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Warum ich mich in meinen Exposés NIE zu genau festlegen mag

Federwelt
Heidemarie Brosche
Bild zum Thema Warum ich mich in meinen Exposés NIE zu genau festlegen mag

Bei meinen ersten Büchern wusste ich noch gar nicht, dass es so etwas wie ein Exposé gibt, geschweige denn, dass man eines schreiben muss. Ich tippte fröhlich vor mich hin und zeigte diese Textprobe – oft genug war es auch der ganze Text – dem Verlag. Das Exposé, sofern eines angefragt wurde, erzählte ich dann einfach mündlich.

Dann begann ich zu begreifen, dass sich etwas sehr Wesentliches hinter diesem Begriff verbirgt. Dass es „den Verlag“ vom angestrebten Buchprojekt überzeugen muss. Und dann begann ich, Exposés zu schreiben: Ich brachte zu Papier, worum es im geplanten Buchprojekt gehen sollte, warum Menschen das Buch kaufen sollten, ob es gar ein Alleinstellungsmerkmal gab, das mein Buch von allen anderen bereits vorhandenen eindeutig abhob. Und spürte schnell, dass es mir sehr schwer fiel, eine Geschichte von Anfang bis Ende zu konzipieren. Die Richtung hatte ich selbstverständlich im Kopf, aber eben nur die Richtung. Ein ganz klarer Handlungsverlauf ... fiel mir schwer. Wohl genau aus dem Grund, warum ich auch in Zukunft meiner Methode treu blieb, Exposés nicht detailliert auszuarbeiten. Ich ahnte einfach, dass mir während des Schreibens so viele Ideen kommen würden, die die ursprünglich angedachte Handlung nicht nur ergänzen, sondern auch maßgeblich beeinflussen würden.

Am extremsten passierte mir dies bei „Schilly-Billy Superstar“. Was ich geplant hatte, war ein leicht geschriebener und recht kurzer Jugendroman, der extreme Lesemuffel zum Lesen verlocken sollte. Lesemuffel, wie ich sie als Lehrerin in der Schule vor mir sitzen hatte. Vier Hauptfiguren hatte ich mir ausgedacht: Dennis, 15; Halil, 16; Andrej, 14; und Susy, 14.

Vom geplanten Inhalt her blieb ich in meinem Exposé sehr vage. Die Handlung sollte sich so entwickeln, dass Dennis durch die Ausschreibung eines Casting-Wettbewerbs aus der Lethargie des faulen Schülers gerissen wird und am Ende Susy für sich gewinnt. Wichtig war mir, die Handlung mit viel Situationskomik anzureichern. Ich stellte mir vor, wie meine jugendlichen LeserInnen beim Lesen grinsen mussten oder gar losprusteten.

Genau diese Situationskomik kann ich nicht planen, sie ergibt sich während des Schreibens. Allerdings hatte ich mir von Anfang an einige Situationen notiert, die ich irgendwie in die Handlung einbauen würde – Situationen, die ich erlebt oder erdacht hatte und bei deren Vorstellung ich selbst von Herzen lachen musste.

Wie man in der 7. Auflage des „Handbuchs für Autorinnen und Autoren“ auf Seite 445 ausführlich nachlesen kann, entwickelte sich gleich auf den ersten Manuskriptseiten eine für die spätere Handlung wesentliche Abweichung vom ursprünglichen Exposé: Als Dennis nach einem Fehlverhalten von Schulleiter und Lehrerin zum Rektorat zitiert wird, war in meinem Kopf plötzlich der Satz: „Ich sei, gewährt mir die Bitte,/In eurem Bunde der Dritte!“ Ich sah Dennis vor mir, wie er diesen Satz einfach so ausspuckt, ohne groß zu denken; wie respektlos er dabei auf die beiden Lehrkräfte wirkt, und legte ihm die Worte tatsächlich in den Mund. Dieses Schiller-Zitat, das sich völlig ungeplant hereingeschlichen hatte, zog eine Fülle an Ideen für den weiteren Handlungsverlauf und an Möglichkeiten für Situationskomik nach sich. Sogar die Personen veränderten sich und Zug um Zug entstand auch eine Persiflage auf Schillers „Die Bürgschaft“.

Dass Lehrkräfte das Buch gerne in Zusammenhang mit dieser Ballade einsetzen, dass sie es für Kreatives Schreiben nutzen, dass „Die Bürgschaft“ gar gerappt und durch Beatboxen begleitet wird – all dies und noch viel mehr war einzig und allein die Folge meiner kleinen Blitzidee. Ein komplett festgelegter Handlungsablauf hätte mir diese Möglichkeit genommen.

Auch die Charaktere wandeln sich
Was die Charakterisierung der Personen betraf, wurde aus Dennis sehr schnell Billy, denn ich wollte diesem Jungen einen Namen verpassen, der etwas mit „Schiller“ zu tun hatte. Als Lehrerin habe ich mal das Schulkino SchillyWood ins Leben gerufen, und die Schülerzeitung, die ich betreue, heißt SchillySchote. So lag eine Schilly-Verbindung nahe. Ja, und was reimt sich auf „Schilly“?!

Fast genauso schnell kamen das berühmte Regal eines großen Möbelherstellers und eine Kondommarke ins Spiel. Der zu Billy gewordene Dennis durfte nun auch nicht mehr ganz so schulmüde auftreten, denn immerhin hatte er sich „Die Bürgschaft“ eingeprägt; Andrej wurde plötzlich zum Zeichen-Genie, denn das erforderte die neue Handlung. Und Ömer, der im Exposé noch Halil geheißen hatte, wurde zum Beatboxer, weil es so wunderbar passte – und weil ich in der fraglichen Zeit einen begnadeten echten Beatboxer unter den Schülern meiner eigenen Schule erleben durfte.

