors nicht mit der eigenen verwechseln. Ich habe eine grundsätzliche Wertschätzung vor dem, was ein Autor oder eine Autorin geschaffen hat. Ich nehme das ernst und gehe sorgsam damit um.
SF: In der zweiten Runde, wenn ich den ersten Manuskriptentwurf schicke, denke ich immer erst: Nach 16 Büchern kann ja jetzt nicht mehr viel drin sein. (lacht) Dann kommen trotzdem immer noch so hundert, hundertfünfzig Fragen am Rand. Solche wie: „Würde die Figur jetzt wirklich von einem Taxifahrer mitgenommen werden, wenn sie schon blutend am Straßenrand steht?“ Dann gibt es drei Möglichkeiten: Entweder hat man es erklärt, aber offensichtlich nicht gut genug, sonst wäre die Frage ja nicht aufgetaucht. Oder man hat es nicht erklärt – auch dann muss man wieder zurück an den Text und ihn überarbeiten. Die dritte Möglichkeit ist: Man hat es gut genug erklärt und der Lektorin ist beim Lesen ein Fehler unterlaufen. Das ist sehr unwahrscheinlich. Also, so oder so muss man an die Stellen, wo eine Frage ist, noch mal ran. Und dann geht das pingpongmäßig hin und her.
RW: Meist per Mail, aber während der gemeinsamen Arbeit gibt es auch viele Gelegenheiten, bei denen wir uns sehen, wie auf der Messe oder auf einer Lesung, wenn diese in meiner Nähe stattfindet. Heute Abend gehen wir zusammen ins Kino zur Premiere von Abgeschnitten – ein Film nach dem Roman, den Sebastian mit Michael Tsokos geschrieben hat. Bei solchen Treffen tauschen wir uns aus, über den Text und überhaupt.
SF: Wenn wir nicht mündlich darüber sprechen, arbeiten wir in Word mit „Änderungen nachverfolgen“. Wenn ich dann nicht verstehe, wo das Problem lag, diskutieren wir oft in den Kommentaren.
RW: Da stehen durchaus mal ganz lustige Dialoge in den Sprechblasen.
SF: Aber es läuft immer unglaublich höflich ab. Bei Regine steht dann am Rand: „Ist das so gemeint?“ Manchmal weiß ich nicht, was ich da überhaupt schreiben wollte, und denke, wahrscheinlich schon.

Wie früh sprecht ihr über eine Idee?

SF: Ich rede relativ frühzeitig über Ideen, um sie dann eben gegebenenfalls zu verwerfen. Und ich brauche auch das Feedback. Ideen hat man im Laufe der Zeit ja sehr viele, deshalb sind sie in Deutschland auch nicht geschützt, sondern nur ihre konkrete Umsetzung. Ob eine Idee zu einem Buch taugt, kristallisiert sich erst über Monate, manchmal Jahre hinweg heraus, und ich brauche frühzeitig einen Sparringspartner, dem ich sagen kann: Stell dir folgende Situation vor ... würde dich das interessieren?
RW: Stimmt, über die Grundidee reden wir schon sehr früh. Die Idee von Passagier 23 hat Sebastian mir vor Ewigkeiten auf einer Lesung erzählt, auch wenn es Jahre gedauert hat, bis er sie umgesetzt hat.

Habt ihr mal Missverständnisse? Wenn ja, wie klärt ihr die?

SF: Über Anwälte.
(Beide lachen.)
RW: Wichtig ist, dass ich in der Rolle der Lektorin bleibe. Es ist eben nicht mein Buch, sondern Sebastians. Als erste Leserin bin ich diejenige, die guckt, wo’s für mich hakt, und ich stelle Fragen, wenn mir etwas auffällt. Aber Sebastian trifft dann die Entscheidungen.
Mit dem Prolog von Passagier 23 hatten Carolin und ich erst ein bisschen Probleme. Sebastian hat darauf bestanden, dass er so im Buch erscheint, und dann ist er natürlich genau so geblieben. Und hat sich als gut erwiesen.
Ich verstehe meinen Job wirklich als erste Rückmeldung. Ich schreibe das Buch nicht – und ich schreibe es auch nicht um. Wenn ein Lektor anfängt, umzuschreiben und den Text als seinen eigenen zu betrachten, sollte man darüber ein klärendes Gespräch führen.
SF: Dabei entwickelt sich das Buch vom ersten zum zweiten Entwurf maßgeblich – auch durch die Fragen, die aus dem Lektorat kommen. Manchmal lassen die sich beispielsweise nur durch eine etwas andere Weichenstellung am Anfang lösen. Regine legt den Finger in die Wunde, und wenn ich eine Antwort auf ihre Fragen finde, ist auf einmal alles ganz logisch. Das ist ganz, ganz wichtig – ohne Lektorat ginge es überhaupt nicht.

