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Vorlesen für Fortgeschrittene Folge 54

Federwelt
Michael Rossié
Bild zum Thema Vorlesen für Fortgeschrittene

Die Parenthese: Viele Autoren – um mit einer Pauschalaussage zu beginnen – lieben sie: die Parenthesen. Damit kann man Gedanken so herrlich ausbauen und simulieren, dass den Helden die Einfälle nur so überfallen. Egal, wie Sie über dieses Stilmittel denken, sehen wir uns an, wie man es lesen würde.

In Moderationstexten würde ich Parenthesen grundsätzlich streichen oder sie ans Ende des Satzes packen. Viele Autorinnen lieben Parenthesen –, um mit einer Pauschalaussage zu beginnen. Das liest sich einfacher und die Hörer verstehen es besser. Aber die Autorin, der Autor sind Sie.

Der Gärtner – nun wieder Herr seiner Kräfte – schlug zu. Dass Sie hier an den beiden Bindestrichen eine Pause machen, versteht sich von selbst. Aber Sie können noch mehr tun. Sie könnten mit der Stimmlage arbeiten und die Parenthese ein wenig leiser und verhaltener sprechen, um dann mit aller Kraft zuzuschlagen. (Groß, voll Spannung:) Der Gärtner – (Im Tonfall von „übrigens“:) nun wieder Herr seiner Kräfte – (Wieder groß:) schlug zu. So wäre die Trennung der zwei Gedanken leichter zu verstehen. Achten Sie nur darauf, dass Sie im zweiten Teil des Hauptsatzes den Ton des ersten Teiles wieder aufgreifen. Drei verschiedene Töne wären deutlich zu viel für einen Satz.

Sie können den Einschub auch stärker und kräftiger sprechen als den ihn umgebenden Satz. Dann wäre die Tatsache, dass er wieder Herr seiner Kräfte ist, ein lang ersehnter Wunsch des Gärtners. Auch hier führen Sie aber den Ton des ersten Teiles(nach dem Einschub) im zweiten Teil weiter.
Oder Sie sprechen den Einschub schneller: Anders als geplant – (schnell:) sie kamen ja aus allen Richtungen – ging er ins Haus. Beziehungsweise langsamer: Auf dem Markt – (langsam, im Tonfall von „typisch“:) wie immer um diese Tageszeit – herrschte hektisches Treiben.

Dasselbe geht mit laut und leise und mit unterschiedlichen Untertönen, wie gelangweilt und gestresst, kraftvoll und müde oder unentschlossen und fokussiert. Das sage ich dir – diesmal ohne jede Drohung – jetzt zum letzten Mal. So helfen Sie den Zuhörern, beide Satzteile deutlich zu unterscheiden.
Jemanden gut zu unterhalten, ist eine Frage der richtigen Vorbereitung!

Michael Rossié im Internet: www.sprechertraining.de

In: FEDERWELT, Heft 114, Oktober/November 2015