Um auf keinen Fall in die „falsche“ Richtung zu schreiben, sprach ich mich mit dem Lektorat meines Verlages ab. Mir war klar, dass ich das im Exposé gegebene Versprechen im Prinzip halten musste. Aber meine Begründung schien doch so einleuchtend ... Kurz und gut: Die Begeisterung schwappte über, alle Änderungen wurden akzeptiert.

Entscheidende Wendung durch Ideenfeuerwerk
Nie vergessen werde ich die Exposé-Entwicklung zu meinem Kinderroman „Max und die Skaterbande“. Am Vormittag hatte ich mit der Lektorin ein Gespräch zum Projekt „Skater-Roman“ geführt, am Abend trat einer meiner Söhne in seiner Schule als Chormitglied auf. Mitten während der Darbietung schoss mein Hirn ein Ideenfeuerwerk ab. Leicht verschämt – eine Mutter hat bei einem solchen Anlass ihrem Kind zuzuhören und nicht zu arbeiten – notierte ich die Einfälle fieberhaft in einem kleinen Büchlein, das ich immer mit mir trug. Ein Außerirdischer kommt da vor und ein Rollodrom. Alles mündete in ein Exposé. Vieles wurde umgesetzt. Dass ich während des Schreibens plötzlich die Idee hatte, das Rollodrom könnte Skater-PALAST heißen und in einem Palast ein König residieren, verschaffte dem Skater-King Zutritt in die Geschichte und dieser DIE entscheidende Wendung.

Die Magie spontaner Eingebungen
Weil ich also um die Magie von Einfällen weiß, die mich ohne Voranmeldung während des Schreibens überfallen, weil ich auch immer wieder erlebe, dass Personen, die ich geschaffen habe, etwas ganz anderes tun, als ich für sie im Exposé vorgesehen hatte, und weil mir genau dies, was sie dann so plötzlich und ungeplant tun, oft viel besser gefällt als der Plan – ja genau deshalb möchte ich nie eine Geschichte schreiben, deren Ablauf von Anfang an genau festgelegt ist. Ich möchte weiterhin auf diese Magie vertrauen – so wie bei meinem jüngsten Jugendroman „Couch on fire“. Hier legte ich der Hauptfigur „Couch“ erst während des Schreibens die abfällige Bezeichnung „Vollhorst“ für den noch namenlosen verabscheuten Verehrer der Mutter in den Mund, was wiederum erst ermöglichte, dass dieser sich zum sympathischen Vollkorn (echter Name: Kornelius, kurz: Korn) entwickeln durfte. Wie schön, dass Korn geboren ist, ich hätte ihn sonst sehr vermisst! Und ich hoffe, den LeserInnen geht’s nicht anders.

Schön fand ich auch, dass es mir möglich war, eine Episode zu verwerten, die sich abspielte, während ich gerade an „Couch on fire“ schrieb. Ein Mensch aus meinem näheren Umfeld berichtete mir verschämt, er sei mit Kaugummi im Mund eingeschlafen und habe sich beim Aufwachen am nächsten Morgen „festgeklebt“ gefühlt. Ich entlockte dem jungen Menschen sämtliche Details dieses Missgeschicks – und schon durfte Couch ein sehr ähnliches Desaster erleben.

Das Wort der LektorInnen
Meiner Erfahrung nach haben LektorInnen ein gewisses Vertrauen in das Improvisationstalent ihrer AutorInnen. Allerdings mit Sicherheit nicht beim ersten Manuskript! Aber wenn so schon öfter gute Bücher entstanden sind, gibt es wenig Grund, die Kreativität der AutorInnen zu beschneiden, indem alles, aber auch wirklich alles im Vorhinein festgelegt wird.

Einmal war ich sehr froh, dass ich gleich in der Anfangsphase eine – mir genial erscheinende – Idee hinausposaunte. Bei den Recherchen zu „Marie und das magische Pony“ hatte ich erfahren, dass die schreckhaften Ponys oft vor ihrem eigenen lauten Pupsgeräusch die Flucht ergreifen. Das gefiel mir sehr. Als Autorin, die gerne flapsig und ungerne romantisch schreibt, hatte ich schon eine wunderbare Szene im Kopf, ja, ich malte mir einen Running Gag zum Pups-Schreck aus, der das gesamte Buch prägen sollte. Meine Lektorin, der ich diesen Einfall begeistert schilderte, sagte kurz und bündig: „Nein!“ Ein magisches Pony pupse nicht. Dies passe nicht zu der Geschichte, die sie sich erwarte. Enttäuscht verabschiedete ich mich von den geplanten Szenen. Und registrierte wenig später erleichtert, dass ich immerhin noch keinen Satz in die „falsche“ Richtung geschrieben hatte.

Meine Empfehlung: Entwicklungen und Änderungen von Handlungsverlauf und Charakteren lieber einmal zu viel abklären als einmal zu wenig! Es sei denn, Ihr Lektor beziehungsweise Ihre Lektorin vertraut Ihnen blind oder Sie lieben das Risiko.

Heidemarie Brosche: www.h-brosche.de

In FEDERWELT, Heft 107 August/September 2014

 

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