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Von Gute-Laune-Wörtern und kleinen Klängen

Federwelt
Bild zum Thema Gute Laune Wörter und kleine Klänge

Wer den Staben nicht ehrt, ist das Buch nicht wert. Ein Plädoyer fürs Achtgeben auf kleinste Wortteile. - Psycholinguistik für AutorInnen.

Ohne Staben kein Buch. Weil: Ohne Apfelkuchen auch kein Apfel. Es gibt Granny Smith und Vokale, Gala und Konsonanten, Braeburn und Zischlaute, Golden Delicious und Diphthonge schon nah dran an der „Tongue“, der Zunge, die sogar Muttersprache heißt im Englischen: mother tongue. Und bei den Indianern, so lernten wir es aus Wildwestfilmen, sprachen die Bleichgesichter zuweilen mit gespaltener Zunge.

Locker werden mit L?
„Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass in Wiegenliedern oft der Buchstabe L vorkommt?“, fragte mich einmal eine Logopädin. Und sie erklärte mir auch gleich, warum: „Beim L liegt die Zunge am Gaumen, und dort befindet sich ein Entspannungspunkt.“

L also. Meine Buchheldinnen heißen oft mit L. Sogar mein Hund. L wie Luna. Könnte es sein, dass mein Unterbewusstsein hinter meinem Rücken mit dem Alphabet kommuniziert? Dass es eine geheime Sprache in den Klängen gibt? Und – wusste ich das nicht irgendwie schon immer: Jedes Wort hat eine Aura. Manche Wörter empfinde ich als warm, andere als kalt, es gibt welche, die mag ich, und andere, die meide ich – und das hat oft nichts mit dem Inhalt zu tun, allein mit dem Klang. Denn für mich als Schriftstellerin sind Wörter Geschöpfe, und sie bestehen aus klitzekleinen Organismen: den Buchstaben. Manche von ihnen haben enorme Kraft, auch wenn man es ihnen nicht ansieht.

Es gibt Sprachforscher, die halten das für Unsinn. Andere wiederum behaupten, dass jeder Buchstabe etwas bewirke. Ein I zum Beispiel mache gute Laune, es kommt in vielen posItIven und auch wItzIgen Wörtern vor. Mit seinem Kumpel E auch in schönen, wie in der Liebe, im Paradies oder im Frieden. Das müssen ja auch zwei sein, weil ein I allein hat es nicht so leicht mit der Liebe und im Paradies, und wenn das I allein ist, ist das mit dem Frieden auch nicht so schwer, könnte man meinen, ei, ei, es geht auch andersherum. Und klingt dennoch lustig, ist ja wieder ein I dabei.
Unfug?

Wer will schon in der Vorsilbe Un hausen?
Als ich vor einigen Jahren mein Traumhaus in einem bayerischen Dorf fand, wollte ich dort zuerst nicht einziehen. Denn das Dorf heißt Unering. Will ich als Schriftstellerin in der Vorsilbe Un wohnen? In einem Unwort wie Unglück, unmöglich, unpässlich, Unbill? Als sich herausstellte, dass der Ortsteil Unering zu Seefeld am Pilsensee mitten im Fünfseenland gehört und ich nie, nie, nie Unering als Absender schreiben müsste, sondern Seefeld, zog ich gerne um. Drei mal E. Der See. Das Feld. Weite. Wunderbar.

Übrigens streiten sich die Wissenschaftler bis heute, ob die äußere Form eines Wortes eine Bedeutung für seinen Sinn habe. Sind die Buchstaben willkürlich gewählt – abgesehen von den Lautmalern wie katschen, sirren, rumpeln et cetera. Oder steckt mehr dahinter? Bildet vielleicht jeder Buchstabe einen Kosmos mit ganz eigenen Assoziationen und Gefühlen? Und wer, wenn nicht wir AutorInnen können diese wahrnehmen ... und auch nutzen, wenn wir unsere LeserInnen durch die kluge Wahl der Wörter, der Silben und Buchstaben in jene Stimmung versetzen, die uns vorschwebt –, um zwischen den Zeilen mit der Kraft der Buchstaben Fährten zu legen.

Es gibt viele Versuche, die belegen, dass Menschen auf der ganzen Welt bestimmte Wörter gleich interpretieren. In dem Buch Das Alphabet des Denkens von Stefanie Schramm und Claudia Wüstenhagen finden sich dazu zahlreiche Beispiele. Der Neurowissenschaftler Vilayanur Ramachandran zeigte Probanden zwei Bilder, die er als Zeichen eines fremden Alphabets vorstellte. Welches heißt Bouba und welches Kiki?


Mehr als 95 Prozent der Versuchspersonen waren der Meinung, dass Bouba das runde und Kiki das zackige Zeichen sei. Und Sie?

 

Allgemeines Fazit: Der Klang von Wörtern erschafft visuelle Vorstellungen. Ein weicher Klang erscheint als Symbol für eine weiche Form.

Von Aha zu Oho
Aber das ist doch logisch? Ja, das mögen AutorInnen so empfinden. Wir arbeiten ja ständig mit Sprache. Werbefachleute natürlich auch. Der Name eines Produktes ist entscheidend für seinen Erfolg.