Gibt es Sachen, wo du ihr freie Hand lässt?

SF: Bei Formulierungsschwächen, Dopplungen und Ungenauigkeiten. Durch den Änderungen-nachverfolgen-Modus sehe ich alles, was geändert wurde, aber ich muss nicht jede Kleinigkeit noch mal genau prüfen. Am Ende lese ich mir die Druckfahnen lieber noch mal laut vor, um zu prüfen, ob der Text in irgendeiner Weise hakt. Dann gibt’s keine Überraschungen im Buch. Nicht so wie in der ersten italienischen Fassung von Die Therapie – da hat der Lektor ein Kapitel hinzugefügt und damit leider das Ende verraten.
Aufgefallen ist das dem griechischen Verleger, der das italienische Buch gelesen hat, weil es noch keine englische Fassung gab. Er meinte, das Kapitel sei ja total blöd. Wir haben dann den italienischen Verlag gewechselt – manchmal muss man sich eben auch trennen, wenn jemand eine Linie überschreitet.
RW: Bei einem Eingriff, der darüber hinausgeht, mal einen Satz zu streichen oder eine Formulierung zu ändern, muss man von Lektoratsseite immer Rücksprache halten. Etwas so stark zu verändern, fände ich nicht angemessen. 

Was schätzt ihr aneinander?

SF: Auf jeden Fall die unglaubliche Professionalität, die dazu gehört, ein Buch immer wieder zu lesen, als ob es das erste Mal wäre. Dazu braucht man Geduld, die für diesen Job wesentlich ist. Ich könnte das nicht – ich würde es ein Mal lesen und will vorher auch nicht das Exposé kennen. Aus Regines Kommentaren spricht ihr unglaubliches Fachwissen – stilistisch, inhaltlich und dramaturgisch. Und das alles ist gepaart mit dieser harmonischen, respektvollen persönlichen Art, die dazu geführt hat, dass aus der Arbeitsbeziehung eine Freundschaft geworden ist. Ich weiß nicht, ob das eine Voraussetzung ist, aber es ist ein ganz großes Glück, dass wir uns beruflich wie privat gut verstehen.
RW: Das erlebe ich auch so. Und, das betrifft jetzt Sebastians Seite der Arbeit: Man muss als Autor auch damit umgehen können, dass man einen Text abgibt, den er für fertig hält ...
SF: Naja, die erste Fassung, sagt Hemingway, ist immer Mist!
RW: … ja, aber die Grundidee ist immer spektakulär und sehr vieles stimmt eben auch. Und dann kommt der Text von mir zurück, und es sind trotzdem kritische Anmerkungen drin. Ich setze mich ja nicht hin und schwärme nur, erkläre, was ich spannend finde und was gut ist. Es sind halt, wie Sebastian es mal in einer Danksagung geschrieben hat, von 300 Kommentaren 298 negativ. Und damit muss man umgehen können – ich kenne keinen, der so wie Sebastian jedes Fragezeichen und alle anderen Kommentare ernst nimmt und etwas daraus macht. Er ist sogar bereit, etwas, das aus Lektoratssicht noch nicht stimmt, noch mal komplett umzuschmeißen. Und ich bin überzeugt: Das ist auch einer der Gründe dafür, dass die Bücher so gut und so erfolgreich sind. Weil die Bereitschaft da ist, sich immer wieder mit dem Manuskript auseinanderzusetzen und nicht zu sagen: „So, jetzt habe ich aber so viel Zeit investiert, und ich fand’s eigentlich super. Jetzt machen wir noch diese drei Sachen, dann muss es aber gut sein.“ Diese Professionalität bewundere ich auch sehr.
SF: Die eigentliche Arbeit beginnt nach dem ersten Entwurf. Und deswegen ist das Lektorat unabdingbar für den Erfolg.

In Heft 137 erzählen Micaela Jary alias Michelle Marly und ihre Lektorin Stefanie Werk, Programmleiterin bei Aufbau Taschenbuch, von ihren Startschwierigkeiten und wie es sie zusammengeschweißt hat, schon mal einen echten Konflikt überwunden zu haben.
 

Autorin: Anne Weiss | www.bonnerweiss.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 135, April 2019
Foto: Anne Weiss

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 135, April 2019: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-22019
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