Eine Limousine namens Pili würde wohl nicht so ernst genommen wie eine, die Palo heißt. Wörter, die für etwas Großes stehen, enthalten häufig ein A oder ein O. Und Studien belegen, dass Wörter mit A und O in unseren Ohren auch tatsächlich größer klingen als Wörter mit I. – Bereits im Jahre 1929 bat der amerikanische Linguist Edward Sapir die TeilnehmerInnen einer Studie zu bestimmen, ob Tische verschiedener Größe Mal oder Mil heißen würden. Rund 80 Prozent meinten, dass Mal der Name für die größeren Tische sei.
Und Sie?

Und was hat das alles für Auswirkungen auf unsere Texte? Wenn wir also nicht nur auf die Wörter insgesamt achten, sondern auch auf ihre Zusammensetzung, so können wir mit den allerkleinsten Bausteinen der Sprache Assoziationen befördern. Denn es scheint so zu sein, dass wir die Laute der Buchstaben nicht nur wahrnehmen, sondern ihrem Klang auch eine Bedeutung geben, und zwar unabhängig von unserer Muttersprache. Womöglich liegt das an der Art, wie die Laute hergestellt werden. Ein I beispielsweise wird oft verwendet, um etwas Kleines zu beschreiben. Viele Kosenamen enden auf I. Nun ist der Mundraum, wenn wir ein I sprechen, verengt. Sprechen wir ein A oder O vergrößert er sich. So spiegelt der Raum im Mund beim Tönen wieder, was wir mit diesen Vokalen verbinden. Hinzu kommt, dass ein I meist höher gesprochen wird als ein A oder U oder O. Und ein tiefer Ton wird mit Autorität und Machtverbunden. Kampfbereite Tiere knurren mit GR nicht mit I! Sie grollen, anstatt zu giggern. Sie brüllen, anstatt zu bibbern. Diese Zusammenhänge haben Wissenschaftler wie der Neuropsychologe Arthur Jacobs untersucht, als sie wissen wollten, wie bestimmte Lautkombinationen im menschlichen Gehirn ankommen. So gibt es Wörter, die werden als negativ oder gar böse eingestuft – Krieg, Terror, Krawall. Andere wurden von den Versuchspersonen als neutral bewertet wie Linse oder Moos. AutorInnen wissen dies, zum Beispiel, wenn sie Namen für ihre Protagonisten wählen. Ein neutraler Name lässt mehr Spielraum als einer, der gleich in eine Richtung weist. Auch Fernsehkommissare tragen – außer in Regionalkrimis, wo der Name meist Programm ist – häufig neutrale Namen.

Wenn man das alles bedenkt, wird Sprache noch lebendiger. Und es wird verständlich, warum in vielen Verlagen für die Titelsuche mehr Zeit verwendet wird als für den Inhalt des Manuskriptes. Oft herrscht dort die Meinung vor, dass mindestens 70 Prozent eines Bucherfolges dem Titel geschuldet seien. Und da kommt es schon mal auf jedes i-Tüpfelchen an.

Marketingforscher Richard Klink widmete sich in einer Studie besonders dem I. Er wies nach, dass Menschen Wörter, die ein I enthalten, als leichter, schneller, heller und dünner interpretieren als Wörter mit O oder U. Seine Versuchspersonen stellten sich einen Nodax als Ketchup dickflüssiger vor als einen namens Nidax. Und eine Seife namens Iseck wurde milder eingestuft, als wenn sie den Namen Oseck trug.

Ist das nicht kurios? Und wer würde jetzt noch behaupten, Wörter wären nur zufällige Buchstabenkombinationen? Ein einziges Wort kann doch eine ganze Welt erstehen lassen.

Der Rose phallischen Dornen
Menschen, die Deutsch lernen, staunen oft, weil es im Deutschen drei Artikel gibt. Der, die, das. In vielen anderen Sprachen gibt es nur einen oder zwei oder gar keine Artikel. Wer Deutsch lernt, muss sich also immer den richtigen Artikel zum Nomen merken, der sich ja nicht logisch erschließt. Das Messer. Die Gabel. Der Löffel. – Wieso ist eine Gabel eine Sie und ein Löffel ein Er? Allein darüber nachzudenken, ist durchaus anregend, und vor allem ist Erfindungsreichtum gefragt, will man es einem Nicht-Muttersprachler erklären.

Im Rumänischen ist die Rose ein Er. Wie fühlt sich die männliche Rose an? Und ... riecht sie womöglich anders? Duftet sie überhaupt noch? Oder hat sie einen eher markanten Geruch? Würden wir ihr andere Eigenschaften zuschreiben? Das kann gut sein. Die Psychologin Lera Boroditsky fragte die internationalen TeilnehmerInnen einer Untersuchung nach den Eigenschaften gewisser Wörter. Und siehe da: Deutsche fanden Brücken schön, elegant, schlank und friedfertig, Spanier bezeichneten sie als stark, robust, groß und gefährlich. Aber in Spanien ist das grammatische Geschlecht der Brücke auch kein weibliches.

Tja. Da denkt man, man beherrscht sein Handwerkszeug, man kennt seine Sprache ... und auf einmal steht man vor einem Geheimnis. Der Magie der Worte. So wird es niemals langweilig mit dem Schreiben. Schreiben. Ei. Das klingt ... Wie Heimat! Das Alphabet ist und bleibt ein Überraschungsei!

Michaela Seul: www.Shirley-Michaela-Seul.de

In FEDERWELT, Heft 112, Juni/Juli 2015

 

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